Von Conthey nach Berlin. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 2. März 2011. Abends dann zur Polyamorie.

9.16 Uhr:
[ICE 76, Basel-Mannheim-Berlin.]
Komplizierte Rückfahrt. In aller Herrgöttinsfrühe hinaus und hinunter in den Ort, aber nicht nach Conthey direkt, sondern Madames Fahrer brachte mich gleich nach Sion, so daß ich nicht erst den Bus nehmen, sondern gleich in einen Interregio bis Bisp und von dort in einen nach Bern steigen konnte. Momentlang spielte ich mit dem Gedanken, >>>> Abendschein anzurufen, um ihn auf einen Kaffee zu treffen, aber ich bin eng in der Zeit, muß frühabends in Berlin sein, und fürs abermalige Umsteigen waren grad zehn Minuten angesetzt. Er möcht es mir also nicht übelnehmen, wenn ich mich nicht gemeldet habe (wahrscheinlich liest er dieses hier gleich).
Weiter von Bern nach Basel. Man bekommt ein ganz gutes Gefühl für die Schweiz, wenn man auf dieser Strecke aus dem Fenster sinniert. Ich war auch noch zu müde zum Schreiben, wir waren sehr lange wach, Madame und ich. Ins Netz gehe ich mit meinem Funkstick sowieso nur in Deutschland; alles andre ist schlichtweg zu teuer – wobei ich erst mal schauen muß, ob ich aus dem fahrenden Zug eine Verbindung bekomme; bei den letzten Reisen scheiterte das immer. Ich nehm es gelassen: einen frischen Ziegenkäse ließ Madame mir mitgeben und ein frisches, von ihrer Hofbäckerei gebackendes Brot; außerdem ist mein Rucksack voller Wein, was ihn andererseits leider nicht leichter macht. Ich bin bei der Umsteigerei jedenfalls gehörig ins Schwitzen geraten.
Von Basel (SBB) jedenfalls jetzt in dem ICE bis Mannheim, wo ich ein nächstes, vorvorletztes Mal werde umsteigen müssen; danach in Spandau in einen RE bis S Jungfernheide und von dort bis zur Prenzlauer Allee. Wenn alles gutgeht auf der Reise, werde ich gegen 17 Uhr die Tür der Arbeitswohnung aufschließen.

Ich kochte einen Hammel gestern abend, nicht einen ganzen, selbstverständlich, sondern schob einen Schenkel in den Ofen, mit sehr viel Knoblauch und Rosmarin. Madames Gesinde hatte ihn besorgt; „Gesinde” ist nicht mein Wort, sondern ihres. Sie kann ziemlich arrogant sein. Dazu, zu ihrer Arroganz, gab es Buschbohnen und Prinzeßkartoffeln; die Sauce fertigte ich aus dem Bratsaft, einigem Rotwein und einem halben Ziegen-Frischkäse. Es gab schweren dunklen Wein, französischen, nämlich aus dem Burgund, wiewohl ich Schweizer Weine ja schätze. „Ich geb dir ein paar Flaschen mit”, sagte sie und ließ eine Kiste aus dem Keller holen, die mir aber zu schwer war. Vier Flaschen aber nahm ich mit. – Spät zog sich Madame in ihre, tja, ‚Gemächer’ zurück, die dort auf dem Bergland freilich eher Kammern sind – ‚Kammerfluchten fällt mir ein. Madame lehnt es nämlich ab, mit einem Mann, mit dem sie geschlafen hat, dann auch zu schlafen. „Nichts ist dringender als Distanz. Die Menschen verstehen das nicht, ja, es ist ihnen zuwider. Doch macht ihnen die Wärme das meiste kaputt, woran ihnen liegt.” – „Dann liegt ihnen nicht daran”, erwiderte ich. – „Oh doch! Aber sie haben keine Haltung. Sowie sie erschöpft sind, werden sie Kind.” Dabei stieß sie auf eine Weise Luft aus der Nase, daß ich momentlang an meine Löwin denken mußte. Die ein bißchen verschnupft ist, seit ich ihr von meiner Schweizer Bekanntschaft erzählt habe. Jedenfalls ist das mein Eindruck.

Jetzt werd ich mich mal daranmachen, diesen Fragebogen zu beantworten; außerdem stehen die heiklen und bohrenden Interviewfragen RD’s an, sowie muß für den Jungenroman eine Art Teaser geschrieben werden. So wird mir die Reisezeit ganz sicher nicht lang.
In diesem Moment schreibt mein Junge seine Lateinarbeit; ich rief ihn rechtzeitig vor der Schule noch an, um ihm Glück zu wünschen und ihm meine Zuversicht in ihn zu vermitteln. Er war ziemlich gut drauf und will gleich nach seinem Schlagzeugunterricht am frühen Abend in die Arbeitswohnung kommen.

