Das Zurückreisejournal des Sonntags, dem 17. Juni 2012. Frankfurtmain und abends Berlin.

8.55 Uhr:
[Bei Leukerts Lüdenbach, C.s feiner Schreibtisch.]
Geschlafen, geschlafen, geschlafen. Momentan bin ich, was die Nächte anbelangt, ein „richtig“ normaler Mensch. Um sieben auf. Gearbeitet nix, sondern pascha‘sch drauf gewartet, daß er klopft und B. mir, wie ich es hier immer genieße, den Café au lait ans Bett bringt. Dann auf, Pfeife gestopft und auf dem Balkon ein paar Züge genommen. Während die Freunde nun Zeitung lasen, >>>> die kleine Collage vom Fest angefertigt, auf der ich selbst natürlich fehle, weil ich es für ein Naturgesetz halte, daß man sich selbst beim Vortrag nicht fotografiert. Man fotografiert sich sowieso nicht selbst, also eigentlich, es sei denn, es braucht mal wieder wer ein Foto ohne Copyright. Falls eine meiner Leserinnen gestern dabeigewesen sein sollte, oder auch ein Leser (aber weshalb sollte der mich fotografieren?), kann sie das Bild ja nachträglich kommentieren. Finde ich.
Jetzt wird gefrühstückt. Ich summe dauernd Vivaldi 399 vor mich hin, weil ich auf diese Weise im Kopf übe – jedenfalls bilde ich mir das ein. Was ganz hübsch ist.
In den Zug werd ich mich gegen Mittag setzen, um spätestens am frühen Abend zurück in Berlin zu sein. Da ich gestern abend großmäulig, wenn auch vornehm und, hoff ich, nicht ohne Witz, angekündigt habe, daß ich selbst den Giacomo Joyce übersetzen möchte, muß ich das nun auch tun. Das sind so Tricks, mit denen man sich selbst in Zugzwang bringt: I learned, würde man im Englischen sagen, daß das nicht ohne Geschick ist – dieser ditte Teil des Satzes steht wiederum in Deutsch, um die doppelter Bedeutung des Fatalen ironisch auszukosten.
Guten Morgen. Die Zugfahrt werd ich für Argo nutzen, und sollte nach den obligaten vier Seiten noch „Überhang“ sein, für die Neue fröhliche Wissenschaft. Und abends vielleicht doch noch ans Cello.

5 thoughts on “Das Zurückreisejournal des Sonntags, dem 17. Juni 2012. Frankfurtmain und abends Berlin.

  1. Leicht überarbeitete „Bloomsday“-in-Bamberg-Version Kein Tag wie jeder andere. Gedanken zum 16. Juni, Bamberg betreffend, und den „Bloomsday“, der Tag, an dem „Ulysses“ spielt

    Von Chrysostomos

    Man vergleiche nur einmal den Anfang, man achte nur einmal auf den Einstieg, lausche dem Introitus nach:

    Stattlich und feist erschien Buck Mulligan am Treppenaustritt, ein Seifenbecken in Händen, auf dem gekreuzt ein Spiegel und ein Rasiermesser lagen. Ein gelber Schlafrock mit offenem Gürtel bauschte sich leicht hinter ihm in der milden Morgenluft. Er hielt das Becken in die Höhe und intonierte:
    – Introibo ad altare Dei.

    So beginnt, in den an Klang und Rhythmus geschulten Worten Hans Wollschlägers (Suhrkamp, 1975), der Roman des 20. Jahrhunderts schlechthin. 1927, fünf Jahre nach Erscheinen des Originals, klingt das in der Übersetzung des Witteners Georg Goyert (im Zürcher Rhein-Verlag) so:

    Gravitätisch kam der dicke Buck Mulligan vom Austritt am oberen Ende der Treppe: er trug ein Rasierbecken, auf dem kreuzweise ein Spiegel und ein Rasiermesser lagen. Im milden Morgenwind bauschte sich leicht hinter ihm ein gelber, ungegürtelter Schlafrock. Er hob das Becken in die Höhe und stimmte an:
    „Introibo ad altare Dei.“

    Bei James Joyce himself, der über sieben Jahre hinweg in Triest, in Zürich und zuletzt in der französischen Kapitale an seinem Geniestreich geschuftet hatte, setzt 1922 „Ulysses“ (zum Vierzigsten des irischen Autors in Paris von Sylvia Beach bei Shakespeare and Co. herausgebracht) so ein:

    Stately, plump Buck Mulligan came from the stairhead, bearing a bowl of lather on which a mirror and a razor lay crossed. A yellow dressinggown, ungirdled, was sustained gently behind him on the mild morning air. He held the bowl aloft and intoned:
    –Introibo ad altare Dei.

    Es ist gegen acht Uhr morgens am 16. Juni 1904. Wer da mit dem Beginn der lateinischen Messe (und des „Ulysses“) vor den Altar Gottes tritt, ist Buck Mulligan, der lebensfrohe Medizinstudent, Speis und Trank nicht abgeneigt. Am Strand von Sandycove in der Bucht von Dublin bittet er Stephen Dedalus hinauf auf den Mortello-Turm, zum Frühstück. Tee, Eier, Milch, Honig, Brot – gegessen und getrunken wird viel auf diesen 1014 Seiten, ein fetter Schwarten ist das, reich an Kalorien, reich auch an Komik. Die nicht eben leichte Lektüre hält viele Vergnügungen bereit. Es lohnt, dem Jesuiten Stephen Dedalus und Leopold Bloom, dem jüdischen Annoncenakquisiteur ungarischer Herkunft, auf der Odyssee durch die Straßen, Geschäfte, Pubs und Puffs Dublins zu folgen. Über achtzehn Kapitel hinweg geht die Irrfahrt, etwa achtzehn Stunden dauert sie an, endet erst mit Molly (alias Penelope) Blooms Monolog im Bett, die den endlich heimgekehrten Leopold empfängt.
    Warum ist ausgerechnet der Dubliner Alltag des 16. Juni 1904 in die Weltliteratur eingegangen? An jenem Tag hatten James Joyce und Nora Barnacle ihr erstes Tête-à-tête. Nora soll James, heißt es, den Hosenladen geöffnet haben und somit den späteren, von 1914 bis 1921 währenden Weg zum „Grundbuch der Moderne“ (Wulf Segebrecht).
    Was nun hat „Ulysses“ mit Bamberg, mit Franken zu tun? Einiges. Man könnte ja schon mit nur ein wenig Phantasie rein lautlich über (Nora) Barnacle auf Barnickel kommen, den in Lichtenfels, im Fränkischen überhaupt verbreiteten Familiennamen. Das englische Wort „barnacle“ meint die zu der Gruppe der Rankenfußkrebse zählende Entenmuschel. Auf der iberischen Halbinsel gilt sie als Delikatesse. Molly Bloom ist, by the way, auf Gibraltar geboren, und Joyce hat ihr Züge Noras gegeben. Umgangssprachlich meint „barnacle“ aber auch jemanden, der klammert, eine Person, die man nicht wieder loswird. Am 8. Oktober 1904 sagen Nora und James Irland auf ewig adieu. Fortan sind die beiden auf dem Kontinent unterwegs, zunächst geht es nach Triest. Geheiratet wird allerdings erst 1931.
    But back to Bamberg. Oben auf dem Jakobsberg hat Hans Wollschläger in den frühen siebziger Jahren „das schier Unglaubliche zustandegebracht“, nämlich den Jahrhundertroman in ein „Kunstwerk deutscher Sprache zu übertragen, das gleichzeitig allen Anforderungen an die höchstmögliche Genauigkeit und Angleichung an das Original erfüllt“. Allein damit habe sich Wollschläger, so Wulf Segebrecht weiter in der Laudatio auf den Träger des E.T.A.-Hoffmann-Preises von 1989, „nach dem einhelligen internationalen Urteil in die Geschichte der Literatur des 20. Jahrhunderts eingeschrieben“. Und als im November 2005 dem Bamberger Übersetzer, Schriftsteller, Polemiker und genialischen Mahler-Exegeten der Friedrich-Baur-Preis in der Sparte Literatur verliehen wurde, sollte der Erlanger Literaturwissenschaftler Peter Horst Neumann – wie Wollschläger selbst ein Mahler- und Rückert-Kenner – dessen „Ulysses“-Übertragung als „eine der bedeutendsten Übersetzungstaten der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts“ würdigen.
    Die Preisverleihung fand im Großen Haus des E.T.A.-Hoffmann-Theaters statt. Dort hatte Wollschläger am 1. Dezember 2004 die drei Kapitel „Hades“, „Helios“ und „Ithaka“ vorgetragen, dort hatte er gemeinsam mit Bernd Schramm das Schlusskapitel des „Ulysses“ in Szene gesetzt, „Penelope“. Molly Blooms finalen Monolog sprach und spielte, in der Saison 2004/05, Gudrun Eiselen.
    Neben Hans Wollschläger ist es der ehemalige Lehrstuhlinhaber für Englische Literaturwissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität, Klaus Peter Jochum, der sich an der Regnitz um Joyce verdient gemacht hat. Er tut das im hohen Alter noch immer. Mancher Eintrag in der Bibliographie der Vierteljahresschrift „James Joyce Quarterly“ verdankt sich einem Hinweis Jochums.
    Sogar mit einem Namensvetter des großen irischen Expatriaten kann Bamberg aufwarten. In unmittelbarer Nachbarschaft des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia ist John S. Joyce zuhause. Wie der distinguierte alte Herr gern erzählt, war er mit Stanislaus Joyce bekannt, dem Bruder von James. Postum sind – jeweils am Bloomsday – zwei Bücher von Stanislaus herausgekommen, 1957 „My Brother‘s Keeper“, und fünf Jahre später das „Dublin Diary“. Ins Deutsche gebracht hat „Das Dubliner Tagebuch“ und „Meines Bruders Hüter“ Arno Schmidt, Freund, Mentor, geistiger Vater von Hans Wollschläger.
    Eine Volte noch. Sie wollen wissen, wann Stanislaus Joyce gestorben ist? Nun, wie sich das für einen Bruder des „Ulysses“-Schöpfers ziemt, am 16. Juni. 1955. Ein Jahr zuvor feierten Joycianer erstmals den Bloomsday und pilgerten auf den Spuren des Romans und seiner Figuren- und Anspielungsvielfalt durch Dublin. Zum Hundertsten 2004 wurde der Bloomsday auch in der Austraße gefeiert. Der Braunschweiger Anglist Viktor Link, ein Kollege von K.P.S. Jochum, nahm sich in der Collibri-Buchhandlung dem „Essen und Trinken im ‚Ulysses‘ von James Joyce“ an. Angeblich kommen in dem Schinken elf Appetizer vor, 48 Entrees, 13 Spezialitäten, elf Menüs, zehn Gerichte der Marke „cheapest lunch in town“, 32 Desserts und 21 verschiedene Getränke. Darauf, und auf den Bloomsday, auf James und auf Nora Joyce jetzt ein Guinness. Cheers! Nein, besser, denn wir sind ja in Irland: Sláinte!
    Oder doch einen Burgunder? Dieser, dem der Basler Gärtnerdichter Rainer Brambach ein schönes Gedicht gewidmet hat –

