… und es ist sehr gut für einen wachen Verstand, eine Leiche im Schrank zu haben.

Jean Giono, >>>> Ennemonde.

Der Schlächter trifft seine Vorbereitungen im Hof. Das Opfertier wird trotz seiner Schreie herangezerrt: Es klingt merkwürdig, aber der Schlächter braucht bloß seine Messer zu wetzen, und schon wird das Schwein mit einem Mal ruhig. Wenn es sich um einen guten Schlächter handelt, wenn man ihn unter dem herumziehenden Volk ausgewählt hat. Manche Bauern lassen Berufsmetzger kommen. Die Berufsmetzger sind keine guten Schlächter. Die Tiere akzeptieren den Tod nicht, den sie bringen; sie akzeptieren den, den die Vagabunden bringen; wenn der Metzger auf den Hof kommt, und sei es nur für einen einfachen Freundschaftsbesuch, ist der Schweinestall, der Schafstall und selbst der Pferdestall in Aufruhr. Der Vagabund kommt mit seinen Messern: alles bleibt ruhig; lediglich ein leichtes Ächzen, wenn der große Augenblick naht. Wenn man versucht herauszubekommen, was hinter diesem merkwürdigen Verhalten steckt, so stellt man fest, daß es sich schlicht und ergreifend um ein Zeremoniell handelt: Ob man nun für die Wurst oder für die Auferstehung bestimmt ist, der Tod ist derjenige Augenblick, wo die Natur im Geschwindschritt zurückkehrt. Der Metzger aber ist die personifizierte Technik, für ihn zählt nur das Gewicht des Tieres und sein finanzieller Gegenwert; der Vagabund kommt aus der Tiefe der Zeiten, er lebt auf vertrautem Fuß mit dem Hunger. Bei ihm kann man sicher sein, daß das Ritual respektiert wird; und tatsächlich läuft alles mit beneidenswerter Schnelligkeit, Leichtigkeit und Ehrerbietung ab. Schon blutet das Tier in den Eimer aus, wie ein Faß, dessen Hahn man auf die einfachste Weise von der Welt geöffnet hat.
(Dtsch von Michael von Killisch-Horn.)

24 thoughts on “… und es ist sehr gut für einen wachen Verstand, eine Leiche im Schrank zu haben.

  1. nein, zu meiner zeit wurde den schweinen eine kugel in den kopf gejagt (keine pistole, eine art bolzen, der auf die stirn gesetzt wurde), was durchaus schiefgehen konnte. ich erinnere mich an eines, das nach dem schuß reißaus nahm und nach vielem hin- und hergerenne dann doch dran glauben mußte. und ich, beim tötungsakt, durfte den schwanz festhalten, den, abgeschnitten, ich dann als preis erhielt. erst dann setzte das messer an, und das blut floß in die schüssel. die unterarme der großmutter rührten fortwährend in dem blut, damit es nicht gerinne und für die blutwurst tauglich blieb. dieweil das schwein an einer leiter aufgehängt sein aufgeschnittenes inneres pastellfarben preisgab mit seinen ausgebreiteten vier armen, kopflos schon, nachdem man ihm in einem trog mit warmem wasser die borsten mit trichterförmigen eisengeräten abgeschabt. am ende des sezierens und der verwurstung (das dauerte seinen tag) das ritual des rohen frischen fleisches (vulgo gehacktes) auf frischen brötchen, dazu viel zwiebeln und pfeffer. und für die erwachsenen männer natürlich reichlich korn oder steinhäger, frisch aus der tiefkühltruhe (denn dorthin kamen solche flaschen immer), das opfer zu ritualisieren und sich selbst darzubringen. oder auch nicht: es gab zu essen und zu trinken. ja doch: „schnelligkeit, leichtigkeit“, die „ehrerbietung“ gilt dem vorgeschriebenen ablauf, dessen gelingen, dem „schnelligkeit, leichtigkeit“ vorbedingung. der schlachter war kein berufsmäßiger schlachter, obwohl er immer derselbe war: ein bauer aus dem dorf, der das einfach gewohnheitsmäßig machte. die reaktion der schweine vor dem tötungsakt: ich habe nie wirklich darauf geachtet, wahrscheinlich, weil das schlachten zum leben dazugehörte und den beinamen „schlachtefest“ trug. soweit die durch das zitat hervorgerufenen reminiszenzen.