17.41 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Mit ganz leichter Verspätung angekommen, will ich gleich zum Training losziehen; habe nur eben noch alle Mails rausgeschickt, die ich während der Fahrt bearbeitet habe. War ganz gut, daß ich sie in der Schweiz herauskopiert hatte; so mußte ich nicht drauf warten, daß mein Funkstick funktioniert. Jedenfalls eine ganze Menge geschafft, und mein Bub war auch schon hier. Ich hatte ihn angerufen, er wartete in der Wohnung. Was die Lateinarbeit anbelangt, wirkt er mehr als zuversichtlich, wollte jetzt aber nicht schon wieder lernen. „Ich hab doch die Arbeit geschrieben, Papa, da will ich auch mal Freizeit haben.” Woraufhin der autoritäre Vater federblütenweich wurde. Schon schoß der Junior ab.
Hin und her mit dem Kinderbuchverlag wegen der Illustrationen; die Zeichnerin oder der Zeichner sollen gute Characterisierungen der Helden haben; vor allem geht’s jetzt mal ums Cover. Noch während der Zugfahrt rief >>>> Ricarda Junge an, über die ich mein nächstes Hörstück schreiben und inszenieren werde; ausgestrahlt werden soll es Anfang Juli. Dennoch ist nicht viel Zeit, wegen der Augen-OP und wegen der Kreuzfahrt. Also fange ich schon mal an. Am Montag mittag kommt sie fürs Mittagessen, auch für meinen Jungen, her, dann werden wir schon mal planen.
Ich muß los, sonst wird’s zu spät.

22.23 Uhr:
Vom Sport und zweieinhalb Saunagängen zurück, die ziemlich gutgetan haben. Ein weiterer Fragekatalog kam hier an; nunmehr geht es um literarische Weblogs. Hab eben, nachdem mein Pfefferminztee bereitet und auch schon der Fruchtsalat geschnibbelt war, den ich morgen früh verspeisen will, schon mal anzufangen versucht. Aber die Augen verschwimmen. In >>>> die Bar mag ich jetzt nicht mehr, schon, weil meine Beine vom Training müde sind. Außerdem mag ich heute keinen Alkohol trinken; nach Leistungssport wäre das eh nicht gut.
Die Löwin hat auf >>>> Megairas Kommentar auf geradezu irrwitzig souveränre Weise geantwortet, was mir wiederum zeigt, daß ihr Groll sich verraucht hat, der aber auch gar nicht dieser Schweizer Frau galt, sondern einen ganz anderen Grund hatte, den ich hier aber nicht hintertragen will, weil sonst wieder die Vermutungspetersilie hochsprießt. Abgesehen davon, wie stünde ich jetzt da, erzählte ich auch noch von der Walliser Raffaela weiter? Also darum hat Sie Megaira gebracht; ich wasche meine Hände in meiner umfassenden Unschuld.

10 thoughts on “Von Conthey nach Berlin. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 2. März 2011. Abends dann zur Polyamorie.

  1. nur verschnupft? Bei aller Polygamie: Wenn ich die Löwin wäre……….rasen würde ich!
    Ich glaube nicht, daß man elementare menschliche Gefühle wie die Eifersucht so einfach beiseite schieben kann, wenn man den andern wirklich liebt. Vielleicht weiß sie’s noch nicht, aber ich denke, sie tut es, lieben und dann vielleicht auch rasen. Mag sein, sie versucht, das Gefühl nicht zuzulassen, zu verstehen. Aber ein Stachel bleibt immer. Dorme il ramarro nell’infanzia di mostro (Zitat Salvatore Quasimodo).

    1. Der Mann ist maßloser, als selbst eine Löwin verträgt. Deshalb wählte sie ihn. „Ich bestehe darauf, dass Du mich betrügst.“
      Die Monogamie, Megaira, ist ein Weichmacher. Wer die Lust ebenso liebt wie die Liebe, tut gut daran, den Stachel im Fleisch zu lassen.

    2. @Löwin. Ich ahnte, so sehr schöne Frau, daß Sie mir nicht länger grollen, zumal mein – darf ich es so nennen? – Faux pas in etwas anderem bestand, als meine Leser ahnen können. Er mag entschuldbar sein, aber daß Sie hier mit solcher Souveränität reagieren, beschämt mich um ein Nächstes und zu recht.

    3. Werte Löwin, ich bewundere Sie.
      Abgesehen davon, dass ich durchaus davon ausgehe, dass Herr Herbst auch hier wieder die Grenze zwischen Literatur und dem „wirklichen Leben“ verschwimmen lässt, was mehr als legitim und durchaus reizvoll ist, ICH hätte ihm diesen Satz hier nicht verziehen:
      „Dabei stieß sie auf eine Weise Luft aus der Nase, daß ich momentlang an meine Löwin denken mußte. Die ein bißchen verschnupft ist, seit ich ihr von meiner Schweizer Bekanntschaft erzählt habe. Jedenfalls ist das mein Eindruck.“

      Mich der Eifersucht zu bezichtigen, und das auf der von Ihnen in diesem Thread geschilderten Grundlage, das würde mich dazu veranlassen, meine Krallen zu zücken – vorausgesetzt, ich wäre wirklich frei von Eifersucht (aber diese Art Frau bin ich nun mal nicht, wenn ich liebe). Eine andere Frau zu akzeptieren (was wiederum kein Problem für mich darstellt) heißt jedoch nicht eine bestimmte Art zu akzeptieren, in der er über sie in der Öffentlichkeit spricht.

    4. Liebe June, zur Eifersucht habe ich Ihnen, glaube ich, nie erzählt, wie sehr ich Küren (Kürs – Jessas, was ist die Mehrzahl von ‚Kür‘?) – also wie sehr ich diese Virtuosenstücke auf Glatteis liebe?

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .