14. Februar 2025
Karlsruhe
“Briefe nach Tiest”
ANH erzählt und liest
Circus 3000, Alter Schlachthof 13a, 19 Uhr
18. Februar 2024
Berlin
In der Reihe “Das Werk” des Literarischen Colloquiums (LCB)
Eine ANH-Werkschau. Mit ANH und (Moderation noch nicht klar).
LCB, Am Sandwerder 5,
Berlin-Wannsee, 19 Uhr
Theodor W. Adorno, Der Geist als Trauer und Schönheit.
die meiner Generation waren mir verschlossen, die Marcuses und Hendrix‘, die Beatles sowieso, die Kerouacs und auch Marxe, all das fand außerhalb von mir statt, irgendwo in der Zeitung und im Fernseher, wirklich prägen taten mich die politischen Läufte erst, als Meinhoff und Baader erschienen, weil die RAF in meiner Wahrnehmung eine direkte Verbindung zu >>>> Dostojewski s Dämonen hatte, ja, ich empfand sie als Widergänger und das durchaus, im Gefühl, dem Sinn des Deutschen Aberglaubens nach – Grimms dreibandfette Zusammentragung wurde später ein Standard-Nachschlagewerk für den >>>> Wolpertinger -;
Die geschah mir vom ersten Text Adornos an, nämlich in seinem Mahlerbuch. Solche Sätze etwa elektrisierten mich:
Das nahm ich nach Bremen mit, als ich meine Mittlere Reife hatte und die Lehre antrat, 1973. Endlich war die als nicht nur einengend, sondern vor allem quälerisch empfundene Gymnasialzeit vorüber, gemildert nur von jenem Hermann Quast, geheilt fast ein bißchen, dem Direktor der Realschule dort, auf die ich ging, und der einen Blick für das hatte, was ich versuchte. Er holte mich als jüngsten Referenten in das erste – ein frühere Creative Writing – Seminar, damit ich es leitete. Bein einem zweiten, ich vergesse das nie, gab es Aufregung; ich wurde ein, selbst erst kaum achtzehnn, Jugendverderber genannt. Worauf ich aber stolz war.
Dann hatte ich mein eigenes Bleiben und war dennoch, von der im selben Haus lebenden Großmutter, betreut. Es hatte Lieben gegeben, die ins Körperliche gegangen waren, vorsichtig, zurückschreckend beiderseitig immer, aber doch schon die volle Brust in einer Hand. Aus einer meiner solchen Lieben ist heute eine Malerin geworden, >>>> Sabine Wewer, was sie schon damals werden wollte; wir haben uns seither, 1974/75, nicht wiedergesehen, aber sie schickt mir nach wie vor Einladungen zu Vernissages und Matinées. Vielleicht mach ich mich mal irgendwann auf. Auch meine Omi liebte sie sehr.
Und ich hatte ein ungeheures Glück mit dem Lehrplatz, den ich mir selbst gesucht. Glück zum einen, weil ich akzeptiert wurde, ohne daß jemand mich lächerlich fand; Glück auch, weil einer meiner Lehrherrn, Rechtsanwalt Robert, vor seiner juristischen Laufbahn Opernsänger gewesen war und mir nun, ich hatte kaum Geld, man verdiente 180 Mark monatlich im ersten Jahr, immer wieder mal eine Opernkarte zusteckte; auch Glück darüber hinaus, daß meine Eigenheiten akzeptiert wurden: zum Beispiel daß es nicht mehr möglich war, mich das Zehnfingersystem an der Maschine zu lehren; ich war mit meinen autodidaktischen zweieinhalb längst schneller als Lehrlinge im dritten Jahr; Glück vor allem, weil mir Robert ein Angebot unterbreitete: Wenn ich mich entschließen könne, mein Abitur nachzuholen und Jura zu studieren, werde er mir das Studium finanzieren. Aber ich müsse mich im Gegenzug, wenn ich meine Examina hätte, für zehn Jahre der Kanzlei verpflichten.
Ich sagte zu. Denn erst einmal kam sowieso die Einberufung dazwischen.
Und hatte ein weiteres Glück. Eines, das mich gelehrt hat, in jedem Berufsfeld, wirklich jedem, erst einmal nach Ausnahmen zu suchen, bevor ich es ablehnte. Ausgerechnet der BWL-Lehrer meiner Berufsschule, die ein oder zweimal wöchentlich zur Praxis parallellief, gehörte in den Kreis um den Komponisten Hans Otte, der damals die Neue Musik von Radio Bremen leitete; er, der Berufsschullehrer, war mit Wolf Vostell bekannt und mit Karlheinz Stockhausen. Und so nahm er mich mit.
Er war auch als Lehrer demokratisch, fragte also a l l e Schüler. Doch hatte niemand außer mir ein Interesse. Die andern wollten in die Disko, wie damals Clubs noch hießen, und Neue Musik fanden sie ohnedies verquält. Sofern sie wußten, was das war.
So sehe ich mich denn, 1975, Pro Musica Nova, am Tisch mit Otte und Vostell, der mich später in seinem Chevi herumfuhr, um mich zu trösten, und mit Karlheinz Stockhausen, der nicht saß, sondern, Gott, der er war, am Tisch residierte. Irgendwann sagte ich was, ich war noch schüchtern damals. Da sah er mich an, er konnte einen ungemein scharfen Blick bekommen, und scharf bemerkte er über den Tisch hinweg: „Ich muß dir wohl erst einmal erklären, was Kunst i s t.“ Er duzte mich meines Alters wegen, ich siezte ihn, selbstverständlich. Da nahm er mich beiseite. Und hinterher brauchte ich den Trost, den mir Vostell gab wie ein Vater.
Ich seh mich des weiteren für >>>> Charlotte Moorman, die da nackt auftrat, den Käse besorgen, den sie dann um den Hals trug. Dann spielte sie ihr Cello aus Eis, bis es ganz geschmolzen war. Ihre freien Brüste zum Spiel
Ich schrieb und schrieb. Ich las und las. Mahler hatte mein Ohr geöffnet, schon bevor ich hierherkam. Ich kam vorbereitet dahin. Mit Mahler hatte sich plötzlich Johann Sebastian Bach geöffnet, der mir vorher langweilig gewesen war, aber auch die Neue Musik, wirklich unmittelbar: noch 1971 war ich, in Braunschweig, aus Janáčeks Jenufa gerannt, weil ich das „Neutönen“ nicht aushielt; mir war wirklich körperlich schlecht geworden – und das bei einem Komponisten, der heute zu meinen Drogen gehört. Jedenfalls jetzt war wieder, selbstverständlich, Adorno im Spiel: Philosophie der Neuen Musik, Dissonanzen, Einleitung in die Musiksoziologie, das alles las ich nun. Seine Schriften zur Literatur kamen erst später, als ich mit der Lehre und dem Zivildienst fertig war und als Fahrer jobbte, 1976, der Lochstreifen in die damals opportunen Rechenzentren brachte, wo sie ausgewertet wurden. Das Unternehmen, für das ich vormittags tätig war – nachmittags schrieb ich, abends besuchte ich das Gymnasium -, ließ auf diese Weise die Buchhaltung für mittelständische Unternehmen der Gegend besorgen; die Ausdrucke wurden im Haus mit einem grünen Leim gebunden, in den nun auch die Noten (!) zur Literatur Adornos kamen; die Bindung oblag uns Jobbern. Ich hatte kein Geld, nach wie vor nicht, lieh mir die Bücher Adornos aus und fotokopierte sie im Betrieb. Dann band ich sie, wie ich die Buchhaltung band. Deswegen sehen meine Exemplare heute so aus:
Dazu vielleicht später noch.
Noch lese ich fast nur Adorno, wenn es um Theorie geht, also um Ästhetik. Erkenntnistheoretische Fragen haben mich erst an der Uni zu interessieren angefangen. Ich schlage die Ästhetische Theorie erstmal auf. Da bin ich zwanzig Jahre, einundzwanzig Jahre alt. Es sind mit die reichsten Jahre meines Lebens. Ich bin ein Trichter und lasse, was nur will, in mich rein, fülle mich an, werde prall. Schreibe in rasender Eile, gejagt geradezu, meinen für mich als Opus so akzeptierten ersten Roman: damals heißt er noch „Die Erschießung des Ministers“, ein Titel, den ich nie durchsetzen werde. Als >>>> „Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger“, was ein so echter neudeutscher Filmtitel ist, daß man ihn eine Parodie nennen könnte, kommt das Buch zehn Jahre später heraus und wird nochmal vierzehn Jahre später, nämlich zur Jahrtausendwende, >>>> als Ausgabe zweiter Hand erscheinen.
Noch ist, und wird es lange bleiben, Adorno, Adorno, Adorno – und zwar ganz unabhängig von dem, was ich mir parallel erarbeite und was ich parallel mag, etwa den ihm bis zur üblen Nachrede verhaßten Jazz. Prinzipielle Fragen der Kunst sind noch heute adornogeprägt, und zwar auch dort, wo ich mich unterdessen von ihm entfernt habe und sogar gegenteilige Positionen vertrete. Immer sind sie auf ihn bezogen und auf die Grundfrage, die er der Kunst politisch stellte: Wie komme ich der absoluten Verpflichtung nach – wie werde ich ihrer, der Kunst nämlich, würdig -, daß sich keines meiner Werke je in einer Weise mißbrauchen läßt, daß sie Mitschuld an einem nächsten Auschwitz tragen? Ja, ich halte das für eine absolute Verpflichtung. Daran hat sich nichts geändert. Durchaus aber an den Mitteln und Wegen, ihr sich zu unterstellen. Nämlich unrestriktive, ideogiefreie Kunst mit Ethik zu vereinen.
Adorno, Ästhetische Theorie, 198.