  2. Die Götter und die Literatur Ich habe Giono nie gelesen und besitze von ihm auch nur den Roman „Die Geburt der Odyssee“, insofern nehme ich diesen Text hier als willkommene Anregung, da etwas nachzuholen.
    Wobei mein Interesse vor allem dem Thema „Mythos“ gilt, mit dem ich mich schon lange und seit einiger Zeit verstärkt beschäftige.

    Die Gegenüberstellung Metzger/Vagabund, die Giono hier vornimmt, mutet an, als habe Ernst Jünger über das Naturhafte versus Technik reflektiert. Wobei es freilich recht ungenau bleibt. Ich würde z.B. gern mehr darüber wissen, worin das „Zeremoniell“ genau besteht. Giono sagt das nicht und schildert das Vorgehen des Berufsschlachters und des Vagabunden auf fast identische Weise. Man bekommt dabei den Eindruck, dass die Tiere weniger auf ein Zeremoniell reagieren, als auf die Person des jeweiligen Schlächters, was wiederum dazu führt, dass sich hinter der Figur des „Vagabunden“ wohl etwas anderes verbergen muss – ein Gott etwa, ein Herr der Tiere, wie ihn der keltische Cernunnos verkörpert (siehe seine Abbildung auf dem Kessel von Gundestrup). Der menschliche Metzger ist nur ihr Mörder. Gionos „Vagabund“ ist ihr Herr, dem sie ihr Leben hingeben. Man muss schauen, ob sich in anderen frühen Mythen identische Figuren finden. Etwa im Mahabharata. Giono ist sicher ein Baustein zum großen Thema der Götter und der Literatur.

    1. @ phg: oder anders: das zeremoniell ist der (zeit)ort, an dem menschen und götter einander berühren. denn er text zeigt einen deutlichen unterschied zwischen ‚vagabund‘ und metzger auf: letzterer quantifiziert bloß, vertritt die statistik, schlachtet zahlen.
      der andere aber weiß um die kreatur als je einzelne. ganz unstatistisch. und sie weiß um ihn. daher diese ruhe, die giono in der tat unvergleichlich be-schreibt.

      machen wir und nichts vor: das zeremoniell lebt geradezu von der person, die es durchführt. ob es nun der priester, der einzelne oder das medium sein mag. mehr muss giono gar nicht erzählen.

      und à propos götter: hermes konnte immer nur addieren, nie multiplizieren. weshalb er als gott der einzelnen auch nicht in die sphäre moderner statistik überlaufen konnte.

      @ paralallie:
      das muss gesagt werden: auf Ihre sehr klangvolle übersetzung von anhs elegie würde ich jederzeit einen steinhäger mit Ihnen nehmen!

    2. nur zu! und danke für die erste (!) reaktion auf meine italienische version!

      zum vagabunden und zum mythos:
      odysseus. der zyklop zumal. wer tötet, ist ein niemand.

    3. @Aikmaier, ganz am Rande Wenn man irgendwo zwischenspeichern kann, ist Addition aber auch vollkommen ausreichend – alles weitere ist eine reine Frage der Geschwindigkeit, bzw. der Zeit, die man gewillt ist, auf das Ergebnis zu warten. Da Hermes ja allerdings auch die Angewohnheit hat, mit den Einzelfällen zu kommunizieren, kann das durchaus etwas dauern… 😉

    4. caro sig. paralallie: keine ursache.

      beim ersten blick auf die seite Ihrer übersetzung (ha! „seite“; was für eine re-okkupation des elektronischen mediums für die papierene flachware. darum erst recht:) beim ersten blick auf die seite also sprang mir sogleich das wort „noia“ ins auge. das von Ihnen gesperrt gesetzte „noi“ mit nachfolgendem „a“ setzte bei mir eine kette von assoziationen aus, die nun so gar nicht zum text von anh passen wollte: langeweile: come mai – warum? wie jemals das?

      und so musste ich erst den gesamten text lesen, um mich gleichsam von diesem ersten falschen eindruck frei-zu-lesen. daher erst spät mein kommentar. besonders gelungen für mich sind Ihre assonanzen und alliterationen, die dem text einen eigenen sprachklang verleihen, der – ohne das deutsche imitieren zu wollen – diese lyrik wirken lässt.

