Ein bißchen was vom Krieg, Portsmouth nämlich, nachgeholt. Danach der dritte See-Tag ODER Die Heimfahrt. Meine Seeabenteuer (13 & 14): Des alten Jim Hawkins’ Reisejournal des Donnerstags, dem 19. Mai 2011, sowie des Freitags, dem 20. Mai 2011.

8.27 Uhr continentaler Zeit:
[Raucherdeck, Galerie.]
Wir durchfahren den Kanal Richtung Nordsee, also strikt nach Osten; soeben sind wir auf der Höhe von Dover, so daß sowohl der Kontinent als auch England zu sehen sind. In Stonehenge, gestern, bin ich nicht gewesen, wiewohl ein Ausflug dorthin, wie auch einer nach London, angeboten war. Nach den Erfahrungen von Santiago di Compostela mochte ich nicht in einer Gruppe zwischen anderen Gruppen in einen mystischen Ort einfallen; von dessen Magie eben dadurch nichts geblieben wäre, nichts zu spüren gewesen, ja kaum noch etwas zu ahnen. Selbst, wäre ich allein hingefahren, wär ich zwischen Gruppen spaziert. Die persönliche Lehre, die ich gezogen habe, hat eine harte Konsequenz: Vermeide die Mengen und – verzichte. Die Gruppen können auch zivilisiert sein und sich durch solche Heiligtümer so achtungsvoll bewegen, wie es nur geht, es bleibt doch bei der Profanierung, irgend wer fotografiert außerdem immer. Es gibt Orte, an denen ein Mensch mit sich allein sein muß oder mit anderen in Rituale gebunden, die wiederum gebunden an bestimmte Zeiten und/oder Anlässe sind. Alles andere profaniert. Wenn wir nicht wollen, darum, daß uns die Sehnsuchts- und Traumorte genommen werden, müssen wir sie meiden; statt dessen sie imaginieren und in uns selber tragen, egal, wo wir sind. Oder wir suchen sie anderwärts: in der vergessenen Ecke eines Dorfes, in der ungeschrittenen Lichtung eines Waldes, bei der Ruine eines Hauses der Stadt: und machen uns den magischen Ort dort dann selbst. So tat es Aragon mit den Passagen.

Und also beschloß ich, mir solch einen Ort irgendwo in Pourtsmouth zu suchen. Das ist selbst in einem solchen Kriegshafen nicht schwer. Daß ich dort einen Hut fand, der, als ich ihn aufsetzte, sich anfühlte, als hätte ich ihn seit schon zwanzig Jahren getragen, gehört dazu, und ich erstand ihn: besser, er erstand mich, mich aber ließ er bezahlen – für England, übrigens, für kleines Geld. Jemand hatte, ich bin mir ganz sicher, ein falsches Preisschild drangetan und das richtige an einen anderen Hut.Der moderne Spinnaker-Tower war schon von weitem zu sehen gewesen, dann kamen die ersten Kriegsschiffe in Sicht, in heimeligem Grau und beinah ohne Fenster: elegante schmale Schiffe, die nichts als Waffe sind. Eines fuhr dann aus, ein Destroyer, das D vor dem Namen. Zwei Schlepper wendeten es auf dem Teller, wie man seemänisch sagt: einer zog hinten, der andere hielt den Bug in der Höhe. Das Manöver sah aus, als würde eine Kanone ausgerichtet. Die Kriegsflagge der englischen Marine war gesetzt und flatterte fickrig auf Tod. Vorn lag Her (vormals His) Mahestic Ship WARRIOR, ein riesiger flacher Dreimaster mit zusätzlicher Dampfkraft, der zu seiner Zeit eine solche Feuerkraft besessen, daß Gegner nur noch zittern konnten; das Schiff ist aber nie in den Kriegseinsatz gekommen, hat nie einen Schuß abgefeuert, anders als die ältere HMS VICTORY, die hinterm Flugzeugträger lag. Neben ihr die MARY ROSE, auf der erbärmlich siebenhundert Soldaten ertranken, weil ein Kanonendeck nicht geschlossen war, das Meer hineindrang und vor den Augen des entsetzten Königs, der aber nicht ersoff, mit all den Gepreßten sank. Es war die Zeit, da einen Soldaten am Land ergriffen, zusammenprügelten und auf die Kriegsschiffe schleiften, wo man, um Folter oder den Strang zu vermeiden, den Heuer-Kontrakt unterschrieb. Wer Glück gehabt hatte, hatte abends gratis einen Vollrausch bekommen und war dann morgens auf solche einem Schiff in den Tod erwacht.Wir lagen wie die Fähren, die von dort zu den Inseln und in die Normandie fahren, dem Krieg hier gänzlich zur Seite. Unmerklich griff er auf uns über: merklich nur denen, die ins Internet wollten. Keine Verbindung war herzustellen, auch für die ASTOR-selber nicht. An sich ist das ja einzusehen; nur daß ich später so ausgebig und detalliert von der Bewaffnung, den Kalibern der Kanononen und all den Missiles erfuhr, mit denen die Kriegsschiffe bestückt waren, daß ich nur hätte mein IPhönchen anschalten und hochhalten müssen. Das Telefonino funktionierte nämlich. Und fotografieren durfte man auch, wie Sie sehen.
Seltsam also.
Doch zu den magischen Orten zurück, zu denen Kriegsschiffe ganz sicher n i c h t gehören: Der magischste Ort in Portsmouth ist mit restloser Sicherheit der – Pub. Hier schwappt im Gral das Ale; ich hatte das schon geahnt, als ich das Schiff verließ und konnte dementsprechend zielgerichtet suchen. An den alten Dockyards fand ich ihn und begann meine Messe. Schließlich war ich geläutert genug, meine Wallfahrt zu beginnen, die sich als Hafenrundfahrt tarnte. Das hatte einen durchaus heiteren Effekt, weil wir, die Pilger auf der Schaluppe, nicht nur so detailliert über britische Waffen erfuhren, sondern auch bis zur ASTOR kamen, über die der Kleinkapitän, dem wir folgten, sehr genau im Bilde war, und er erklärte uns Gläubigen nun, was ich als Passagier täglich erlebe. Wie gesagt: Danach kam der Hut.England ist nicht Europa. Das wurde uns schon morgens deutlich gemacht, als Immigration Officers hinter den Namen eines jeden Passagiers, nachdem sie sein Reisepaßbild mit dem lebenden Menschen verglichen, Häkchen auf die Listen machten: auch solcher Passagiere, die von Bord gar nicht wollten.