    Alter Burgunder

    Ein Fernrohr ist uns manchmal unser Glas,
    Und wenn wir daraus trinken, sehn wir weit.

    Dieser Burgunder also („lift your glass with us“) lässt Leopold Bloom zum Ausgang des „Sirenen“-Kapitels, nach einem Mahl mit Stephen Dedalus‘ Onkel Richie in der Ormond-Hotel-Bar rülpsen und furzen. Wie Wollschläger die musiksatte „Sirenen“-Episode übertragen hat, möge man selbst nachlesen. Hier lediglich die Lautmalerei im historischen Originalklang:

    Prrprr.
    Must be the bur.
    Fff! Oo. Rrpr.
    Nations of the earth. No-one behind. She‘s passed. Then and not till then. Tram kran kran kran. Good oppor. Coming. Krandlkrankran. I‘m sure ist‘s the burgund. Yes. One, two. Let my epitaph be. Kraaaaaa. Written. I have.
    Pprrpffrrppffff.
    Done.

  2. @vivaldi 399 Das Im-Kopf-Üben ist überhaupt nicht so abwegig. Große Pianisten haben z.B. auf der Zugfahrt die Partitur gelesen und am Abend dann ihren Part auswenig gespielt. Wenn man beim gedanklichen Üben über die Stellen stolpert, an denen man am Griffbrett Lagen wechseln muß, übt man tatsächlich: Wenn man die Gedankenübung dann aufs Griffbrett umsetzt, hat man alle Fingersatzprobleme schon mal gelöst – bleibt nur nur mechanische „Geläufigkeit“, die dann ohne Instument nicht zu erzielen ist…

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