Der Linsen-Cyborg vor der OP. Augen-OP (1). Arbeitsjournal. Dienstag, der 12. April 2011.

9.20 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Verschlafen. Wirklich erst um acht Uhr aufgewacht, die Löwin angerufen, meiner Irritation Ausdruck verliehen. Sie meint, mein offenbares Schlafbedürfnis komme von dem täglichen Training; ich lief gestern die zehn Kilometer cross wieder unter 50 Minuten (49’26’’), dazu zwei Kilometer Auslaufen; meinen Kreislauf merke ich danach tatsächlich immer: er ist ganz weich, wie gewattet. Danach dann noch die Radfahrten zur Augenärztin, wobei ich vermute, daß mir, bei aller selbstbelustigten Ruhe angesichts der beiden Ops Anfang nächster Woche, die Risikobeschreibung denn doch etwas zugesetzt hat, die ich gestern in der Praxis unterschrieb. Weitere Messungen und dazu was Atropinähnliches in die Augen; die Pupillen ganz weit, was mit einem Verlust der Sehschärfe einhergeht, aber vor allem bis jetzt noch anhält: Ich hab jetzt die Augen von Katzen im Dunklen, nur daß die halt gut sehen so…
Man bekommt ein Echtleder-Etui mit allerlei Gaben: – Augentropfen, drei Tage vor der OP selbst einzuträufeln viermal täglich: das Antibioticum; – weitere Augentropfen, gegen etwaige Schmerzen, für bis zu ein paar Tagen nach der OP, ebenfalls viermal täglich einzuträufeln; – transparente Augenklappen für die Nacht, – sowie eine ziemlich elegante, jedenfalls schnittige sehr dunkle Sonnenbrille à la The Matrix, die man auch tragen soll, wenn’s einem nach der OP zu hell wird. Auch die Beschreibung der OP selbst hat’s in sich, also dessen, was da eigentlich gemacht wird und geschieht: ein so kleiner Schnitt, daß nicht genäht werden muß, aber die organische „eigene” Linse wird quasi zersetzt und dann abgesogen; in die Falte wird dann die künstliche Linse eingesetzt. „Netzhautablösung ist selten”, sagt die Ärztin, „wird aber beschrieben. Wenn Sie irgend einen Schatten von den Seiten wahrnehmen: sofort melden. Auch bakterielle Infektionen sollen vorkommen, wir hatten aber so einen Fall noch nie.” Undsoweiter. Die nüchterne Erklärung nimmt die in mir untergründig halt doch wirkende Furcht, aber untergründig wirkt sie wohl weiter. Also hat das Gehirn im Schlaf was zu tun. Bewußte Angst habe ich keine, allenfalls ist da ein bißchen flauSein, weil’s ja nun losgeht. Was mich tatsächlich beschäftigt, ist die Betäubung: Spritze ins Auge? Ich hab nicht gefragt. Bekam aber, vor dem Messen des Augendrucks, zu dem pupillenerweiternden Zeugs noch etwas zur Betäubung eingeträufelt; dann wurde gemessen; und davon merkte ich in der Tat gar nichts. Also würde ich auch die Spritze nicht merken. Aber die Vorstellung, wie da eine Nadelspitze ins Auge geht, bewegt mich doch immer wieder. Andererseits: welch ein Wunderwerk Gehirn! Wunderwerk Nervenwerk – daß ich wirklich gar nichts spürte.! Und sofort der politische Gedanke: welch eine Manipulation möglich ist… der Realitätswahrnehmung. Wenn das schon organisch so ist, wie dann in den Bereichen „reinen” Geistes denn nicht?

Gut, ich muß arbeiten. Ich fange jetzt mit UFs Lektorat des Jungenromans an, damit das vom Tisch kommt; danach, wohl erst wieder am Ende der Woche, Korrektur ff der Kleinen Blog-Theorie. Zum >>>> Verlagsfest der Kulturmaschinen, auf dem ich aus den >>>> Fenstern von Sainte Chapelle vortragen werde, will die Löwin aus Wien aneisen, „eigentlich müßte es klappen”, aber es hänge an drei Terminen, die dazwischenkommen könnten, sagte sie eben am Telefon.

Leider scheint’s mit dem Sonnenwetter erst mal wieder vorbei zu sein. Daß ich bereits beim zweiten Latte macchiato angekommen bin, muß ich Ihnen nicht eigentlich mehr schreiben, oder? Um zwölf, etwa, radle ich zum Training; ich habe noch fünf Tage, danach muß ich OP-halber aussetzen. Was mich wurmt. Aber man soll nach dem Eingriff nix tun, was den Augendruck erhöht; intensives Training tut das leider. Selbst, ob ich in den zwei Wochen danach radfahre, soll ich mir überlegen. Das hat was von Selbstentmächtigung. Ist aber auch wieder ein absurder Gedanke: als wäre das nach einer Blinddarmoperation anders. Dennoch, es geht so in meinem Hirn dahin und daher. „Linsen-Cyborg” hat mich, indirekt, Sowieso vorausgenannt.

18.26 Uhr:
Ein riesen Fruchtsalat mit Joghurt und Haferflocken nach dem Sport und danach eine Stunde tiefen Schlafs. Zudem rund ein Viertel von UFs Lektorat des Jungenromans bereits durchgearbeitet. Imgrunde sind es nur Kleinigkeiten; ich selbst aber werde noch ein Motiv verändern müssen – aufgrund einer Recherche; da muß ich die Spur quer durch den Roman revidieren. Das sollte aber bis zum Freitag spätestens alles geschafft sein.
Spannende Lektüre zudem, ein Geschichtswerk; ich will darüber aber noch nicht schreiben, weil mich einige mißverstehen würden. Das kann ich momentan – in der Hinsicht – nicht brauchen. Wenn ich den 500-Seiten-Wälzer durchhaben werde, werde ich aber ganz sicher von ihm erzählen. Grob angedeutet aber dies: es geht um die Geschichte des Begriffs der Nation, d.h., im weiten Sinn, der sozialen und politischen Identität.

Muß zum Elternabend los.

8 thoughts on “Der Linsen-Cyborg vor der OP. Augen-OP (1). Arbeitsjournal. Dienstag, der 12. April 2011.

  1. Also, mal zur Beruhigung, vor jeder OP unterschreibt man quasi sein direktes Ableben, allein der Narkosearzt droht mit komplettem Stimmverlust, und, ja, die letzte Narkose hat mir auch die Arme komplett verblaut, gekonnt sieht anders aus, aber vielleicht hab ich auch so versteckte Venen, nun die gute Nachricht, die, die sich selbst Cyborg nannte, war ob der Welt in Farbe nach den beiden Linseneinsätzen wirklich beglückt und kann heut auf Brille verzichten dazu. Sie werden keine Narkose benötigen, lediglich eine Betäubung. Sie sollten nicht allein gehen, und, klar, Bedenken bei Augen-OPs hätte ich auch, aber, das wird schon, alles Gute dafür. Hinterher würd ich vielleicht nicht gleich wieder so viel Sport machen sofort, sondern eher mal nen langen Spaziergang an der Spree vorziehen, das fällt mir ja eh auf, dass es quasi keine wohltemperierten Genüsse gibt bei Ihnen, selbst lesen geschieht, wenn, getrieben, erst wenn Sie mal Urlaub machen, siehts so aus, als könnten Sie mal für einen Moment einfach im Liegestuhl den Körper wärmen, auch, wenn ich verstehe, dass diese Getriebenheit mit der Existenzsicherung eng verknüpft ist und man hier ja auch liest, wenn Sie mal einen Gang rausnehmen, Sie sich damit nicht gut fühlen, darum rate ich niemandem, der das nicht will, davon zu lassen, meist stolpern solche Menschen aber von selbst irgendwann in eine häutende Hängematte und entdecken das schlichte schaukeln. Mir sagte mal jemand, oder fragte es mehr, dass er den Eindruck habe, wenn wir uns unsere Schwächen zeigen würden, würden wir uns darum nicht weniger mögen, ich versuchte umständlich zu erklären, ich teile vielleicht nicht nach Schwäche und Stärke und ich mag jemanden nicht für seine Stärke oder lehne ihn wegen seiner Schwäche ab, vielleicht noch der größte Irrtum, dem Männer etwas häufiger erliegen, zumal schwach und stark, wenn, eh jeweils auf einer Münze zu finden sind.

    1. Linsengericht Unübersehbar ist in dieser sich selbst wollenden Lebendigkeit aber auch eine meditatio mortis, eine Angst vor dem letzten Schlaf. So beklagt einer seine Konkavität und sehnt sich nichts mehr als ein wenig Konvexität.

    2. @Henze. Sollte ich diese Angst vor dem Tod tatsächlich haben, dann wäre sie keine bewußte; an sich aber kann ich die Angst vor dem Tod weder unvernünftig finden noch sträflich. Sie, Henze, aber hätten Sie nicht?
      In jedem Fall bringt meine meditatio mortis mehr Ergebnisse und bleibende als Ihre permante Attackiererei, die von dem, das sie kleinmachen möchte, in keiner Weise lassen kann: von mir.

      Doch in der Tat: meine sich selbst wollende Lebendigkeit – w i l l sich. Das macht Ihren „abschließenden Schluß“ zu dem, was er ist: zur banalen Meinung – hinter der dann wieder, ebenso „geschlossen“, Lebensangst steht. Der habe ich eine Angst vor dem Tod noch allemal vorgezogen.

    3. @Sowieso. Hinter dem, was Sie für mich nicht falsch beschreiben, steht schlicht die Hyperaktivität. Die Existenzsicherung ist als Rationalisierung des Phänomens nur begründend.

      Ich weiß allerdings nicht recht, wo ich meine Schwächen – soweit ich in Der Dschungel Privates alles erzählen darf – verbärge (was, übrigens, ein für mein Sprachgefühl sehr häßlicher Konjunktiv ist, weil er falsch wirkt: „verbergte“ schriebe ich lieber; „verbergen würde“ wiederum hat etwas, in dem sich eine Absicht zu verstecken scheint). Das diagnostische Problem liegt m.E. darin, daß es ziemlich schwer ist, sich von anderen Menschen vorzustellen, sie hätten eigene Schwächen nicht, ganz so, wie man sich nur schlecht vorstellen kann, sie verfügten nicht auch über die eigenen Stärken.

    4. Nein, eigentlich verbergen sie Schwächen nicht, aber tendenziell erzählen sie lieber von den Stärken, vielleicht so, wobei ja auch von seinen Schwächen erzählen als Stärke gemünzt werden kann, kommt aber meist dann aus meiner Schmiede, und soll ja auch was hermachen, so ja nicht, und, ja, Menschen sind verschieden, was mich nur manchmal umtreibt, ist, ob man sich in der Selbstbeschreibung wirklich trifft, man sagt sich, man sei so und so und glaubt sich das dann, dabei, wenn ich mich selbst beobachte, denk ich, so warst du da und ein andermal warst ganz anders und doch hab ich ja auch ein konsistentes und kein kontingentes Bild von mir, sprich, auch wenn meine Handlungen öfter mal ganz unzuverlässig ausfallen oder unbeteiligt, denke ich doch von mir, ich sei ein verlässlicher und zuverlässiger Mensch, das ist ein bisschen wie mit Karl Valentins Spruch: Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich nicht dazu.

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