Fotografien: >>>> Karl Forster.]
Da hat man seine Kategorien zu nennen.
Politisch gesprochen, ist das reaktionär.
Dem entspricht die Opulenz der Inszenierung, die den Barock pur nachstellt, anstelle ihn in die Moderne zu heben, anstelle seiner permanenten Todesgewißheit angemessene Aktualität zu verleihen, angemessen, weil sie realistisch ist: hier verkommt das Brüchige, mit dem das Bühnenbild umgeht, zur Ruinenschönheit, vor der es sich seufzatmend wohlgehen läßt: auch dies eine kulturhistorische Stanze, die sich, wie Heike Scheele zeigen möchte, durchaus Erkenntniskraft bewahrt hat, wenn Herr Herheim sie denn ließe. Anstelle nämlich die Verstörung zu reinszenieren – wozu es moderner ästhetischer Mittel bedürfte -, die dieses durch und durch wirre bis geradezu absurde Stück seinerzeit hat durchfallen lassen, anstelle die Modernität auszuformen, von der Herheim auch selber spricht – liest man seinen Text im Programmbuch, ist ganz offenbar, wie auf der Höhe des Diskurses er steht -, begeht er den prinzipiellen Fehler, oder begeht ihn um seines Erfolges willen ganz mit der Absicht eines sein Publikum mitinszenierenden Glamour-Verführers – – – den, also, „Fehler“, nicht klarsein zu lassen, wie einstige Gründe der Irritation schließlich entmachtet werden und sich pervertieren zum bloßen Konsumgrund. (Man mache sich, um meinem Einwand zu folgen, einfach nur klar, daß bei den ersten Eisenbahnfahrten, die ungefähr 25 km/h erreichten, die Menschen ob solcher Schnelligkeit sich übergeben mußten; bei Ravels Bolero fiel man in Ohnmacht. Und das Lärmen des Punks, um ein neueres Beispiel zu nehmen, war binnen eines halben Jahrs ins Hörgewöhnen integriert, damit seiner Protestkraft schon verlustig gegangen). Statt dessen wirft uns Herr Herheim mit prächtigsten Kostümen voll und erfreut uns an Asterixiaden, die ihre auf römisch hergemachten Soldaten mit allem Plump des Volkstheaters herumtappern lassen, damit auch richtig albern werde, was schon albern ist. Dann reißt zu allgemeinem Gaudi eine Kanonenkugel, indem sie den ganzen Hintergrundprospekt wegfegt, auch noch ein Riesenloch in die hintre Bühnenwand. Da dampft es dann noch lange dahinter. Jegliches Klischee des Barocks wird bedient, natürlich gibt es Theatergewitter. Und die tatsächlich einmal komische Szene, worin Adalante, sozusagen im aus Eifersucht, aber doch auch innerer zärtlichster Not kondensierten Wutdampf, Todeswaffe um Todeswaffe vorholt, damit die Nebenbuhlerin aus dem Liebeswege schaffen zu lassen, – diese Szene wird derart überwitzelt, daß ich nahe daran war, aufzustehen und das Opernhaus zu verlassen. Da schlug die Uhr längst neun, nach der man das Gelächter wie die Zwischenapplauswogen hatte stellen können. Schließlich mußte Herheim nur noch Andeutungen für seine Witzelungen werfen, daß alles danach schnappte: dankbar, ach, von jedem Gedanken entbunden zu werden, von jedem authentischen Gefühl. Man wollte sich amüsieren, jetzt, so radikal war der Wille, sich endlich mal bespaßen zu lassen in einer Oper, die für ihr kritisches Wagen bekannt ist.
Er hat aber viele Einfälle, der Herr Herheim; andere Regisseure werden ihn darum beneiden; es sind wirklich auch gute darunter – halbgenial geradezu, in einem Spiel mit Kulissenteilen den Namen Xerxes‘ zu „Sex Rex“ zu travestieren – aber wie weiter nun? wo ist der Zusammenhang, ein sinnvoller, zu dieser Inszenierung, bzw. zum Stück? Ja, vollkommen richtig: es wäre ein Ansatz gewesen. Doch Herheim tuckt das an und läßt es wieder fallen, bis sich die auch besten Ideen ästhetisch totgelaufen haben. Es ist ihre Redundanz, was den Erfolg macht, die zumal die Wirrniss des Stücks wiederholt, verdoppelt mithin – wenn denn nicht d o c h, am Ende aber erst dreier ziemlich langer Stunden, im letzten, diesmal aber wirklich großen Bild, ein wenig sich gezeigt hat, was auch mit dem Xerxes wäre möglich gewesen: Wie da der Chor, bereits in Alltagskleidung, von links her auf die Bühne tritt und an die Staffage, die das gesamte Stück gewesen, an die Kulissen und die plötzlich dürftigen Harlekinesken, die Händels Figuren dort sind, heran, die plötzlich hilflos aneinanderrücken und hilflos aufstehen und hilflos ins Publikum schauen, – wie da die Show zusammenfällt, das, in der Tat, ist ein großer Moment des Theaters gewesen.