      A.

    5. @Aikmaier wenigstens hat es sie dazu gebracht, den ganzen text zu lesen. ich verstehe aber das problem. es ließe sich wohl durch ein fragezeichen hinter „noi“ und einem großgeschriebenen A dahinter lösen. es ergäbe auch eine gute zäsur beim lesen.

      Ma siamo n o i ? A piangere queste lacrime?

      zu imitieren bestand allerdings keine möglichkeit, und es bedürfte schon einer sicherheit in ital. versmaßen – die ich nicht habe – einen noch ganz anders durchsetzten text herzustellen. aber das wäre schon wieder ein „wollen“, das aber am „können“ scheitert. so ist’s eine wohlklingende (bild‘ ich mir und bilden auch Sie mir ein) übersetzung ganz im geiste des originaltextes. vielleicht ließe sich in diesem zusammenhang von sprachgestik sprechen.

    1. @ phg; „Gionos Beschreibung gibt das so nicht her. “ nein? — :

      Der Metzger aber ist die personifizierte Technik, für ihn zählt nur das Gewicht des Tieres und sein finanzieller Gegenwert; der Vagabund kommt aus der Tiefe der Zeiten, er lebt auf vertrautem Fuß mit dem Hunger. Bei ihm kann man sicher sein, daß das Ritual respektiert wird.

    2. @Aikmaier und PHG. Mücken, dick wie Tiger. Auch ich denke, daß Giono hier einen sakralen Zusammenhang anspielt, einen der, möchte ich das nennen, Naturkirche. Sehr vieles bei Giono hat einen pantheistischen Klang; in seinen frühen Texten werden Schilderungen von Land geradezu Hymnen; hier im Spätwerk nimmt sich das durch Bitterkeit weg. Da er sich während der deutschen Besatzung nicht dem Widerstand angeschlossen hat, wurde dem hymnischen Landschaftston nachher Blut- und Boden-Ideologie unterstellt, die ihrerseits ja schon allzu kurzgreift, indem sie eine Desavouierung der Verbundenheit mit seinem Land, was jetzt die Scholle meint, die Hügel, zwischen denen man aufwuchs, usw. aus der Ablehnung des Faschismus rationalisiert und die Menschen – ganz im Sinn des siegreichen Kapitalis
      mus – gründlich genug entwurzelt, um sie zu jederzeitigem Einsatz dort abzurichten, wo Arbeitskraft industriell grad gebraucht wird.
      Dagegen steht auch in Gionos Spätwerk weiter, hier für die Camarque:

      Aber es gibt eine Stunde, in der alles zur Ruhe kommt. Die Wolken werden länger und färben sich rot in der untergehenden Sonne; unbeweglich stehen sie über den Hügeln jenseits von Nimes und Uzès. Sie schlafen schon. Hier pfeift der Bach vor sich hin. Der Schatten steigert die Unruhe ins Maßlose, die Romantik jedoch öffnet angelegte lichte Plätze in der Angst. Die Gespenster ziehen fort mit der Sonne. Eine langgestreckte grüne Heuschrecke bereitet sorgfältig das Abschnallen ihrer Schenkel vor. Man sieht, wie sie ihren Sprung bedenkt. Mit ihren kleinen Krallen knetet sie den Staub, sie dreht ihren Philippe-Auguste-Kopf nach allen Seiten, lotet mit dem Fühler die Weite der Luft aus, sie sammelt ihr Gesicht in ihren Kniegelenken, schließlich schnellt sie in die Höhe, entfaltet ihre roten Flügel und landet an einem Ort, der sich in nichts von dem unterscheidet, den sie verlassen hat. Schwärme von Mücken, dick wie Tiger, wetzen ihre Krallen gegen die Seide von Luft. Die Kopfsprünge der Frösche fügen der Unergründlichkeit des Abends eine zusätzliche Dimension hinzu. Die Eule schüttelt ihre Pantoffeln von Busch zu Busch aus. Die Nachtschwalbe summt vor sich hin. Irgendwo klappert ein Stelzenläufer. Dies ist auch die Stunde des wahrhaftigen Fuches, der unsichtbarer noch als sein Geist ist; aber er bellt, und sein häusliches Gezänk weitet die Nacht. Ratten fliehen Rattengefahren, verfolgen Rattenbeuten, oder träumen Rattenträume von wilden Jagden, im Rudel, den Bauch am Boden. Das letzte Tageslicht schimmert auf den scharf geschnittenen Schwanzfedern der letzten Schwalbe. Der erste Stern blinkt auf. Die flimmernde Glut der Städte und der Dörfer erleuchtet den gekrümmten Horizont der Steppe. Man vernimmt das Grollen des breiten Rhônearms. Die Fische lassen die Oberfläche der Weiher plätschern. Der wehmütige Schrei der Reiher dringt durch die Nacht gegen Aigures-Mortes. Die Stille ist von römischer Beredtheit. Alles Lebendige ist in Bewegung und schweift geräuschlos umher, sogar das Schilf, sogar die verkrüppelten Bäume. Die Sterne fallen in das Delta ein. Es gibtr mehr Sternbilder im Vaccarès als am Himmel. Der Schlamm und die Verwesung duften nach türkischen Süßigkeiten.


      Bevor Gionos eigentliche Geschichte losgeht, stehen dreißig Seiten reiner Naturbeschreibung; was bedeutet, daß sie bereits zur Geschichte gehören und eben n i c h t nur Einleitung sind. Zwischen ihren Geschehen und den menschlichen, die in ihnen statthaben, wird der Unterschied gering.

  3. Die profane Seite… Die Betäubung mittels Bolzenschussgerät vor der eigentlichen Tötung des Schlachttiers ist meines Wissens nach immer noch Standard (soweit ich mich erinnere auch kraft Tierschutzgesetz [sic!], mit dem traditionelle Schächten als einzige Ausnahme), sowohl bei Haus- und Hofschlachtungen als auch im industriellen Schlachthof. Nur dass bei letzterem aufgrund des enormen Zeitdrucks öfter mal der Schuss schiefgeht und bestenfalls halbbetäubte Tiere lebend überbrüht werden etc. Leider werden bei dem bei uns erhältlichen Fleisch zwar einigermaßen die Aufzuchtbedingungen registriert, aber selbst ein mittels bester artgerechter Haltung aufgezogenes glückliches Biorind kann nichtsdetotrotz im widerlichsten Industrieschlachthof sein Ende gefunden haben, ohne dass es der Käufer derzeit erführe. Lieber als jede abstrakte Kennzeichnung wäre mir übrigens angesichts einer Gesellschaft der konsequenten aseptischen Todesverdrängung z. B. eine bildliche Dokumentation der Schlachtung[1]. Abgesehen davon, dass die Umstände des Todes auch auf die Fleischqualität durchschlagen, halte ich es nicht zuletzt auch für eine Frage des Respekts vor der von mir verzehrten Kreatur, hier wenigstens über eine explizite Wahlmöglichkeit verfügen zu können. Womit wir in gewisser Hinsicht auch wieder bei Giono wären – der auch bei völlig nüchterner Betrachtungsweise nämlich schlicht und einfach m. E. ziemlich gut/korrekt beobachtet hat.

    [1] Zu einer vorindustriellen Landwirtschaft/Existenz _können_ wir als Gesellschaft nicht zurück, abgesehen davon, dass ich es nicht für wünschenswert halte. Insofern bleibt uns nur die unfreiwillig ironische Option, die Entfremdung und sonstige unerwünschte Nebenwirkungen der Industriekultur mittels Technologie wieder auf ein halbwegs erträgliches Maß zu verringern.

