Ich hatte gut Zeit, der Flieger sollte erst um 17.20 Uhr abheben, jetzt war es halb zwei Uhr mittags, der Freund entschritt, ein „fremder“ Zug stand dort auf Gleis 3, der verspätet wartete und wartete, ich fragte den Lokführer, „jaja, steigen Sie nur ein, neinnein, Sie müssen nicht umsteigen, wir fahren direkt“. Das probierte ich aus, und das brachte mich sehr früh ans erste Ziel; ich checkte quasi als erster des ganzen Fluges ein, was sich später ziemlich bezahlt machte, weil mein Rucksack in Berlin gleich unter den ersten Gepäckstücken vom Band herangetragen wurde, so daß ich tatsächlich die S um 20.33 Uhr erwischte; der Flug selbst hatte ebenfalls ein wenig Verspätung, zumal wir alle Zeit hoch in der Luft von einem Gegenwind abgebremst wurden, der 100 km/h schnell, erzählte der Pilot. Ein grandioser Sonnenuntergang zeigte lange, wo Westen ist
Den Profi, der mich hatte abholen wollen, hinderte ein, so drückte er es aus, Einsatz daran; statt seiner begrüßte mich das erwartete Nieseln. Immerhin, es ist nicht kälter als in Amelia; die Arbeitswohnung, als ich sie wieder betrat, war sogar wärmer, als es in der Kardinalswohnung ist, sofern man nicht dort vor dem Holzkamin sitzt. „Wärmer“ gilt für nachts und morgens, an die Sonne des umbrischen, geschweige römischen Tages ist hier kaum zu denken – wozu mir einfällt, daß ich Ihnen, Geliebte, noch den dritten Teil >>>> dieses Briefes schuldig bin. Vielleicht, daß ich über den heutigen Tag dazu komme, ihn zu schreiben; falls aber nicht, so verzeihen Sie bitte: Ich muß mich nun normalisieren, das heißt vor allem, an das neue Hörstück gehen, es erstmal „einfach schreiben“, das Textskelett aus meinen Fingern in die Tasten. Bereits am 6. Februar wird es wieder nach Italien gehen, Neapel diesmal, um den Geburtstag, meines und des Profis, in Begleitung liebster Damen im Liebeslicht des Golfs zu begrüßen, mit Blick hinüber zu der Sphinx (ich beharre auf seiner, des Sphingens, Weiblichkeit). Da, spätestens, muß das Hörstück fertig und abgegeben sein.
5.15 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Und dringend ist die kleine Erzählung zu schreiben, Yüen-Lings, von der ich schon erzählt. Es wird darauf gewartet.
Bisweilen trudeln hier Nachrichten ein, >>>> wegen des ersten eBooks Der Dschungel, durchweg positiv, „daß Sie diesen Weg gehen“, schrieb eine Leserin, „war längst überfällig“, wobei eine Freundin, allerdings, kritisch bemerkte, der Preis von 3,89 komme ihr für eine elektronische Publikation zu hoch vor. Dazu wußte >>>> Parallalie, der amerinische Freund die rechte Entgegnung: „Das ist weniger, als eine Schachtel Zigaretten kostet“, einiges weniger sogar; ich habe als Autor solcher Literatur den Inhalt, nicht aber die Bestsellerei im Auge zu haben, die aus Centbeträgen Vermögen häuft; bei einem wie mir bleibt notwendigerweise der Tauschwert an den Gebrauchswert geknüpft.
Zweiter Latte macchiato, zweite Morgenpfeife.
Immerhin, um fünf Uhr hochgekommen, noch aber nicht um halb vier. Der Körper muß sich wieder einstellen. Auch wird die begonnene Arbeit gleich wieder unterbrochen werden: drüben Am Terrarium liegt die Mama schwerkrank; zur Schule werde deshalb ich die Zwillingskindklein bringen und sie von dort auch wieder, nachmittags, abholen. Ich schütze, auch über Trennungen hinweg. Das ist ein Kern meines Lebens geworden: bei aller Polyamorie für meine Nahen verläßlich zu sein. Vielleicht, dachte ich gerade, daß dies sogar ein Ergebnis meiner Trennungen ist, Ergebnis erlebter Verluste, die aber, so schmerzlich sie auch seien, von Lebensgewinnen, an Leidenschaften, Küssen, Obsessionen, mehr als ausgewogen werden.
Guten Morgen.
(Gogolins >>>> Herz des Hais im eKindle zuende gelesen und dann noch einmal, ebenfalls im Lesegerät, sämtliche Duineser Elegien und darin Passagen unterstrichen, die ich auswendig können, deshalb auf den Laptop übertragen und lernen will. Was wir bei uns tragen, ohne daß ein anderes als unser eigenes Hirn, das zugleich unser Herz ist, das Futteral ist, in dem wir‘s mit uns tragen.)
8.25 Uhr:
[Wieder Arbeitswohnung. Bruno Maderna, >>>> Quadrivium.]
Unfaßbar, wenn ich länger dortwar und irgendwo anders Musik hörte, welch ein Erlebnis dann wieder hier die Anlage ist. Klarheit, vollkommene Durchsichtigkeit, Fülle: ProAc. Absurd, daß ich an einen neuen Verstärker gedacht habe. Kaum ein Konzertsaal, der mit diesem Klang hier mitkäme.
Unfaßbar auch, aber nicht staunen, sondern lächeln machend, welch Jungbrunnen kleine Kinder sind. Ich brachte die Zwillinge also durchs Naßgeglitzer des nieseldurchsetzten Morgens zur Schule. Die Helligkeit erst aller Fenster, dann der Klassenräume. Wir lernen, daß Unbequemlichkeit uns jung hält, jeder Ausflug aus den Routinen, so gerne wir sie uns andererseits auch bauen und sie pflegen, jedes Moment von Fremdheit gibt uns Nähe, ist die, kantsch gesprochen, Bedingung der Möglichkeit von, ja, Wiedernähe will ich das nennen. Wenn ich n o c h einmal Vater würde, ich würde es begrüßen, auch und gerade jetzt, mit einem Monat vor den 58, würde das schwierige erste Jahr begrüßen, alle zwei Stunden nachts wachzuwerden, endloses Herumtragen des Babies, es zu wicklen, es zu waschen, das Kind die ersten Schritte zu lehren, und vorher, es zu beruhigen, wenn es schreit und weint. Mein Großer, vorhin stand er da in elegantem grauen Mantel und mit grauem, in spöttischem Mutwillen um den Hals geworfenem grauen Schal, ist fast nun schon ein junger Mann.
Es ist zu warm, um den Kachelofen anzuheizen. Bizarrer Winter. Denn selbstverständlich ist es wiederum zu kühl in der Wohnung, um Frauen, die sich dann ausziehen sollen, zu empfangen. Ich hab sowieso keine Zeit, muß an das Hörstück, an seine Kalkulation zuerst, um durchgewunken zu werden, dann an die Texte; ich habe eine Idee gestern noch gehabt, wie ich den Vorschein von Dokumentation herstelle, die ein sogenanntes Feature ja a u c h immer sein soll. Das tatsächlich Dokumentierte füg ich dann später ein.
Welten: hier Berlin, da Amelia. Nie mehr vergessen werde ich den Anblick, wie sich die schmale, wirklich sehr schmale, innige S. vor ihre Stufa setzte und immer wieder Holz nachlegte, dabei die Beine sehr breit, ihren Schritt dem Feuer geöffnet, arglos, nichts als empfangend, einem wärmenden Feuer, keinem zur Wollust und dennoch mit ihr verbunden. Schon da, nur diskret in Gedanke und vorsichtig Blick, dachte ich an D.H.Lawrences wunderbare Erzählung „Sun“:
(Ich sah gestern nacht noch einen Tatort, der außerdem in mir nachgeht. Einige Zeilen will ich zu ihm schreiben, zu ihm wie zu Heinrich von Kleist.)
@ 3,89 3,89 seien zu teuer für eine elektronische Publikation? Schwingt da vielleicht noch die Vorstellung mit, dass man im Netz alles „für lau“ bekäme, gerade kulturell Erzeugtes? Ich hab’s für diesen schmalen Obolus umso lieber downgeloadet (wenn auch noch nicht gelesen) und finde ihn eher zu gering – abgesehen davon, dass kulturelle Erzeugnisse ohnehin sich nicht in schnöde euronischen Einheiten wertmessen lassen. Würde mich freuen, lieber ANH, wenn Sie noch weiteres eBookend zur Verfügung stellten. Aber wenn ich richtig gelesen habe, ist das ja eh geplant. Kann dann auch gerne so viel wie eine CD bei iTunes kosten, nämlich mit 9,99 gerade noch unter der Zweistelligkeit vor dem Komma und so viel wie zwei Schachteln Zigaretten oder drei dürre Biere 😉