Aus dem Venusberg (III). Darinnen eine, Vodafones wegen, kleine Verzweiflung, nämlich im Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 19. Dezember 2012.

5.30 Uhr:
[Palais Bijou, 41. Händel, Cesare in Egitto.]
Es mag – Genaues war nicht herauszufinden, ich habe aber auch nicht sonderlich doppelgefragt – zur Philosophie des Hauses gehören, daß es kein offenes WLan gibt, vielleicht auch deshalb, weil damit eine >>>> Meldepflicht verbunden ist, die der Diskretion entgegenstünde, da in so heiklen Gefilden mit Überwachung und Mitschnitt zu rechnen ist. Daß sich von einer „Philosophie“, jedenfalls in lebensphilosophischem Sinn, tatsächlich sprechen läßt, ist mir spätestens deutlich, seit ich >>>> Yüe-Ling kennengelernt habe, der ich es verdanke, daß ich gestern meine >>>> Cesare-Kritik überhaupt noch einstellen konnte. Im Haus sprachen sich meine Verzweiflungsausbrüche nämlich schnell herum; sie waren wohl auch nicht zu überhören. Ich schrieb unten im Foyer, weil ich die Damen nicht daran hindern wollte, ihren höchst verschiedenen Erwerbsformen nachzugehen. Allerdings war ich nicht der einzige, der bisweilen etwas laut wurde, sondern die hier so genannten Mandanten können, auch das gehört zur Philosophie, von den Frauen ohne Angabe von Gründen abgewiesen werden. Wie ich mitbekam, geschieht das häufiger, als ich gedacht hätte. Manchmal gibt das Ärger. Dann rücken sehr schnell dreivier Wächterinnen an und lösen jeweils das Problem. Kaum, daß sie erscheinen, wird es still, und die entsprechenden Mandanten verziehen sich, nicht selten mit wirklich betroffenem Ausdruck, manche wirken sogar schockiert.
Die Vermittlung zum Palais kam übrigens über die Samarkandin zustande, nachdem ich ihr mehrmals von meinem >>>> Melusine-Walser-Projekt erzählt hatte. „Sprich mit den Frauen des Frankfurter Hauses. Unbedingt. Ich bin mir sicher, daß das auf deiner Linie“, womit sie meine Erzähllinie meinte, „liegt.“ Sie hatte recht. Es ist, auf Frauen nicht zu hören, nahezu immer ein Fehler. – Jedenfalls stieg meine Verzweiflung zunehmend an, weil ich, allein um den Text zu schreiben und seine Angaben abzusichern, immer wieder nachsurfen mußte, aber nicht konnte. Morgens um halb fünf war Vodafone noch zugänglich gewesen, ab halb sieben brach das Netz abermals zusammen und war über den gesamten Tag nicht mehr oder nur selten, und dann zum Haarraufen langsam, zu aktivieren; hochladen ließ sich gar nichts mehr, und schrieb ich, etwa, um auf Kommentare zu antworten, direkt in die Masken, gingen meine Antworten mehrmals verloren; alles mußte gesondert vorgeschrieben werden. Am gräßlichsten war die versuchte Bilder-Arbeit.
Selbstverständlich rief ich mehrmals beim Vodafone-Service an; wohltuend ist, daß man dort, anders als bei vergleichbaren Anbietern, nahezu immer und nahezu sofort eine Beraterin zu sprechen bekommt, aber diese Menschen sitzen in Call Centers und haben nicht eigentlich eine Ahnung; in kompliziert wirkenden Fällen leiten sie an Techniker weiter, die einem dann versprechen, sich um die Angelegenheit zu kümmern und sogar zurückzurufen. Allerdings passiert das nicht. Schließlich erklärt einem die zum zwölften Mal Angerufene, daß die Problemlösung schon mal vierundzwanzig Stunden dauern könne; dauernde Neuanrufe brächten nichts. „Aber woran liegt es denn nun?“ Vielleicht gibt es eine Anweisung von „oben“, das tatsächliche Problem auf keinen Fall bekanntzumachen, besonders nicht den Kunden; wahrscheinlicher ist aber wohl, daß man die Mitarbeiter:innen gar nicht erst einweiht. Mittlerweile habe ich heraus, daß Vodafone eine neue Technologie hochzieht, deren Rechteinhaber sich aber in einem internationalen Rechtsstreit mit einem anderen Patenthalter befindet; zumindest ist das alte UMTS-, bzw. HSUPA-Netz nicht entsprechend der gestiegenen Nachfrage ausgebaut worden, so daß es zu kruden Überlastungen kommt; man hat dann zwar Verbindung zum Provider, also Vodafone, der aber keine Verbindung zu den Servern herstellen kann. Nicht mal Google wird mehr aufgerufen; http://google.de ergibt tatsächlich die Fehlermeldung Bad Gateway, was eine Art gegentotalitäres Schimmern von Hoffnung wäre, passierte das Gleiche nicht auch mit, zum Beispiel, >>>> TT und >>>> Parallalie, um von Der Dschungel zu schweigen, an der man doch ständig weiterpflanzt, wenn man ANH heißt.
Es war zum Verrücktwerden. Um etwa sechs Uhr abends ließ mich Frau Ling dann, den ziemlich Erschöpften, der einmal kurz vor einem Weinkrampf stand, zu sich heraufbitten, sprach nichts, zeigte nur lächelnd auf ihr Airbook, in dem seitlich ein Funkstick steckte; sie hatte sogar Word schon geöffnet. Dank sei ihr, Yüe-Ling also, sowie dem ALDI-Konzern, die beide mir völlig umstandslos den Netzzugang endlich ermöglichten.
Da saß ich dann noch zwei Stunden, lud Bilder hoch und, vor allem, korrigierte: Viele Fehler erkenne ich nicht bereits im Typoskript, sondern immer erst, wenn ich einen Text mit ferngerückt habe und als Femdtext lesen kann. Es wurde fast 21 Uhr, bis ich endlich mit der Kritik „durch“war. Ich glaube, so lange habe ich an noch keiner gearbeitet.
Wie unwirsch ich war, bekam leider auch شجرة حبة zu spüren, die ich frühnachmittags auf einen Kaffee traf. Wenn ich von einer am selben Tag beendbaren, aber unbeendeten Arbeit aufstehen muß, und sei‘s, um engste Freunde zu treffen, kann ich unleidlich sein; wenigstens bin ich dann nervös, ja fahrig, sogar gereizt, ganz sicher jedenfalls keine zivilisierte Gesprächsfreude. Man muß mich dann wirklich aushalten können. Der Profi nennt mich deshalb ganz gern seine Dramaqueen, was ziemlich frech ist; ich kann indessen nicht recht umhin, ihm das zuzugestehen. Lockerheit gehört, im Fall akuter Widrigkeiten, leider nicht zu meinen Fähigkeiten, schon gar nicht kann ich „abschalten“. Ich bin schließlich kein Automat. Jetzt bekam ich zum Ärger den Spott obendrauf, einen freundlichen aber, so daß ich die Zähne zusammenbiß. Ich hatte der schönen Frau versprochen, ihr mehr vom Palais zu erzählen; dem war, auch wenn ich nicht mochte, nachzukommen. „Nein, ich nehme da keine Dienste in Anspruch. Aber das wissen Sie doch, daß ich für die Nähe der Körper in ihrem Rausch kein Geld geben würde – nicht aus moralischen Gründen, bewahre! Sondern weil ich weder mich noch die Frau, also eben die Nähe, dem Tauschprinzip unterstellen will und weil…“ „Sie ein hoffnungsloser“, sie lachte auf, „Romantiker sind. Haben Sie schon drüber nachgedacht, daß es d a s sein könnte, was Sie gegenüber der >>>> Cesare-Inzenierung Herrn – wie heißt er nochmal?“ „Erath, >>>> Johannes Erath.“ „… was Sie gegenüber Herrn Eraths Inszenierung“, von der ich ihr gleich zu Anfang unseres Treffens erzählt hatte, „derart skeptisch macht? Seien Sie froh, daß Sie nicht politisch tätig sind, und auch in Firmen, mein Lieber, wären Sie nicht wirklich zu gebrauchen. – Sie sind“, fügte sie an, und, nunmehr, lächelte sie fast wie Frau Ling, so daß ich kurz erschrak, „durchaus diskret, aber zu jeder strategischen, weil sie Interessen durchsetzen will, Diskretion restlos unbegabt. Es kann durchaus auch das sein, was Sie für so viele Ihrer Zeitgenossen derart unbeliebt gemacht hat. Und nun gehen Sie wieder an Ihren Text, bitte, bevor Sie anfangen, sich auch noch über mich zu ärgern.“ Sie winkte der Kellnerin. „Nein, das mache ich.“ „Heute nicht. Heute zahle ich für mich selbst und Sie für sich. Und denken Sie, wenn Sie Ihre Kritik weiterschreiben, über meine Worte nach. Vom Palais erzählen Sie mir bei unserm nächsten Treffen…” „… morgen abend”, sagte ich. „…oder”, wieder sie, „am Telefon. Ich merke doch, welche Ameisen sie heut in Ihrem Hintern haben.“
Was mich am Palais am meisten frappiert, fällt mir dabei ein, ist, wie vieles sich, das ich in >>>> Thetis mit dem BOUDOIR erfunden zu haben meinte, als pure Realität erweist; seit ich das Haus zum ersten Mal betrat, kam allerdings einiges hinzu, das sich in Argo ergänzen ließ; ich überlege sogar, ob ich nicht noch für Yüe-Ling eine kleine Rolle hinzuschreibe, ähnlich, wie ich es für >>>> EA Richter getan habe: einfach eine kleine Hommage, die für den Roman selbst an sich entbehrlich ist, aber doch wie eine Blume, die man von Herzen schenkt.

Heute früh, übrigens, funktioniert der Vodafone-Zugang wieder; aber gestern war das in den ersten zwei Tagesstunden genauso; erst gegen halb acht brach er zusammen.

Guten Morgen. Heute am Nachmittag Vorstandssitzung im >>>>Literaturforum Mousonturm. Für danach, abends, bin ich nun abermals mit شجرة حبة verabredet. Jetzt, da die Arbeit getan ist, werde ich liebevoll sein können. Und die stille Dichterin ein bißchen vergessen, weil ich nämlich weiß, daß zum Beispiel die Löwin auch auf erfundene Frauen eifersüchtig sein kann, vielleicht sogar viel mehr als auf reale. Denn gegen Innenbilder ist kein Hexenkraut gewachsen.

Mir im Rücken, vertrauensvoll zusammengerollt, schläft die weiße Füchsin. Ich könnte sie, denke ich, indem ich sie betrachte, mit einer Hand aus dem Bett heben und die andere drüberdecken.

Schweben die Blätter dunkel am Rand.
Liebt mich die Freundin Jade.
Das Messer beißt einen Sprung in die Haut.
Weiß am Wundrand Nephrit.

Yüe-Ling

4 thoughts on “Aus dem Venusberg (III). Darinnen eine, Vodafones wegen, kleine Verzweiflung, nämlich im Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 19. Dezember 2012.

  1. Vodafone-Störungsnachtrag. Was mich an diesen Ausfällen so fuchsig macht, ist, daß das Unternehmen sie, zum Beispiel auf seiner Serviceseite, nicht ankündigt. Jeder denkende Mensch hätte Verständnis dafür, würde mitgeteilt, daß es, etwa aufgrund des Ausbaus einer neuen Technologie sowie des bisherigen Netzes, an den und den Tagen zu flächendeckend langen Ausfällen kommen könne. Dann würde man sich darauf einstellen und auf andere Netze ausweichen und/oder Internetcafés nutzen. Aber einfach ins Leere geschickt zu werden, läßt einen sich schwer verarscht vorkommen – um so mehr dann, wenn man beruflich auf das Mobilnetz angewiesen ist. Deshalb, letztlich alleine deshalb >>>> häufen sich die Klagen: Man fühlt sich in Abhängigkeit getreten. Als riebe sich jemand auf der anderen Seite die Hände.

    1. Es scheint wirklich so, als würde die ohnehin geschaffene Abhängigkeit von einer übergeordneten Macht zusätzlich noch verstärkt, indem der einzelne Kunde mit seinem Ärger nicht zählt, während zugleich qua Werbung allen das Konsum- und Freizeithimmelreich versprochen wird. Ich bin bei einem anderen, zu teuren Anbieter, bei dem es besser läuft, der aber mein Geld einem ekligen Fußballverein zuschanzt, was mich extrem ärgert, nicht aber meine Handlungsfähigkeit im Netz unterminiert. Trotzdem: man sollte nie vergessen, in welchen Abhängigkeiten wir stecken – eine Woche Stromausfall, und es gibt hier die ersten Toten.

  2. Warum denn ankündigen? Das ist wohl, mit Verlaub gesagt, etwas naiv gedacht. Warum sollte man uns das denn bekanntmachen, ankündigen gar.

    Wenn unsere Zivilisation zusammenbricht – und nicht wenige sagen ja, dass sie schon dabei wäre -, dann wird man das doch niemandem mitteilen. Verschweigen und bis zum letzten Moment abstreiten, das ist die Strategie.

    Aber wir stehen das schon durch – ich wünsche Ihnen was – PHG

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