Geliebte, Sie wissen,

(Teil Eins des Briefs)


wie sehr ich unser „Sie“ schätze, das der Neigung dieser Zeit, sich und ihre Gegenstände, um sie dem Markt mundgerecht zu machen, möglichst flach zu profanieren, ein auserlesen Perverses entgegenstellt, und zwar da um so mehr, wo, wie wir beide wissen, in anderen als schriftlichen Belangen die Nähe weit über jene hinausgeht, ja sie unterläuft, die bürgerlich genormte Beziehungen formt, ja, der eine die andere beugt, so daß im Erotischen sehr wohl von Dienerin und Herrn gesprochen werden kann, in sämtlichen anderen Hinsichten aber von einem einander Gleichgestelltsein, wie die vermeintliche Normalität es kaum kennt und, wohl ebenfalls praktischerseits, besser auch gar nicht kennen sollte. Die gemeinte Perversion ist zumal der schärfste Gegner, den unser aller schärfster Gegner hat, der Alltag nämlich, der die Alltäglichkeit nicht vermeiden kann und also nicht das sichStumpfen der Sinne; ihm ausgeliefert leben die schon im Wort profanen Beziehungen schließlich öd vor sich hin und halten sich allein in der Selbstlüge auf sich, einer von meistens beiden Beteiligten betriebenen, und sie wissen darum, rechtfertigend sich, dies zwar zu recht, mit den Kindern, halten aber zugleich, und vergiften diese Kinder, am Eigentum am andern fest. So wird das einander Erkennen von allem Beginn an auf die Fleischbank der Waren geworfen, und man merkt anfangs gar nicht, wie Kilo für Kilo davonverkauft wird. Schließlich sind von den Lieben nur noch die blutigen Knochen übrig, aus denen sich die dann Folgenden ihrerseits ihre, es sind immergleiche, Suppen bereiten.
Nein, wo allewelt sich duzt, beharr ich

auf dem Sie.
Es hat aber noch einen anderen Grund. Sehen Sie, verehrte Freundin, es ist in nicht nur ungewissem Sinn ein jedes Buch, das ich bis heute geschrieben, an eine Geliebte gerichtet; wie sollte das bei einer Erzählung aus der Fremde, auch wenn sie vertraut ist, anders sein? So daß ich heute, indem ich die Form der Mitteilung spitze, mein Arbeitsjorunal direkt an Sie schreibe, anstelle es allgemein an „die“ Leser zu richten, die meist gar kein Gesicht für mich haben, schon gar nicht einen Hals und die Brüste, denen so nahezufassen, wie ich es wollte, schon d e s h a l b nicht geht; – um von den tieferen Bereichen des Körpers zu schweigen; dies nicht aus Scheu, bewahre!; nicht, weil ich mich schämte, öffentlich zu meinen Begehren zu stehen, und ebensowenig, weil ich meinte, unsere Übertretungen seien privat, weil intim und hätten deshalb Licht zu scheuen. Sondern allein, weil sie sich, die gemeinten Areale, in Worte nicht wirklich fassen lassen. Glauben Sie mir, ich habe es versucht, versuch‘s auch immer weiter, doch wie, Geliebte, wollen Sie einen Geruch schriftlich auf andrer Menschen Sinne wirken lassen, so, daß ein Pheromon auch reagiert? Unmöglich ist‘s. Das ist der Grund für meine Skepsis gegen jegliche Sprache; zwar schafft sie Welt, aber die vorhandene stellt sie nie dar. Alle Mimesis verzweifelt – weshalb der Satz, daß alle Welt ein Text sei, nicht nur absurd, sondern der Ausdruck eines, indessen unzugegebenen, Kapitulierens ist. Und dennoch, wir versuchen‘s immer wieder. So denn auch ich, Sisyphoi, die wir sind. Ich gebe die Kapitulation aber zu, schon aus Stolz – einem weiteren Begriff, dessen Inhalt die Müllrutsche des Marktes hinabsaust, aborto, muß man schreiben -, und setz ihr, ob auch der Deckel schon drauf ist und beharrlich wie unser „Sie“, den männlichen Trotz eines insofern Narren entgegen, als Unbestechlichkeit längst ein Makel geworden und Unangepaßtheit für Dummheit gilt, wo Qualitäten sich alleine nach Quote errechnen.
Nein, dies ist keine Klage. Ich konstatiere lediglich, bevor ich nun meinen eigentlichen Brief beginne: Also, Geliebte,

Amelia, den 6. Januar 2013,
[Kardinlswohnung, Kaminraum.]


von Rom hatte ich Ihnen schreiben wollen, wo ich vorgestern war. Es unterblieb bislang, weil die Übersetzung des >>>> Giacomo Joyce dringend fertiggestellt werden mußte, was wir auch schafften, >>>> der Freund und ich, zufriedenstellend, wie ich glaube, ja, mehr als das: befriedigend im tiefen Sinn. Da kann ich nun auf mein schönes Notizbuch schauen, es aufblättern und von den dortigen Skizzen aus erzählen:
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5 thoughts on “Geliebte, Sie wissen,

  1. – – – aus, also, Rom, da ich die sehr alten Wege ging –

    (Teil Zwei des Briefs)

    „sehr“, weil ich sie sonst meide: Es war mir nämlich, morgens, passiert, daß ich, als ich in Orte angekommen war, des Freundes Wagen ordentlich auf dem Pendlerparkplatz abgestellt und auch die 1,50 Gebühren entrichtet hatte, passiert, daß fast all mein Geld in Amelia geblieben. Ich habe einiges aus Berlin mit hergenommen, geplanter Schuh- und vielleicht eines Hutkaufes wegen; so war das für Rom geplant gewesen. Als ich nun vor der Biglietteria stand, der FS, um für 12 Euro mein >>>> BIRG zu erstehen – eine Tageskarte, die für den gesamten Lazio gilt -, war mein Portomonnaie quasi leer. Oh du Schreck. Da blieben mit achtzehn Euro für den ganzen übrigen Tag. Jetzt aber abbrechen, wieder zurück nach Amelia fahren, um das Geld aus dem Reisepaß, darin ich es verwahrte, zu holen, und dann den ganzen Weg wieder zurück? – nein, gewiß nicht. Dann lieber Verzicht üben und eben nicht zur Piazza Vittorio, was ich zwar dennoch tat, aber eben nicht, um in dem hinreißenden, unterdessen leider in die Überdachung abgeschobenen Mercato Esquilino, der drinnen indessen längst nicht so sauber, wie sein anrenoviertes Äußeres uns dünken macht:

