6 thoughts on “Achtzehn.

  1. Manfred Hausmann ODER Tragik und Glaube.

    Ihm Referenz zu erweisen, so viele Jahre später, ein ganzes Drittelleben später, ist mir ein Anliegen. Er war der erste Dichter meines Lebens, der nicht nur Buch blieb. Ich war sehr jung, neunzehn, glaube ich. Seit >>>> Sherlock Holmes bin ich von meiner Mutter weggeschickt und zu meinem Vater gegeben worden, den ich nicht kannte, aber für eine bessere Alternative als ein Erziehungsheim hielt; dennoch, es ging auch da nicht lange gut. Ich war vom Gymnasium geflogen, hatte dann meine Mittlere Reife gemacht – dank eines Direktors, der Pfarrer gewesen, Hermann Quast, schrieb ich zum ersten Mal gute Noten in Deutsch, und zwar schlichtweg, weil er mit meiner seit je unleserlichen Handschrift umzugehen wußte – wegen meiner Schriftstellerei war ich längst schneller an der Schreibmaschine als mit der Feder und schrieb so dann auch deutlich; also sperrte er mich für Klassenarbeiten mit einer Maschine in einen gesonderten Raum. Meine Zustimmung ging über Dankbarkeit weit hinaus, hatte etwas von Erlösung. – Ich hatte eine Lehre begonnen bei einem Rechtsanwalt, war in das Bremer Mietshaus gezogen, darin meine Großmutter wohnte, Faulenstraße 70, direkt über Leffers; es gab ein möbliertes Zimmer, gesondert im Treppenhaus, darin. Hier wird nun bald mein erster Beischlaf durcherzwungen. Und ich hatte weitergeschrieben; einiges ist zwischen 1972 und nunmehr, 1974, entstanden, das später auch veröffentlich wurde, allerdings in meistens revidierter Form.
    Noch in Braunschweig war mir im Antiquariat ein Buch in die Hände geraten, das „Salut gen Himmel“ hieß und mich aus ich weiß nicht mehr welchen Gründen ansprach. Die erste Erzählung war im Präsenz geschrieben, etwas, das mir, erinner ich mich, gänzlich neu war: daß sowas geht. Sie beginnt besinnlich, steigert sich, es wird eine Liebesgeschichte, zart wie zärtlich, so knüpft sich der Kontakt, und schließlich, nach siebzig/achtzig Seiten, auf denen geschildert wird, wie sie geht, die Verliebtheit, gehen im Sinne von kommen und erfassen, wird man richtig ausgelassen und besucht eine Kirmes. Und fährt da mit der Achterbahn -.
    So auch heißt die Geschichte. Die Achterbahn. Ihretwegen weine ich noch heute.
    Manfred Hausmann lehrte mich, was Tragik ist.
    Der zarte Text hat die Gewalt von Wolfgang Borcherts Xylophon der Knochen

    – ein ganz anderer Text war das, der mich nach den Symbolisten dann gleich nach Manfred Hausmann ergriff, so sehr, daß ich ihn auswendig vortragen konnte, jedenfalls zu großen Teilen, und das auch tat bei meinen ersten öffentlichen Auftritten, 1974, 1975, 1976. Er, nicht >>>> Kafka, hat die frühen Stilformen meiner Prosa bewirkt; sie kommen, kann ich sagen, von i h m, von Borchert, her und von Manfred Hausmann; nun war der Weg zu den Expressionisten, die heute noch auf meinem inneren Altar liegen, nicht mehr weit. So auch das Ende der Achterbahn – so das Geschick, diese Erzählung in aller Sanftheit eines modernen Taugenichts von Eichendorff beginnen zu lassen, um sie – ein innerlicher Turn of the Screw – bis zu dem furchtbaren Ende in uns Leser hineinzudrehen. Auf dieses hin las ich auch Hausmanns anderen Bücher, vor allem auch die Gedichte. Ein Stilexeget könnte nachweisen, woher manche Wendung, noch heute, in den meinen stammt, ich will das auch gar nicht verbergen:Wir lagen in eurem Garten
    hinter den Erbsen versteckt.
    Da haben wir das Geheimnis
    einander zitternd entdeckt.

    Du weintest in deine Hände
    vor Scham und Lust und Qual
    und stießest mich heftig von dir
    ein über das andere Mal.

    Dann zogst du mich plötzlich wieder
    an deinen weinenden Mund.
    Er war von Tränen so bitter,
    er war von Küssen so wund.

    Dein Haar fiel über uns beide.
    Wir hörten keine Uhr.
    Wir lagen hinter den Erbsen
    und schwiegen und zitterten nur.

    Manfred Hausmann, Jugend.

    Es sind nicht die Themen, was ich meine, sondern es ist der Umgang mit dem Reim, und zwar in seiner Schlichtheit.

    Da las ich, daß er immer noch lebt, und zwar ganz in der Nähe, direkt an der Unterweser. Ich schrieb ihm und schickte ihm ein Manuskript.
    Es war mein zweiter langer Text, nicht so monströs wie der erste Roman, und längst nicht mehr Genre, aber doch 250 hochsymbolistisch ambitionierte Buchseiten. Sie trugen unter dem Titel „Das Haus“ den Vermerk, daß die Erzählung musikalische Themen der zweiten Sinfonie, „Auferstehung“, Gustav Mahlers verarbeite . Ich schickte den Text auch noch an den seinerzeitigen GMD der Bremer Philharmonie, Hermann Michael – der erste Dirigent, unter dem ich Gustav Mahler im Konzertsaal zu hören bekam und, auf Einladung eines meiner Lehrherrn, des Rechtsanwaltes Egon Robert, Sozius von Kulenkampff, den ersten Tristan meines Lebens; Bühnenbild von Minks und die Regie von – verdammt, jetzt fällt mir der Name nicht ein. Ich reiche ihn Ihnen später nach… aber soeben, ich suchte nach ihm, erzählt mir Google, er sei gestorben, Hermann Michael, 2005, geboren ist er 1937, er schrieb mir damals, wir trafen uns –

    Oh. Ich seh ihn noch aus dem Kino kommen. Kein großer Mann. Schmal, etwas blaß. Den Mantelkragen hochgeschlagen. Betrat er das Podium, blitzten er und der Ring an seinem rechten kleinen Finger.

    Peter Brenner. So hieß der Regisseur. In meiner Frankfurtmainer Zeit war er Intendant in Darmstadt. Auf Vermittlung meines späteren väterlichen Freundes D.B. schlug ich ihm ein Programmkonzept vor. Er lehnte ab. Manchmal begegne ich ihm bei dem Freund noch; zu sagen haben wir uns nichts. Sein Tristan indessen war vortrefflich. Es mag aber sein, daß Michael und Minks das bewirkten.

    Wir schreiben das Jahr 1974, erinnern Sie sich, vielleicht auch schon 1975. Ich bin neunzehn oder zwanzig Jahre alt und habe noch immer mit keiner Frau geschlafen, auch nicht mit einer, die ich heute Mädchen nennen würde. Ein bißchen Petting aber war.

    Manfred Hausmann schrieb mir zurück. Er habe mein Buch sehr gerne gelesen und finde auch einiges Talent darin. Aber das Geheimnis, schrieb er, sei nicht, wenn man‘s hineinkonstruiert. Sondern ein wirkliches Geheimnis g e b e sich einem, man habe darauf keinen Einfluß. Es sei nicht gewollt noch angestrebt, sondern erstehe, wo keiner es erwarte. Ob ich ihn besuchen möge.
    Er war ein sehr hochgewachsener, schlanker und unbeschreiblich schöner alter, ganz aufrecht gehender Mann mit weißem Haar in einem Haus, dessen gesamte Ausstattung ich ebenfalls weiß nennen muß; weiß über zwei oder drei Etagen mit einer weißen Terrasse hinter den hohen weiten Fenstern. Es hing voller Paula Modersohn-Beckers, mit der er eng befreundet war; er hatte in den Worpsweder Kreis gehört, hatte Worpswede verlassen, als die Touristen begannen, dort über Gartenzäune zu klettern, um in die Schlafzimmer zu schaun. In der Gegenwartsliteratur spielte er keine Rolle mehr, was auch politische Gründe hatte: zur Hitlerzeit gehörte er zu den Autoren der sogenannten Inneren Emigration. Er hatte eine bittere Auseinandersetzung mit Thomas Mann geführt. Zudem war er sehr gläubig, schon seit sehr langem, aber auf eine andere Art als die pantheistische seiner jungen Jahre. Er war jetzt Ältestenprediger.
    Davon trug er mir gar nichts an. Er wollte mich nur sehen und vielleicht ein bißchen wieder Mentor sein. Dabei hat er mich, glaube ich heute, weit mehr geprägt, als er ahnen konnte, geschweige denn beabsichtigt hat. Seine Gegenwart kam mir so sehr entgegen, weil er so sehr außer der Zeit war, aus einer jeden Zeit gefallen. Es war etwas Heiliges an ihm, etwas von einem milden, weil über die Jahrtausende aller Schrecklichkeit müde gewordenen, doch unnahbaren Engel. Ich scheute, erinnere ich mich, ihm die Hand zu geben, weil ich ihn nicht berühren wollte. Das hätte ich als blasphemisch empfunden. Er war sehr freundlich, nicht väterlich. Und er war kühl. Wir sahen auf die dort bereits breite Weser hinaus. Sein Gedicht „Gebet um Barmherzigkeit“ habe ich schon mehrfach zitiert. Ich möchte es hier in Gänze wiederholen. Und dann schweigen.

    Wenn wir uns nicht mehr haben und uns sehnen,
    dann ist’s, als hätten wir uns unendlich ganz.
    Doch wenn wir nahe sind und uns geborgen wähnen,
    verdunkelt sich die Lust, verblasst der Glanz.
     
    Die Ferne ist es nicht und nicht die Nähe.
    Ach, immer lebt das Innigste allein.
    Lass uns, wie gut es auch, wie schlimm es um uns stehe,
    lass uns barmherzig zueinander sein!

    Manfred Hausmann, Liebe (1938).

    1. Die Achterbahn Und danke auch dafür, daß ich hier so vieles neu entdecke, das mir in all den Jahren nicht begegnete, wie zum Beispiel diese Erzählung von Hausmann. Sie beeindruckte mich besonders, da ich selbst in den 60-ern in Heidelberg Achterbahn fuhr und mich erinnere, rasende Angst gehabt zu haben. Hausmanns Erzähung kannte ich damals nicht, habe sie erst heute in einem Rutsch ausgelesen, nachdem ich sie mir antiquarisch bestellt hatte. Ein unglaublicher Lesegenuß. Besaß bisher nur das sehr liebevoll geschriebene Büchlein “Martin” über Hausmanns kleinen Sohn.

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