Das Vierte Frankfurtmainer Buchmessen-, sowie Arbeitsjournal, nämlich Argo ff.: Es durchhalten, auch wenn‘s dir den Boden unter den Schuhsohlen wegreißt. Nie aufgeben. Und daß man dann doch, im Kleinen, entgolten wird, etwa durch den Schinken bei Wieser – nämlich dadurch, daß zwei zu Freunden, sofortigen, werden, die man, dies ahnend, zusammengebracht. Sonnabend, der 13. Oktober 2012.

9.50 Uhr:
[Heinz Winbeck, Fünfte Sinfonie auf Themen von Bruckner,
besonders der Fragmente seiner nachgelassenen Neunten.]


“Es gibt hier doch noch Mensch“, sagt Forssmann, nachdem wir bei >>>> Wieser waren. „Nicht alle“, sage ich, „sind schon Replikanten, und ein paar werden es niemals werden.“
Eine Geschichte, die vor ein paar Jahren begann. In einem >>>> sehr schönen Sizilienbuch fand ich einen Text von mir, aus meinem eigenen Sizilienbuch herausgenommen, ohne daß mir oder meinem Verlag davon Kenntnis war. Das Buch, bei Wieser, war und ist wunderschön.

Ich schwieg gegenüber meinem Verlag, begab mich auf der auf meine Entdeckung folgenden Buchmesse an den Wieserstand und sah einen riesigen Schinken auf einen Schinkenhalter gespannt und einen kräftigen, lebenssprühenden Mann mit den Unterarmen eines Bauern dahinter, das lange schmale Messer in der Hand und in den Augen, wenn man hinsah, tiefe Melancholie. Das linke Auge steht ein wenig schief, über beide Glaskörper hängen die Lider: wie Jalousinen, die nicht ganz heraufgezogen sind.
Ich sprach ihn an, stellte mich vor, erklärte den Grund meines Besuches und sagte: „Nein, ich finde das in Ordnung. Was hätte ich an dem Auszug verdient, wäre es mit juristisch rechten Dingen abgegangen? Dreißig Mark, vierzig Mark vielleicht, nach Steuern also zwanzig? Wissen Sie, ich bin in Ihrem schönen Buch und bin es gern. Geben Sie mir einfach von diesem Schinken zu essen.“ Er, österreichisch mit slawischer Färbung: „Und oanen Weijn wollnS Ihne aa?“
Seitdem gehe ich auf jeder Messe wenigstens einmal dort vorbei. Diesmal traf es sich, daß >>>> meine Impresaria mit Wieser befreundet ist, so daß wir schon vorgestern lange dort aßen, tranken, plauderten. Es ist kaum erstaunlich, daß der sinnesfreudige Mann ein Buch übers Kochen hat geschrieben, in einem Verlag, der ansonsten sprachwissenschaftliche Arbeiten in meisterhaften Ausgaben herausgibt, aber auch Dichtungen, etwa von Peter Handke. Sehen Sie sich >>>> das Programm einfach an. In „Kochen unter anderen Sternen“ finden sich aber Kapitalnamen wie Im dritten Kapitel wird vom ersten Schmecken und Kosten,
vom Probieren und Riechen, vom Scheitern und Wagen,
von Nahem und von Fernem, von Saurem und Süßem
und vom Brot und vom Sterben berichtet.

Das sei ein schönes Buch, habe Handke gesagt, doch gebe es ein Problem mit ihm: „Woann moan liiejst, bekoamt‘s moan on Hoanger“
So zogen denn Forssmann, den ich von >>>> Arno Schmidt bei Suhrkamp herüberentführte, und ich zu Wieser an den Stand, ich stellte beide einander vor, Forssmann sofort: „Ich bin nicht zum Schnorren gekommen“. Meine Initative war ihm, dem zurückhaltend Vornehmen, ein wenig peinlich. Doch da begannen die beiden Männer zu sprechen. Bald wurden Bücher getauscht. Und das Typographengenie erzählte von seinem sprachgenialen Bruder, sah >>>> in Wiesers Standardwerk einen Autorennamen, den ich leider vergessen habe, und bemerkte: „Oh, gegen diesen Mann sind wie hier alle auf der Messe verglimmende Lichter.“ Solch eine Achtung lag in dem Satz, daß nach dem Wein der Slivovitz kam. Es war das Gefühl, das uns das Glück schenkt, was mir die beginnende Freundschaft dieser beiden Menschen gab:


