Gehändel für die Spaßgesellschaft, mit großem Jubel affirmiert. Stefan Herheim läßt ihn tändeln, den Xerxes, an der Komischen Oper Berlin.

[Foto im Saal: ANH/iPhone.
Fotografien: >>>> Karl Forster.]
Gleich vorweg: Ich mag keine Kalauer. Ich mag es nicht, wenn ich dazu genötigt werde, etwas in einer unablässigen Folge sogenannter Witze dauerkomisch zu finden. Mir ist es verdächtig, wenn unentwegt gebrüllt wird vor Lachen und auf jeden schließlich nur noch mauen Scherz saalweit applaudiert. Ich mag es auch nicht, wenn geklatscht wird, weil eine Arie sowieso berühmt ist und man sich also nicht blamiert, wenn man da applaudiert: man ist sozusagen auf den Moment schon hingespannt, daß man die Hände innen sich wieder röten lassen kann vermittels ihrer Gegenschläge. Kurz: Allgemeine Bespaßung ist mir verdächtig. Mir wird da unwohl, ich möchte mich zurückziehn. Und rufe aus der Wüste, in der aber nicht ich steh.
Da hat man seine Kategorien zu nennen.

Das Stück >>>> ist selbst schon ausgesprochen heikel, das Libretto wirr, und die Musik von Händel geschrieben, um in London vielleicht doch noch mit italienischer Oper zu reüssieren, ist also darauf angelegt, mit der Schwarte nach dem Publikum zu werfen, das aber heute erst mit Schmatzen und Schlürfen reagiert, so daß ihm der Speichel zu jedem Geklatsch aus den Mundwinkeln rinnt – heute erst, weil dieses auf UnbedingtErfolg-HabenWollen komponierte Stück damals aufgrund einer Modernität verstörte, die wir Heutigen jedoch als modern gar nicht mehr hören und erst recht nicht, eben, als verstörend: was irritierte, ist längst in den Kanon gesunken und vom Historisieren umschlungen und entkräftet worden, marshmallowisiert. Da wäre es ein Abenteuer gewesen, uns neu erleben zu lassen, was es denn war, das damals nicht verstanden werden – objektiv: – konnte; man hätte zu spüren bekommen, vielleicht, wie selbst im scheinbar billigsten Schwank, sofern er Kunst ist, noch jene Spur eines Widerstands steckt, der ihr so oft aus der Form kommt, ja vielleicht hätte das zu einer nächsten ästhetischen und damit auch politischen Erkenntnis geführt, die in dem Schauder steckt, dem gerade die barocken Spiele derart ergeben sind, darinnen durch die weltliche Leidenschaft nahezu immer der Tod blickt und Zerfall & Zersetzung, doch neues Blühen auch.

Einiges davon war ja auch da, gestern abend, bei dieser Premiere. Vieles sogar, vor allem durch das grandiose, wirklich – und durchgehend – grandiose Bühnenbild Heike Scheeles, das im Nebenhin mal eben ein völlig realistisches Szenario entwirft, auf Barockprospekten zwar, aber deswegen ganz besonders, im allegorischen Schein der Bühnenwirklichkeit, geradezu krude realistisch: es klappen sich rechts und links hohe schmale Seitenwändchen vor, hinter denen je, ebenfalls gemalt, der Bühnenvorhang zur Szene weht, sie zu bordüren – Verschachtelungen dessen, was wahr sei, mithin, was aber eben immer nur Spiel, und Spiel im Spiel im Spiel ist – bis zur, dreimal folgenden, völligen Zerstörung. Denn das Gerüst, das die Wirklichkeit ist, ist das eigentliche, bühnenbildnerische, Leitmotiv des Abends. Entsprechend auch die beiden Grundräume der Inszenierung: jeweils sind sie Ateliers. Dazu gehört ferner der Umgang mit den Kostümen. Man wechselt in ihnen die Identität – nur daß sie nur für die Puppen, die die Schauspieler sind, gewechselt werden kann. Ist die Gestaltung groß, wird eine jede zum Körper der Allegorie.

Nicht so, leider, hier: wo alle Puppen bleiben, doch gerade das das Publikum entzückt: Es kommt ja nun ‚nicht darauf an‘, kommt auf gar nichts mehr an als darauf, sich bespaßen zu lassen, gleich, ob da Tränen fließen, an die doch sowieso keiner glaubt; sie fließen allein, damit wir einen nächsten Grund zum Johlen haben. Da wird uns die eigene Uneigentlichkeit, die eine losgelassene Ökonomie als in alles und jedes tauschbare feiert, so sehr zum Selbstbespaßungsgrund, daß es in den Ohren, mit Nietzsche gesprochen, feinerer Geister etwas Wieherndes bekommt, ja in den Ruf der Esel regrediert, die nickend alles bejahen, was ist, iaahen, bis sie schließlich meinen, ganz ebenso singen zu können: „Der Kuckuck sprach: „Das kann ich!“/Und hub gleich an zu schrei’n./|: Ich aber kann es besser! Fiel gleich der Esel ein.“
Politisch gesprochen, ist das reaktionär.

Dem entspricht die Opulenz der Inszenierung, die den Barock pur nachstellt, anstelle ihn in die Moderne zu heben, anstelle seiner permanenten Todesgewißheit angemessene Aktualität zu verleihen, angemessen, weil sie realistisch ist: hier verkommt das Brüchige, mit dem das Bühnenbild umgeht, zur Ruinenschönheit, vor der es sich seufzatmend wohlgehen läßt: auch dies eine kulturhistorische Stanze, die sich, wie Heike Scheele zeigen möchte, durchaus Erkenntniskraft bewahrt hat, wenn Herr Herheim sie denn ließe. Anstelle nämlich die Verstörung zu reinszenieren – wozu es moderner ästhetischer Mittel bedürfte -, die dieses durch und durch wirre bis geradezu absurde Stück seinerzeit hat durchfallen lassen, anstelle die Modernität auszuformen, von der Herheim auch selber spricht – liest man seinen Text im Programmbuch, ist ganz offenbar, wie auf der Höhe des Diskurses er steht -, begeht er den prinzipiellen Fehler, oder begeht ihn um seines Erfolges willen ganz mit der Absicht eines sein Publikum mitinszenierenden Glamour-Verführers – – – den, also, „Fehler“, nicht klarsein zu lassen, wie einstige Gründe der Irritation schließlich entmachtet werden und sich pervertieren zum bloßen Konsumgrund. (Man mache sich, um meinem Einwand zu folgen, einfach nur klar, daß bei den ersten Eisenbahnfahrten, die ungefähr 25 km/h erreichten, die Menschen ob solcher Schnelligkeit sich übergeben mußten; bei Ravels Bolero fiel man in Ohnmacht. Und das Lärmen des Punks, um ein neueres Beispiel zu nehmen, war binnen eines halben Jahrs ins Hörgewöhnen integriert, damit seiner Protestkraft schon verlustig gegangen). Statt dessen wirft uns Herr Herheim mit prächtigsten Kostümen voll und erfreut uns an Asterixiaden, die ihre auf römisch hergemachten Soldaten mit allem Plump des Volkstheaters herumtappern lassen, damit auch richtig albern werde, was schon albern ist. Dann reißt zu allgemeinem Gaudi eine Kanonenkugel, indem sie den ganzen Hintergrundprospekt wegfegt, auch noch ein Riesenloch in die hintre Bühnenwand. Da dampft es dann noch lange dahinter. Jegliches Klischee des Barocks wird bedient, natürlich gibt es Theatergewitter. Und die tatsächlich einmal komische Szene, worin Adalante, sozusagen im aus Eifersucht, aber doch auch innerer zärtlichster Not kondensierten Wutdampf, Todeswaffe um Todeswaffe vorholt, damit die Nebenbuhlerin aus dem Liebeswege schaffen zu lassen, – diese Szene wird derart überwitzelt, daß ich nahe daran war, aufzustehen und das Opernhaus zu verlassen. Da schlug die Uhr längst neun, nach der man das Gelächter wie die Zwischenapplauswogen hatte stellen können. Schließlich mußte Herheim nur noch Andeutungen für seine Witzelungen werfen, daß alles danach schnappte: dankbar, ach, von jedem Gedanken entbunden zu werden, von jedem authentischen Gefühl. Man wollte sich amüsieren, jetzt, so radikal war der Wille, sich endlich mal bespaßen zu lassen in einer Oper, die für ihr kritisches Wagen bekannt ist.