    1. @BRSMA, zur Verbildlichung. Ich stellte mir eben vor, daß auch Schlachtereien, wie man das nun aus jedem Post“amt“ gewöhnt ist, Screens über den Verkaufsthresen hängen haben, auf denen allerdings nicht Werbungen für Zinsgewinne gemacht, sondern industrielle Tötungsakte dokumentiert werden -: Ob wohl die Wirkung ähnlich „verpuffte“ wie die Warnungen auf Zigarettenschachteln? Ob freilich die Technologie die Nebenwirkungen zu verringern vermag, scheint mir zweifelhaft zu sein; aber Lektüren wie die Jean Gionos können es möglicherweise: als ein Trauerbewußtsein um das, was wir – bei allem Gewinn, da gebe ich Ihnen recht – verloren haben. Wobei ja weniger „wir“ verloren, als es dem Geschöpf ohne Sprache geschah und geschieht. Dessen industrieller Tod, auch darüber muß man sich andererseits klarsein, keineswegs grausamer ist, als es, jedenfalls zumeist, der in der „freien“ Natur wäre – ich habe dem >>>> in den Fenstern von Sainte Chapelle eine gesonderte Passage gewidmet.

    2. Es sollte, denke ich, bei dieser Diskussion, die ja vom Text zur Realität gefunden hat, nicht nur um den Tod der Kreatur gehen, sondern um das LEBEN derselben. Und da sollte man schon bedenken, wie die Tiere gehalten, wie sie behandelt werden. Diese Massentiermörder mit ihren Fleischfabriken gehören für mich zu den widerlichsten Menschen auf diesem Erdball! Aber das ist den meisten Menschen ja leider alles egal. Hauptsache fressen!

    3. Im real existierenden Sozialismus gab es ja wohl mehr Fleisch als Gemüse, und auch mehr Zwang als Freiheit. Doch denken und sich verhalten kann jeder für sich allein, jedenfalls in der westlichen Welt, da braucht es keine große Runde. Und auch nicht mehr Geld, wohl aber mehr Bildung und mehr Bewußtsein. Hoffnung ist natürlich trotzdem keine vorhanden.

    4. Wissen Sie was, Herr Sturznest, grundsätzlich gebe ich Ihnen recht! [Nachtrag: Die Kommentare, auf die ich hier an zwei Stellen antworte, sind gelöscht.] Ich sagte ja, Hoffnung ist nicht vorhanden, wahrscheinlich noch nicht mal in bezug zum hochgebildeten Prekariat, das es in Deutschland auch gibt – Hungerlöhne und Ausbeutung betreffen ja immer mehr auch die Hochgebildeten, vor allem die, die nicht in „die Partei“ (= alle Parteien) gehen. Vereinfacht gesagt hält sich „der Staat“ immer mehr dort heraus, wo er eingreifen müßte, während er sich in Belange einmischt, die ihn nichts angehen.

    5. Ich hab da eben was gelöscht, weil nicht auf die Antwort gewartet wurde. Schade, war ein Anfang mit Schmackes, ein wenig polemisch zwar, aber nur so geht es los. Jedenfalls sollte Gedenken still sein, nicht Wahlkampf!

    6. (Ich habe es gelesen, bevor sie es löschten) Ich glaube auch, man muss das Opfergedenken in den Vordergrund stellen und auch deutlich machen, dass Deutschland den Krieg begonnen hat. In Dresden ist zu viel Prominenz, doch Demonstrationen gegen rechts werden zu wenig beachtet. Die sollten mal nach Düren kommen, das ist so gut wie vernichtet worden im Krieg, und still mitgedenken. Ganz zu schweigen von so vielen Orten in ganz Europa.

    7. @Schlinkert. Was haben Sie gelöscht? Mir ist da, glaube ich, was entgangen? Wer sollte auch welche Frage antworten?
      Im übrigen sind Kriege in aller Regel Zusammenhänge; will sagen: Es gibt nie einen, der anfängt; sondern es setzen sich, grauenhafterweise, Kontinuitäten fort.

    8. Prominenz-Propaganda Es ging um den Gedenktag in Dresden, der jedes Jahr von der politischen Prominenz mit Hilfe der Presse für eigene Zwecke benutzt wird (Stichwort Dauerwahlkampf in Deutschland), während etwa der Widerstand gegen Rechts, so wie im letzten Jahr, nicht ausreichend oder falsch dargestellt wird. Letztes Jahr gabs dazu im Nachhinein einen langen Artikel von Ingo Schulze in der SZ.
      Da es aber im Netz leicht zu Mißverständnissen kommt, habe ich es wieder herausgenommen. Das Thema ist zu groß, um es zu verschlagworten.

