Journale zwischen den Jahren. Davon das erste am Dienstag, dem 27. Dezember 2011: Regressionen.

9.52 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Bis halb zehn geschlafen, Sie werden‘s nicht glauben. Beim Aufwachen regte sich der Körper sogar – mit einer für mich höchst ungewöhnlichen Imagination. Möglicherweise will mein Unbewußtes die Überwindung der sinnlichen Neutralität mit einer erotischen Projektion erzwingen. Ich erkläre das hier nicht näher, aus persönlichen Gründen, die nicht nur persönlichkeitsrechtlich sind; hier lägen offenbar, schrieb ich soeben der Löwin, selbst für mich die Grenzen des Literarischen Weblogs, wiewohl der psychische Vorgang und seine unbewußte Bearbeitung genau da hineingehörten. Die ich mir soeben bewußt mache und als Prozeß allgemein bewußtmachen müßte, aber eben, spüre ich, nicht darf. Doch zum allerersten Mal in meinem Leben habe ich Nabokovs Lolita verstanden: ‚verstanden‘ bedeutet ‚mitgefühlt‘. Es war aber nicht eine Lolita nur, sondern waren fünf oder sechs: Spaltungsprojektionen möglicherweise, die eine allzu bestimmbare Identität maskieren.

Noch davor scheint die Pavoni defekt zu sein: wird zwar heiß, nicht aber genug, um zischen zu können. Nach bald acht Jahren unausgesetzten täglichen Einsatzes darf man wahrscheinlich nicht meckern. Ich koch mir jetzt den Kaffee arabisch, die Milch schäum ich im Topf auf –

So. Schmeckt anders, aber ebenfalls gut. Zeremonienunterbrechung, wie überhaupt alles unterbrochen zu sein scheint dieser Tage: die ganze Disziplin ist a. A…. Auch aus den Gedichten wird nix. Nachts häng ich regrediert vor der Glotze, zu der mir dann immer mein Laptop wird, bis zwei, halb drei Uhr nachts. So k a n n das mit Disziplin gar nichts werden. Muß und will meinem Jungen nachher seinen neuen Laptop aufbauen, dann werd ich auf die Zwillingskindlein aufpassen, damit ihre Mama die Besorgungen für ihrer beider morgiges Geburtstagsfest tätigen kann. Auf jeden Fall muß ich heute die Kritik für die FAZ schreiben, damit ich wenigstens das erledigt habe. Es türmt sich so viel.

Bringe die Maschine nachher weg. Sie braucht ohnedies dringend neue Dichtungen.

Andererseits denk ich mir – oder schürz es mir vor, daß ich das denke – : auch mal ganz gut, nur so in die Tage hineinzuleben. Wobei das gar nicht stimmt, daß ich das täte. Sondern ich halte ja permanent an mich, bin in einem unentwegten Modus väterlich-freundlicher, dauernd auf Ausgleich bedachter Besonnenheit. Das wird anstrengend sein, auch wenn ich‘s nicht gleich merke.

Wo erwachsen nicht reagiert werden kann, regredieren wir. Ein kaum erstaunlicher Vorgang.

: 10.37 Uhr:
11.10 Uhr:
Ich muß den Satz detaillieren, denn die Frage ist, was unter erwachsen zu verstehen sei. Es ist ja auch denkbar, daß man erkühlt, sich erkühlt – sei es pragmatisch willentlich, sei es als unbewußter Vorgang. Letztres ist sicher nicht erwachsen, der Pragmatismus aber, als tatsächlich oder scheinbar erwachsene Umgangsform, ist zumindest strittig. Also moderiere ich:

Wo erwachsen nicht reagiert werden kann, ohne daß wir auskühlen, regredieren wir.

Auskühlung kann auch sein: Erfüllung ins Imaginäre zu verschieben. Ein Eskapismus, der „dem Leben“ ganz direkt ins Gesicht zu schauen vorgibt und scheint. Schließlich kühlt sich auch das Imaginäre dran aus: das ist dann Resignation. Die Menschen werden schmal. Oder man trennt, hält die Lebenssphären strikt voneinander. Was unorganisch ist und notwendigerweise anderwärts zu Ausfällen führt: Wi(!)derkehr des Verdrängten.

Wobei die Sehnsüchte, die zumindest ich habe, miteinander gar nicht deckungsgleich sind. Etwa bin ich, körperlich, durchaus kein treuer Mann, bin‘s nie gewesen oder nur zeitlang. Es wäre Augenwischerei, das zu bestreiten oder gar anzunehmen, es habe sich dieses geändert. Erwachsen zu sein, bedeutet insofern, solche Treue auch von den Geliebten nicht zu erwarten – und zwar nicht pur-rational, aus Einsicht, nicht, sondern gefühlt-selbstverständlich. Ob man dieses erreicht hat, ist leicht daran zu merken, ob man sich von den Lieben erzählen kann, und von den Akten, ohne sofort wieder von Verlustängsten geplagt zu sein.
Interessant an diesem Komplex ist, wie offenbar das monogame Konzept auf ganzer Linie versagt hat – als Liebeskonzept, hingegen es als Versorgungskonzept ganz leidlich weiterfunktioniert. Es gibt dagegen – jenseits internalisierter Eigentumsvorstellungen, die immer Warencharacter haben – überhaupt kein Indiz dafür, daß polygame Konzepte ebenso versagen müssen. Allerdings hat das monogame Konzept einen Mythos für sich, wobei konzediert werden muß, daß von ihm fast nur Männer profitierten. Ausnahme ist Aphrodite: „Die Venus ist eine glischige Göttin“, sagte Dieter Betz, „und kennt keine Regeln.“

16.54 Uhr:
[Wieder Arbeitswohnung, und noch.]
Nun habe ich wieder (m)eine Perle am Revers; die letzte ging >>>> in Paderborn verloren: – es hat auch deutlich Nachteile, stets mit einem Rucksack zu reisen. „Ich setze eine Tradition fort“, sagte die Löwin. „Es sind geliebte Frauen, die sie dir schenken.“ Oft werde ich gefragt: „Weshalb tragen Sie die,“ (die Perle, nicht die Löwin) „gibt‘s da nicht eine Vereinigung?“ „Gibt es. Die >>>> Schlaraffen“, antworte ich meist, „doch diese tragen ihre Perle links.“ Ich trage sie rechts. „Aber weshalb?“ „Es ist meine Träne“, antworte ich. Nein, es ist kein Abzeichen, schon gar keines einer gegruppten Zugehörigkeit.
Sie hat einen leicht rosafarbenen Überglanz, und man kann sich in ihr spiegeln.
Dafür ist meine Pavoni völlig hinüber: der Unterboden bis auf die Heizspulen durchgerostet. „Das ist gefährlich“, sagt im Maschinenladen der Verkäufer, den ich aufgesucht habe, „da muß eine völlig neue Platte hinein. Und es ist nicht heraus, ob nicht die Spulen schon durchgebrannt sind oder überhaupt defekt.“ Also ziehe ich wieder ab. Es wird weniger teuer, mir über Ebay eine andere Maschine zu schießen. Bis dahin wird mit einem Espressokocher Espresso gedampft.
War nur kurz hier. Hierunter >>>> wird diskutiert. Dazu will ich mich noch äußern. Das Thema ist eben n i c h t privat.

13 thoughts on “Journale zwischen den Jahren. Davon das erste am Dienstag, dem 27. Dezember 2011: Regressionen.

  1. Meine bescheidene Meinung dazu, man darf nicht auf den falschen Konsens Effekt hereinfallen, was da wo auf ganzer Linie versagt hat und was nicht, das muss man sich im Einzelfall schon genauer ansehen, warum immer alles für alle anderen mitentscheiden? Man ist nun mal nicht allein auf der Welt und hat nicht allein alle Weisheit für sich gepachtet, ich habe längst aufgehört anzunehmen, andere hätten meine Perspektive, es ist beglückend, wen zu treffen, von dem man annimmt, er oder sie schaut ähnlich auf die Dinge, aber meine Erfahrung sagt mir, kommt sehr selten vor. Ich käme einfach nicht so leicht auf die Idee zu behaupten, dass irgendwas in toto versagt habe und irgendwas anderes in toto den Siegeszug davongetragen.Wichtig ist doch nur, es finden sich zwei, die sich glücklich zu machen verstehen, mit welchen Mitteln auch immer, und nicht zwei, die sich unglücklich machen, alles andere ist mir eigentlich weitgehend schnuppe.