Schon mit den Schafen ging das los, drei Leuten in drei Schafskostümen, davon eines schwarz, ohne daß man wüßte, weshalb. Spielt auch keine Rolle, ist ein Gag wie die Euter waren, an denen ein Popanz herumsuckeln durfte. Weshalb nun an dem, dem des Schwarzen Schafes, das eben einfach nur schwarz war, ist zu fragen müßig. Es kommt nicht drauf an; Herheim hatte den Einfall und Punkt. Man gibt ihm noch die gefälligste Form, so ist das Publikum glücklich. Doch vorher bereits, so ging das los: Die in Wolle verkleideten Leute rufen „Mäh!“, und das von Herheim eingerichtete Libretto läßt einen sagen, haha: „Ach, welch ein Sphärenklang!“ Das ist die Sorte Witz, auf die ein Publikum so steht.
Er hat aber viele Einfälle, der Herr Herheim; andere Regisseure werden ihn darum beneiden; es sind wirklich auch gute darunter – halbgenial geradezu, in einem Spiel mit Kulissenteilen den Namen Xerxes‘ zu „Sex Rex“ zu travestieren – aber wie weiter nun? wo ist der Zusammenhang, ein sinnvoller, zu dieser Inszenierung, bzw. zum Stück? Ja, vollkommen richtig: es wäre ein Ansatz gewesen. Doch Herheim tuckt das an und läßt es wieder fallen, bis sich die auch besten Ideen ästhetisch totgelaufen haben. Es ist ihre Redundanz, was den Erfolg macht, die zumal die Wirrniss des Stücks wiederholt, verdoppelt mithin – wenn denn nicht d o c h, am Ende aber erst dreier ziemlich langer Stunden, im letzten, diesmal aber wirklich großen Bild, ein wenig sich gezeigt hat, was auch mit dem Xerxes wäre möglich gewesen: Wie da der Chor, bereits in Alltagskleidung, von links her auf die Bühne tritt und an die Staffage, die das gesamte Stück gewesen, an die Kulissen und die plötzlich dürftigen Harlekinesken, die Händels Figuren dort sind, heran, die plötzlich hilflos aneinanderrücken und hilflos aufstehen und hilflos ins Publikum schauen, – wie da die Show zusammenfällt, das, in der Tat, ist ein großer Moment des Theaters gewesen.

Er sprang aber nicht über, konnte nicht überspringen, sonst wäre man im Jubel verhaltener gewesen und hätte sich gefragt, wem haben wir geklatscht? Man war schon so sehr nasgeführt, immer rundum in dem Kreis jenes seelenlosen Entertainments, um das es der Ökonomie so getan ist, in die sie sich glatthäutig schmiegen, gutgekleidet und geschmiert, voll zivilisierten Tons und Benimms – was man so kultiviert nennt als Replikant, der man ist. Einen davon konnte man später leibhaftig, auf einer anderen Bühne, erleben. Dazu am Schluß.
Seelenlosigkeit war das Thema des Abends. Es ist die magische Arbeit eines Regisseurs, den als Puppen immer erkennbaren Figuren Person zu geben. Wir wissen, als Zuschauer, stets um den Spiel- und Scheincharacter, ja – aber in dem Moment müssen wir die Figuren g l a u b e n, ihren Leiden und Leidenschaften, ihren Vermessenheiten, Bosheiten, ihrem Haß, ihrer Angst, die ja immer, wenn es Kunst ist, unsere eigene nicht nur karikiert, sondern sie uns verarbeiten läßt – das ist, was in der Kunst Erkenntnis genannt werden kann, kathartisch bewirkt oder über bisweilen scharfe Distanzierung, auch über Absurdität. Wer aber die Figuren eines Stücks diffamiert, diffamiert immer das Publikum mit, und ich meine jetzt nicht die amorphe grölende, vornehm applaudierende oder wie auch immer Geneigtheit und Ungeneigtheit bekundende Masse, sondern die Einzelne, den Einzelnen in ihr, die und der ein anderer sind als in ihrer Addition zu dem „Volk“. Wer die Figuren eines Stückes nicht ernstnimmt, nimmt diese Einzelnen nicht ernst, notwendigerweise, sondern er manipuliert sie, füttert sie, entzieht ihnen Nahrung, läßt sie vorhersagbar lachen, orientiert am kleinsten gemeinsamen Vielen. Genau hier unterscheidet sich Kunst vom Kunstbetrieb, auch wenn sie deren einer Summand ist. Die Verflachung von Ereignis ist der Event, mit welchem Begriff wir künstlerische Ereignisse unterdessen leider benennen; die Verflachung des Witzes der Joke, die von Humor ist der Gag; auch Amusement war einmal tiefer als Gaga gedacht. Herheims Inszenierung geht dem auf den Leim, indem er ihn selbst auf die Bühnenbretter streicht.
Da hatten vor allem die Sänger keinerlei Chance, sich einmal großzusingen. War auch egal. Man klatschte sowieso und sofort. Bereits die Anfangsszene, in der bizarrerweise eine Platane angesungen wird – melodisch ein Plagiat, übrigens, dem dieselben Leute zujubeln, die fürs Urheberrecht sich erstarken.

Wenn etwas aber Pop ist, drückt man die Augen zu; ist aber a u c h egal, denn sie sind blind -, – bereits hier feierte der Ungeist des Travestierens die parodistischen Blüten. Klar ist das absurd, so eine Liebeserklärung an einen Baum, man bringt das nur, weil die Melodie hübsch ist und auch ergreifend gesungen werden kann, aber d a ß die Szene absurd ist, wird für die Ausrede benutzt, daß sie nicht auch für ein Anderes stehen könnte, etwas nämlich, das gerade in seiner Abstrusität nahegehen kann. Sondern uns wird gezeigt: dies ist ein Popanz. Da wird dann j e d e r Popanz. Kein Lied, wie bewegend auch immer gesungen, kann uns da mehr ergreifen, zumal, wenn unter den Sängerinnen und Sängern niemand eine Stimme hat, die das Haus wirklich zum Zittern bringen könnte und uns den Atem stehen ließe, so daß wir nur noch nach Luft schnappen können. Solche singen nicht an diesem Haus; das sind keine Margaret Prices, keine René Kollos, keine Callas‘, Gruberovas, Papes, bei denen es musikalisch schlichtweg egal ist, wie man sie inszenatorisch führt; wir sind da immer benommen, wenn wir hinausgehn. Sondern die sangliche, es ist eine hohe, Kunst d i e s e r Sängerinnen und Sänger liegt anderswo – wie es eben Lied- und Opernsänger gibt und beides zugleich nur selten in selber Klasse zusammengeht, so gibt es für kleinere Häuser, es sind die inszenatorisch flexibleren, Sängerinnen und Sänger, die sich auf leisere Töne spezialisieren, großartig oft in der Intimität ihrer Characterführung; ich denke an >>>> Gun-Brit Barkmin, die an der Komischen Oper einige Male, mir unvergeßlich, sang und eben auch Brigitte Geller, vor allem aber, gestern abend, Julia Giebel und, eine kleine Offenbarung, Katarina Bradić, die alle aber darauf angewiesen sind, daß sie die Regie nicht überschüttet mit ihrem abstrakten „Die Welt ist ein Text“ oder Dauerschenkelklatschen und sie eben nicht, die daran mitunter verzweifeln, in eine Ecke treibt wie >>>> Hans Neuenfels Frau Geller in seiner gräßlicher Traviata, worin diese Sängerin geradezu herzschnürend vergeblich darum rang, daß ihrer Rolle irgend eine Würde blieb. Auch Herr Herheim gestattete den Darstellern nicht, sich großzusingen, wie groß sie immer auch sangen; die Stimmen hatten keine Chance, ihre Seele zu entfalten, einfach, weil sie die von Popanzen blieben und das bleiben auch sollten – und als sie, im Schlußbild, so hilflos werden, plötzlich, zitternd fast, erschütternd, da singen sie eben nicht mehr. Da gerade wäre zu singen der Moment erst gekommen. Das ist eine der schwersten Verfehlungen dieser Inszenierung, ihn nicht schon vorher zu setzen, eine Verfehlung an den Sängern, wie immer man ihnen auch zujubelt nun: Es ist ein falscher Schein. Man ist gut unterhalten worden, Punkt, und kann sich nun, derart gechillt, wieder den wichtigen Dingen des Lebens zuwenden, die wir „Geld verdienen“ nennen. Ist amüsiert worden, geentertaint & bestätigt im täglichen Korrumpelchen. Daran hat Herheim diese verdammt guten Sänger mitmachen lassen, ein Stückchen an ihrer eigenen Abschaffung wirken. Wenn Oper nämlich dazu dient, dann ist sie in der Tat überflüssig geworden, gesellschaftliches Prassen, wo andere darben. Das kann man wirklich billiger haben, vielleicht nicht ganz so repräsentativ, oder doch, dann freilich, für den eigenen Geldbeutel, teurer. Was draufgelegt werden muß, kommt vom Staat.

Nein, mit diesem Ulksinn geht das nicht. Da werde ich, der Oper liebt, zum Feind der Oper und ihrer Verschleuderung von Geldern fürs Kostüm, für den riesigen dahinterstehenden Apparat von Belegschaft und Technik und Erhalt der Gebäude, in dem sich nichts als reaktionäres Historisieren selber protzend feiert. Vielmehr ist sie, die Oper, sich selber verpflichtet als nach wie vor der umfassendsten Gattung aller Künste Europas. Ich will sie nicht wieder als Garnitur, die sie mal war, auf den Gedecken des sattesten, ödesten Wohlstandes haben, vielleicht mit wieder Ballettchen zwischen den Akten, zu deren zweitem man erst kommt. Es geht mir – ich nenne meine Kriterien – um gesellschaftliche Arbeit, um Intensivierung und Selbsterkenntnis und um Lust anstelle eines, Kichern hier und Juchhu da, unverbindlichen Gaudis, – kurz: um das Pathos, das Mensch aus uns macht.

Ich gehe nicht auf Premierenfeiern, wenn mir eine Inszenierung mißhagt; es anders zu halten, ist unfair gegenüber den Künstlern, die selbstverständlich ihre Arbeit jede/jeder für gut halten und sie dafür auch halten müssen. Ich mag ihnen nicht den Abend verderben, weil auch das wenig menschlich wäre. Denn man wird ja doch gefragt, wie man es gefunden habe.
Gestern abend durchbrach ich, aus privatem Grund, diese meine Haltung. So daß mich mein von der Begeisterung der anderen mitgetragener Freund R. schließlich bat: „Nun red doch nicht so auf uns ein. Uns hat es gefallen, dir nicht. Ist ja nicht schlimm. Aber laß uns unsere Freude.“ Da hatte er recht. Und dennoch war es gut, daß ich diesmal geblieben war, denn nun erlebte ich ein Nachspiel desselben selbsterheiterten, dabei kitschseligen Ungeists, der schon die Aufführung geleitet hatte: die Absage an eine Kritik gesellschaftlicher Zustände, ja deren Affirmation in ihrer replikantesten Form. Die Rede ist von André Schmitz, einem durchaus mächtigen Staatssekretär Berlins. Nachdem nämlich der Hausherr, Andreas Homoki, wie es schöne Sitte ist, die Mitwirkenden des Abends vor reichlich gebliebenem Publikum, das voll in Feierlaune, aufs Podium gerufen hatte und jeder, jedem noch einmal applaudiert war, war ihm Gelegenheit, seinen letzten solchen Auftritt, bevor er das neue Amt >>>> in Zürich antreten wird, mit der besonderen Ehrung einer seiner besten Sängerinnen zu krönen – schöner, wirklich, kann sich ein Intendant von seinem Haus nicht verabschieden. Brigitte Geller wurde in den Rang der Kammersängerin erhoben – zu recht, mit allem Grund, ihr zu danken… nur daß die Ehrung, leider, Homoki nicht selbst vornehmen konnte; dazu war vielmehr der Herr Staatssekretär gekommen. Der, anstelle die gepriesene Frau auch wirklich zu erhöhen, witzelnd und schleimend die mauen Kassen Berlins in seine Jubilation hineinnahm, rechtfertigend, daß eben darum, leider, es „nur“ die Ehrung sei, nicht aber auch ein Geld, das man ihr, Frau Geller, hätte gerne bezahlt, doch halt nicht zahlen könne. Mir verschlug es die Spucke. Man macht das einfach nicht, in öffentliche Ehren Wehmutstropfen fallen zu lassen, zumal, wenn sie nicht vom eigenen Konto bezahlt sind. Statt dessen: Wie doch diese Inszenierung jetzt aus jedem, der noch Barockfreund nicht sei, einen werde haben gemacht, von solcher Opulenz, solcher Vergnüglichkeit. Und daß Frau Geller einen Schweizer Hintergrund habe, fand der Herr Schmitz erwähnenswert, und daß sie, dessen unerachtet, Berlinerin werde bleiben, mit schmalerem, freilich, Salär als er. Natürlich sagte er das nicht. Aber nannte, als er die Verleihungsurkunde, deren Text zu seinem sonstigen Palaver im Widerspruch der Kürze stand, als Unterzeichneten den Regierenden Bürgermeister von Berlin, nicht aber dessen Namen. Das sind so Momente, die mich aufmerken lassen: entweder stimmt‘s nicht mit dem Parkett des Diplomaten, oder es ist eine Botschaft versteckt für, Nietzsche noch einmal, feinere Ohren.
So stand Frau Geller denn da, sie und ihr riesiger Blumenstrauß, erhöht, mit Recht, und erniedrigt zu unrecht durch Mangel an Seele – nicht jeglicher freilich, denn die Kollegen standen bei ihr und ihr Intendant, der wirklich von Herzen dafür dankte, daß es sie in den letzten zehn Jahren gab für sein Haus.
So aufgehuckt die Ambivalanz verließ ich‘s, als die Mitternacht nahte.
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XERXES
Dramma per musica in drei Akten von Georg Friedrich Händel
Libretto nach Niccolò Minato und Silvio Stampiglia
Deutsche Übersetzung von Eberhard Schmidt
In einer Einrichtung von Stefan Herheim

Inszenierung … Stefan Herheim – Bühnenbild … Heike Scheele
Kostüme … Gesine Völlm
Dramaturgie … Alexander Meier-Dörzenbach, Ingo Gerlach
Chöre … André Kellinghaus – Licht … Franck Evin
Stella Doufexis – Karolina Gumos – Katarina Bradic
Brigitte Geller – Julia Giebel – Dimitry Ivashchenko
Hagen Matzeit

Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin.
Konrad Junghänel.
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Die nächsten Vorstellungen:
13., 17., 19., 23., 24., 27. Mai.
15., 21., 27. Jun.
05. Jul.
>>>> Karten.


8 thoughts on “Gehändel für die Spaßgesellschaft, mit großem Jubel affirmiert. Stefan Herheim läßt ihn tändeln, den Xerxes, an der Komischen Oper Berlin.

  1. “Ich mag es nicht, wenn ich dazu genötigt werde, etwas in einer unablässigen Folge sogenannter Witze dauerkomisch zu finden.” – Amen.

    1. Was Sie beschreiben erscheint mir nur zu vertraut. Bei einer Inszenierung von Frischs “Andorra” ist mir dies vielleicht zum ersten Mal begegnet. Da war ich noch perplex, dass Leute in diesem Stück lachen. Worüber? Sollte das Lachen erleichtern, Distanz schaffen in der Bedrückung? Oder war es schon verächtlich über die läppische Inszenierung unsres Studententheaters? Auch wenn ich das für mich nicht mehr klären kann, so habe ich es nun mehrfach erlebt wie mir von meinem Mitpublikum übel wurde. Wie es da jeden Anflug von Kritik plattlacht, gerade die Momente entwertet, in denen es sich noch berühren lassen könnte. Das konnte ich manchmal schon als Lachspannung im Saal spüren, eine Unruhe bis dann endlich die erste Szene den Anlass liefert das Lachen erleichtert zu entladen. Über einen blöden Kalauer oder auch ganz ohne Grund.

      Aber nun: affimiere ich so nicht auch nur die Anti-Spaßgesellschaft, johle mit wie Sie eine mir unbekannte Inszenierung verreißen? Fucking dialectics.

    2. “johle mit wie Sie eine mir unbekannte Inszenierung verreißen?” Ein enorm wichtiger Einwand. Auch deshalb sind meine Texte, zu denen die Kritiken gehören, kommentierbar.
      In diesem Fall wurde die Kritik zum Anlaß einer positionalen Grund- und Wertebestimmung; ansonsten wären Verrisse unsinnig. Es geht mir wirklich nicht um Daumen rauf oder runter; dazu ist mir meine Lebenszeit zu kurz. Man schweigt dann besser und arbeitet an etwas anderem, das gedeihlicher ist. Hier allerdings geht es insgesamt um mehr, ist ein Focus auf gesellschaftliche Entwicklungen, die auch durch große Leute wirkend hindurchziehen; Herheim ist ein guter Regisseur. Wäre er bloß auf Albereien aus, hätt ich nicht sechs Stunden lang an diesem Text gefeilt. De facto ist er das nicht – und wird eben doch mitgefangen und eingesponnen. Dass Ganze ist saugefährlich, nicht “nur” ästhetisch, sondern vor allem politisch.

    3. Ähnliche Positionsbestimmungen habe ich hier ja schon gelesen und I/ihr Pathos ist ansteckend. Würde ich sie aber blindlings ‘abkaufen’, so ginge ihr kritisches Potential flöten. (Leider sind aber Blogreaktionen, auch meine, meist binär: Daumen hoch oder runter.)

      Was ich im Hinblick auf die Differenz der Urteile Ihrer Freunde anfügen wollte: Das Pathos, die Munitionierung und das Klarwerden der eigenen ästhetischen Position mag hilfreich sein für einen selbst, interessant zu lesen für die anderen, aber vielleicht verhärtert es nachträglich auch einen Prozess, der von so vielen, auch kleinen Faktoren kritisch abhängt. Die Rezeption eines Werkes ist manchmal vielleicht schon Überreizung, um auch die kleinsten Regungen mikroskopisch noch zu erfassen. Ein falscher Lacher des Publikums könnte da schon stören (nicht immer kann ja der Regisseur auch etwas dafür). Insofern erscheint es mir nicht immer ganz kontrolliert, auf welcher Seite ich dann lande: Beim Melancholia-Film war es wohl einmal die zu Ihnen entgegengesetzte, wie bei dieser Oper auch Ihre Freunde. (Die Diskussion zum Film sitzt auch bei mir noch tief..)

    4. @Phorkyas zur Solidarität. Weniges wäre mir unangenehmer, als kauften meine Leser mir alles ab (allein, hörn Sie mal drauf, die ökonomische Aura dieses Idioms); so wenig, wie ich folgen möchte, möchte ich Gefolgschaft. Freunde habe ich gerne, auch Liebhaber meiner Arbeit, doch selbst die engsten Geliebten können durchaus kritisch sein. Was mich interessiert, ist, daß meine Positionen gehört werden, angehört und mitgedacht. Welche Schlüsse wir ziehen, also: wie wir nachher handeln, das steht auf einem anderen Blatt, das anderer Argumente mitbesprochen haben. Eine Freundin Broßmanns, die ebenfalls in der Aufführung war, sei, erzählte er mir gestern, geradezu hingerissen von dieser Inszenierung gewesen. Damit steht sie, wie ich in der Kritik auch schreibe, nicht allein.

    5. Tut mir leid.
      Ich bin nicht persönlich eingebunden, sicher…
      Vielleicht deshalb kann ich in diesem ganzen “LitBlog” irgendwie nichts Literarisches erkennen. Aber irgendwie kommt es mir so vor, als ob hier eine Art historischer Stillstand herrscht, der hinausgetragen werden soll, in etwas, was es überhaupt nicht gibt. Nur so als Eindruck.

    6. @GB-Jeremias. Was denn stehe hier, historisch, still? Positionen, Ideologien, Sprache? Denn daran doch, an der Sprache und ihrer Gestaltung, bestimmt sich, ob etwas literarisch sei oder nicht – sowie an den Formen der Konstruktion und schließlich an der Kombination all dieser Elemente.
      Sofern sich Ihr Einwand auf die Kritik bezieht, unter der Sie ihn eingestellt haben, wäre deshalb zu fragen, ob etwa meines Beitrages Stil aliterarisch sei, ob es Schwächen darin in der Grammatik gebe oder synaptische Schwächen in der Rhythmisierung. Kurz: Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen. Wobei der auf Ihr “irgendwie” folgende Satz ein, finde ich, hübsches Bonmot ist, dem ich meinerseits das Attribut “literarisch” auf keinen Fall verweigern würde – gleich, ob es etwas Wahres trifft oder nicht.

      [Poetologie.]

      P.S.: Sie müssen hier nicht “persönlich” eingebunden sein; das sind die wenigsten der Kommentatoren.

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