    9. Mit der Süddeutschen Zeitung läßt sich das Angesprochene heute gut belegen. Der Hinweis auf Seite 1, Überschrift ’17 000 protestieren gegen Neonazis‘, endet mit „Zu den Teilnehmern gehörte auch Bundesinnenminister Thomas de Maiziére“. Auf S. 6 ist auf dem Foto nicht das Volk zu sehen, sondern Sachsens Ministerpräsident Tillich, de Maizière und andere Wichtige. Die gehen doch nicht als Bürger dahin, das kann mir keiner erzählen. Die Hofberichterstattung der Medien ist in dem Zusammenhang natürlich auch ein Problem.

  4. Giono, Zeremoniell, Töten. Komme gerade von einem sehr guten Gespräch mit Schlinkert zurück. Bin ein wenig müde, na, sowieso. Deshalb eben nur: Danke, daß einmal wieder ein „nur“-literarischer, dichterischer Text Anlaß zu einem Netz-Gespräch ist. Daß dieser Handschuh aufgenommen wird.
    Morgen mehr.

  5. Nachtrag? Schuld? Traf hier im Dschungel heute wieder auf diesen Giono-Chat vom Frühjahr und würde gern noch etwas nachtragen. Vielleicht weil gestern auf dem Kulturmaschinen-Fest so viel Fleisch gegrillt wurde, how ever.
    Ich arbeite ja gewissermaßen im ‚Brotberuf‘ als Literaturcoach. Und da betreue ich inzwischen seit so sieben, acht Jahren auch einen Autor, der wiederum in seinem ‚Brotberuf‘ Schlachter ist. Sagen wir es genauer, er hat mittlerweile, nachdem ich ihn ausgebildet habe, seinen vierten Roman veröffentlicht und arbeitet jetzt am fünften. Ich schätze seine Texte sehr, weil sie eine wirklich eigenständige Stimme besitzen. Und er ist auch nicht einfach Schlachter, er ist einer der größten Fleischproduzenten Deutschlands. Ich will den Namen hier nicht nennen, jeder kennt ihn, aber es geht darum nicht. Worum es allerdings im Zusammenhang mit der Giono-Debatte hier geht, das ist die Haltung, die er einnimmt. Und die hier überhaupt noch nicht zur Sprache gekommen ist. Er artikuliert nämlich das Thema der „Schuld“, sagt, dass wir bereit sein müssen, Schuld auf uns zu nehmen. Nicht nur im Schlachten, im Umgang mit der Kreatur, die wir töten, sondern in unserem ganzen Leben. Er setzt sich in seinem ganzen Schreiben immer wieder auf vielfältige Weise mit der Frage der Schuld auseinander, der Schuld, der man nicht ausweichen kann, wenn man wirklich lebt. Und er hat natürlich aus diesem Grund einen sehr starken Reflex gegen die „Gutmenschen“, die glauben, sie könnten sich durch ein irgendwie politisch korrektes Verhalten aus der Schusslinie ziehen, selbst von Schuld frei bleiben usw.
    Ich denke, dass er Recht hat, obwohl ich ja selbst als Vegetarier und Buddhist für mein Leben ein ganz anderes Handeln gewählt habe.
    Die Frage des Rituellen, die anfangs in diesem Chat artikuliert wurde, ist dabei sehr wichtig, denn der Ritus ist ja eine Form des Umgangs mit der Schuld, vermag sie zu kanalisieren und uns davon sogar wieder zu reinigen. Hier liegt ein Ursprung des Religiösen, Religion als ein selbstgeschaffener Mechanismus, der uns von der Schuld gegenüber unseren Mitgeschöpfen befreit, Gewalt kanalisiert usw.
    Mein Coachee hat in dieser Hinsicht übrigens keinerlei religiösen Impetus. Er meint vielmehr, dass wir MIT der Schuld leben müssen. Meine Lebenserfahrung gibt im Recht.

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