Meine Seeabenteuer (4): Nach Ibiza und um Ibiza herum. Des alten Jim Hawkins’ Reisejournal des Dienstags, dem 10. Mai 2011. Kreuzfahrers Groovin’. Ab morgens dann VALENCIA.

[Ins Internet zu kommen, ist von Bord über Satellit derart kompliziert, daß ich diesmal davon (fast) ganz absehen will, Ihnen Bilder einzustellen, von dem einen hier alleine deshalb abgesehen, weil es von meiner Eitelkeit gerechtfertigt ist – doch einer, in diesem Fall, die etwas über den schönen Abend sagt, der hinter mir liegt. Also ich beschränke mich jetzt (fast) ganz auf den Text, der etwas zur Kreuzfahrt-selbst sagen möchte, etwas darüber erzählen möchte – einen Umstand nämlich, der Befindlichkeit ist, geworden ist, und dies eben erst seit heute abend. Jedenfalls, zum Internet zurück: es frustriert, wenn man zwanzig Minuten lang darum kämpfte, einen Beitrag ins Netz zu bekommen, und fast hat man’s geschafft, da kracht die Verbindung abermals zusammen, und alles war umsonst. Direkt ins Netz zu schreiben, was ich für Reisejournale aus Zeitgründen manchmal tu, verbietet sich ohnedies; doch gibt es an diesen Computers auch keine Textprogramme; alles muß immer zurück auf Editor-Basis gerechnet werden, so daß die Formatierungen verlorengehen usw. Ich kann Sie insofern nur um Verständnis bitten. In Facebook und Twitter komme ich von Bord aus g a r nicht, sei’s, daß die hiesige Firewall meine Versuche abblockt, sei’s daß die Programme zu komplex sind – so, wie auch mein persönlicher Account bei Googlemail. Sicherheitshalber habe ich heut bei der neuen Freundin in Eivissa eine Weiterleitung auf das simple GMX eingeordert. Denn auch meine Emails ließen sich bis heute nicht abrufen. – Dies nur zur Erklärung. Und jetzt, hierneben, das Eitelkeitsbild. Wie Sie sehen oder doch ahnen, will die Sonne bereits meine Bräunung.]
>0.10 Uhr:
[Promenadendeck, Innengalerie vor dem Captain’s Club.]
Bier. Talisker im japanischen Flachmann (klingt völlig unjapanisch, dieses „Flachmann”, der auch eher, silbermetallen und schwer, ein Wölbungsmann ist), Latakiamischung in der Pfeife. Noch Abendanzug, die Fliege indes bereits abgelegt.
Jetzt bin ich grad etwas mehr als 48 Stunden auf See, und es ist, als wär eine Woche vergangen: kurzweilig, was hier ein richtiges Wort ist. Zwei Tage auf See, so wurde mir erklärt, entsprächen einem an Land: s o gesehen, werde ich insgesamt vier Wochen unterwegs sein. Hier ist jetzt fast alles schlafen gegangen, und wenn ich jetzt von Olga schreibe, so nicht von >>>> Aleatoriks und trotz des Risikos, daß meine Löwin ihre Krallen wetzen, wenn sie das liest. Es war der erste Gala-Abend der Reise mit Show, das heißt Glitter & Glamour, vorweg eine Lesung in einem anderen Raum, deren Chuzpe nicht nur mich erstaunte, aber eben auch staunen ließ ob einer Dreistigkeit der Naivetät und daß es sie gibt, nämlich sie beide. Junge Frau geht nach Frankreich und wundert sich nicht nur, nein beschwert sich darüber, daß die dortigen Leute nichts andres sprechen als Französisch, das sie zur Erzählzeit noch gar nicht verstand. Der Plot aber – ein Lebens- und Lebenserfahrungsplot – ist nicht schlecht: Gänzlich ohne Kunde der Sprache beginnt die junge Frau, eine Agentur aufzubauen, die deutsche Arbeitslose an französische Unternehmen vermittelt, deren Payroll es an Konten fehlt, sprich: an Lohn- und Gehaltsempfängern. Das funktioniert, man glaubt es kaum, aber glaubt es schließlich doch. Eingefügt sind neckische Bemerkungen über den Franzosen an und für sich, wobei sich alles schließlich umdreht und aus der jungen Dame eine leidenschaftlich Frankophile macht, die über ihre, sagen wir, Bekehrung ein Buch schreibt, das sie nun kreuzfahr’nd bewirbt. Das hat keine Sprache, aber ist launig dargebracht.
SCHNITT.
In der Astorlounge nun die Show: nicht unperfekt, gar nicht, die Tanzeinlagen sind gut, aber es jagt ein Evergreen den andren. Wobei das „aber” ganz falsch ist, denn das Entertainment entertaint wirklich. Es ist nur kein Wagnis darin. Man beschließt die knappe Stunde mit einem CanCan. Und da eben liegt das Problem. Der Showtanz, seinerzeit, war Skandal, und zu recht: den Herren wurde damals blümerant, wenn Damen ihre Waden zeigten. Man muß sich das vergegenwärtigen, und nicht alle Tänzerinnen, damals, trugen, was meine Großmutter selig gern Liebestöter nannte – womit sich ihr spöttisches Wissen um Wahrheit ziemlich blitzend kaschierte. Allewelt, auch die Zyniker drunter, deren es einige gibt an Bord, amüsierten sich; die Band spielte hübsch, und immerhin: es gab kein Eviva Espana – weil der Abend Paris galt, dem alten, längst untergegangnen der Fünfziger Sechziger Jahre.
Das ist kein Grund für Hoffart. Denn sehen Sie, dies ist ein Dorf auf der See; es ist die Übereinkunft, daß wir uns eskapieren, und zwar in harmloser und auch gerechter Absicht: Ferien im tiefsten – einem menschlichen nämlich – Sinn des Worts. Ich saß da, und es regte sich kein Widerstand, stelln Sie sich vor: in mir – nein, ich genoß es.
Das lag nicht nur an Olga, die Lenas Rücken von Göttinnen hat; ich bemerkte sie, also ihn, schon vor der Show, und ich konnte nicht anders, als leise auf sie zuzutreten und ihr das Kompliment zu machen. Da sah sie auf, hatte kein Wort verstanden, aber den Sinn, und lächelte und sagte : „Thank you”. Woraufhin ich nichts anderes tat, als zu Queebeeq hinüberzuschreiten, der für den Abend ganz wie ich einen Abendanzug trug, so daß man seine Tätowierungen kaum mehr sah. Doch seine Harpune hatte er bei sich, auch dort, wo er mit einem älteren Herrn im, man faßt es nicht, Gespräch begriffen, passend zum Anlaß in Französisch.
Von Olga zu schwärmen, bedeutet, aus purer Demut, die eine Form der Erkentnis ist, auf jeden Einwand des Geistes zu verzichten und in einen Zustand überzugehen, der anbeten möchte und das autonome Ich dem Verfall zu freiem Verkauf gibt. Es macht einen frei, sich derart von Überzeugung zu trennen, und das, eben, scheint mir unterdessen Kreuzfahrt zu sein: Was ich eben noch Demut nannte, ist eine plötzliche Form der Grandezza.
Sie hat sich eingeschlichen, ohne daß ich es merkte, achtundvierzig Stunden genügten vollauf. Meine Leser wissen, wie empfindlich ich in Sachen Musik bin; hier aber wippte ich mit. Doch müßten Sie, um das zu verstehen, diesen Körper gesehen haben in seiner so doch bedeckten Unbedeckung.

