Meine Seeabenteuer (7): L i s s a b o n. Des alten Jim Hawkins’ Reisejournal des Freitags, dem 13. Mai 2011.

Ich liebe die Stille langer Sommerabende in der Unterstadt, und
insbesondere dort, wo sie im groeszten Gegensatz zum laermenden Tagesgewuehl steht.
Die Rua do Arsenal, die Rua da Alff^andega und all die traurigen Straszen, sie sich
am Ende der Rua da Alf^andega ostwaerts ziehenm die lange, unterbrochene Linie
der stillen Kais, sie alle troesten mich mit ihrer Schwermut, wenn ich mich an diesen Abenden in ihr Labyrinth der Einsamkeit begebe. (…) Es gibt ein gleiches, weil
abstraktes Schicksal fuer Menschen und Dinge – eine gleichermaszen gleichgueltige
Bezeichnung in der Algebra des Geheimnisses.

Fernando Pessoa.

Etwas Schweres ist um diese, liegt über der Stadt, die doch so hell und so heiß heute war. Zwei Anzüge, leichtgewobene Lammwolle, kosten, so hieß das Angebot, 100 Euro. Weshalb nahm ich’s nicht an? Ich schritt durch die Straßen und Gassen, verträumte, groß repräsentiert alter Ruhm; doch ich werde niemals wieder Pessoa lesen können. In der Literatur ist permanente Melancholie gut erträglich, im Leben aber nicht. Es ist, als ob diese Menschen gar nichts mehr wollten, sie sind nicht streng vor Hitze, sondern, scheint’s, aus Ergebenheit in was nun auch immer: ob Schicksal, ob Finanzmisere. Stammen die großen Seefahrer deshalb von hier, weil es sie – forttrieb?
Die Stadt – soweit ich sie sah – ist sehr sauber. Jede Fassade leuchtet im Licht und sie blitzt vor Klarheit, aber wie Fassaden tun. Keinem Lächeln bin ich begegnet – doch: dreien; das eine gehörte einem jungen Mann, der eine Taverne führt, wo ich aß; schon seine Kolleginnen aber sind still; die andren beiden Lächeln gehörten zu Frauen, die aus Arabien kamen. Schaust du einer Passantin, die dir gefällt, in die Augen, reißt sie ihren Kopf zur Seite. Wie anders die Spanierin, die so heftig und glühend zurückschaut, daß du selbst es bist, der in Gefahr gerät, den Blick nicht zu halten. Es ging mir wie Glück durch den Leib, als ich im Barrio Alto endlich ein Paar gewahrte, das sich offen küßte.
Ist es das Meer-als-Atlantik, daß ich das Gefühl nicht bekam, in einer Hafenstadt zu sein? Der Hafen ist nirgendwo anders als am Hafen zu spüren. Kaum durchschreitet man den wie für einen Triumphzug errichteten Bogen, der die repräsentative Praça do Comércio von den vier Boulevards trennt, die auf den Hauptplatz, Praça de Figueiral, führen, geht jedes Mittelmeer verloren; nicht anders aber auch in den paar Gassen zum Castelo hoch; nicht anders schließlich im direkten Westen, dem Barrio Alto eben. Es ist, als fehlte hier Salz. Tatsächlich liegt Lissabon auch gar nicht am Meer, sondern an einem riesigen Binnensee, zu dem der Tejo wenige Meilen vor seiner Mündung in den Atlantik zusammenfließt. Ich hab das Wasser nicht gekostet, aber ich glaube nicht, daß es salzig ist. Lissabon ist eine Flußwasserstadt, die das wirklich nahe Meer immer nur vortäuscht; es ist, kommt’s mir vor, eine Stadt halber Lügen, eine Stadt des Uneigentlichen. So auch die Elektrische: kleine Straßenbahnen, die nach Disneyland wirken, und die man schon deshalb nicht nutzen mag, weil die Züglein stets voll allein von Touristen sind. Vor denen flüchten sich die Lissaboner in die UBahn unter die Welt. Sie wolln alleingelassen werden. Der fremde Blick stört hier. I c h störte hier. Ich gehöre hier wirklich nicht hin. Was sagen Sie? Ja, da haben Sie recht: auch nach Tanger gehöre ich nicht, nicht nach Nizza, Barcelona. Aber dort nimmt man mich auf und fordert heraus: hält er? Dort möchte ich halten, auch dann, wenn ich mit einer blutigen Nase zu bezahlen habe.
Nein, ich möchte nach Lissabon nie mehr zurück. Die Stadt macht mich unglücklich. Als ich, bereits eine Stunde vor der geforderten Rückkehr, zurück in meine Kabine gekehrt war, fiel ich in einen Schlaf aus Blei und hab mich von ihm, jetzt, erwacht, noch nicht erholt. Ich meide depressive Menschen, weil ihre Melancholie wie ein Gift auf mich übergeht, aber eines, das Fremdkörper ist und auch bleibt, invasiv, herunterziehend: so besetzt – besatzt – es mich.
Nun werde ich viele Freunde enttäuschen, die mir von Lissabon vorgeschwärmt haben und die gesagt haben: dort wirst du dich wohlfühlen, ja du wirst diese Stadt lieben. Sie alle haben sich geirrt. Ich will der Stadt nichts Schlimmes, sie soll bleiben, gerne, wie sie ist. Ohne aber, bitte, mich.
Ach, Tanger. Es geht einem hier die Lust verloren, Dich, und was auch immer sonst noch, zu preisen.