11 Uhr:
[Nach dem Frückstück auf dem Achterdeck.]Der Kanal, wie schon die Biskya, meint es gut mit uns, jedenfalls mit den meisten Passagieren: er ist völlig ruhig, eine Dünung von 2 bei Windstärke 3; wir gleiten leicht dahin überm dauernden Grollen der Motoren, auch kommt die Sonne immer wieder durch. Nach zwölf Uhr werde ich dann auch wieder etwas, also dieses, in Die Dschungel einstellen können; bis dahin ist der Bord-Computer belegt, der den Netzzugang hat.

Portsmouth. Eine weite Anlage, deren Kern sich auf den historischen Hafen und eine kleine Vorinsel konzentriert, zu der Sir Walter Raleigh die erste Kartoffel aus der damals Neuen Welt mitbrachte. Ansonsten hochmoderne Einkaufszentren auf dem Geländer der ehemaligen Schiffswaffen-Schmieden (Gunwharf Quays) zu Füßen des vor allem nachts bizarr-schönen Spinnaker Towers. Die Wohngebiete unaufgeregte Mietshausbauten, immer mal wieder ein altes Häuschen, mal auch eine Art Cottage dazwischen; man spürt noch, wieviel hier im Zweiten Weltkrieg zerstört worden ist. Deshalb bleibt man, ist ein guter Pub gefunden, besser allezeit da sitzen und trinkt sich da, sofern man nicht ein Museum besucht, durch die Ales und Lagers durch. Und besinnt das Land. Schaut drei sehr englischen Menschen zu, die die Spielart „Typos” repräsentieren: schwere Menschen mit sehr großen und eigenwilligen Köpfen, deren Gesichter das Meer mit bizarre Spleens beschnitzt hat.

Mit dem Shuttle-Bus ging’s dann zum Kai zurück. Der Bus hält vor dem Zoll, die Passagiere müssen hindurch – Personenkontrolle mit Paß- und Gesichterabgleich -, kommen auf der anderen Seite wieder raus, wo derselbe Bus steht und sie für die letzten zweihundert Meter noch einmal aufnimmt. Ich gehe das Stückerl zu Fuß.
Zweidrei Stunden später meine letzte Lesung an Bord. Danach die Bordcrew-Show bis in die Nacht.Im Hansa-Club noch eine Margharita und meine zweite Zigarre der Reise.

*******

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .