Passionskonzert ODER Stimme der Menschheit. Kai-Uwe Jirka dirigierte Franz Liszt und Allan Pettersson in Gethesemanes Karfreitagskirche.

Voran stand ganz sicher eine Idee des Dichters >>>> Christian Filips’, der der Berliner Sing-Akademie leidenschaftlicher Dramaturg ist und gestern abend auch einige deutsche Übersetzungen jener südamerikanischen Gedichte vortrug, die der große, ja riesenhafte Komponist >>>> Allan Pettersson seiner Kanate Vox Humana zugrundegelegt hat. Es war die Idee einer wahrhaftigen Passionsmusik, die zugleich konfessionell gebunden wie auch ungebunden ist, weshalb es sich geradezu organisch anbot, Petterssons Komposition mit Franz Liszts so späten wie radikalen Sakralmusiken zu kombinieren, bisweilen in Art eines Wechselgesangs, bisweilen aber auch nach Komponisten geclustert, wobei Filips zusätzlich für eine leitmotivsch durchgeführte Chronologie gesorgt hat: – zum einen über Liszts ausgedünnte Cia Crucis (dreimal fällt Jesus, dann wird er ans Kreuz geschlagen, dann stirbt er), – zum anderen, indem das Konzert in vierzehn Stationen, also eben den Passionsweg Jesu, unterteilt wurde, so daß bei aller Weltlichkeit der pettersonsschen Gesänge der Ritus gewahrt blieb. So gesehen war das Konzert in der Gethsemanekirche eine hochgradig musikalische Literatur, bei der leider das Finale oder, sagen wir, die Coda ins Übergewicht stürzte: Liszts über 30minütiges Stabat Mater nämlich noch hintanzustellen, nachdem die etwas mehr als eine Stunde währenden dreizehn Stationen zuvor in äußerster Konzentration zelebriert worden waren, schuf ein so gewaltiges Unverhältnis, daß eben die heilsame, ja heilende Konzentration wieder ganz verlorenging und aus der vor allem durch die Via Crucis wieder und wieder beschworene Liturgie die weltliche Aufführung eines Konzertsaalkonzertes wurde, – zu merken alleine schon an dem für Anlaß wie Ort unpassenden Applaus. Lang ist es offenbar her, daß man nach Requien nicht klatschte, einfach, weil’s sich nicht gehört, sondern das Requiem und die Meditation gehören einem Inneren allein.
Hier hat die Eitelkeit oder etwas, das unbedingt auch mal gespielt werden sollte, die gesamte Andacht gestört, und ich trat wie ernüchtert, meiner Ergriffenheit wider Willen entschlagen, in den gedunkelten Abend hinaus. Schade. Man hätte, wie aus Petterssons Vox Humana, auch dem Stabat Mater Liszts einen Auszug entnehmen können, der in der Gewichtung die nötige, vorher so beeindruckende Balance bis zum Ende aufrecht erhalten hätte.
Dies nimmt aber der Qualität der Aufführung nichts. Vielleicht hätte Filips seine Rezitationen im Ton etwas zurücknehmen können, um nicht gar so pfaffig zu klingen, vielleicht wäre da etwas mehr Nüchternheit angemessen gewesen anstelle des allzu Getragenen, für das, ohne das „allzu”, die Musik den Trauergrund schon ganz alleine sang… denn: w i e sie das sang! Man muß nicht gläubig, schon gar nicht konfessionell gebunden sein, um in diesem Konzert unmittelbar zu verstehen… nein: zu fühlen, für was der Leidensweg Christi nach wie vor zu stehen befähigt ist. Das war vor allem den klaren Leitung Kai-Uwe Jirkas zu verdanken, der die Symphonische Compagney Berlin wie selbstverständlich durch die oft schreiend schwierigen Passagen besonders Pettersons führte und zugleich geradezu aufwandslos mit den beiden Chören vereinigte, nämlich der Sing-Akademie wie dem Staats- und Domchor Berlin. Geradezu unfaßbar die Kombination des ersten Falls Jesu in der Via Cruci mit Cassiano Ricardos Gedicht auf einen toten Freund („Auf welches Herz fällt nächstens/wohl sein mörderischer Glanz?”), das Pettersson in schwedischer Sprache vertont hat, und zwar unter Beiziehung eines an den Tango gemahnenden Unterhaltungsklangs, über den wie Schnitte die Streicher ziehen. Und nach einer weiteren Pettersson-Vertonung erklingt plötzlich, schon in Liszts Komposition erschütternd, Paul Gerhards Sancta Veronika – wo das, was wir zu hören bekamen, eine musikalische Messe auf dem allerhöchsten Niveau einer Weltmusik war, von der etwa Gulda geträumt hat. Dazu noch Ferdinand von Bothmers ungemein präsenter, doch weicher Tenor voller Sangeskultur. Im besten Sinn, im innersten, erschüttert saß ich da, als –
ja, als es diese Unterbrechung gab. Da war die Meditation eigentlich zuende, ein kleiner Abschluß hätte noch hier hingehört, nicht aber, zumal mit Zwischenklatscherei, Liszts kompositorisch riesiges Aufbäumen, das – nach dem innig Vorhergegangenen, nicht musikalisch für sich – den Schmerz der Pietà durch Vergrößerung eigentlich kleiner werden ließ, es nämlich – hier, nicht in einer gesonderten Aufführung – aus dem Inneren der Hörer hinausnahm und spätromantisch objektivierte… es den Hörern wieder fortnahm, nämlich… man kann auch sagen: sie davon befreite, so daß sie getrost zum Abschluß applaudieren, sich ihre Betroffenheit hinwegapplaudieren konnten.
Schade. Ach schade. Ich hatte zum ersten Mal wirklich ein Passionskonzert gehört. Und war dann drum betrogen.

Vox humana.
In 14 Stationen mit Musik von
Franz Liszt und Allan Pettersson.
Sing-Akademie zu Berlin.
Staats- und Domchor Berlin.
Symphonische Compagney Berlin.
Kai-Uwe Jirka.
Julia Giebel, Sopran. Hilke Andersen, Alt.
Ferdinand von Bothmer, Tenor. Nikolay Borchev, Bariton.

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