Wieser links, Forssmann rechts, inmitten der >>>> Arco-Verleger Haacker
*******
Viel sonstiges Glück erlebe ich nicht. Es ist eine der für mich schwierigsten Buchmessen je, die schwierigste wohl. Ich werd von innen her- und hingeschüttelt und weine oft. Dabei könnte ich zufrieden sein. Der dritte Andersweltband wird im nächsten Herbst erscheinen: welcher Verlag traut sich denn sowas: den dritten Band einer Trilogie herauszugeben, deren ersten beiden Bände quasi nicht mehr lieferbar sind; der obendrein zwischen 1000 und 1200 Seiten haben wird; die n o c h darüber hinaus von einem Autor geschrieben sind, den der Betrieb, also auch Vertrieb nicht nur ignoriert, sondern den er weghaben will? >>>> Elfenbein traut sich. Dankbarkeit müßte meine Haltung fundieren. Aber ich habe gerade ein Buch neu bekommen, daß schon tot direkt nach dem Druck ist:

Es ist, als wäre mir ein Kind in die beiden Hände gelegt, das schon gestorben ist, als es aus dem Mutterleib kommt, und man sagt mir: „Hier, schau deine Tochter. Das wird, die Kleine aufzuziehen, ein rechter Spaß für dich werden.“ Dieses Gefühl überschattet vieles. Dann kam, von einem bekannten Kritiker, dessen Namen ich nicht nennen will; ich hab‘s zu oft schon getan – kam die Information gegenüber einem anderen Kleinverleger, der es gewagt hat, einen großen Roman herauszubringen: „Das Buch gehört eigentlich auf die deutsche Buchpreisliste; aber ich kann es da nicht draufsetzen, weil die Verabredung gilt: nur große Verlage sollen da mitspielen.“ Man habe, heißt es, Angst, daß die kleinen Verlage nicht liefern könnten, wenn ihre Autoren diesen Preis bekämen. Was ein ungeheuerliches Argument ist und auch insgesamt nicht stimmt, weil >>>> Jung & Jung nun wirklich kein großer Verlag ist. Aber er gehört zur Familie, da liegt der Punkt. Wer nicht dazu gehört, wird ausgesondert.
Jedenfalls platzte ich, als ich das hörte. Mit einem Mal war mir klar, daß ich gar keine Chance hätte, nicht auf den Buchpreis, der interessiert mich allenfalls am Rande, sondern dafür, dort vertreten zu sein, wohin ich will, schlichtweg mit Respekt behandelt zu werden und die Akzeptanz zu bekommen, die mein Werk nun deutlich rechtfertigt. Es geht nicht um Preise und Ehrungen, sondern schlichtweg um Achtung für Einsatz und Arbeit. Von allem Anfang an aber ist versucht worden, sie an den Rand zu drängen. Das hängt auch mit meinem Herkunftsnamen zusammen, der Ribbentrop ist eine ungeheure Bürde gewesen, ob ich mit der Familie etwas zu tun habe oder, was doch der Fall ist, nichts. Und ich störe, weil ich die bürgerlichen Regeln nicht akzeptiere: also den Mund aufmache, wo ich Unrecht sehe. Nicht nur dem gegen mich, sondern auch und immer wieder bei anderen Autoren, die ich unrechtmäßig behandelt, weggedrückt, zertreten sehe.
Das macht mich nicht verläßlich. Ich habe keinen Corpsgeist und nehme keine Befehle, diese ungesagten, heimlich-stillen, entgegen. Ich beuge mich auch nicht vor Funktionen; vor Autorität aber sehr wohl; nur die ist mit Funktionen nicht notwendigerweise verbunden. Wenn jemand irgendwo an einer führenden Position ist, bedeutet das eben nicht, er oder sie sei bereits Autorität. Wir alle wissen, wie oft bestimmte Menschen aus ganz sachfernen Gründen an Positionen kommen, wie hier Interessengemische wirken, Lobbies usw. Ich lege Wert darauf, ein freier Mann zu sein. Das stört. „Ich sehe es hier im Kunstbetrieb sehr genau“, sagt die Löwin und spricht nicht nur von Wien, „wer künstlerischen Erfolg haben will, muß für Lobbies sorgen, muß sich einschleimen, muß kriechen: kurz:: strategisch vorgehen. Das hat mir der Qualität des jeweiligen Werkes gar nichts zu tun, sondern allein mit gesellschaftlicher Geschicklichkeit. So ist es jedenfalls in der Bildenden Kunst. Die Zeit ist nicht mehr für Unangepaßtheit, im Gegenteil. Angepaßtheit wird erwartet.