Verliebt, ach: Neu verliebt! Meine Seeabenteuer (8): Leixões/PORTO. Des alten Jim Hawkins’ Reisejournal des Sonnabends, dem 14. Mai 2011.

6.03 Uhr:
[Kurs auf Leixões. Raucherdeck.]
Morgenpfeife, im Deck hierüber ist noch der Kaffee nicht fertig.
Das Schiff rollte die ganze Nacht. Was in die Träume geht. Aufwiegen, abwiegen, und quer dazu, in der Senkrechten des Bootes, das leichte Stampfen durch den Bauch. Mir träumte, ich läse gegen den Wind für U.Gedichte, die aber erst freigegeben werden mußten, so, wie die Hafenbehörden das Schiff freigeben müssen, jeweils, bevor wir Passagiere an Land gehen dürfen.
Wir haben Kurs auf Leixões, wo wir gegen acht anlegen werden; gegen Viertel nach sieben, schätze ich, wird der Lotse an Bord kommen. Von Leixões geht’s mit einem Transferbus dann nach Porto weiter. Ich habe für die Morgenlesung auf die Außendecks Tabucchi vorbereitet:

Gewiß, Porto hatte englisches Flair, mit seinen viktorianischen Fassaden aus grauem Stein und den Menschen, die diszipliniert auf den Straßen gingen.
Der verschwundene Kopf des Damasceno Monteiro

Das Rollen hat mir den Blues von Lissabon aus den Knochen gewiegt, so hab ich neuen Mut.
Gestern nacht noch hatte ich Text verfaßt, kam aber nicht mehr ins Netz hinein; dauernd brach die Verbindung weg, kaum daß wie aus der Mündung des Tejo hinausgefahren waren; wie es heute früh sein wird, weiß ich deshalb noch gar nicht. Was ich weiß, ist, daß ich bei einer kleinen Modeschau der Schiffsboutique mitmachen werde; man suchte noch Männer. Nachmittags nach der Rückkehr von dem Ausflug. Vielleicht stell ich von meiner Interims-Mannequinschaft ein paar Bildlein ein. Und ich weiß, daß heute abend um 21.30 Uhr meine zweite Lesung stattfinden wird, heiter, weil gleichzeitig Gala-Ball in der Astorlounge ist und Abendgarderobe vorgeschrieben. In Abendgarderobe habe ich noch nirgends Texte vorgetragen und habe mich, allein der Heiterkeit halber, zur Isabella Maria Vergana entschlossen. Ein Wagnis, mag sein, Aber ich will von den Häppchen weg.
Und jetzt geh ich nach Kaffee gucken.

6.26 Uhr:
So, hab ihn.
Jeden Morgen ist’s enorm, mit welcher Emsigkeit das Personal wirbelt, Tische deckend, fürs Frühstück schnibbelnd.

Außen werden die Decks geputzt. Wachen über allem Mr. Jackson, der nie zu schlafen, bzw. aus drei Klons zu bestehen scheint: Man sieht ihn quasi immer. Aber insgesamt, jeden Tag wieder: es ist gar nicht genug zu betonen, mit welch einer Freundlichkeit und Schnelligket dieses Personal zugegen ist.

Ich geh mal ausprobieren, was das Internet sagt.

Mist, es geht wieder nicht. „Es besteht momentan ein Problem mit der Internet-Verbindung”: diese Nachricht bekam ich in den vergangenen Tagen immer wieder zu lesen, und dann ging’s noch gut. Oft bricht die Verbindung mitten in der Arbeit zusammen, und ganz halbe Stunden sind dann für nix. Mittlerweile bin ich aber stoisch geworden, ‚dann halt ein andermal’, mehr läßt sich da nicht sagen.
Zurück an meinen Platz übers schwankende Deck. Was besonders hübsch ist, wenn man einen Kaffeepott trägt. Erstaunlich wiederum, wie schnell man sich daran gewöhnt und daß dann an Land plötzlich das Gefühl da ist, die Straße schwanke, und man ist froh, wieder an Bord zu sein, weil man sich dort auf den Boden wieder verläßt.
(Gut, für ein nächstes Mal, wäre es, direkt eine Satelliten-Verbindung zwischen Laptop und Internet zu haben; dann wäre einiges leichter, bzw. überhaupt erst praktikabel. Oder es stünde in jedem angelaufenen Hafen eine Direktverbindung bereit: dann könnte ich jeweils vorarbeiten, und es käme auch nicht zu all den offengelassenen Strängen, die irgendwann nachzuholen – nachzuerzählen – sein werden, die aber dann ihre Gegenwart schon verloren haben, für die das Internet steht. Hier knirscht die Formung des Textes auf den Character Neuer Medien noch sehr; das etwa werde ich von der Reise poetologisch mitnehmen.)

Und wieder balancier ich zu der Internet-Stelle hinüber; vielleicht gibt es ja j e t z t ein Netz –

ES BESTEHT MOMENTAN EIN PROBLEM MIT DER INTERNET-VERBINDUNG.

: 6.47 Uhr.

8. 42 Uhr:

Leixões Hafen.

16.34 Uhr:
[Zurück auf dem Achterdeck, nach einem moussierenden
Vinho verde, ganz jung: ein Heuriger von Porto.]


P O R T O
!!! PORTO !!!
!PORTO!



Dies ist eine der schönsten Städte, die ich jemals gesehen habe. Stopft Euch Lissabon in die Pfeife und raucht es, dann gebt die Asche weg und fahrt hierher. – Das erste, was mir hier widerfuhr, war ein – Lächeln. Das zweite, was mir hier widerfuhr, war – ein Lächeln. Die Frauen lächeln, sogar, manchmal, die Männer lächeln. Es war, als wollte diese verlorene Stadt wiedergutmachen, was Lissabon mir zugefügt. Zwar, ja, auch hier ist alles Melancholie, aber sie täuscht gar nichts vor; selbst der Protz ist gemildert von einer Reife, die aus dem Schmerz, aber zugleich aus der Lust stammt. Das liegt, denk ich mir, an der Lage, die seltsam ähnlich der von Lissabon ist, aber intimer und klüger: der Geheimnisse voll: – solcher des Blickens. Uns hebt sich die Kategorie auf des Hohen, Tiefen, des inmitten Gelegnen, und alles – wie oft in Italien – tut den Augen wohl. Wir können kaum sagen, was oben, was unten, wir schreiten ständig bergauf und bergab auf altem Kopfsteinpflaster. Aber die Häuser daneben sind leicht, selbst da, wo sie verwaist sind und schon verfallen. Man hat den Eindruck, sie seien aus einem Holz, das wie Schmiedeeisen-Zierart zierlich geschmiedet ist; und die Prachtstraßen – zu denen man kommt, je tiefer man in die Hügel hineindringt, je höher man über die Hügeltäler auf die Hügelgipfel hinaufsteigt – sind voller Barcelona: ein Manierismus der Feuerherzen („Feuerose” ist die Altstadt Barcelonas genannt): phantastische Ornamente aus Eisen und Stuck, der noch bisweilen Marmor ist; eine Art Rambla gefüllt mit Vuittons zieht sich hin. Dann wieder geht es schrägsteile Gassen hinab in Gewinkel aus Gassen, die Häuser dort schmal, die Ecken aus Winkeln von Geistern, Kobolden, vielleicht auch Vampiren; hoch aber die Fenster, schmiedeeisernen Zierat davor. Und abermals ein Hügel, darunter ein Tunnel tiefschwarz, und immer wieder, plötzlich, die Sicht auf ein Stückchen des Douros, der vor der alten Stadt zu einem See zusammenläuft, welcher an den des Tejo erinnert, aber nicht so tut, als wäre er See. Auch die Einfahrt schon war wie in Lissabon, nur daß die hiesige Brücke in menschlichem Maß bleibt und verzaubert ist, wo sie das Menschliche feenhaft verläßt.Still, meist, ist es auch hier, kein wirkliches Gewirbel, aber doch durchzogen von Atem. Ich möchte diese Häuser bewohnen, möchte ihnen zurückgeben, was sie verloren haben: Bewohner. Kinderrufe, Weinen von Alten, Lachen von Müttern, Schimpfen von Müttern, das Ächzen, mit dem man sich morgens zur Arbeit erhebt.
In noch keiner Stadt auf dieser Reise habe ich so viel fotografiert wie hier. Ich stelle Ihnen, ebenfalls anders als bisher, alle Bilder ein, die ich knipste: manchmal geht es nur um einen Ausschnitt, um eine Perspektive, um ein Gesicht. Denn es b l i e b so: die Menschen lächelten und warfen Blicke, die ich warf, zurück – verhaltener als in Italien und Spanien, aber bewußt und lebendig. Ja, hier verbrächte ich gerne einige Wochen, um über diese Stadt etwas zu schreiben, ein Hörstück vielleicht, und um’s zu inszenieren. Ich habe bereits heute fast fünfundvierzig Minuten ununterbrochenen Originalton aufgenommen. Dann kehrte ich ein:Plötzlich war das schmale enge Restaurant voller Portugiesen, die schwatzten und lachten und riefen. Abermals gab es Risotto, sie mit Wurst und Bohnen und Kohl, ich mit Kohl und Bohnen allein, dazu gebackene Sardinen und einen hellen grünen Wein. Der Kaffee war fest wie spanische Trinkschokolade: und heiß wie ein Magma, doch süßer.
Aber ganze Straßenzüge verfallen. Man fragt sich, weshalb die Studenten der Universität von Porto nicht die Wohnungen besetzen und beleben. Bleiweiße Keramiken ganze Außenwände hinauf, Kirchenwände, doch Häuserwände gleichfalls. Und im Theater inszeniert Peter Brooks. Die Stadt, las ich, leide schon lange darunter, immer nur die zweite Stadt Portugals zu sein. Vielleicht weiß sie es nicht: doch im Schatten Lissabons hat sie ein Biotop geboren, das als Städtemärchen, das es ist, ins Weltkulturerbe gehört.
Ich kam mit einem Vorurteil her, das aus der Lissabonner Angst stammte; ich hatte gedacht: um GöttinsWillen – abermals diesen Mißmut halt ich nicht aus. Und dann ist es gewesen, als hätt man mich unablässig in den Nacken geküßt: mit kühlen spitzen Lippen, und immer rief jemand: „schau hierher!” und immer rief jemand: „Schau dort hin!” und immer war dieser Jemand schon weiter: hellstimmig, vielstimmig, ironisch und doch auch traurig. Auf dem Douro derweil ruderten im Achter die Frauen und mochten es, daß man sie ansah. Von gegenüber taten es weite moderne Apartmenthäuser mit weiten modernen Terrassen.
Ich bin verliebt, bin neu verliebt in eine Stadt. Bin in ihr Straßenpflaster verliebt, bin verliebt in ihre drei Linien Trams, die noch fahren – verliebt in den Verfall und den Aufbau, verliebt in den Mann in dem Fenster hoch oben, der verschränkter Arme hinabschaut, verliebt in den Kioskverkäufe und in das pfiffige Schlitzohr, das mein Wirt beim Mittagessen war: er zog mich übern Tisch, indem er mir gab: das ist Kunst. (Ich hatte weniger bestellt, als ich bekam, und mußte dann alles bezahlen; aber was ich bezahlte, war ausgezeichnet – und letztlich war’s immer noch preiswert. Ja! So macht man das, wenn das Geschäft schlecht geht. Es geht allerorten in Portugal schlecht, offenbar. Sechzig Prozent der Portugiesen haben eigene Häuser, deshalb die Stadtflucht. Doch für diese Häuser liehen sie Geld. Nun können sie die Zinsen nicht zahlen und kaum die Raten. So platzen die Kredite, und man verliert die Häuser an die Banken. Dann hat man gar nichts mehr, und die Städte verwaisen zudem. Bleiben die Wohnungen leer, verrotten sie langsam, so daß ein großer Abriß befürchtet werden muß und eine Neubaukatastrophe. Die abzuwenden hätte jede Hausbesetzerszene das Recht – vielleicht sogar, sie und wir, die Pflicht.)
Porto hat große Einkünfte an Leixões verloren, wo die neuen Häfen gebaut worden sind, die auch Riesenfrachter ansteuern können. Von Leixões nach Porto ziehen sich, bis zur Mündung des Douro, die Strände. Villen stehen an den Straßen, auch sie oft verwaist. Dann biegt man rechtsdouro’sch ins Land, doch nicht weit, bis sich der See unter der Brücke ganz auftut.


*******


18.13 Uhr:
Die Wellen spielen. Es ist ruhig an Bord. Die Passagiere kleiden sich für den Gala-Abend um. Ich stelle dieses hier noch ein, dann werde auch ich mich kleiden. Nachdem ich ein wenig auf dem Achterdeck ins Meer geschaut habe: den Atlantik hinüber, so weit es mir der Globus erlaubt.

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