Seelenlosigkeit war das Thema des Abends. Es ist die magische Arbeit eines Regisseurs, den als Puppen immer erkennbaren Figuren Person zu geben. Wir wissen, als Zuschauer, stets um den Spiel- und Scheincharacter, ja – aber in dem Moment müssen wir die Figuren g l a u b e n, ihren Leiden und Leidenschaften, ihren Vermessenheiten, Bosheiten, ihrem Haß, ihrer Angst, die ja immer, wenn es Kunst ist, unsere eigene nicht nur karikiert, sondern sie uns verarbeiten läßt – das ist, was in der Kunst Erkenntnis genannt werden kann, kathartisch bewirkt oder über bisweilen scharfe Distanzierung, auch über Absurdität. Wer aber die Figuren eines Stücks diffamiert, diffamiert immer das Publikum mit, und ich meine jetzt nicht die amorphe grölende, vornehm applaudierende oder wie auch immer Geneigtheit und Ungeneigtheit bekundende Masse, sondern die Einzelne, den Einzelnen in ihr, die und der ein anderer sind als in ihrer Addition zu dem „Volk“. Wer die Figuren eines Stückes nicht ernstnimmt, nimmt diese Einzelnen nicht ernst, notwendigerweise, sondern er manipuliert sie, füttert sie, entzieht ihnen Nahrung, läßt sie vorhersagbar lachen, orientiert am kleinsten gemeinsamen Vielen. Genau hier unterscheidet sich Kunst vom Kunstbetrieb, auch wenn sie deren einer Summand ist. Die Verflachung von Ereignis ist der Event, mit welchem Begriff wir künstlerische Ereignisse unterdessen leider benennen; die Verflachung des Witzes der Joke, die von Humor ist der Gag; auch Amusement war einmal tiefer als Gaga gedacht. Herheims Inszenierung geht dem auf den Leim, indem er ihn selbst auf die Bühnenbretter streicht.
Da hatten vor allem die Sänger keinerlei Chance, sich einmal großzusingen. War auch egal. Man klatschte sowieso und sofort. Bereits die Anfangsszene, in der bizarrerweise eine Platane angesungen wird – melodisch ein Plagiat, übrigens, dem dieselben Leute zujubeln, die fürs Urheberrecht sich erstarken.
Gestern abend durchbrach ich, aus privatem Grund, diese meine Haltung. So daß mich mein von der Begeisterung der anderen mitgetragener Freund R. schließlich bat: „Nun red doch nicht so auf uns ein. Uns hat es gefallen, dir nicht. Ist ja nicht schlimm. Aber laß uns unsere Freude.“ Da hatte er recht. Und dennoch war es gut, daß ich diesmal geblieben war, denn nun erlebte ich ein Nachspiel desselben selbsterheiterten, dabei kitschseligen Ungeists, der schon die Aufführung geleitet hatte: die Absage an eine Kritik gesellschaftlicher Zustände, ja deren Affirmation in ihrer replikantesten Form. Die Rede ist von André Schmitz, einem durchaus mächtigen Staatssekretär Berlins. Nachdem nämlich der Hausherr, Andreas Homoki, wie es schöne Sitte ist, die Mitwirkenden des Abends vor reichlich gebliebenem Publikum, das voll in Feierlaune, aufs Podium gerufen hatte und jeder, jedem noch einmal applaudiert war, war ihm Gelegenheit, seinen letzten solchen Auftritt, bevor er das neue Amt >>>> in Zürich antreten wird, mit der besonderen Ehrung einer seiner besten Sängerinnen zu krönen – schöner, wirklich, kann sich ein Intendant von seinem Haus nicht verabschieden. Brigitte Geller wurde in den Rang der Kammersängerin erhoben – zu recht, mit allem Grund, ihr zu danken… nur daß die Ehrung, leider, Homoki nicht selbst vornehmen konnte; dazu war vielmehr der Herr Staatssekretär gekommen. Der, anstelle die gepriesene Frau auch wirklich zu erhöhen, witzelnd und schleimend die mauen Kassen Berlins in seine Jubilation hineinnahm, rechtfertigend, daß eben darum, leider, es „nur“ die Ehrung sei, nicht aber auch ein Geld, das man ihr, Frau Geller, hätte gerne bezahlt, doch halt nicht zahlen könne. Mir verschlug es die Spucke. Man macht das einfach nicht, in öffentliche Ehren Wehmutstropfen fallen zu lassen, zumal, wenn sie nicht vom eigenen Konto bezahlt sind. Statt dessen: Wie doch diese Inszenierung jetzt aus jedem, der noch Barockfreund nicht sei, einen werde haben gemacht, von solcher Opulenz, solcher Vergnüglichkeit. Und daß Frau Geller einen Schweizer Hintergrund habe, fand der Herr Schmitz erwähnenswert, und daß sie, dessen unerachtet, Berlinerin werde bleiben, mit schmalerem, freilich, Salär als er. Natürlich sagte er das nicht. Aber nannte, als er die Verleihungsurkunde, deren Text zu seinem sonstigen Palaver im Widerspruch der Kürze stand, als Unterzeichneten den Regierenden Bürgermeister von Berlin, nicht aber dessen Namen. Das sind so Momente, die mich aufmerken lassen: entweder stimmt‘s nicht mit dem Parkett des Diplomaten, oder es ist eine Botschaft versteckt für, Nietzsche noch einmal, feinere Ohren.
So stand Frau Geller denn da, sie und ihr riesiger Blumenstrauß, erhöht, mit Recht, und erniedrigt zu unrecht durch Mangel an Seele – nicht jeglicher freilich, denn die Kollegen standen bei ihr und ihr Intendant, der wirklich von Herzen dafür dankte, daß es sie in den letzten zehn Jahren gab für sein Haus.
So aufgehuckt die Ambivalanz verließ ich‘s, als die Mitternacht nahte.
Dramma per musica in drei Akten von Georg Friedrich Händel
Libretto nach Niccolò Minato und Silvio Stampiglia
Deutsche Übersetzung von Eberhard Schmidt
In einer Einrichtung von Stefan Herheim
Inszenierung … Stefan Herheim – Bühnenbild … Heike Scheele
Kostüme … Gesine Völlm
Dramaturgie … Alexander Meier-Dörzenbach, Ingo Gerlach
Chöre … André Kellinghaus – Licht … Franck Evin
Stella Doufexis – Karolina Gumos – Katarina Bradic
Brigitte Geller – Julia Giebel – Dimitry Ivashchenko
Hagen Matzeit
Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin.
Konrad Junghänel.
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Die nächsten Vorstellungen:
13., 17., 19., 23., 24., 27. Mai.
15., 21., 27. Jun.
05. Jul.
>>>> Karten.
„Ich mag es nicht, wenn ich dazu genötigt werde, etwas in einer unablässigen Folge sogenannter Witze dauerkomisch zu finden.“ – Amen.
Was Sie beschreiben erscheint mir nur zu vertraut. Bei einer Inszenierung von Frischs „Andorra“ ist mir dies vielleicht zum ersten Mal begegnet. Da war ich noch perplex, dass Leute in diesem Stück lachen. Worüber? Sollte das Lachen erleichtern, Distanz schaffen in der Bedrückung? Oder war es schon verächtlich über die läppische Inszenierung unsres Studententheaters? Auch wenn ich das für mich nicht mehr klären kann, so habe ich es nun mehrfach erlebt wie mir von meinem Mitpublikum übel wurde. Wie es da jeden Anflug von Kritik plattlacht, gerade die Momente entwertet, in denen es sich noch berühren lassen könnte. Das konnte ich manchmal schon als Lachspannung im Saal spüren, eine Unruhe bis dann endlich die erste Szene den Anlass liefert das Lachen erleichtert zu entladen. Über einen blöden Kalauer oder auch ganz ohne Grund.
Aber nun: affimiere ich so nicht auch nur die Anti-Spaßgesellschaft, johle mit wie Sie eine mir unbekannte Inszenierung verreißen? Fucking dialectics.
„johle mit wie Sie eine mir unbekannte Inszenierung verreißen?“ Ein enorm wichtiger Einwand. Auch deshalb sind meine Texte, zu denen die Kritiken gehören, kommentierbar.
In diesem Fall wurde die Kritik zum Anlaß einer positionalen Grund- und Wertebestimmung; ansonsten wären Verrisse unsinnig. Es geht mir wirklich nicht um Daumen rauf oder runter; dazu ist mir meine Lebenszeit zu kurz. Man schweigt dann besser und arbeitet an etwas anderem, das gedeihlicher ist. Hier allerdings geht es insgesamt um mehr, ist ein Focus auf gesellschaftliche Entwicklungen, die auch durch große Leute wirkend hindurchziehen; Herheim ist ein guter Regisseur. Wäre er bloß auf Albereien aus, hätt ich nicht sechs Stunden lang an diesem Text gefeilt. De facto ist er das nicht – und wird eben doch mitgefangen und eingesponnen. Dass Ganze ist saugefährlich, nicht „nur“ ästhetisch, sondern vor allem politisch.
Ähnliche Positionsbestimmungen habe ich hier ja schon gelesen und I/ihr Pathos ist ansteckend. Würde ich sie aber blindlings ‚abkaufen‘, so ginge ihr kritisches Potential flöten. (Leider sind aber Blogreaktionen, auch meine, meist binär: Daumen hoch oder runter.)
Was ich im Hinblick auf die Differenz der Urteile Ihrer Freunde anfügen wollte: Das Pathos, die Munitionierung und das Klarwerden der eigenen ästhetischen Position mag hilfreich sein für einen selbst, interessant zu lesen für die anderen, aber vielleicht verhärtert es nachträglich auch einen Prozess, der von so vielen, auch kleinen Faktoren kritisch abhängt. Die Rezeption eines Werkes ist manchmal vielleicht schon Überreizung, um auch die kleinsten Regungen mikroskopisch noch zu erfassen. Ein falscher Lacher des Publikums könnte da schon stören (nicht immer kann ja der Regisseur auch etwas dafür). Insofern erscheint es mir nicht immer ganz kontrolliert, auf welcher Seite ich dann lande: Beim Melancholia-Film war es wohl einmal die zu Ihnen entgegengesetzte, wie bei dieser Oper auch Ihre Freunde. (Die Diskussion zum Film sitzt auch bei mir noch tief..)
@Phorkyas zur Solidarität. Weniges wäre mir unangenehmer, als kauften meine Leser mir alles ab (allein, hörn Sie mal drauf, die ökonomische Aura dieses Idioms); so wenig, wie ich folgen möchte, möchte ich Gefolgschaft. Freunde habe ich gerne, auch Liebhaber meiner Arbeit, doch selbst die engsten Geliebten können durchaus kritisch sein. Was mich interessiert, ist, daß meine Positionen gehört werden, angehört und mitgedacht. Welche Schlüsse wir ziehen, also: wie wir nachher handeln, das steht auf einem anderen Blatt, das anderer Argumente mitbesprochen haben. Eine Freundin Broßmanns, die ebenfalls in der Aufführung war, sei, erzählte er mir gestern, geradezu hingerissen von dieser Inszenierung gewesen. Damit steht sie, wie ich in der Kritik auch schreibe, nicht allein.
Tut mir leid.
Ich bin nicht persönlich eingebunden, sicher…
Vielleicht deshalb kann ich in diesem ganzen „LitBlog“ irgendwie nichts Literarisches erkennen. Aber irgendwie kommt es mir so vor, als ob hier eine Art historischer Stillstand herrscht, der hinausgetragen werden soll, in etwas, was es überhaupt nicht gibt. Nur so als Eindruck.
@GB-Jeremias. Was denn stehe hier, historisch, still? Positionen, Ideologien, Sprache? Denn daran doch, an der Sprache und ihrer Gestaltung, bestimmt sich, ob etwas literarisch sei oder nicht – sowie an den Formen der Konstruktion und schließlich an der Kombination all dieser Elemente.
Sofern sich Ihr Einwand auf die Kritik bezieht, unter der Sie ihn eingestellt haben, wäre deshalb zu fragen, ob etwa meines Beitrages Stil aliterarisch sei, ob es Schwächen darin in der Grammatik gebe oder synaptische Schwächen in der Rhythmisierung. Kurz: Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen. Wobei der auf Ihr „irgendwie“ folgende Satz ein, finde ich, hübsches Bonmot ist, dem ich meinerseits das Attribut „literarisch“ auf keinen Fall verweigern würde – gleich, ob es etwas Wahres trifft oder nicht.
P.S.: Sie müssen hier nicht „persönlich“ eingebunden sein; das sind die wenigsten der Kommentatoren.