Es heißt, wenn einer von einer Kreuzfahrt nicht mit wenigstens zwei Kilo mehr auf den Knochen heimkehrt, dann habe der Koch etwas falsch gemacht. Wir essen hier quasi ständig, und das geht ganz durcheinander, bisweilen Haute Cuisine, dann wieder stimmt etwas nicht ganz, dann wird man wieder überrascht von kleinen Sensationen. Auch dies verschleift sich ineinander, so, wie das ständige wummernde Pochen der Motoren zum Basso continuo der eigenen Existenz wird. Die Stunden sind flüssig an ihren Rändern, es sind nicht Einheiten mehr, nichts mehr, das noch als definiert empfunden würde, empfunden werden k ö n n t e, und die Abendgarderobe, die der Reise eine Form gibt, verstärkt das noch. Das Zerfließen von Zeit wird rituell. Denn immer auch, tags, dieses Licht und das Blau – da ist etwas Logisches drin, daß wir derzeit Ibiza (Eivissa auf Katalan) umrunden und abermals umrunden: an sich hat eine Kreuzfahrt nämlich kein Ziel, weil dieses HierMehrAlsJe nur der Weg ist. Unterm Strich handelt es sich um eine Meditation. Sie ist dabei, mich Toleranz zu lehren. Was ja ganz neu ist für mich, daß ich da nicht protestiere.
Eine irrsinnige Freundlichkeit umgibt uns allerbords, vom Kapitän aus Odessa über die nautischen und nicht-nautischen Offiziere bis hinab zu den Matrosen. Noch nie hab ich irgendwo ein solches Fehlen von Feindschaft verspürt. Eine Kreuzfahrt scheint mir eine Spielart des Luxus von Ashram zu sein. Man kann sich darüber erheben, sicherlich – doch wofür? um welchen Preis? und mit welcher, w e n n, Selbstüberhebung! Dabei sind wirklich erst noch nur zwei gegen zwölf noch kommende Tage vergangen… – Romana C. erzählte am ersten Abend: die Gäste brauchten meist drei Tage, bis sie auftauten; danach seien sie plötzlich daheim. Dies ging nun schneller
Noch immer tuckern wir um Ibiza rum; führen wir „normal”, wir hätten längst Valencia erreicht, unseren nächsten „Ziel”ort. All dies hat auch etwas von einem Rausch, sagen wir: ’s ist ein Acht-Knoten-Schwips. Auch deshalb und nicht nur des lahmenden Internets halber wird dieser Bericht völlig anders, als ich mir vorgenommen hatte, wie er werde. Sich öffnen.

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6.27 Uhr:
[Wieder am selben Platz. Nach dem ersten Gang aufs Achterdeck und dem ersten, noch quasi ergatterten Kaffee aus dem Überseeclub: ab 6.30 Uhr gibt es ein kleines Frühstück für die zu frühen Vögel; für mich ist das immer noch erst spät.]
Wir nähern uns Valencia; dunkel berührten Wolken achtern ein Meer, das wie Blei glänzt. Philippinen wischen noch das Deck, nachdem sie’s abgespritzt haben; Wassertropfen stehn auf den Tischen. Stiller Betrieb, nur im Überseeclub, der einer edlen Kantine gleicht, wimmeln und wirbeln Stewardessen und Stewards: sie decken all die Tische ein.Nach dem kurzen Gang geh ich mit meinem eroberten Kaffee wieder hinab, nur ein Deck tiefer an meinen mittlerweiligen Arbeitsplatz: Steuerbord ist Raucherbord. Ich habe mich auf meine üblichen vier Stunden Schlaf zurückgependelt; bis zwei Uhr nachts habe ich mit dem Internet gekämpft und hatte es diesmal, wie Sie lesen können, besiegt. Da schlief ich dann sofort in Schlaf, es war kurz nach zwei; um Viertel vor sechs stand ich auf. Queebeeq, noch immer, ist nicht zurück; aber sein Seesack liegt noch auf seinem Bett.
Ich will die Fünfminuten-Lesung vorbereiten, die ich zur Einfahrt in den Hafen wieder von der Brücke aus über die Außensprechanlage lesen will: Vicente Blasco Ibañez und der Zeitgenosse Jaimje Siles:Niemals Schweigen: Klang,
geballte Laute, alle
die verwunschene Summe
ihrer Stimmenvielfalt.
(An sich dürft’ ich heute nicht von Bord, sondern müßte für Sie die Nachträge schreiben; es sind einige. Am Abend findet meine erste große „eigene” Lesung statt: ausgerechnet in der vergleichsweise riesigen Showlounge der ASTOR. Sollte sie sich fülleb, ist das ein idealer Ort, sind es hingegen zu wenige Hörer, verlieren sich Stimme und Menschen im Raum.)

9.13 Uhr:
Gefrühstückt auf dem Achterdeck: alles enorm reichhaltig, und wieder fällt die Freundlichkeit des Personals auf: Wer hier an Bord ist, wird gepflegt. Auch die Preise, übrigens, sind sehr vernünftig; es gibt keinerlei Grund, sich ausgenommen zu fühlen, den man sofort an jedem Flughafen der Welt verspürt und in den meisten gehobenen Hotels. Hier auf der ASTOR hält es sich mehr als im Rahmen; die geringen Aufschläge gegenüber dem Land sind, ist wirklich zu fühlen, allein der Situation gschuldet.
Sechzehn Nationalitäten arbeiten an Bord, sehr viele Russen, ich schrieb es bereits, Ukrainer, ein paar wenige Polen, Italiener, auch Türken; paar Deutsche und Österreicher, ein Südafrikaner, viele Philippiner: das geht quer durch die Ränge, etwa der Rudergänger ist Pillipino, von dem man allmählich annehmen muß, daß er nie schläft, sondern stets auf Wache am hölzernen Steuer steht. Die Anlegemanöver werden vom Kapitän höchsteigen gefahren: elegant, mit welcher Unaufgeregtheit, ja mit kleinem Finger, er das Schiff an den Kai bringt. Zu dem kleinen Sektempfang gestern abend gab er jedem der knapp 400 Gäste die Hand.

4 thoughts on “Meine Seeabenteuer (4): Nach Ibiza und um Ibiza herum. Des alten Jim Hawkins’ Reisejournal des Dienstags, dem 10. Mai 2011. Kreuzfahrers Groovin’. Ab morgens dann VALENCIA.

  1. mich würde mal interessieren … inwiefern bedienstete aus allen herren ländern dort an board einer internationalen, börsennotierten gesellschaft, mit den unterschiedlichsten lohngruppierungen, mit ihrer arbeit & entlohnung zufrieden sind. ich kann mir eigentlich nur schwer vorstellen, dass es im zuge der allgemeinen globalisierung dort nicht auch sogenannte völlig unterbezahlte lohnarbeiter gibt, welche irgendwo unsichtbar im hintergrund arbeiten.

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