InniTalien (1). Das Reise- (und Arbeits?)journal des Sonnabends, dem 16. Juli 2011. Solfatara Napoli.

Von Berlin nach Neapel <<<<

7.41 Uhr:
[Bar Solfatara, >>>> Solfatara.]
Na, das hat mein/unser Tagessalär von 95,26 deutlich überschritten, daß ich gestern abend unbedingt Fisch essen wollte, und mein Junge wollte unbedingt eine Pizza essen, was indes nun nicht das Problem war, sondern eben ich war’s, alleine ich. Siebzig Euro legte ich hin, als schließlich die Rechnung kam.
Kein Grund zur Beschwerde, an sich, nur wenn man reist wie wir und ja keine Card hat, mit der man den Fehlbetrag schnell einmal ausgleichen könnte. Heute ist also zu sparen angesagt. Was kein Problem ist, weil ich zu dem Essengehen gestern abend tagsüber noch Lebensmittel eingekauft habe, die für drei Tage reichen dürften. So werd ich’s wieder reinholen, obwohl wir heute vormittag nach Neapel hinunterwollen, um zu flanieren und etwas einzukaufen, auch für die Zwillingskindlein. Kinderkleidung ist ausgesprochen preiswert hier.
Gut, aber das „wird erst heute”. Werden, Sie haben, Leser, recht: man soll auf die Grammatik achten.
Latte macchiato. Ich hab den Eindruck, die Milch war schon gekippt. Doch man läßt mich hier am Terrassentisch sitzen und schreiben und gibt mir von drinnen den Strom. So sag ich nichts, sondern trink ihn und lade zugleich unsere beiden Mobilchen auf, von denen ich die Bilder herüberkopiert hab, die wir gestern aufgenommen haben. Zum Beispiel von meinem, ja, muß man sagen, Mahl.Aber schauen Sie sich einmal d a s an: Il ragazzo e la pannacotta.
Aber es war auch ein harter Tag für ihn. Nicht, weil wir hätten früh aufstehen müssen, um unseren Flug zu erreichen, auch nicht mit dem Umstand verrechnet, daß wir vortags erst gegen Mitternacht, Harry Potters halber, ins Bett gekommen waren. Sondern die Fast-Katastrophe erwischte uns auf Capodichio, also dem Flughafen Neapels. Ich hatte noch gewarnt: „Sei vorsichtig mit dem Laufband. Das ist gefährlich.” Da war es schon geschehen. Im Nu war der linke Daumen drin und wurde mit den Gepäckstücken weitergezogen. Der Junge reagierte, aufbrüllend, schnell, aber halb die Fingerkuppe schnitt es auf. Der Junge schreit und kippt zur Seite. „Sofort Wasser drauf!” rief ein Italospanier, der mit seiner Familie mit uns gereist war. Er sei Arzt. Da hatten wir Glück. Aber er hatte keine Medikamente dabei. „Sapone!”, „Seife!”, mein Junge, weinend: „Nein, nein!” Aber es mußte sein. Das schreiende Kind, mehr Panik, als daß wirklich was passiert war, wie ich aber jetzt erst weiß, also seit gestern abend. Die Füße hochlegen, er war aschfahl. Während immer noch das Gepäck auf dem Band kreiste.
Andere Leute kamen herbei, streichelten den Jungen, gaben ihm Süßigkeiten. Ich wartete ab. Jetzt zum Arzt zu gehen, am Flughafen, hätte möglicherweise ein Hospital bedeutet. Die Erfahrungen von Milazzo sind mir noch unmittelbar gegenwärtig, als wir da, ein aber wirklich verwundeter Junge und ich, der nicht von einer Seite wich, drei Tage in der Notaufnahme steckten.
So schlimm war es jetzt nicht, wußte ich, aber es hätte schlimm sein können. Der Daumen hätte wegreißen können, völlig. Letztlich haben wir ein ungeheures Glück gehabt.
Nach einer halben Stunde kam der Bub denn auch zu sich, wurde ruhiger, bekam wieder Farbe.
„Meinst du, daß es geht?”
Er nahm seinen (leichten) Rucksack. „Ich probier es, Papa.”
Ich bin nicht sentimental bei Wunden, nicht bei eigenen, nicht bei denen anderer, werde unmittelbar nüchtern, extrem nüchtern in solchen Situationen, habe den kalten Pragmatismus meiner Mutter geerbt, der immer in Fällen von Not greift: unmittelbar, das ist wie ein Guß kalten Wassers, jedes Mal. Erst einmal nach Solfatara kommen, dachte ich, unsere Sachen dort unterbringen, und dann weitersehen: wie, dann, sieht der Finger aus? und von dort, gegebenenfalls, zum Arzt.
Im Bus wurde der Junge noch langgelegt, der Fahrer schuf hinten Platz für ihn. Über die rumpelnde Fahrt kam weitere Farbe in meinen Sohn. Ich beobachtete sehr genau. Dann, auf der Piazza Garibaldi, die – etwas, ich weiß, zynisch in diesem Zusammenhang: – Nagelprobe:
„Was hälst du von einer ersten Granita?”
Da lachte er.
„Ja, Papa, gerne, sehr gerne!”
Also unser ganzes Zeug den Platz entlanggeschleppt, bis wir eine Bar fanden, wo man draußensitzen kann. Und mit Vergnügen löffelte mein Bub. Über den verwundeten Daumen hatte der italospanische Arzt eine Binde getan.
„Gut”, sagte mein Sohn, „daß ich die Wunde nicht sehe.”
Und dann, schon wieder auf dem Weg, zum zur Metro 2, die nach Pozzuoli fährt und einen Kilometer unterhalb Solfataras eine Station hat, kam einer dieser erstaunlichen Sätze, für die ich auf diesen Elfjährigen wahnsinnig stolz bin:
„Weißt du, Papa, e i n Gutes hat das aber auch…”
„Bitte? Ein Gutes?”
„Ja. Wenn man sowas durchmacht, weiß man wieder, daß man lebt.”
Ich blieb mit allem Zeug auf dem Rücken stehen und guckte ihn an, baff. Und nahm ihn in den Arm.

Das erste, was er hier tat, war: ab in den Swimmingpool zu springen, Wunde hin, Wunde her. Natürlich löste sich der Verband.
„Tut weh”, befand der Junge, als er zu schauen kam, wie weit ich mit dem Zelt schon sei: vom Mit-Aufbau war er entbunden, weil er eh nicht richtig anfassen konnte.
„Laß mal sehen.”
Nur eine Fleischwunde, nicht einmal der Daumen scheint betroffen zu sein: keine Schwärzung unter dem Nagel.
„Bekomm ich ein Pflaster?”
Und mit dem Pflaster drauf, das auch nicht lange hielt, ab ins Wasser erneut.
Als er dann wiederkam, ließ ich ihn das Innenzelt einknüpfen. Er wollte es auch.
„Ich krieg das schon hin.”
„Gut”, dachte ich, „wir sind nicht aus Zucker.”
Er wieder in den Swimmingpool, ich hinab in den Ort, um einzukaufen.
Als ich zurückkam – unser Zeug war bereits alles verstaut -, bin ich dann auch schwimmen gegangen. Und wir haben getobt. Bis sich der Hunger meldete, vor allem bei ihm, so daß die Logik recht bizarr ist, die mich, der richtig Junge gar nicht hatte, diese Riesenrechnung erfuttern ließ.

„Ich muß unbedingt schlafen”, sagte mein Sohn. „Muß ich unbedingt Zähne putzen?”
Mußte er nicht. Ich brachte ihn ins Zelt, da war es zehn. Vorher noch ein kleines Geplauder mit unseren Nachbarn, einem jungen niederländischen Paar.
„Wenn du magst, komm doch noch zu uns, wenn der Junge schläft.”
Er mußte den Schlafsack nur sehen, schon war er in den Schlaf gefallen. Und wir anderen drei plauderten bis spät in die Nacht. Wiewohl ich hatte arbeiten wollen. Daraus wurde dann nichts. Nüschts hab ich getan.
Sei’s drum.

Heut früh also geht’s nach Neapel, die beiden Niederländer wollen mit. Wir werden über die Märkte streifen und mittags uns unter die Napolitaner mischen, am Golfo, auf den Steinen am Meer. Nachmittags geht’s dann wohl ins >>>> Madre.
Guten Morgen, insieme. Das Glück, einmal angekommen hier und den Daumen endlich vergessen, sieht s o aus:

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