Meine Seeabenteuer (11): Guernsay ODER Das Elend des englischen Wetters. Des alten Jim Hawkins’ Reisejournal des Dienstags, dem 17. Mai 2011.

8.46 Uhr nichtkontinentaler Zeit:
[Raucherdeck, Seitengalerie.]
Ich bin nicht einverstanden.
Ich bin gar nicht einverstanden. Nicht mit der Wolkendecke, nicht mit den Temperaturen. Zudem habe es Beschwerden oder auch nur eine Beschwerde gegeben, darüber, daß ich im Raucherbereich Pfeife rauchte: das sei zu riechen. Klar ist es zu riechen. Ja, aber da sei Zugluft in den Galerien, und die Zugluft treibe den Duft schon mal in eins des Restaurants. Nun ja, den Zigarettenrauch auch, sagte ich. Ja, aber der Pfeifengerucht sei zu characteristisch: irgendwas in dieser Weise wurde geantwortet, so, dachte ich, wie man sich wundert, wenn Fisch nach Fisch und nicht nach Schweinefleisch riecht.
„Es kann Ihnen aber dann passieren, daß Sie angesprochen werden.”
„Das ist mir recht, wenn ich angesprochen werde.”
Andererseits kommen immer wieder ältere Herrschaften an meinen Platz, Herren vor allem mit sehnsuchtsvollem, melancholischem Blick: ach, das sei so schön, daß jemand Pfeife rauche, es durfte so gut. Und ein älterer, recht eleganter Mann kam herbei und erzählte, er habe bis zum vorigen Jahr auf dem Raucherbord jeden Abend eine Zigarre geraucht; nun sei ihm das verboten worden. Nur eine Zigarre abends, sagte er, und das schon hat man nicht akzeptiert. Traurig lächelte er und ging, seelisch ein wenig gebeugt, seines Weges.

Ich bin nicht einverstanden.
Ich bin gar nicht einverstanden. Die Wolken drücken herab. Victor Hugo lebte hier lange im Exil, hier hat er Les Miserables geschrieben und dieses sehr schöne Gedicht, das ich heute morgen nicht vorgelesen habe über die Außenlautsprecher, weil es, als wir ankamen, noch so früh war, daß es gar keinen Passagier an Deck und nicht einmal in den Frühstücksräumen gab. Ich hätte rein für mich alleine gelesen, und dazu war ich nicht in Stimmung. Ich möchte zurück in den Süden, denn hier ist der Tag für mich wie die Nacht:
Demain, dès l’aube, à l’heure où blanchit la campagne,
Je partirai. Vois-tu, je sais que tu m’attends.
J’irai par la forêt, j’irai par la montagne.
Je ne puis demeurer loin de toi plus longtemps.
Je marcherai les yeux fixés sur mes pensées,
Sans rien voir au dehors, sans entendre aucun bruit,
Seul, inconnu, le dos courbé, les mains croisées,
Triste, et le jour pour moi sera comme la nuit.
Je ne regarderai ni l’or du soir qui tombe,
Ni les voiles au loin descendant vers Honfleur,
Et quand j’arriverai, je mettrai sur ta tombe
Un bouquet de houx vert et de bruyère en fleur.

Victor Hugo, Demain dès l’aube.

Es ist kein Hafen, wo wir liegen; Guernsays Hafen ist für die ASTOR zu eng und wahrscheinlich auch zu flach. Also werden die Ausflügler mit kleinen Motorbooten nach San Peter Port hinübergebracht. Ich selbst werde gegen zehn Uhr eines nehmen. Die Zeit der hellen Anzüge ist vorüber, ich trage Jeans und Rollkragenpullover, darüber Lederjacke und drei Schals. Gestern abend, als ich noch lange Lobo Antunes auf dem Achterdeck las, brauchte ich zudem die Lammfellweste unter der Lederjacke. Wehmut, alles hier ist voll Wehmut. Ein Segler heute früh, mit dem ich schon einiges geplaudert, sagte, als er aufs Außendeck kam: „Jetzt einen Grog.” Und der Kapitän, der eben hier vorbeischritt (er hat alles auf dem Schiff immer im Blick, ist das Schiff), sah mich arbeiten, fragte: „Wollen Sie wirklich heute hinaus?”
„Weiß noch nicht, ist nicht mein Klima.”
„Meines auch nicht”, sagte er, drehte bei und wanderte nach Achtern aus. Dabei muß der Mann nach unserer Ankunft in Bremerhaven mit dem nächsten Kreuzfahrertrupp noch ganz nach Spitzbergen hinauf. Es ist eine Mentalitätsfrage, denk ich: nicht wenige Passagiere haben das nördliche Klima nicht ohne Freude wiederbegrüßt, indes ich, hab ich das schon gesagt?, g a r nicht einverstanden, in mich hineinkrieche und muffelig werde.Daß ich heute früh nicht vorgetragen habe, hat übrigens niemand bemerkt.

10 bis 16 Uhr:

Und dann, wie Sie numehr sehen, war es doch ganz anderes, als ich mir vorgestellt hatte, und Guernsay entwickelte Charme, ja Schönheiten: nicht nur, weil immer wieder eine Viertelsonne durch die Wolken kam, so daß er deutlich wärmer wurde. Sondern es wachsen mediterrane Pflanzen auf der Insel, mitten im nördlichen Bewuchs. Palmen fielen mir zuerst auf, dann eigenwillige Sukkulenten und andre botanische Bizarrerien. Dazu die scharf hinabstürzenden Kliffs. Wobei sich der tatsächliche Grund meiner allmählichen Glückshebung in dem Umstand fand, daß ich, der morgens mit zugeschnürtem Magen die Nahrungsaufnahme verweigert hatte, nunmehr mit frischen Muscheln fürhstücken konnte; dazu als Getränk ein Pint Lager. Das machte, Leserin, Enormes aus. Bis halb zur Südküste auf dem Kliff spazierengegangen, nachder der ziemlich teuertouristische Ort verlassen war, St Peter Port, auf dessen Höhen allerdings die modern-architektonisch schönsten Villen gelegen, die ich seit langem sah. In den Stellenausschreibungen findet man einen enormen Bedarf an Brokers und Bankers und Kontoverwaltern. Diskret stehen die Banken, meist ohne Schalterhalle, herum: ein Schreibtisch genügt, dessen Beine tief im Teppich versinken. Das ist nie protzig hier, schon, weil der Platz fehlt (nur oben, eben, auf der Höhe, findet er sich).
Die Blicke vom Kliff können magisch sein, weil auch die Mischung aus Norden und mediterran so überraschend ist, ungewohnt, aber organisch zugleich. Dazu die aufgelassenen Fortifikationen und unten eine kleine Kirche, an deren Wänden man auf Grabplatten die Geschichten ihrer Toten liest., zum Beispiel des Kommandanten eines „private war ship”s – je nun, was ist gemeint? Ein Söldnerschiff, ein Kaperschiff, mit anderem Worte: Pirat? Zudem, was mich immer gleich einnimmt, soll Guernsay eine Insel voller Hexen sein. Dann wärn meine Feen nicht weit, diese Biester („Zicken” nennt sie der Profi immer und hat damit Recht wie Unrecht zugleich). Selbstverständlich erstattete ich Victor Hugo den Ehrenbesuch. Und dann – da war ich völlig perplex, wurde blaß und fing zu husten an; seither hat mich eine Art Erkältung nicht mehr verlassen – – dann sah ich Queequeeeb, aber hochgeschlossen im schwarzen Anzug, mit weißen Hemd und Krawatte, als ich zurückkehrte und auf den kleinen Schweizer Platz trat. Im Eingang stand er der Credit Suisse und war im Gespräch begriffen mit –
wenn ich es Ihnen erzähle, werden Sie es nicht glauben. Besser, ich schweige und halte es für einen imaginationshysterischen Anfall. Die Erkältung freilich hab ich behalten: einen trockenfiesen Husten, laufende Nase: es ist der reine Protest.Innerhalb der nächsten halben Stunde werden wir den Anker lichten und Kurs auf Frankreich nehmen. Auf Muscheln freue ich mich, auf Austern und weitere Muscheln, der Löwin zu Ehren und Lust und m i t der Löwin vertilgt.

: 17.25 Uhr.

6 thoughts on “Meine Seeabenteuer (11): Guernsay ODER Das Elend des englischen Wetters. Des alten Jim Hawkins’ Reisejournal des Dienstags, dem 17. Mai 2011.

  1. als lebenslanger nichtraucher, der ich bin, habe ich die abneigung mancher raucher gegen den geruch von pfeifen- und zigarrenrauch nie verstanden. der widerliche, ordinäre gestank der durchschnittlichen normalzigaretten, der in meiner kindheit in den 70ern nahezu alles zudeckte mit seiner billigkeit und seinem völlig gleichförmigen teerfilm, der es mir – schon aus prinzip – unmöglich machte, zum raucher zu werden, zum konsumenten dieser entsetzlichen geruchsbeleidigung … dieser geruch wird von den rauchern akzeptiert, unumschränkt, und gegen jeden anwurf und jede noch so berechtigte kritik bis aufs blut verteidigt (auch mit haarsträubenden argumenten). doch wenn irgendwo eine pfeife oder eine zigarre auftaucht, ihren erlesenen geruch verbreitet, dann wird plötzlich herumgenölt und beschwert. dabei sind sowohl pfeife als auch zigarre sogar für den leidgeprüften passivraucher ein genuß: weil auch beim raucher dieser tabake ein genuß sichergestellt ist. ich mutmaße ja, dass der kontrast zwischen zigaretten- und pfeifen-/zigarrerauchern ähnlich dem ist, wie der zwischen espressotrinkern und milchkaffeesäufern. wo einerseits die masse jeden genuß abtötet, wird andererseits die erlesenheit des geschmacks gefeiert.
    kontraste.

    1. Pfeife Ich – ebenfalls lebenslanger Nichtraucher- kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie man sich über den Geruch des Pfeifenrauchs beschweren kann. Ich rieche ihn wirklich gerne- im Gegensatz zum Zigarettenrauch. Auch verbreitet ein Pfeifenraucher so eine gewisse Atmosphäre von Ruhe.

      Daß heute nichts Literarisches vorgetragen wurde, haben vielleicht schon welche gemerkt, nur eben nichts gesagt. “Dès l’aube” in der Morgendämmerung, auf französisch oder in der Übersetzung, wäre sicher schön gewesen, auch wenn’s nur die Delphine, die Wellen und die dunklen Wolken gehört hätten.

  2. Queequeeeb Wie aufregend. Erzählen Sie mehr. Unbedingt. Vielleicht Sie, Queequeeeb und die Löwin? Ich bin jedenfalls schon richtig gespannt. Und anderen Leserinnen geht es bestimmt auch so.

    1. Das mit der Löwin war wohl nichts? Taxi, Essen, Plaudern, Flanieren und? Die Berichte aus der S. waren da irgendwie glühender. Mag am Klima liegen. Schade. Und mit Queequeeeb? Auch nichts? Ziemlich fad, find ich. Schade. Und der Engel Ordnung halber: Puttenfuß? Da passen die Dimensionen dann doch nicht. Kaputter Fuß? Unschöne Formulierung. Entzündet, ja. Aber grundsätzlich stellt sich mir die Frage, warum diese Alltagsleiden hier platt gewalzt werden? Demnächst ist wohl von Wadenkrämpfen und Stützstrümpfen die Rede. Uhhh. Finden bestimmt auch andere Leserinnen so.

    2. @Jeanette ohne Löwin. Sie sei nicht, sagte freundlich >>>> in Honfleur die Löwin, zur Bedürfnisbefriedigung meiner Leser, besonders auch nicht der Leserinnen da. Das ist das eine, das mich hier den Vorhang zuziehen und ihn erst, nachdem Queequeeeb in die Sauna geschickt worden war, wo er zwei Stunden blieb, nach diesen zwei Stunden wieder heben ließ. Das andere ist, daß unschöne Formulierungen sich sehr schön dafür eignen, unschönen Umständen Ausdruck zu verleihen. ‘Entzündet’ wäre in diesem Fall zumal falsch gewesen. Und wenn Sie, Jeanette, sich vor Stützstrümpfen öden, so müssen Sie sich dem nicht weiter aussetzen, sondern dürfen, das erlaube ich Ihnen, Der Dschungel stets und auch grundsätzlich den Rücken kehren. Ich würde nicht einmal bemerken, daß Sie gegangen sind. Aber gäbe Ihnen dennoch meine besten Lebenswünsche mit.

      Das andere Argument ist ernst. Queequeeeb. Ja.
      Es gehört zum Character in Literarischen Weblogs zeitecht erzählter Geschichten, daß es lose Fäden gibt. Man beginnt etwas und weiß noch nicht, wohin es und ob es irgendwohin führt. Vieles bleibt schließlich liegen, anderes erfüllt sich. Ich bin ein Meister der Konstruktion von Romanen, aber sie bedürfen das Rückgriffs – der Überarbeitung also: Logbücher hingegen erlauben das nicht, weil Zeit nicht reversibel ist. Allerdings kann man, wie ich’s mit den >>>> Fenstern von Sainte Chapelle tat, aus Weblog-Erzählungen, also aus sagen wir Spontangeschichten, im Nachhinein >>>> ein die Ansprüche gut gebauter Literatur erfüllendes Buch formen. Ob sich das lohnt, weiß man aber noch nicht, wenn man im Weblog eine Idee niederschreibt, sondern man folgt ihr erst einmal und läßt sie, ist sie unergebig, fallen. Inwieweit man ihr folgt, hängt allerdings auch von den Umständen ab, aus denen geschrieben wird. Die waren in diesem Fall schwierig: schlechter Netzanschluß usw. Das, was wirklich von dieser Reise literarisch blieb, ich deutete das in einem meiner Schiffs-Einträge bereits an, ist die Idee eines ganz anderen Romans. Den werden Sie, wenn Sie mögen, in drei bis fünf Jahren lesen können.

      [Weblog-Ästhetik.
      Poetologie.]

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