“ Sieg der Äquivalenzform, denke ich, also: des Geldes. Tauschbar jede gegen jedes. Und meine Freundin A., mit der ich gestern beisammensaß: „Wir haben keinen Anspruch. auf Akzeptanz. Wir haben keinen Anspruch auf Anerkennung. Wir kommen zur Welt, bleiben eine Zeit lang, dann gehen wir wieder. Es gibt kein Recht auf Erfüllung.“ Und eine andere sagt: „Je mehr du etwas willst, desto weniger wirst du es bekommen. Die Menschen haben eine Freude daran, anderen Menschen genau das nicht zu geben, was sie brauchen. Es gefällt ihnen, andere Menschen leiden zu sehen.“
Der Befund ist düster. Die Düsternis brach vorgestern über mich herein, schlagartig, als eine Erkenntnis. Und es stellt sich die Frage: wie weiterreagieren? Sich bescheiden, still werden, allmählich resignieren? Sich zurückziehen? Aufgeben?
Nein.
Ich entwarf also eine neue Erzählung. Die werde ich Ihnen in anderem Zusammenhang erzählen, weil sie auch eine Art Vornahme ist, etwas, das ich planen könnte, vielleicht werde. Wenn ich das tu, wird es mich außerhalb der gesetzlichen Ordnungen stellen. Komplett. Aber es wird eine Legende um mein Werk erzeugen.
Ich trenne nicht. Trenne nicht zwischen ihm und mir.
Was so dunkel ist, ist, daß mir meine Lebensfreude verlorenging in den letzten Tagen, mein Glaube. Daß diese Glut, die ich immer wieder, in jedem meiner Bücher, besungen habe und eigentlich weiterbesingen möchte, diesen, ja: Glauben an das Leben – daß das einen mehr als nur spürbaren Riß bekommen hat. Mag sein, es hängt auch mit meinem Alter zusammen. Ein bald 58jähriger Mann hat die Naivetät nicht mehr, die unentwegtes Anrennen braucht, diese Überzeugung, man müsse nur gut genug werden und dürfe nicht nachlassen, dann werde es sich fügen. Es fügt sich nur, wo man auf Seiten der Macht steht, sich ihr andienert und kriecht, oder wo man glückhaft vom Zeitstrom mitgetragen wird, ob durch Zufall, als der es einem erscheint, ob durch Übereinstimmung mit den gerade opportunen Interessenlagen.
Ich bin nicht der einzige, dem geschieht, was mir geschieht; es gibt davon sehr viele andere. Aber sie schweigen in aller Regel. Oder sie rasten aus.
Was ich spürte in den vergangenen Tagen, ist die zunehmende Totalisierung der gesteuerten Zusammenhänge; für Glück ist kaum noch Platz, nur noch für Kalkül. Und ich spürte, daß meine Kraft nicht reichen werde, so viel ich auch davon habe. „Wenn Sie weiterkämpfen wollen, dann machen Sie unbedingt wieder Sport“, riet mir die Löwin. „Stemmen Sie Ihre Kraft gegen tote Gewichte und heben Sie sie; daraus kommt neue Kraft gegen Gewichte, die leben.“ Nur: Woher nehme ich die Zeit? Dennoch hat sie recht. Ich werde meine Tage umstrukturieren müssen; da ich abends nur schlecht arbeiten kann, sollte ich dann den Sport machen. Und aufhören, mich dauernd, wenn ich müde werde, mit Filmen abzulenken. „Ich will nicht, daß Sie zum Alkoholiker werden, so rein aus Verzweiflung. Sie haben diesen wunderbaren gesunden Körper. Verlassen Sie sich auf ihn, aber geben Sie ihm, was er braucht. Er ist Ihr nahster Verbündeter.“
Und ich muß aufpassen, sehr aufpassen, daß sich mir das Herz nicht vergiftet. Ich habe, während ich dies schreibe, dauernd Tränen in den Augen, wie von einem Wasserhahn, der tropft. Vielleicht, daß das mich etwas schützt.*******




11.10 Uhr:
Also Argo jetzt, nie nahlaaten. Dann zur Messe. Abends >>>> Lesung im Literaturforum, danach das legendäre Buchmessenfest bei Reicherts, zu dem geladen worden zu sein eine Ehre immerhin ist.

12.30 Uhr:
Argo bei TS 561 Mitte.

Eine sehr schöne Kleinigkeit hab ich vergessen. Deshalb noch einmal >>>> zu Wieser zurück: Ich kaufte ich dieses Bücherl, von dem man hungrig wird. „Nein, ich möchte keinen Autorenrabatt. Ich möchte es zum Ladenpreis kaufen.“ „Dann gebe ich Dir etwas drauf: Hier:

Sowie es vollgeschrieben ist, bekomme ich es wieder. Das ist meine Bedingung für dieses Geschenk.“
Barbara Stang saß dabei.
„Das ist in Ordnung“, erwiderte ich, „aber dann verlegst du es auch.“
Er sieht mich tief an, skeptisch, bis die Augenwinkel schlitzen; Humor gießt sich davon herab. „Gut“ sagte er, „dann machen wir das so.“ „Ich bin Zeugin“, sagt Frau Stang. Auch nun wieder spielt Honorar keine Rolle. Wir haben einen Pakt geschlossen, der mich verpflichtet; ich werde den Mann nicht enttäuschen.

22 thoughts on “Das Vierte Frankfurtmainer Buchmessen-, sowie Arbeitsjournal, nämlich Argo ff.: Es durchhalten, auch wenn‘s dir den Boden unter den Schuhsohlen wegreißt. Nie aufgeben. Und daß man dann doch, im Kleinen, entgolten wird, etwa durch den Schinken bei Wieser – nämlich dadurch, daß zwei zu Freunden, sofortigen, werden, die man, dies ahnend, zusammengebracht. Sonnabend, der 13. Oktober 2012.

  1. Der Glaube, man müsse „nur“ gute Arbeit leisten, um Anerkennung eben dafür zu bekommen, ist in unserer Gesellschaft allerdings naiv, nicht nur auf Literatur und Kunst bezogen. Ich hätte gar nichts gegen eine wirkliche Leistungsgesellschaft, doch es ist leider so, wie die Löwin sagt, man muß strategisch vorgehen, Seilschaften bilden, den „richtigen“ Gruppen und Parteien beitreten und so weiter – es gibt Menschen, die sehen eben dies als die eigentliche Leistung an, für die die fachliche nur eine Grundlage ist. Im Nachhinein weiß ich genau, an welche Leute ich mich hätte halten und wie ich mich verhalten hätte müssen, um etwas zu bekommen, doch ich wußte von Anfang an, daß ich mich der Sache selbst verschrieben habe und auch, daß ich nach menschlichen Kriterien vorgehe und nicht nach taktischen – ich könnte nie mit Arschlöchern zusammenarbeiten, um Erfolg zu haben. Die einzige „Gruppe“, der ich mich zugehörig fühle ist die, deren Mitglieder das eben so sehen wie ich. Da bleibe ich naiv, da bestehe ich drauf!

    1. Aber für`s Werk, fürs`s Werk muss man bereit sein, auch mit dem Gesicht in die Scherben zu springen.
      Allerdings, und da gebe ich Ihnen recht, sind die vermeintlichen Scherben nur das oberflächliche Schimmern eines seichten Tümpelchens, und gerade darin liegt die Gefahr. Die Gefahr eingemacht zu werden.

  2. Bürgertum Ich weiss nicht, in welcher konkreten Ausprägung von bürgerlichem Umfeld Sie aufgewachsen sind oder leben. Unabhängig davon möchte ich ganz ausdrücklich Ihrem Statement widersprechen, dass es den bürgerlichen „Regeln“ entspräche, Unrecht hinzunehmen. Das Gegenteil ist der Fall und wenn man sich die historischen Wurzeln des Bürgertums anschaut (u.a. Auflehnung gegen den Absolutismus) macht das auch Sinn. Unsere Gesellschaft ist nicht frei von Unrecht und die wenigsten von uns sind Helden, aber das freimütige und gleichgültige Hinnehmen von Unrecht aller Art ist definitiv keine Grundlage unseres Gesellschaftsmodells. Insofern scheint mir Ihre Beobachtung – Sie gestatten, dass ich das so sage – allzu sehr durch Ihr höchstpersönliches Schicksal gefärbt zu sein.

    1. @UNECA. Es hat etwas Anrührendes, das Sie mir sehr sympathisch macht, daß Sie glauben, was Sie schreiben. Ich hingegen habe Ausgrenzung erlebt, Diffamierung usw., schlichtweg, erstmal, weil ich heiße, wie ich heiße. Später aus noch anderen Gründen, die sich aber daraus ergaben.
      Rein historisch haben Sie recht: doch an die Stelle des Absolutismus haben sich sehr schnell andere Unrechtssysteme gesetzt, u.a. derer, die das Aufbegehren trugen. Diese Dynamik war auch in anderen Aufstands- und Widerstandsbewegungen zu beobachten, etwa im sogenannten Kommunismus, der ganz ähnlich allen Grund hatte, sich zu erheben. Ich muß nicht aufzählen, was die Welt danach mit ihm erlebte.
      Aber Sie haben auch mit diesem Satz recht:ber das freimütige und gleichgültige Hinnehmen von Unrecht aller Art ist definitiv keine Grundlage unseres Gesellschaftsmodells.Ich kann das sogar erweitern. In der badischen Verfassung ist sogar eine Pflicht, und zwar zu bewafnetem Widerstand, wenn es nicht anders geht, formuliert. Nur ist die formal gefaßte Grundlage nicht identisch mit der Realität, die von Seilschaften, Absprachen hinter vorgehaltener Hand und Korruption bestimmt wird, und zwar maßgeblich.
      Ich schrieb oben, daß es nicht nur mir so ergeht, wie es mir ergeht, sondern auch anderen. Es ist nicht einmal schwierig, die Namen zu nennen, und auch nicht die derer, die maßgeblich mitmischen. Es ist nur sinnlos, weil, sind diese Leute weg, schon die Nachrücker anstehn. Und auch schon bestimmt worden sind. Mir ist auch in meinem übrigen Berufsleben – ich habe viele verschiedene Arbeiten verrichtet, auch über Jahre – höchst selten persönliche Zivilcourage begegnet, sondern Verantwortung wird immer sehr sehr schnell von Organisationen erwartet, hinter denen man selbst geschützt bleibt. Was die Menschen vor allem sind, ist eines: feige. Und was im Literaturbetrieb passiert, passiert selbstverständlich nicht nur da, sondern läßt sich in jedem anderen Betrieb beobachten – der Literaturbetrieb ist alleine deshalb ein so gutes Beispiel, weil er – klein ist. Und weil ich ihn gut kenne, sehr gut kenne, schreibe ich über ihn.

  3. Wieser ist ein von der Literatur durchdrungener, von ihr beseelter Mensch. Sein Verlag hat Anfang des Jahres Insolvenz anmelden müssen, wird aber wohl weitergeführt (s. auch HIER). Das sagt einiges über diesen Betrieb aus, finde ich.