Obwohl diese Nacht war
Die nun vergangene Nacht, in der
Klabautermänner mit ihren wilden Weibern tanzten.

Ich liebe die Stille langer Sommerabende in der Unterstadt, und
insbesondere dort, wo sie im groeszten Gegensatz zum laermenden Tagesgewuehl steht.
Die Rua do Arsenal, die Rua da Alff^andega und all die traurigen Straszen, sie sich
am Ende der Rua da Alf^andega ostwaerts ziehenm die lange, unterbrochene Linie
der stillen Kais, sie alle troesten mich mit ihrer Schwermut, wenn ich mich an diesen Abenden in ihr Labyrinth der Einsamkeit begebe. (…) Es gibt ein gleiches, weil
abstraktes Schicksal fuer Menschen und Dinge – eine gleichermaszen gleichgueltige
Bezeichnung in der Algebra des Geheimnisses.

Fernando Pessoa.

Etwas Schweres ist um diese, liegt über der Stadt, die doch so hell und so heiß heute war. Zwei Anzüge, leichtgewobene Lammwolle, kosten, so hieß das Angebot, 100 Euro. Weshalb nahm ich’s nicht an? Ich schritt durch die Straßen und Gassen, verträumte, groß repräsentiert alter Ruhm; doch ich werde niemals wieder Pessoa lesen können. In der Literatur ist permanente Melancholie gut erträglich, im Leben aber nicht. Es ist, als ob diese Menschen gar nichts mehr wollten, sie sind nicht streng vor Hitze, sondern, scheint’s, aus Ergebenheit in was nun auch immer: ob Schicksal, ob Finanzmisere. Stammen die großen Seefahrer deshalb von hier, weil es sie – forttrieb?
Die Stadt – soweit ich sie sah – ist sehr sauber. Jede Fassade leuchtet im Licht und sie blitzt vor Klarheit, aber wie Fassaden tun. Keinem Lächeln bin ich begegnet – doch: dreien; das eine gehörte einem jungen Mann, der eine Taverne führt, wo ich aß; schon seine Kolleginnen aber sind still; die andren beiden Lächeln gehörten zu Frauen, die aus Arabien kamen. Schaust du einer Passantin, die dir gefällt, in die Augen, reißt sie ihren Kopf zur Seite. Wie anders die Spanierin, die so heftig und glühend zurückschaut, daß du selbst es bist, der in Gefahr gerät, den Blick nicht zu halten. Es ging mir wie Glück durch den Leib, als ich im Barrio Alto endlich ein Paar gewahrte, das sich offen küßte.
Ist es das Meer-als-Atlantik, daß ich das Gefühl nicht bekam, in einer Hafenstadt zu sein? Der Hafen ist nirgendwo anders als am Hafen zu spüren. Kaum durchschreitet man den wie für einen Triumphzug errichteten Bogen, der die repräsentative Praça do Comércio von den vier Boulevards trennt, die auf den Hauptplatz, Praça de Figueiral, führen, geht jedes Mittelmeer verloren; nicht anders aber auch in den paar Gassen zum Castelo hoch; nicht anders schließlich im direkten Westen, dem Barrio Alto eben. Es ist, als fehlte hier Salz. Tatsächlich liegt Lissabon auch gar nicht am Meer, sondern an einem riesigen Binnensee, zu dem der Tejo wenige Meilen vor seiner Mündung in den Atlantik zusammenfließt. Ich hab das Wasser nicht gekostet, aber ich glaube nicht, daß es salzig ist. Lissabon ist eine Flußwasserstadt, die das wirklich nahe Meer immer nur vortäuscht; es ist, kommt’s mir vor, eine Stadt halber Lügen, eine Stadt des Uneigentlichen. So auch die Elektrische: kleine Straßenbahnen, die nach Disneyland wirken, und die man schon deshalb nicht nutzen mag, weil die Züglein stets voll allein von Touristen sind. Vor denen flüchten sich die Lissaboner in die UBahn unter die Welt. Sie wolln alleingelassen werden. Der fremde Blick stört hier. I c h störte hier. Ich gehöre hier wirklich nicht hin. Was sagen Sie? Ja, da haben Sie recht: auch nach Tanger gehöre ich nicht, nicht nach Nizza, Barcelona. Aber dort nimmt man mich auf und fordert heraus: hält er? Dort möchte ich halten, auch dann, wenn ich mit einer blutigen Nase zu bezahlen habe.
Nein, ich möchte nach Lissabon nie mehr zurück. Die Stadt macht mich unglücklich. Als ich, bereits eine Stunde vor der geforderten Rückkehr, zurück in meine Kabine gekehrt war, fiel ich in einen Schlaf aus Blei und hab mich von ihm, jetzt, erwacht, noch nicht erholt. Ich meide depressive Menschen, weil ihre Melancholie wie ein Gift auf mich übergeht, aber eines, das Fremdkörper ist und auch bleibt, invasiv, herunterziehend: so besetzt – besatzt – es mich.
Nun werde ich viele Freunde enttäuschen, die mir von Lissabon vorgeschwärmt haben und die gesagt haben: dort wirst du dich wohlfühlen, ja du wirst diese Stadt lieben. Sie alle haben sich geirrt. Ich will der Stadt nichts Schlimmes, sie soll bleiben, gerne, wie sie ist. Ohne aber, bitte, mich.
Ach, Tanger. Es geht einem hier die Lust verloren, Dich, und was auch immer sonst noch, zu preisen.

Obwohl diese Nacht war
Die nun vergangene Nacht, in der
Klabautermänner mit ihren wilden Weibern tanzten.

18.20 Uhr:
Wir haben wieder abgelegt. Noch immer lastet der Druck auf mir: ein fahler Druck – und wenn ich die Fotografien jetzt betrachte, erinnert mich vieles – was ich aber vorher nicht sah – seltsam an Prag, eine Stadt, die ich auch nicht sehr mag, durch die ich als Fremder, der es immer bleibt, hindurchgegangen bin schon zu einer Zeit, da Reiche aus den USA sie gänzlich verkitscht haben. Es ist Depressions-Kitsch: grau, aber vergoldet, und was da glitzert, ist Strass. Das ist, spüre ich, mit Lissabon anders; vielmehr ist die Stadt wie die Mimosenbäume, die violett blühen, auffallend, an vielen Straßenzügen, in vielen Gärten. Mimose: Rühr mich nicht an. So sind die Menschen. Berührt man sie dennoch, ziehen sie sich zusammen. Ich dagegen liebe Berührungen sehr. Da liegt die Differenz: im Körperlichen, wieder einmal.

(Noch erzählen: Fatima. Dann die Nacht. Und vom Museum alter Künste.)

4 thoughts on “Meine Seeabenteuer (7): L i s s a b o n. Des alten Jim Hawkins’ Reisejournal des Freitags, dem 13. Mai 2011.

  1. Pessoa-Zitat “… gleichgueltige Bezeichnung in der Angebra des Geheimnisses.”

    Müsste es nicht Algebra heißen oder war der alte Schwerenöter selbstkritisch?

  2. Ihr schönster Reisetext bisher, Herr Herbst. Er hat mir sehr gefallen. Nur leider haben Sie sich nicht der Seele Lisboas öffnen wollen. Sie hätten sie finden können, auch in dem verhaltenen Blick der Frauen wie in ihrer vermeintlich scheuen Bewegung. Sie erwarten die schnelle, flüchtige Umarmung. Die Stadt wird sie ihnen verweigern. Kommen sie wieder, haken sie sich bei Pessoa ein und lasen sie sich irreführen. Morbide ist alles. Und doch dem Inneren sehr viel näher als all das, was laut, nach Lebendigkeit dürstend und dennoch tot. Ich wünschte iHnen, Sie mögen einmal Ruhe und in dieser Stadt das finden, was wir Saudade nennen. Sehnsucht wäre die unvolkommene Übersetzung. Sie wird Ihnen Freiheit nehmen, sie beglücken. Ihr Text liest sich wie eine Flucht vor der Umarmung. Hat mir sehr gefallen.
    Salz bring die Flut, depressiv ist allein der flüchtige Tourist, der Lisboeta liebt den, der sich um ihn bemüht. Sie sind zu schnell.

    1. @wolfinho. Das mag sein. Aber manches ist auch “einfach” eine Frage des Lebens-Temperamentes. Die Menschen von Tanger sind sicher ebenso tief wie die von Lissabon; und nicht jeder geschlossene Schrank ist auch voll.
      Wobvei: mir gefällt schon die Stadtanlage nicht, mir gefällt der Binnensee nicht, mir gefällt nicht, daß es nirgendwo offene Märkte gibt, jedenfalls gab es sie gestern nicht um die Altstadt herum. Mir gefällt die Stille nicht. Aber das ist kein Werturteil, sondern es ist die Erkenntnis, daß man nicht zueinander paßt. Das muß man jaauch nicht.
      Nach Valencia etwa kam ich voller Vorurteil, ich wollte da eigentlich gar nicht hin. Und dann war ich glücklich dort. Nach Lissabon kam ich mit positivem Vorurteil: ich w o l l t e, daß mir die Stadt gefällt. Daher vielleicht die Enttäuschung.
      Ist ja alles nicht schlimm. Manche Menschen mögen’s, andere nicht. (Ich fahre auch nicht gern in den Norden, es zieht mich immer in Richtung Afrika.)

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