III, 279 – Oder auch nicht

Kühler Nordwind. Die Sicht ging bis zu Sant’Angelo Romano weit unten im Latium. Jedenfalls vermute ich es, daß dessen kleiner Kegel, den ich irgendwann auch einmal besucht (wahrscheinlich mit dem damaligen Fiat 500), demjenigen entspricht, den ich am Horizont gesehen. Könnte auch Montecelio sein, das dicht dabei liegt. Sich aufkegelnde Orte wie die Gemeinde Orte, der Absender der “atti giudiziari”, die ich, den Horizont beim Hinuntergehen absuchend, während der Nordwind kühl fächelte, von der Post abholte. Das falsch geparkte Auto.
Hatte mich auch nur deshalb hingetraut, weil auf einem weiteren Zustellzettel von vorgestern eben von der Gemeinde Orte die Rede war. Da wußte ich Bescheid. War sogar erleichtert, denn es handelte sich ja nun nicht mehr um die alte Steuergeschichte, die schlimmstenfalls auch sehr aufkegelnde Wirkungen zeitigen könnte.
Nicht wirklich im Sinne des Kegelbaus wie in der Bernhardschen Korrektur, wo alles gegen Ende in ein Tragisches transferiert wird, das in eine nimmer enden wollende Beklemmung hineingeboren wird. Bernhardsche Texte sind in diesem Sinne eine Hebammenkunst: sie verhelfen der Tragik zu einer ins sinnhaft Sinnlose sich steigernden Geburt oder umgekehrt und verhallen im ständigen eintönigen Rauschen wilder Bäche, in die in verzweifelten Momenten hinabgeschaut wird unter Hintansetzung aller zielgerichteten Gedanken. Denn die einzigen zielgerichteten Gedanken sind auf Fetische, auf Kalkwerke, auf zu errichtende Wohnkegel gerichtete Gedanken.
Von zehn Seiten Bernhard am Tage, genauer am Nachmittag, bin ich jetzt auf sechs Seiten am Tage, genauer am Nachmittag herabgesunken, was ohne weiteres naturgemäß geschieht, sofern sich ein solches Herabsenken der täglich gelesenen Bernhardseiten (wohlgemerkt am Nachmittag, wenn meinetwegen auch die Sonne hereinscheint durch das Arbeitszimmerfenster >>>> linkerhand (wie ja auch tatsächlich beim Hinuntergehen der ganze Horizont linkerhand lag), womit ich aber dennoch dem alten Trick aufgesessen bin, daß der Daumen da links ist, wo die Hand rechts ist, aber der Link und der Gang geben mir indes wieder mein Recht zurück, denn sonst stimmte es nicht, und ich täte der Reminiszenz des ‘linkerhand’ sowieso damit unrecht) – wie soll ich sagen – von selbst als Selbstverteidigung versteht oder auch nicht, es könnte auch eine Verweigerung der Selbstverteidigung sein, die sich nicht schon beim Lesen einstellt, sondern erst beim Nachwirkenlassen des Gelesenen oder vielmehr vor dem Öffnen des Buches am nächsten Nachmittag.
Ansonsten verfolgen mich Handelsregister, in denen Tätigkeiten zur Erbringung von Dienstleistungen zur Ausübung von Handlungen ausgeübt werden, die auf die Dienstleistungen der Beratung usw. hinauslaufen bzw. abzielen. Und oftmals kann es sich um das und das handeln, aber im selben Moment auch wieder nicht.
Und/oder-Mentalitäten. Womit auch Bernhard gemeint ist. Da lob’ ich mir Sankt Kierkegaard und sein Entweder Oder.

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3 thoughts on “III, 279 – Oder auch nicht

    1. Die in einem … … Deckenlabyrinth sich mäandernde Inschrift in einem der Gemächer des Gonzaga-Palastes in Mantua. Ein Riesending. Sogar Zwergengemächer gibt’s dort. Solch’ ein Labyrinth bildet aber nimmer einen Kegel. Man kann sich für einen Kegel entscheiden oder ihn bauen, man kann sie auch in ihrer Neuner-Kumpanei mit einer Kugel auseinandertreiben. In dem letzteren Fall würde ein “Forse che sì, forse che no” innewohnen, allerdings nicht Kopfkugelentscheidung, sondern ein “wer weiß?”. O fosse o non fosse, um’s lautlich zu verschleifen und in ein “ob’s nun so oder so gewesen”, was sich als Un-Kegel vor dem Unabwendbaren wie bei Bernhard als Vernichtung aufbaut und die Entscheidung schon hinter sich hat. Vor ihr stand die Entscheidung, die aber immer bloß schicksalsmäßig und natürlich “naturgemäß” erfolgt. Heißt, der Kegel ist geworden und umgefallen. “Es ist darum noch nicht die Rede von der Realität des Gewählten, sondern von der Realität des Wählens.” (Kierkegaard). Die Realität des Gewählten kann sich auch darin äußern, daß ein Hypochonder sich für bestimmte Krankheiten entscheidet, wie ich neulich, die er dann auch schlimm erleidet, die indes heute meiner Wahl entzogen wurden, weil “forse che sì, forse che no” zur No-Seite sich definitiv gependelt. Man wirft seine Glieder nicht straflos in alle Winde. D.h., denen man während der Hypochondrie sozusagen definitiv entsagt, ohne sie indes aus den Händen zu lassen. Solange man ihnen entsagt, hängt man an ihnen. Schon aus diesem Grund ist jede Form des Entsagens Unsinn. Kann also die “Realität des Wählens” in das Labyrinth übertragen werden, ist Wählen ein Entscheiden? Entweder Oder würde es suggerieren. Das ist wohl der krasse Gegensatz zu den Bernhardschen Figuren, die zwar etwas wählen, aber entweder die Ausführung vor sich hinschieben oder sie nicht überleben. Immerhin ein merkwürdiger Gedanke, dem Text den D’Annunzio zu assoziieren. Und sofern ich keinen Blödsinn geredet habe, hab’ ich mir dennoch etwas aus den Fingern gesogen, vielleicht gar aus dem Daumen. Bin ja auch mal Hitchhiker gewesen… Gute Jahre.

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