  4. Verstoßen sein Mit dem Wunsch nach gebührender Anerkennung ist es so eine Sache. Er kann anspornen, aber auch zerreißen und am Ende töten. Nehmen Sie Peter Weiss. Lange Jahre erfolglos. Pendelnd. Weit entfernt davon zu erreichen, wonach er sich sehnte. Dann erstes Bemerktwerden. Dann Ruhm. Dann das nagende Gefühl, nicht genug anerkannt zu sein – der „andere Peter“, der doch so viel von ihm gelernt (oder hieße es sogar „abgeschrieben“?) habe, der habe schon so jung den Büchner Preis gekriegt, er werde immer übergangen. Schließlich bekommt er diesen wichtigsten deutschen Lit.-Preis zugesprochen. Und das war zu viel der Aufregung. Wenige Tage danach Herzinfarkt und finis.
    Die Buchmesse ist grausam zu jedem, der mehr erwartet und erhofft. Selbst wenn man das von vornherein als literarische Minderware Konzipierte abzieht, verkleinert die Größe des Angebots jedes einzelne Buch auf einen Durchlaufposten. Die Bücher strömen wie die roten, blauen, silbernen, schwarzen Autos auf der Autobahn an einem vorbei. Was hält sich da schon länger als eine Saison an der Sonne? Weniges und auch nicht unbedingt das, was die Marktführer unter sich ausgehandelt haben.
    Es gibt dazu eine andere Haltung, die m.E. angemessener ist. Auf die weist Henning Ritter in seinen „Notizenheften“ hin, in Bezug auf Rimbaud: “Mit Rimbaud tritt die Verleugnung des Werkes in die Literatur ein. … Das verleugnete Werk ist ein verstoßenes Werk, abgelehnt und sich selbst überlassen. Der Gestus ist der einer verleugneten Vaterschaft … Diese Ablösung des Werks von der Sphäre der Absichten … überantwortet es einer Selbständigkeit, die es als Schöpfung erst autonom werden lässt. … So erlangt das das verleugnete, sich selbst überlassene, das vaterlose Werk eine höhere Integrität als jedes andere. Wird es sich behaupten? Wenn es sich behauptet, wird es ein Mythos sein, wie es bei dem Werk von Rimbaud der Fall gewesen ist …” Wer – unter den heutigen Marktbedingungen – sein Herz von der Anerkennung auf dem Markt betrüben lässt, reibt sich so oder so auf, selbst wenn ihm dann doch noch der Büchnerpreis zuteil würde. Das einzige, was in Ihrer Macht steht, ist das Schreiben. Jede narzistische Intention wird von Lesrern, Kritiker, Buchhändlern oder Jurys früher oder später gekränkt. Es sei denn, das ausgesetzte Werk findet von allein seinen Weg. Lassen Sie Ihre Schöpfung autonom werden.

    1. schöne findung zu rimbaud, allein, rimbauds weg war auch der eines verzweifelten, man muss es nicht zwangsromantisieren. und, es geht ja nicht um narzisstische intentionen, es geht ums überleben, darum existieren ja auch die aus- und einschlussmechanismen, da kann einer der größte kapitalismuskritiker unter der sonne sein, in seinem revier agiert er darum noch keinen deut besser, da existiert ein blinder fleck unter autoren, verlegern, kritikern etc pp.
      und weil es ums überleben geht, gibt es ja auch den in solventen verlagen gedruckte autoren versus in kleinen verlagen und im internet verlegte und sich selbst durch den dschungel oder auf abseitigen pfaden bloggende autoren graben, und darum hört ja auch nicht das geballere auf die da unten auf, die ja bestenfalls dritte oder fünfundachtzigste wahl sind… es ist so durchsichtig, wie bescheuert und vor allen dingen ist es falsch, aber darum gehts ja nicht. jeder weiß, dass gedruckt sein in einem großen verlag noch keine kunst macht, und inzwischen macht es eben auch nicht mehr unbedingt geld und darum gehts.