    1. Sicher Widerspruch an anderer Stelle herausfordernd muß ich Ihnen, diadorim, einfach recht geben. Zwei für sich machen ihr Leben unter sich aus, naturgemäß im Kontext des Gegebenen und des Sich-Verändernden “Großen und Ganzen”, doch im Leben zu zweit geht es nicht um Gesellschaftsentwürfe oder Lebensformen als solche, denn sonst wäre das Private und Intime ja grundsätzlich politisch, was es aber im Einzelnen, Nichtöffentlichen nie war und hoffentlich nie sein wird. Medial vermittelte Beziehungen, etwa die von Sartre und de Beauvoir, aber auch die von anderen “Herrscherpaaren” sind gewollt politisch, dem liegen propagandistische Absichten zugrunde und die spezielle Absicht, richtiges Leben als unmittelbar zu erreichendes “Glück” darzustellen, es als letztlich kitschige Ware verwertbar zu machen. Aber was rege ich mich auf, soll doch jeder machen, was er will!

    2. @Diadorim und Schlinkert. Ich bin davon überzeugt, daß Sie sich beide irren – so sehr privat Ihrer beider Haltungen auch nachvollziehbar und für sich selbstverständlich gerechtfertigt sind.
      Nur: Wie wir uns verhalten, wie wir fühlen, wo wir leiden, was wir nicht ertragen können, ist vor allem ein Ergebnis von Prägungen. Diese sind über kulturelle, also moralische Codierungen bestimmt, ja geradezu programmiert. Die Codierungen differieren quer durch die Kulturen, namentlich zwischen patriarchal und libertär, bzw. kollektiv geprägten. Die Prägung erfolgt sehr früh, bereits in noch unsprachlichen Entwicklungsstadien, weshalb sie sprachlicher Bearbeitung sehr wenig zugänglich sind oder nur unter ausgesprochenen Mühen. Was wir unser Privates nennen, ist oft geradezu das Öffentlichste überhaupt – nicht in unserem Erleben – eben! -, sondern ontologisch. Genau deshalb wurde gesagt: das Private sei das Politische. Dieser Satz stimmt.
      Wenn Schlinkert schreibt, das Private und Intime sei im Einzelnen nie politisch, so stimmt das lediglich in Bezug auf die individuelle Wahrnehmung des individuellen Privaten, nicht aber in seinem objektiven Sein. Weshalb Veränderungen der moralischen Bewertung etwa der Charactere von Paarbeziehungen nie vonstatten gehen können, wenn man das Private intim hält, sondern eben nur über Öffentlichkeit und – ja: Lehre durch Beispiel.
      Wir geraten in emotionale Konflikte außerdem und besonders, wenn unsere kulturelle Codierung gegen unsere genetische geht; das Ergebnis sind nahezu immer Verdrängungsprozesse, die das Leid nach innen nehmen, anstelle es da zu sehen, von wo es herkommt, wo es entsprang: außen. Internalisierte Konflikte machen krank, z.B. depressiv. Es ist deshalb von entscheidender Bedeutung, sie zu entäußern. Was wiederum bedeutet: sich öffentlich zu ihnen zu stellen, zu sagen: Das bin ich.

    3. Die Behauptung des Privaten als eines unpolitischen Raums, wo “Freiheit” herrscht, ist Teil einer Ideologie, die Freiheit geradezu verhindert. Vor allem Frauen, meine ich, müssten das wissen, da sie symbolisch diesen Raum zu schaffen und vorzustellen hatten, statt in ihm (scheinhaft) zu sein. Die Trennung von Privatem und Öffentlichem ist selbst eine Verdrängung im Dienste ganz bestimmter Mächte. (Es ist kein Zufall, dass der geschützteste Bereich des Privaten das Eigentum ist, zu dem bis vor gar nicht allzu langer Zeit selbstverständlich Frau und Kind gehörten.) Das “Anything goes” im Privaten ist eine (verführerische) Illusion, die notwendig scheitert, weil sie zuviel verdrängen muss.

      Nicht einverstanden bin ich, lieber ANH, mit Ihrer Idee von “genetischen Codierungen”, die ich, wo immer Sie sie konkret erläutern, meine als kulturelle enttarnen zu können (womit ich nicht bestreiten will, dass es Differenz gibt, die n i c h t Kultur ist).

      By the way: Ich bilde mir ein zu verstehen, dass das, was Sie über die Weihnachtstage hin geschrieben haben, den Kern dessen berührt, was Sie jetzt sind und schreiben können. Dem wohnt Tragik inne (wie jeder wahren Liebe, nicht wahr?) . Und manche würde wohl sagen, dass Sie sich das selbst zuzuschreiben haben, richtig ist aber, dass Sie e s s i c h zugeschrieben haben. Aber was weiß ich schon…, vielleicht nur d a s… Sie schrieben: “Nie entsagen…” Ja! (und Nein! – denn a n d e r s muss man´s, weil man weiterlebt).