    Sondern er ist wild geblieben, wenn auch nicht mehr s o wild, wie er vor fünfzehn Jahren war, als ich in dieser Stadt noch lebte; unterdessen findet man auch nicht wenige Autos, die vor roten Ampeln stehenbleiben. Ich bedauere das, weil es Folgen für die Moral der flinken Aufmerksamkeit hat, um die ich Italiener immer beneidet habe. Wenn wir uns regulieren lassen, werden wir automatisiert und pochen, auch wenn es Menschenopfer kostet, auf das Recht des Vorfahrthabens. So ging auch heute wieder manch mein innres Angebet in Richtung Neapel, wo die Dinge noch immer anders liegen. Aber der Markt blieb für mich tabu – allzu verführerisch dort Fisch und Schuh, Gewürz und Frucht in Bergen, ja Anzüge selbst sind gut zu erstehen; ich trage noch heute zwei, die ich damals dort um hundert Mark erstanden. Doch eigentlich ging es mir um eine Sonnenbrille, die mir in Berlin zerbrochen, angebrochen, ein Bügel glatt ganz ab. Zwar läßt sich das Ding auch so noch tragen, doch der Narr, von dem ich oben schrieb, muß die Närrischkeit nicht immer gleich zeigen; außerdem entferne ich aus meiner Kleidung immer sofort die Markenschildchen, weil ich als Werbeträger nicht mag dienen, und scheue mich also, Marken zu tragen, wenn man sie sieht. Diese spezielle Art des kapitalistischen Zugehörens, immer noch, glaub ich, „in“ sein genannt, ist mir zuwider wie der Pop. Die neue Brille war von den achtzehn Euros gut gedeckt. Der, wie unterdessen fast die gesamte Gegend – 1998 ist sie noch schwarz gewesen -, asiatisch geführte Laden liegt zweidreihundert Meter seitlich der stazione Termini in einer ziemlichen, doch schmalen Dreiviertelhöhe.
    Ich kam an, und sogar am Bahnhof war Roma beinah still; bis zum 6. Januar ist, wie in Deutschland, Ferienzeit und die Zeit für Inventuren. Also herabgerattert geblieben viele der metallenen Schutzrollos, chiuso per ferie usw. Mein, brüllend inkorrekt ausgedrückt, Asiate hatte aber auf, nur daß die Sonnenbrillen, die sommers das Geschäft zum Platzen füllen, Tausende, wenn nicht Hunderttausende Sonnenbrillen von jeglich erdenklicher Form und Größe, winterhalber in eine Nebenkammer verbannt warn; es warn auch nicht viele mehr da. Nun ist in Italien das Glück mir gewogen, so daß ich tatsächlich mein Modell fand – ein aller-, wirklich allerletztes Exemplar. Erfreut legte ich meine fünf Euro und bekam sogar noch ein Stoffutteral, das ich nur deshalb erwähne, um nicht die drei f‘s der neuen deutschen Schlechtschreibung mitzumachen. – Nun, denn, hinüber auf die Vittoria, die so gepflegt unterdessen, daß ich mit abermaligem Anbet der Zeiten gedachte, da Rom noch voller Pornokinos war – riesiger Säle, teils, mit Bogengängen davor, etwa an der Repubblica; drinnen, im Schummrigen, flanierten leise die Nutten hinunter und wieder hoch, immer nah an der Wand, und schauten in die Reihen; zwischen draußen und drinnen flanierten unter Arkaden zeitungslesende Herren; da war so viel Selbstverständlichkeit, die ich aus Deutschland nicht kannte, wo man selbst im Kino noch, um nicht erkannt zu werden, die Mantelkrägen hochgeschlagen ließ. Die große, Giubileo genannte Säuberungswelle ging zum 2000sten Geburtstag des Nazareners mit dem bigotten Besen durch die Stadt, durchaus vergleichbar mit Giulianis Disneyfication New Yorks. Wohltuend freilich die Limitation des Autoverkehrs, der all den Säulen und Figuren und Fassaden schwerste Schäden zugefügt. Nur bekommt es offenbar der Mensch nicht hin, das eine zu tun und das andre zu lassen; wenn er Sauberkeit sagt, will er cleanen.
    Immerhin, die Hunderte Katzen der Vittoria haben sich nicht vertreiben lassen; sie hausen weiter, Schrecken der Ratten, in >>>> Alessandros Ninfeo und werden immer noch geliebt:

    Nun aber dacht ich mir, da sowieso der Einkauf ausgeschlossen, weshalb nicht dorthin flanieren, wo das für einen, der kein eigenes Konto mehr hat, sowieso schon der Fall ist, weshalb er solche Gegenden sonst meidet? Querdurch also zur Barberini, von wo ab die Edelhotels und Flaniermeile der hohen Bürgertums bis zum Park der Villa Borghese verlaufen, Romas Beaux Quartiers, wo man dann auch treffenderweise auf ein Café de Paris trifft, und alles, januars, draußen bestuhlt, denn in der Sonne, in der Tat, war es mehr als nur warm.

    Hinab die Avenue hingen orangerot Orangen in den Bäumen, die Palmen wedelten mir zu, und schöne Damen, die auf langen Beinen gingen, die über Absätzen, von denen man noch Stunden später träumt, schritten in sonnentrotzenden Pelzen vorüber, oft eingehakt in ein wenig, manchmal auch weniger wenig ältere, in jedem Fall begüterte Herren, die nach solchen Herren auch aussahn, die Loggien können zur Verfügung nicht nur stellen, sondern auch ausstatten: ideale Geliebte, Geliebte, für unsereinen, der die feste Beziehung doch scheut, ihren Ansprüchen auch gar nicht gerechtwerden könnte, noch wollte, weil das Leben schlichtweg zu kurz ist, um es – es sei denn, daß man geerbt hat – mit Geld zu verbringen und den Forderungen, die sein Erwerb an uns stellt.
    Es ging mir gut, so schritt ich weiter, nahm einen Caffè, sog an dem, ersatzhalber vielleicht, Cigarillo und wandte mich schließlich dem großen Park zu, der New Yorks Central Park in einigem vergleichbar, aber freier ist, wohl auch größer; freier, vor allem, weil weniger übersichtlich, weil über Hügel geführt, vor allem wegen der ihn säumenden Pinien, auch aber wegen der Villen, deren Anwesen hineingetan und von unseren Augen dankbar umküßt sind, weil sie, die Augen, die Pinien ständig streicheln. Welch ein Wunder zum diesen Baum! um seinen Wuchs, seine magische, zugleich märchenhafte, aber nicht dunkle, sondern immer luftige Krone, und, fast mehr noch, um seinen Duft.
    Da eine Bank.
    Ich setzte mich.
    Ich schaute.
    Notierte.
    Hier sei ich, schrieb ich, seit fünfzehn Jahren nicht mehr gewesen. Damals war ich mit लक्ष्मी hier, zum letzten Male hier, mit ihr. Wie wenn ich die Begegnung seither gemieden, – zum ersten Mal aber vor dreißig Jahren, damals mit Do, erstmals in Rom. Von dort, fast da, wo der Park an die Trinita dei Monti stößt und hinab auf das Spanische Viertel schaut und schauen läßt, oh Gewimmel der Touristen und Edelzeile der Guccis, Cardins und, furchtbar, des falschen, kitschig zum Ekeln, Funkelns Svarovskis, dort oben fotografierte uns, ein so junges, ziemlich elegantes Paar ein, ich erinnere mich, anderes. Ohne fast, daß ich‘s bemerkte, überkam mich eine Wehmut. Also besser aufgestanden, besser weitergeschritten, Herr Herbst. Man ist nun wirklich nicht mehr dreißig. Zur Trinita dei Monti spazierte ich dennoch und sah auf die schimmernde Stadt hinab:

    (Dieses Briefes erster Teil <<<<)

  2. Sie wecken Wehmut auch in mir, darum … … die Frage, wie lange Sie noch in Rom sein werden? Reicht es, um mal zur Via Nomentana rüber zu rutschen und mir ein Foto vom Eingang zum Park der Villa Torlonia zu machen? (Sie wissen, da wohnte mal einer, der später an den Füßen hing.)

    Ich hätte noch eine Erzählung zu schreiben, die in diesem Park spielt. So ein Foto von Ihnen könnte meiner Inspiration Flügel verleihen.

    Grüße an die Stadt und Sie, PHG

    1. @PHG: Nur drei Tage früher! Und ich hätte Ihnen das Foto gemacht. Denn vorgestern stand ich direkt davor, vor dem erbarmungslos Neurenovierten. Paar Zehntschritte weiter, zur Massimo, und d a erst fotografiert.
      Ich breche hier morgen mittag auf und werde leider nicht mehr über Rom kommen. Aber da ich ohnedies noch mit der Massimo mailen muß und will, kann ich die jungen Damen bitten, solche ein Foto schnell zu schießen, ist ja quasi nur nebenan.

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