    2. Ich denke nicht, daß es sich bei den Gedanken zu Rimbaud um eine Zwangsromantisierung handelt, denn sicher ist, Rimbauds Werk blieb schutzlos zurück, während sein Autor das Leben eines wahrscheinlich Verzweifelten weiterführte. Was in jedem Fall stimmt ist, daß das Sichabhängigmachen vom Markt und seinen Mechanismen bei so gut wie allen Künstlern zu Enttäuschungen führt, die die eigene Arbeit gefährden können, vor allem dann, wenn man trotz guter Produkte keine Chance bekommt. Das ist allerdings im Buchbereich seit über zweihundert Jahren so, die Bibliotheken sind voll mit Büchern, die mehr oder weniger unbeachtet geblieben sind. Andererseits kann der Autor nicht mehr tun als alles zu geben und der Welt etwas „schenken“ oder wiedergeben zu wollen. Das Blöde an der Sache ist, daß künstlerische Arbeit den ganzen Menschen fordert und sehr viel Zeit und Energie frißt, so daß die Welt an sich das Geld rausrücken müßte, damit der Künstler von seiner Arbeit leben kann, wo er schon für sie lebt.

    3. es ist ja nicht nur der künstler von irgendeinem markt abhängig, aber der künstler handelt bestenfalls mit freiheit und das macht es so paradox. man wird letztlich für etwas gar nicht oder schlecht bezahlt, manchmal auch gut, wovon alle träumen, man wird für diese träume am leben erhalten, dafür, dass sie alle weiter träumen können und man hält sich dafür selbst weiter am leben, um da weiter träumen zu können, irgendwie, mit zweitdrittviertjobs oder mit geschickten buchvermarktungen und netzwerken, das ist vielleicht auch einfach ne typfrage und ne chancenfrage und ne gelegenheitsfrage, ich werd nie mittagsfrauen schreiben können noch wollen und auch keine türme, das ist es nicht, was mir vorschwebt, wenn ich emphatisch an die freiesten momente meines dasein denke, die mich high machen, und darum kann ich auch keine türme und mittagsfrauen herstellen, die die sie schreiben werden es hoffentlich aber als ihre freiheit betrachten, ansonsten machte es für mich keinen sinn. zuwider ist mir nur dabei der sportsgeist, der mit einem turm vielleicht den höher bezwungenen berg erkennen will, als mit einem trunkenen schiff oder einem manhattan mundraum und das sehe ich eben nicht, ich stand nie vor einer agnes martin und hab gedacht, rembrandt war aber doch ein wirklicher künstler, ich gehe nicht durch eine tillmans ausstellung und denke, aber gegen barockmaler ist das doch nur eine falsch verstandene kunstauffassung, und bei all dem weiß ich aber auch, ich bin das, ich fühle mich von dem einen angesprochen und von dem anderen nicht, und ich bin froh, dass ich mit wolfgang max faust sagen will: dies alles gibt es also, und es ist richtig so, auch wenn das buch eine düstere bilanz der kunstwelt ist, schon anfang der neunziger, und mir so klar erscheint, wie vielleicht noch herrndorfs tagebuch. aber er schreibt ganz richtig: “Atelierbesuch bei Karina S., einer Studentin aus der Baselitz-Klasse. Das Malen von Bildern hat sie aufgegeben. Nun formt sie kleine Objekte aus frabigem Papiermaché. Gittergeflechte, Kugeln, ein “Schwarzes Ei”…. Wieder ein Déjà-vu-Erlebnis. In Varianten habe ich das alles schon einmal gesehen. Die Entscheidung, Künstler zu werden, wird heute offensichtlich immer weniger ein Akt der Befreiung. Sie ist eine Begrenzung, Einfügung in eine Rolle, die sich überlebt.” und das muss man doch spüren, das will man doch abschütteln, diese rolle, oder?

    4. Lieber Herr Dr. Schlinkert,
      ich weiß, dass tröstet Sie nicht, aber in der Tat ist die Aufopferung der Künstler für manche von „uns“ eine Geschenk. Die von Ihnen besungene Frustation trifft natürlich auch andere, auch Bürgerliche. Ich weiß, das tröstet Sie auch nicht. Aber wie schon an anderer Stelle gesagt, wer Qualität schreibt, geht in Ihrer Branche selbsrverständlch das Risko ein, ncht gelesen und nicht gekauft zu werden. Wie eine Hamburger Freundin von mir – und von Herrn Dr. Osburg – sagte, wir, die paar Leser und Käufer, die es gibt, können den Literaturbetrieb, den Buchahndel und die Künstler nicht retten. Den Seinen geben es die Göter been ganz.
      Ich wünsche Ihnen alles Glück nd allen Erfolg!
      Beste Grüße
      NO

    5. je mehr, desto weniger Richtig ist, ganz aristotelisch, dass Philosophie und Kunst erst dann kommen, wenn alles andere erledigt ist, und dass alles andere nur erledigt wird , d a m i t Philosophie und Kunst kommen. Idealiter!
      Also können diese Objektivationen menschlichen Bewusstseins richtig verstanden auch nicht utilitaristisch Subsumiert werden. Werden sie aber, realiter.
      Insofern werden sie gemein gemacht. Dumme (oder gerissen Interessierte) reden hier von Demokratisierung, haben aber gemein machen im Sinn.
      Je mehr die Objektivationen, bzw. die Produzenten dieser Objektivationen, diesem Vorgang entsprechen, desto weniger entsprechen sie ihrer eigentlichen Bestimmung: Gipfel und Krone menschlicher Anstrengung zu sein.
      Das Problem wird auch verschärft, weil noch der letzte Schund vom Abglanz dieses Anspruchs partizipiert.

    6. Ich profitiere, lieber NO, ja selbst von all den „Geschenken“, von der Odyssee bis zur Gegenwartsliteratur, und in all diesen Texten geht es immer um das gelingende Leben, um das jeder Einzelne auf seine Weise ringt. Insofern bedarf es keines Trostes, wenn man tut, was man kann. Ich habe mit steigender Intensität seit Ende 2008 an meinem Roman gearbeitet und ihn kürzlich beendet http://nwschlinkert.de/2012/09/30/dem-roman-seine-ueberarbeitung-xxiii-abschluss/ , ohne daraus zunächst mehr abzuleiten als die Hoffnung, daß er gelesen werden wird, wenngleich eben dies nur geschehen kann, wenn der „Markt“ aufmerksam wird. Ich arbeite also daran, daß es gelingt und muß manchmal sogar lachen, wenn all die dazugehörenden Klischees sich in gewisser Weise zu erfüllen scheinen, kein Geld, Schulden, wenig im Kühlschrank, Heizung andrehen verboten usw. – und all dies, nur um Bücher zu schreiben? Vernünftig ist das nicht!

    7. The englishman sagt dazu wohl living on the egde, Nietzsche sagt „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können“, ich sage, mit einer gesunden Portion optimistischen Fatalismus‘ kann man die dollsten Sachen machen, selbst wenn man am Ende dumm dasteht. [Allerdings: Am Ende ist alles gut, und wenn nicht, dann ist es nicht am Ende.]

  5. und, wieser gehört verhauen, fragen muss man wenigstens, auch wenn alles schön und gut geworden ist, so jehtet nüsch, findsch! wenigstens auf ein gutes austernessen einladen lassen!

    1. irgendeine aggressionsabfuhr sollte schon sichtbar werden, kratzer ans auto wegen mir. weil, man kann ja nun mal auch nur bücher machen, wenn man manuskripte hat, aber man hat auch keine manuskripte, wenn autoren demnächst dann doch flipflops verkaufen müssen, weil sie sich denken, unidealistischer als dieser betrieb kann das verkaufen von badeschlappen kaum noch sein, aber dafür ernährt es mich wenigstens…

  6. Bitternis Wenn ich Ihnen damit helfen könnte, würde ich Sie in den Arm nehmen und ganz fest drücken. Doch ich fürchte, ein mütterlicher Busen wird Sie kaum trösten.

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