      (Die e i n e Liebe ist übrigens nicht nur ein Mythos, sondern eine – im besten, d.h. im wahren Sinne – romantische Aufgabe. Schauen Sie einmal hier bei Benjamin Stein: http://turmsegler.net/20111225/bis-morgen/#more-4844. )

    4. @ANH Daß jeder Einzelne geprägt ist durch Geschlechterrollen, Riten, Mythen, Umwelteinflüsse, Sprache und so weiter ist natürlich unbestreitbar, dennoch ist das subjektive Sein nicht unmittelbar daraus abzuleiten, sondern nur mittelbar qua wissenschaftlicher Analyse und auch eigener Erkenntnisse. Die Soziologie galt einmal als führende Wissenschaft, eben weil sie gesellschaftliche Tendenzen aus dem Unbenannten heraussezierte als abstrakte, zu verallgemeinernde, gleichsam entpersonalisierte Erkenntnisse. Das ist im besten Sinne öffentlich, da es dem Einzelnen dann wieder Fragen sein eigenes Sein betreffend zumutet, was wieder zu gesellschaftlichen Veränderungen führen kann.

      So ist also meiner Ansicht nach etwa jede Beziehung zweier Menschen (Brecht spricht ja meines Wissens nach von der kleinsten gesellschaftlichen Einheit und hat mal wieder Unrecht) potentiell öffentlich, wenn denn ein öffentliches Interesse besteht, aber nicht alle, nicht jede einzelne. Der Einzelne oder auch das einzelne Paar oder eine einzelne Gruppe kann somit nicht von sich aus sagen, mein oder unser (“normales”, “besonderes” oder “abweichendes”) Tun ist öffentlich oder gar politisch, sondern dies entscheidet immer die “Außenwelt”, die Wissenschaft oder die Medien, die mit diesem Beispiel zwecks Darstellung von Problemen oder Tendenzen oder künstlerischer Besonderheiten arbeiten müssen, weil sonst keine erkennbare Wirkung auf das Gemeinwesen erfolgen kann.

      Die (aufgrund von den öffentlich erkannten und behandelbar gemachten Konflikten) dann individuell notwendige Entäußerung des Einzelnen, Folge der Prägungen und Erlebnisse eines Menschen, findet ihren Ort dann ja gemeinhin wieder im intimen Rahmen, etwa in der Psychoanalyse, in der das objektivierte Wissen um all die Prägungen eine wichtige Rolle spielt. Die krampflösende Erkenntnis des Einzelnen wird jedenfalls im Kleinen, im Intimen geschehen und womöglich, wenn dies in dieser Weise öfter geschieht oder vom Einzelnen selbst in die Welt getragen wird, öffentliches Interesse hervorrufen. Einen Zwang, öffentlich zu bekunden, wer man ist, kann man daraus aber nicht ableiten, denn das Recht auf Intimität kennt nur wenige Einschränkungen, die sich im wesentlichen im Strafgesetzbuch finden.

    5. Ich hab gar nix von privat und öffentlich geschrieben, nur, dass man, aufgrund welcher Prägungen auch immer, leicht davon ausgeht, dass, was einen da geprägt habe, gelte nun mal für alle, tut es nicht, wissen wir eigentlich auch alle, denn verschiedene Kulturkreise prägen unterschiedlich, mit genetischer Codierung kann ich nichts anfangen, wenn damit gemeint sei, dass Menschen eine Libido haben, nun denn, ja, damit ist nur wenig mehr gesagt als eben dieses, wie sie die wo bei wem unter Dach und Fach bringen, oder ob sie mit ihr nomadisieren, das ist für mich persönlich eigentlich nicht so wichtig, so lange sich welche finden, die recht ähnlich denken, wirds schon eine Lösung geben, offenbar ist aber auch oft dort von Interesse, was man selbst gerade ablehnt und ein missionarischer Eifer versucht dann eben sich wechselseitig zu bekehren, in Revolutionary Road heißt es mal am Ende einer zerrütteten Ehe, die eben das Produkt ihrer Zeit war: Fuck who you like, dem wohnt halt auch eine Gleichgültigkeit inne, die auch ziemlich depressiv machen kann, wenns denn just egal ist, das kränkt den Narziss doch unter Umständen viel mehr als etwas Eifersucht, das alles ist nicht einfach und ein stetiges Austarieren in unwegsamen Geländen, ich finde, dafür gibt es keine einfachen Lösungen, sorry. Außerdem ist die ganze Sache mit der Prägung auch noch einmal eine Sache für sich, setzt man unterschiedliche Menschen den selben Bedingungen aus, reagieren sie darum noch längst nicht alle gleich.

    6. “Einen Zwang, öffentlich zu bekunden”. Dies gerade, Schlinkert, meine ich nicht, sondern die Freiheit, öffentlich zu bekunden – diese sich zu nehmen und einzufordern und sie den Sanktionen abzutrotzen oder auch abzukämpfen, die eine und einen nahezu immer erwartet, wenn die Bekundung nicht der kulturellen Codierung entspricht, zu der selbstverständlich ganz ebenso das Strafgesetzbuch gehört. Noch vor wenigen Jahrzehnten war etwa auch Homosexualität, namentlich männliche, strafbar und allemal ein Grund für Berufsverbote. Wir sollten das so wenig vergessen wie, daß notwendigerweise die Gesetze immer – und oft weit – hinter der Wirklichkeit herlaufen – was allein schon mit dem langen paralamentarischen Zeitweg ihrer Gebung tu tun hat. Und selbst dann, wenn ein Gesetzentwurf dann endlich Gesetz geworden ist, dauern die moralischen Sanktionen meist noch jahrzehntelang an.
      Problematischer finde ich noch, was Melusine hierüber schreibt, nämlich Benjamin Steins romantischen Auftrag. Eben: romantisch. Er ist sowohl ein kultureller Auftrag wie, als solcher romantischer, monotheistisch gebunden, also immer an die Vorstellung eines Einen; sie ist, bei JHWE wie in der Politik, letzten Endes diktatorisch; die Auflösung ins Paar, also die unbedingte Zweiheit, ist eine scheinbare: sie gründet nämlich auf der Vorstellung von Hälften, nicht etwa auf autonomen Ganzheiten; tatsächlich sind wir aber Vielheiten und nicht Hälften. Jeder von uns.

    7. @Melusine. “Er hat es sich selbst eingebrockt”. Können wir uns darauf einigen, statt von “genetischen” Codierungen von “hormonellen” zu sprechen? Dann fällt der ideologische Hintergrund weg, den mein “genetisch” unwillentlich mitschleift. Die Macht hormoneller Codierungen schwankt im übrigen von Mensch zu Mensch, fast so, wie sie auch von Lebensalter zu Lebensalter verschieden stark wirken, aber auch das wieder individuell verschieden. Die wenigsten zeugen, und wollen das gar, in hohem Alter, wie Picasso, noch ein Kind. Dazu kommen unbezweifelbar tatsächliche genetische Codierungen, etwa das Klimakterium der Frau und ihre, im Vergleich zum Mann, frühere Pubertät. Beides läßt sich allerdings bedingt, es kulturell codierend, verschieben.
      Zur romantischen Aufgabe habe ich eben schon bei Schlinkert geantwortet.

      Was es aber anbelangt, man habe sich selbst etwas eingebrockt, so steht hinter einer solchen – normativen, gesetzten – Aussage eine Überzeugung von Freiheit, die ich nicht teile. Wir können Freiheit zwar denken, das heißt aber eben nicht, daß sie ist. Ich würde sie am ehesten so fassen, wie Kant es – für eine allgemeingültigige Moral, um die es ihm ging, notwendigerweise – tat: als ein regulatives Prinzip. Nicht aber als etwas, das es tätsächlich gäbe. Wir brauchen freilich, als Gesellschaftswesen, ihre Vorstellung. (Nur sie übrigens, diese Vorstellung, erlaubt uns eine andere, die Sie auch erwähnen, und erlaubt uns, aus ihr wiederum ästhetische Lust zu ziehen: Tragik.)

    8. Einverstanden! (Nur: Geschrieben habe ich nicht: Er hat es sich eingebrockt!, sondern, dass eine das behaupten könnte, in Wahrheit aber habe er es sich erschrieben.)
      Und ganz so wie mit der Tragik ist es doch auch mit der romantischen Liebe. Ein Widerspruch in sich: eine Aufgabe, die einen wählt. Denn das sagt Kant (in anderem Zusammenhang natürlich, mit der Liebe hatte er es ja nicht so) auch: dass es die Freiheit ist, das zu wollen, was man wollen muss.

      Zur “unbedingten Zweiheit”: Es könnte auch eine Entscheidung sein, die im Wissen darum getroffen wird, dass es keine andere Hälfte gibt; im Wissen um die Kontingenz also, und dennoch festhält – wie die Entscheidung zum Vatersein, etwa.

