Kalkül der Gegner sowie zu mancher Leserin, die ihre Zeit braucht. Das Arbeitsjournal des Sonntags, dem 26. Februar 2012, das eine feine Unmenschlichkeit in den Blick nimmt. Dazu ein Krokodil.

5.30 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Seit Viertel vor fünf auf, habe ich >>>> dort erst einmal wieder auf Kommentare reagiert, einige aber auch gelöscht. Das hat zum einen hiermit zu tun:
>>>> (Bei neuen Angriffswellen – wir haben ihrer hier über die Jahre schon einige erlebt, so daß wir darüber Aussagen haben – tendieren die Gegner dazu, fremde Pseudonyme zu okkupieren, weil das mindestens andere Leser irritiert, aber auch täuscht. Das ist Kalkül.) <<<<Zum anderen mit Bemerkungen, die >>>> dort drunter standen und meine Liebe zu den Kindern verhöhnten. Erreicht eine Auseinandersetzung dieses Niveau, argumentiere ich nicht mehr, sondern werfe weg. Auch das war in Der Dschungel bereits öfter der Fall, daß mein Verhältnis zu den Kindern beschädigt oder dazu benutzt werden sollte, meinem Ruf zu schaden. Dahinter steht ein durchaus faschistoider, wenn nicht faschistischer Impuls mancher Leute, der aus einer Art Haß stammt, den sie offenbar haben. Wie so etwas innenwirkt, läßt sich bei der Leküre Célines gleichermaßen gut wie schrecklich beobachten: es führt ein direkter Weg aus den erlittenen Mißhandlungen seiner Kindheit in seinen Rassismus.
Was nicht sein soll, ist. So könnte ich den Satz schon stehen lassen, aber er geht weiter: …ist, daß dieser unliebsame Mensch, nämlich ich, von einer Liebesfähigkeit geleitet wird, die dem Bild grob widerspricht, das man von ihm hat, bzw. anderen von ihm machen will. Denn der Mensch stört, sowohl das Weltbild der Gegner wie den Betrieb, vor allem aber den Pop, den man will. Ganz offenbar hat er gegen den nicht nur einiges zu sagen, sondern einiges Begründete, so daß er einem das Nest des angenehmen Mitlaufs beschmutzt. Man will schließlich links sein; hätte er aber recht, wäre man links die Gefolgschaft von rechts und wär es allein aus einer kultureller Vorlieb, von der man immer gemeint, daß sie „progressiv“ sei. Sollte das stimmen, stünde man ungut da. Also muß er irgendwie schweigen oder so denunziert werden, daß auf ihn ohnedies niemand hört. Wir machen ihn deshalb zum Freak.
Dumm ist nur auch, daß er sich wehrt und ziemlich kundig darin ist. Warum kann er nicht still für sich seine Bücher schreiben und schluckt‘s dann ergeben, wenn sie versinken? Weshalb trinkt er nicht, anstatt sich zu streiten? Er könnte doch wenigstens kiffen… Aber nein! Wo immer man ihn abgehängt glaubte, ruft ein Igel IkBinAllhier! Das macht einen wütend. Da kocht man, kriegt die weiße Glut, die‘s einem schwarz vor den Augen macht – was bekanntlich, siehe Céline, die Seele immer ganz mitschwärzt. So daß man auf die Liebe t r it t, die er hat, und sei‘s zu seinen Kindern, und sie austreten will — wenn er die wenigstens nicht zeigte! Dann könnte man ihn doch weiter-gut den allerschlimmsten Unhold nennen, einen Jugendverderber und Frauenschläger, Chauvinisten so wie Macho — wie wir das kennen seit dreißig Jahren. Kann er das denn nicht endlich akzeptieren und sich fügen, der Menge fügen, dem Mainstream, den Segnungen, die uns ästhetisch die Ökonomie gebracht?
Liebe Leute, böse Leute: nein, das kann er nicht und wird‘s nicht. Ihr zeigt in eurer Art der Entgegnung zu deutlich – Unmenschlichkeit- So fein sie sich auch versteckt oder es meint, das fein genug getan zu haben. Dagegen verharr ich auf Widerstand, >>>> selbst wenn das Leser kostet. Um manche ist es nicht schade.

Unruhig haben die Kleinen geschlafen, gehustet und gehustet, geschlafen aber doch. Ich werde, wenn sie erwachen, Honig in ihren Kakao tun. Meinerseits erwarte ich vormittags den Kollegen, der mir sein Typoskript bringen will, das nunmehr ich lektorieren werde, nachdem UFs Lektorat an dem meinen in seine letzte Phase geht. Ich schau mir gleich noch einmal die Kapitelübergänge an, dann bin ich gespannt, was er sagen wird. Das Typoskript geht als Email noch heute vormittag hinaus.
Ich darf nicht aus den Augen verlieren, daß >>>> RHPP mich um ein neues Gedicht gebeten hat, das er vertont in sein neues Streichquartett einkomponieren möchte: ein nicht unheikles Unterfangen, da es dem Vergleich mit Schönbergs Zweitem kaum wird ausweichen können. Das gilt nun für uns beide, ihn und den und mich und George; da liegt die Latte hoch. Noch hab ich auch keine Idee. Aber ein bißchen herumfantasieren kann ich, so, wie man am Klavier vor sich hinspielt, die Wörter, nein, Silben als Töne – Außerdem will ich Ihnen meine Kritik der CD-Aufnahme von Frank Martins Der Sturm nach Shakespeare in Die Dschungel stellen; Zeit genug, seit sie in der FAZ erschien, ist vergangen; ich hab die Dinge gerne online. Es hat sich oft schon da Dauerwirkung gezeigt.
So, will mir den zweiten Latte macchiato bereiten. Und irgendwann bald werden meine Zwillingskindlein erwachen, die ich gegen acht/neun Uhr zu ihrer Mama hinüberbringen werde, um auf den Flohmarkt weiterzuziehen; ich brauche Knöpfe für einen Mantel. Am späten Vormittag werd ich zurücksein und mich dann auch an mein Cello setzen.
Guten Morgen.

7.20 Uhr:
[Vivaldi, Cellokonzert RV 401.]

Für den Kakao erwacht.

12.55 Uhr:
Absurd, wie wieder mal diskutierrt wird – jetzt, weil ich mich zu einer bestimmten Autorin nicht mehr äußere. In der Tat, das tue ich nicht. Und sie wird zu schätzen wissen, mit welcher Diskretion ich schweige. Kein weiteres Wort zu diesem Fall; was jetzt noch da hinzukommen sollte, werde ich löschen. Punkt.
Gut am Cello gewesen. Jetzt Mittagsschlaf.

19.20 Uhr:
Ruhiger Nachmittag. >>>> Melusine Barby war hier, wir trafen uns an der Eberswalder; mein Junge, den sie so gern wiedersehen mochte, weil sie ihn schon in Rom so gern gehabt hat, kam mit. Also suchten wir ein Sonnenplätzchen, das uns auf den Flohmarkt verschlug. Glühwein dort, auf dem Sand im offenen Sonnencafé. Sitzen wir also da und reden. Dreh ich mich um. Und wer steht an der Bar an? लक्ष्मी. Also sie zu uns, dann gemeinsam einen Spaziergang durch den Mauerpark, an der Schmelinghalle vorbei, schon schwebt die UBahn über uns. So daß wir in eine andere Dschungel einkehren, darin es fetten Kuchen gibt und Café au lait in Bols, und die riesigen Papgeien kreischen über uns. Sie fliegen dort völlig frei von Palme zu Palme. So etwas ist Berlin. Neben dem Tisch lag ein kleines Nilkrokodil; was wird man mit ihm tun, wenn es erst drei Meter ist? Es mag mich, und ich würd‘s dann gerne nehmen. Meine Kinder wären begeistert. Nur paßt es in die Arbeitswohnung nicht hinein. Ich hab ja nicht mal eine Badewanne. Aber der Profi hat ein Haus auf einer Insel… – Ich werd mal mit ihm sprechen.
Jetzt zurück, und der Junge übt Cello. Danach noch dreivier Duos, dann wird es Zeit für die Nacht. Wir sind gestopft voll. Daß ich Kuchen esse, gehört zu den absoluten Sondererscheinungen meines Lebens; ausgenommen, allerdings, ist Pflaumenkuchen mit Sahne. Bei dem werd ich schwach. So daß Sie nun auch das von mir wissen. (Die aufgetauten Entenhälften habe ich wieder zurück ins Gefrierfach getan. Mein Sohn hat schon bei ihrer Erwähnung kapituliert.)

6 thoughts on “Kalkül der Gegner sowie zu mancher Leserin, die ihre Zeit braucht. Das Arbeitsjournal des Sonntags, dem 26. Februar 2012, das eine feine Unmenschlichkeit in den Blick nimmt. Dazu ein Krokodil.

  1. @Phorkyas eventuell eine Entschuldigung. soeben hat >>>> dort drunter ein „Phorkyas“ geschrieben, und zwar zu einer Autorin, von der offensichtlich gewollt wird, daß ich sie diskutiere. Ich verweigere das aber.
    Nun weiß ich, daß Sie, Phorkyas, stets registriert und mit einem Link auf >>>> Ihre Site kommentieren, so daß ich einmal mehr annehmen mußte, es habe sich jemand eines fremden Gesichtes bedient, zumal in diesem Falle eines, dem nicht leicht das Wasser zu reichen ist. Der andere P. referiert auch nur einen Klappentext. Sollten tatsächlich Sie, Phorkyas, das eingestellt haben, geben Sie mir bitte Bescheid. Ich habe den Text für den Fall kopiert und gespeichert, daß Sie ihn nicht mehr haben sollten. Indessen entbehrt es jeglicher Fairness, die Netznamen von Leuten zu mißbrauchen, die möglicherweise und oft tatsächlich völlig andere Positionen haben und dafür auch bekannt sind.
    ANH

  2. Im Inneren der anderen lesen – Über die Neugier Alain Claude Sulzer beschreibt am Ende eines klugen Essays über die Tagebücher Julien Greens das schwierige Verhältnis zwischen dem sich exhebitionistisch offenbarenden Autor und dem neugierigen, an ihn gefesselten Leser:
    „Zwei stehen sich gegenüber, die einander ergänzen, einander brauchen (wodurch jeder des anderen Arzt werden kann): zum einen jener, der das Licht der Öffentlichkeit nicht scheut, sich nicht in seinem Zimmer verschanzt aus Furcht, man könnte etwas über ihn erfahren, was ihm schaden würde, der die Öffentlichkeit vielmehr zu seinen Zwecken benutzt, vor ihr sein Leben, sein Leiden, sein Vergnügen ausbreitet; zum andern jener, der nicht gewillt ist, das Private, das Intime zu respektieren, vielmehr in anderen lesen und sich selbst erkennen will. Der eine braucht den anderen. Ohne Publikum verliert das veröffentlichte Tagebuch wie alle Bücher seine Reize, und ohne den Neugierigen fehlte ihm gerade jenes Publikum.“

    Ich denke, der grundsätzliche Charakter des „Neugierigen“, – der sich ja seinerseit stets bedeckt hält und so vorgibt, selbst keine moralischen Schwachstellen und Geheimnisse zu haben -, lässt erwarten, dass Übergriffe jeder Art grundsätzlich möglich sind. Und im Zeitalter des literarischen Bloggens sind die Grenzen in dieser Hinsicht besonders löchrig. Man muss deshalb als Autor sehr gut überlegen, in wie weit man bereit ist, diesen Neugierigen gerade das Material auszuliefern, auf das pissen zu dürfen, sie ein Recht zu haben glauben. Mit Gruß PHG

    1. @PGH: zu freizügig. Lieber PGH,
      Ihre Argumentation erinnert an die jener Richter, die der Vergewaltigten sagen, sie habe selbst schuld gehabt, weil sie sich zu freizügig bekleidet habe.
      Selbstverständlich läßt der Neugierigen-Character erwarten; das bedeutet aber keinen Rechtsgrund. Sich aufgrund einer solchen Erwartung, die im übrigen dem Betrachter von vornherein moralische Minderwertigkeit unterschiebt (was ein berechtigter Grund dafür wäre, daß er sich herabgesetzt fühlt; darüber hat Nietzsche klug geschrieben), nun bedeckt zu halten, bedeutete, von vornherein präventiv zu leben. Nichts läge mir und Derr Dschungel ferner. Im Gegenteil. Würde dieser Maxime hier gefolgt, verlöre Die Dschungel einen Großteil ihrer Attraktivität und Kraft, und auch ihrer Menschlichkeit. Daß wir uns hier >>>> verletzbar machen, gehört zum künstlerischen Konzept.
      Beste Grüße und auf Leipzig,
      Ihr
      ANH

  3. Intérieur Was für ein wunderbares Photo! Das Cello, die beiden süßen Kinder, und Sie (hinter der Kamera) als Babysitter! Großartig! Danke für so viel Einblick in Ihre Privatheit. Die 80 % Leserinnen werden das mögen.
    Ich wollte Ihnen doch das Programm mit Duostücken für 2 Celli schicken. Interessieren Sie sich dafür? Wer weiß, wie weit Sie beide es bei all dem Eifer noch bringen.

    1. Oh ja, lieber Cellofreund, das wäre sehr schön.
      (Auch an Sie soll etwas unterwegs sein, aber ich warte und warte noch auf die Sendung, die dazu erst einmal hier ankommen muß. Möglicherweise wird das erst nach der Leipziger Messe geschehen. Ich habe Sie aber ganz gewiß nicht vergessen.)

  4. Keine Empfehlung!!! Lieber ANH,
    den Mechanismus zu benennen heißt ja nicht, dass man die Empfehlung ausspricht, man solle seine Fahne nach diesem Wind richten. Und von mir käme dieser Rat schon gar nicht, schätze ich Sie doch u.a. um genau die Seiten, auf denen gewisse Trolle herumtrampeln.

    Bin auf Leipzig und Ihren Essayband gespannt.
    PHG

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