III, 330 – Er hat nicht gewählt und kapriziert sich aufs Mischen

Wie oft werde ich den Bundestag mitgewählt haben? Seit ich in Italien lebe, nur ein einziges Mal. Kurz nach der Wiedervereinigung. Denn die ganze aus der Ferne erlebte Wiedervereinigung hatte viel Deutschsein nach oben gespült. Mußte bei der Gelegenheit aber feststellen, daß solche Briefwahlen etwas umständlich sind. Man muß sich schon rechtzeitig an die letzte Gemeinde wenden, bei der man in D’land gemeldet war. Aber das Interesse, mich darum zu kümmern, blieb fortan aus.
Die Italiener halten’s da anders, die lassen selbst in Argentinien und in den USA wählen. Oder sonstwo.
Denn ich war heute etwas in Verlegenheit, als mich Gennaro, den ich lange nicht gesehen, darauf ansprach und wiedergab, was sie ihm über die ganze Geschichte in D’land erzählt haben, auch über diese Türken-Entsorger-Partei. Aber ich stand dann doch nur am Rande, selbst wenn ich mitlese, was vorgeht. Hierzulande weigere ich mich ja mittlerweile mitzulesen, was Politik betrifft.
Daß die Türken-Entsorger hauptsächlich bei den sogenannten “Zukurzgekommenen” im Osten Anklang fänden, wie er gehört habe, konnte ich diesen meinen Lektüren zufolge bestätigen. Aber eben nicht aus eigener Anschauung. Da, wo ich herkomme, ist auf der Spiegel-Wahllandkarte ein roter Fleck. Der liegt natürlich nicht im Osten. Eher so: VW-Proleten-Einzugsgebiet. Fließbandarbeiter- bzw. IG-Metall-Glaube. Irgendwo liegt hier auch noch ein auf mich lautendes IG-Metall-Mitgliedsbuch herum. Man bekam das selbst als Lehrling bei VW fast schon automatisch.
Aber viel mehr konnte ich dazu nicht sagen. Selbst brachte ich mich irgendwie in Verlegenheit, weil jemand bei FB schrieb, man treffe partout niemanden, der die Islam-Entsorger gewählt habe. Und erzählte davon, daß ich auch nie jemanden getroffen habe, der Berlusconi gewählt hat.
Man lebt in Parallelwelten. Die sich immer nur bedingt entsprechen. Ich winke auch schon immer gleich ab, wenn mich jemand nach D’land fragt. Aber weil es ein fremder Planet, der diesem hier eine Parallelwelt ist, wird zuletzt auch dieser Planet zu einem fremden. So bleibt man auf seinem Asteroiden und guckt auf den Kirchturm, den Kopf schüttelnd über die Flugblätter, die die Herolde verteilen, ohne die man aber auch nicht leben möchte.
Eine kleine Beruhigung trat dann ein, als ich die >>>> Times of India und den >>>> New Zealand Herald aufschlug. Nichts darin über die Wahl am Sonntag!
Aber eigentlich wollte ich auf diese Stelle bei Jean Paul hinaus:

Vermischt ist ein gutes Wort für die ganze Endlichkeit überhaupt – und besonders das rechte Kern- und Schlagwort für Deutschland, nicht bloß für dessen Regierungen, Sitten, Sprachen sondern vorzüglich für dessen Klima und Wetter. Leichter könnten die Orgel und die Apotheker ihre Mixturen entbehren als wir unsere. Keine Wochenschrift hielt’ es einen Monat lange aus ohne Miszellen, so wie kein großer Spieler ohne mélange, welcher oft dazu eine fausse mélange zur Hand nimmt, die am Ende auch eine wahre ist. Ich weiß nicht, ob ich nicht die vier nächsten Jahreszeiten durch das bloße Wort vermischt am kürzesten voraus beschreibe: ‘Der Sommer ist dieses Mal schön, jedoch vermischt; der Herbst weniger schön und dabei vermischt; der Winter ist ziemlich vermischt, doch mehr noch der künftige Frühling.’”
Der allzeit fertige oder geschwinde Wetterprophet – Herbst-Blumine, Drittes Bändchen, XIV [Hervorhebung in Fettdruck von mir]

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