      Ich denke da wie diadorim: Es geht nicht darum, eine Lebensform gegen die andere zu behaupten. Es gibt auch lebenslange Bindungen, die nicht versagen (es ist möglicherweise Ihre Kindheitserfahrung, die Sie hier so hoffnungslos macht, eine sehr persönliche “Codierung”, der beispielsweise in meinem Fall eine andere entgegensteht, die mich gerade hier mit viel Hoffnung ausstattet, mit soviel sogar , dass es für zwei reicht :). Und Sie erinnern sich daran, vielleicht, dass Sie einmal die Sehnsucht hatten auch Ihrem Sohn dieses Vertrauen mitzugeben. Sie geben ihm nun ein anderes: dass ein Vater bleibt. Das ist auch viel und mehr als viele haben.

    9. Friedrichshof, die Diktatur der Auflösung von Mutter Kind Bindung bei Otto Mühl, die Patriarchenkinder wissen davon auch nicht viel Gutes zu berichten, vielleicht muss man einfach mal akzeptieren, dass Menschen immer noch auf der Suche sind, wies gehen könnte, das zusammen Leben, so, dass es möglichst wenig Schaden anrichtet und viel Freude spendet, das ist eben auch alles noch nicht entschieden. Ich hab schon glühende Antifamilienredner erlebt, sehr überzeugende Symbiosen machen krank Prediger, nur, wenn ich mir sie dann anschaue, denke ich, ist dies ein glücklicher Mensch, hat ihn seine Erkenntnis und das Ausrichten seines Lebens danach glücklich gemacht? Ich weiß natürlich nicht, wie es sich für diese Person anfühlt, aber für mich fühlte es sich so an, als stimme da etwas nicht, als sei das Heil, was mir da versprochen würde, wenn ich so und so lebe, letztlich keins, sondern auch nur ein weiterer und völlig legitimer Versuch sein Glück zu finden mit ungewissem Erfolg. Ich frag mich nur, wenn die Menschen alle so wider ihre Bedürfnisse leben, warum tun sie das, irgendein Trieb ist offensichtlich da noch stärker, als die Libido, denn es gibt keine Gesellschaftsform, die sich nicht kulturell definiert auf dieser Welt, ist doch auch etwas komisch, warum hat der Mensch damit angefangen, seine natürlichen Bedürfnisse zu überformen, Messer und Gabel zu erfinden, vielleicht ist der Möglichkeitssinn nicht weniger stark als der Wirklichkeitssinn.

    10. Sich die Freiheit zu nehmen, öffentlich sein Leben zu leben und dies auch zu bekunden, lieber ANH, ist elementar, da sind wir einer Meinung. Man kann sich Freiheit nicht gewähren oder schenken lassen, ebenso wenig wie man auf Gesetze warten sollte, die tatsächlich eine Entwicklung immer erst nachträglich regeln und legitimieren.

      Freiheit kann jedoch auch zweischneidig sein, hat es doch Fälle des Zwangsoutings gegeben, als Schwule anderer Schwuler Schwulsein öffentlich gemacht haben, weil diese als Prominente eine gleichsam öffentliche Verantwortung hätten, so jedenfalls die Argumentation (wenn ich mich recht erinnere). Für eine gute Sache, die Akzeptanz der unterschiedlichsten Lebensentwürfe, öffentlich quasi in Haft genommen zu werden, ist allerdings problematisch, wenn der Betroffene dies schlicht nicht will. Wenn er es denn will, muß er es selber tun und darf nicht von Mitstreitern gezwungen werden, jedenfalls sehe ich das so. Es mag aber Ausnahmen geben, das hängt sicher auch von der jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Lage ab.

      Eine unbedingte Zweiheit, also generelle Paarbildung aus kulturellem Zwang, sehe ich übrigens nicht, manche leben ihr Liebesleben eben nacheinander mit unterschiedlichen Partnern, manche parallel, wobei viele Menschen die “Vernunftehe” offensichtlich als normal ansehen, Zusammensein wegen Kindern, Steuern, Einsamkeitsvermeidung, Rente, Erbschaft und was weiß ich. Andere Lebensformen sind aber in unserer Gesellschaft doch seit langem unter Berücksichtigung bestimmter Umstände möglich, wenn sich Menschen, auch mehr als zwei, die sich gefunden haben, einig sind. Das größte Problem für die meisten Menschen ist wahrscheinlich die Eifersucht, die ich für eine der schlimmen psychischen Krankheiten halte.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .