Ventilieren. Das Arbeitsjournal des 18. Januars 2011. Mit Triskele jetzt und Wellesz.

6.15 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Latte macchatio, Morgencigarillo.
Mein Junge lag dann bis nachmittags hier, bis er wiederhergestellt war. Die Arbeit ging dennoch voran, wenn auch nicht so entscheidend, wie ich noch am Sonnabend gedacht habe. Die üblichen 5 TS-Seiten sind’s meiner allerdings stets sehr gefüllten Seiten, dann setzt der Kopf aus und wird etwas zäh, so daß Ablenkungsbedürfnisse aufsteigen, Dekozentrationen. Das kann ich mir eigentlich nicht leisten. Aber es ist auch ein fortwährendes immer-Neues: „Seit ich dich kenne”, sagte die Löwin am Telefon, „folgt auf eine große Arbeit gleich die nächste, da ist ein permanenter Druck. Daß du dich wirklich mal ausruhst, gibt es nicht.” „Doch”, sagte ich, „wenn ich mit meinem Sohn nach Italien fahre oder allein oder mit dem Freund.” „Ah!” rief sie und schnurrte fast im Baß. „Wenn ich an das Foto denke, auf dem du da im Liegestuhl liegst, und kein Internet ist in der Nähe… nur ein Buch…” – Das muß aber auch reichen. Denn, je nun… ich bin kein Erfolgsautor, der Bedürfnissen, auch meinen eigenen, dient und 100.000 Euro pro Buch kriegt. Dennoch kann ich von meinen Arbeiten leben und sogar ein Kind ökonomisch betreuen. Und in diesem Druck liegt eine Chance, de imgrunde die gleiche ist wie die, daß ich gegen Widerstände angehen muß und k e i n geschmeidiger Mitspieler des Betriebs bin – irgend eines Betriebs: es ist ja ganz wurscht, ob man sich in den Kunstbetrieben oder der Automobilwirtschaft aufhält. Überall geht es nach Lobbies, und Lobbies bezahlt man. Man besticht sie entweder oder man paßt sich ihnen an, sei es in Mitläufermentalität, sei es intrigant – oder in Mischungen von beidem. Ich aber habe mir das Privileg bewahrt, genau das zu tun, was ich will. Dafür bezahle ich mit Arbeit. Ich bin mir klar darüber, daß dies auch eine Form der Arroganz ist und in gewisser Weise auch jenes aristokratische Vergnügen, von dem einmal Baudelaire schrieb: zu mißfallen.
Entsprechend lehnte gestern >>>> die Literaturwerkstatt Berlin, die mich stilvollerweise immer zu ihren Veranstaltungen >>>>facelädt, die Präsentation der Bamberger Elegien ab. Sollten sie eine große und gute Rezension in der, sagen wir, ZEIT erhalten, wird man die Ablehnung vergessen machen wollen; Mainstreamler beugen sich dem Mainstream; sie haben keinen Stolz. Ein bißchen warf mich das aber trotzdem zurück. Um so wichtiger, genau den künstlerischen Weg entschieden weiterzugehen, den ich ich nun schon ganz gut befestigt habe. Für Diplomatie sind meine Impresaria >>>> Stang zuständig und jeweils die Verleger. Denen rede ich auch nicht ins Wort; immerhin darin hab ich mich ge‚bessert’. Menschen gegenüber bin und war ich immer konziliant, in der künstlerischen Sache aber nie; Menschen verzeihe ich, und zwar von Herzen, Schwäche, nicht aber der Kunst.

Heute morgen, während ich den Latte macchiato zubereitete, wieder ein starker Impuls zu einem Gedicht. Es liegen viele Gedichte begonnen in den Dateien herum, auf dem Desktop usw. Ich darf dem aber momentan nicht nachgeben, weil erst die Fristen einzuhalten sind. Auch das gehört zu dem Druck, unter dem ich stehe. „Ventilieren” kommt von „Ventil”; deshalb: ich ventiliere ihn sexuell. Halbreal, geformte Netz-Projektionen in einigen Türen zur Wirklichkeit. Ich knete sie, bevor ich sie brenne. Projektionen erst, also Fiktionen einer Macht, die ich im Literaturbetrieb nicht habe; ich habe sie aber gegenüber Frauen. Noch bin ich mir nicht sicher, ob da nicht ein ursächlicher Zusammenhang wirkt, der meine frühen Erlebnisse von Hilflosigkeit, namentlich gegenüber meiner Mutter, aufs Erwachsenenleben transponiert hat, und zwar in varianten Formen, die hochambivalent aufeinander bezogen sind und sich wechselweise pushen. Das hat etwas von einer Wippe. – Das Buch, das d e  m gilt, liegt auch noch unabgeschlossen herum. In >>>> MEERE habe ich das Prozessuale daran allerdings schon angedeutet.

[BDSM-Theorie.]

Arbeiten.

10.55 Uhr:
[Egon Wellesz, Violinkonzert (1961).]
Dieses Musikstück kannte ich noch nicht. Aufregend.
Und alles wird immer anders. Meines Jungen Mama ruft an. Er habe so seltsame Flecken im Gesicht, die auch wehtäten. Zumal geht in der Kita seiner Geschwisterchen Scharlach um.
Also die Arbeit unterbrechen, Treffen mit dem Jungen um Viertel vor achte Ecke Stagarder/Schönhauser. Anderthalb Stunden Wartezimmer bei meinem Hausarzt, den ich ja sehr mag, zumal er mich, ohne mit der Wimper zu zucken, ja sogar gerne gegen poetische Bezahlung behandelt hat. Nein, unwahrscheinlich, Scharlach sei das eher nicht. Kein Fieber? Keine besondere Lichtempfindlichkeit? „Zeig mal deine Zunge.” Und ab der Junge wieder zur Schule, während die Apotheke die Salbe anrührt.
Im Wartezimmer am Jungenroman weitergetippt. Ich sag Ihnen: Laptops sind ein solcher Segen! Ich hab ja diese Fähigkeit, überall arbeiten zu können, egal wo; mich stört einfach nichts, weder Maschinenlärm noch Pausenhofsgetummel. Wenn ich mal drin bin und mich nicht grad mein Unterleib ablenkt. Und jetzt >>>> dieses Konzert!

Fürs Mittagessen wieder zwei Steaks besorgt und mit dem Schlachter geplaudert, einer, der sich noch aus DDR-Zeiten gehalten hat und der ein vorzügliches Fleisch verkauft. “Keine Chemie”, sagte er, “einfach nur gutes Rindfleisch. Ich kenne den Bauer.” Schon, daß er nicht “Landwirt” sagt, ist mir nah.

29 thoughts on “Ventilieren. Das Arbeitsjournal des 18. Januars 2011. Mit Triskele jetzt und Wellesz.

  1. Verzeihung, das Hörspiel ist immer noch ungehört, es fehlten bis jetzt ruhigere Zeiten und ich möchte es mit Ruhe hören.
    Ob Autos oder Autoren, ja, das scheint mitunter wirklich schnuppe, allerdings gebe ich bei der Literaturwerkstatt zu bedenken, dass sie Sie wehr wohl auf dem Schirm hat, auch meine ich mich zu erinnern, dass Christiane Lange in der Jury vom Senatspreis saß, den Sie ja nun bekamen und ich nicht, obwohl die Literaturwerkstatt mich doch sonst auch bedenkt mit Aufträgen, so what, man kann einfach nicht davon ausgehen, daß sie einen bespielt, wie man es sich selber wünscht, das macht wohl keine Institution, allenfalls vom P.E.N. verspricht man sich ja dann immer mal wieder Lesungen, so daß ja auch NICHTPENLER am besten gar nicht erst eingeladen werden sollten, was dann wiederum SELBSTPENLER ziemlich bescheuert finden. Ich glaube, man darf nicht den Fehler machen, zu meinen, es gibt da einen geschlossene Front Betrieb, wie die DDR, die systematisch und organisiert wen ausschließt und wen hofiert, es gibt den auktorialen Strippenzieher nicht, es gibt nur Herumwursschtler manchmal wird man schlicht und einfach beim Wurschteln der anderen vergessen, wenn ich bei Herrndorf lese:

    “15.1. 17:36

    Gerade werden die Filmrechte verhandelt. Und das ist vielleicht der Punkt, wo ich dann doch so eine Art von Ressentiment empfinde: 25 Jahre am Existenzminimum rumgekrebst und gehofft, einmal eine 2-Zimmer-Wohnung mit Ausblick zu haben. Jetzt könnte ich sechsstellige Summen verdienen, und es gibt nichts, was mir egaler wäre.”

    Dann finde ich das außerordentlich bitter. Herrndorf wurde zwar immer besprochen und war allen irgendwie im Bewusstsein, aber überschlagen wie bei Tellkamp oder Franck hat man sich nicht. Warum? Ich glaube, darauf hat so ein Betrieb selbst keine Antwort, bis auf vielleicht die, dass er keine Familienromane schreibt, jedenfalls keine zeitdiagnostischen. Keiner, der einen Überblick fingieren müsste. Er wirkt außerordentich sympathisch, viel sympathischer als ein Tellkamp, eine Franck, daran kanns nicht liegen, er schreibt viel besser als beide, vielleicht hat ihm die ZIA Nähe geschadet, war zumindest mal das erste bei einem Schriftsteller, was dem zu Herrndorf einfiel, als ich tschick aus der Tasche zog, ach, der gehört doch zu dieser Agentur. Ich habs nie so gesehen und ich habs auch aufgegeben, mich zu fragen, warum man lieber Marion Poschmann den Huchel-Preis gibt als mir, ich gönne es ihr und müsste ja, wenn, auch mit Falkner hadern. Wenn mich jemand nicht liebt, den ich liebe, kann ich dem das auch nicht zum Vorwurf machen, auch wenn ich mich naturgemäß viel liebenswürdiger finde.
    Und hilflos, ich glaube, die Hilflosigkeit, die wird man nicht los, man ist sterblich, man hat Gefühle, wie soll man da je die Hilflosigkeit los werden?
    Man kann für alles erdenkliche Strategien entwickeln, man kann sich Verlustängste abtrainieren, man kann sich Hilflosigkeiten nicht gestatten, man kann sich Unsicherheiten verbieten, allein, macht das einen sympathischen Menschen aus einem? Nein. Im Gegenteil, man liebt niemanden für seine Gleichgültigkeit. Vor Gleichgültigkeit kann man nur kapitulieren.

    1. @sowieso. Immerhin ist, Absicht zu unterstellen, eine gute Form, zur Gegenwehr zu greifen, aus der sich dann wieder – aus dem Kampf nämlich – Kraft für die Arbeit ziehen läßt, indes man, wäre alles wirklich nur Gewurschtel, kaptulieren müßte: kurz, es nähme einem Kraft und verführte zu einem Pessimismus, mit dem jedenfalls ich nicht durchs Leben gehen mag. Es kann also sein, daß ich mich bei der Unterstellung einer Ausschluß-Systematik irre, aber dieser Irrtum, so es einer ist, ist höchst produktiv. Das habe ich, denke ich, in den letzten drei Jahrzehnten bewiesen.
      Was den Huchelpreis anbelangt, so kenne ich da ein paar Hintergründe, bei denen vor allem der jetzt verstorbene Jörg Drews eine deftige Drahtzieherrolle gespielt hat. So g a n z ein nur-Gewurschtel ist das nämlich nicht; da werden sehr wohl ästhetische Positionen sowohl gemacht wie gegen nicht so beliebte getreten. In diesem Sinn verfechte auch ich eine ästhetische Position, das heißt: Neutralität kommt mir nicht zu; ich halte sie, als Künstler, auch nicht für sinnvoll, also auch nicht für erstrebenswert. Im Unterschied zu Betriebsfunktionären lege ich aber eigene Positionen vor, indes sie nichts tun, als solche zu verwalten und mit ihnen ohne eigene Werkvalenz Betriebspolitik zu machen. Was nun die Literaturwerkstatt anbelangt, ja, etwa die von Ihnen Genannte steht mir durchaus sympathisierend gegenüber. Wenn Sie sich aber das Programm der Literaturwerkstatt anschauen, fällt eine sigifikante Häufung der immerselben Namen auf, sei’s daß ihre Träger aus Eigenem lesen, sei’s, daß sie anderes moderieren usw. Dabei geht es nicht darum, ob ich die Arbeit der entsprechenden Personen nicht vielleicht selber schätze; ob ich die Personen schätze, ist sowieso egal. Jemand kann ein Schwein sein und doch größte Literatur schreiben; dann gehört er eingeladen, und er kann ein Dalai Lama der Menschlichkeit sein, aber seine Arbeit ist weniger gut; dann gehört er n i c h t eingeladen. – Ich glaube nämlich nicht, daß eigentlich Gewurschtel vor sich geht, sondern es wird gekumpelt. Da steckt der Hase im After.

      Wie das mit dem PEN funktioniert, ist mir auch ein Rätsel. Dieses Jahr wurde ich einmal bedacht, wie Sie bei mir unter “Ereignisse” sehen können. Den Grund hat mir Petra Morsbach in einer Mail genannt: ihr ist MEERE nie aus dem Kopf gegangen. Daß ein sieben Jahre altes Buch zur neuen Diskussion gestellt wird, ist ein Phänomen für sich, zumal sich, als der Prozeß um das Buch im Gange war, der Vorstand dagegen ausgesprochen hat, mir zur Seite zu stehen. Das änderte sich erst, als der PEN auf richterliche Anordnung ein Gutachten erstellen mußte. Derselbe Verband, der sich großtut damit, verfolgten Autoren im Ausland zu helfen, vermeidet es peinlich, unterm eigenen Bett nachzusehen. Ich werde das PEN-Forum nutzen, genau dies zur Sprache zu bringen.

    2. Na ja, ich bin nicht mehr so die Verfechterin des je größer das Ego, desto besser der Literat. Es gibt halt auch das Gegenteil, ich kenne wohl keinen herzlicheren Dichter als Ulf Stolterfoht, der könnte freilich auch eine zickige Diva sein und seine Gedichte wären nicht weniger gut, aber es schadet keinen Deut, dass er es nicht ist, im Gegenteil. Ich bin nämlich auch lieber mit netten auf Klassenfahrt als mit nervigen und stressigen. Ja, ich verstehe zu wenig davon, und es interessiert mich auch immer weniger, ich denk jedes Mal, noch ein Schützenfest, noch ein Schützenkönig, ich wollte eigentlich dieser Provinz mal entkommen und nicht sich durch die Hintertür wieder Zugang zu meinem Leben verschaffen sehen. Oder, wie schrieb ich mal: ignore the ignorant.
      Na ja, die signifikante Häufung liegt manchmal auch einfach daran, dass wer vor Ort ist und man weiß, der oder diejenige macht die Sache ganz gut, ist ne verlässliche Bank, alles, was es eben bei Autohändlern auch gibt, gewurschteltes Gekumpel und irgendwie die ganze Chose dabei am Laufen halten. Na ja, Kling hat mal so in seiner Art vom PEN gesagt, alles Verbrecher. Und Arno Schmidt hat wohl mal dringend dazu aufgerufen, Vereine in jedem Fall zu meiden. Die Lobby ist halt manchmal auch nicht mehr als der Hausflur mit Garderobe und hässlichen Bildern.

  2. Die Kunstsache selbst, hat man sich ihr einmal hingegeben, führt doch allein schon zu Mißfallen, da manche ihr den (absehbaren kommerziellen) Mißerfolg schon anzusehen glauben. Sie, lieber ANH, haben sich Ihren “Mißerfolg” (der freilich keiner ist) hart erarbeitet und tun dies noch nahezu täglich bis zum Ende Ihrer Tage. Das ist, um einmal das “Unwort des Jahres” zu zitieren, alternativlos, was auch heißen muß, sich keinesfalls mit Petitessen zu lange aufzuhalten. Ich selbst sitze seit Wochen an der abschließenden, sehr intensiven Überarbeitung eines langen Textes, von einigen wenigen Menschen wohlwollend in Ruhe gelassen, während andere mir wiederholt ins Gewissen reden: warum schreibst Du “mit Deinen Kenntnissen” keinen historischen Roman? Ja, warum nicht? Weil ich mich dafür, so die Worte einer bei einem Publikumsverlag beschäftigten Lektorin, zu 100% an die Regeln halten muß, und das ist dann doch eher etwas für Schreibautomaten.

    Und überhaupt: Als wenn sich die Hauptsache dann nebenbei erledigen ließe, nachdem die Fron abgeleistet ist! Mir jedenfalls liegt dieses Unwort “Alternativlos” ständig auf der Zunge (ganz gleich wie Politiker dies benutzen), denn nur mit solch einem Geist zwingt man den Betrieb in die Knie – glaube ich wenigstens. Und selbst wenn nicht!

    1. auflachend@Schlinkert & Sowieso. Er hat noch weniger Knie als Rückgrat.

      Nein, Frau Sowieso, ich fahre n i c h t lieber mit netten Leuten weg, ich mag ja auch keine “netten” Abende. Das ist Zeitverlust. Lieber streite ich die ganze Zeit. Was nun Stolterfoht anbelangt, dazu kann ich wenig sagen, da ich ihn nicht kenne. Aber ich weiß, daß “Nettsein” ganz verschieden eingeschätzt wird. Ich finde immer Leute angenehm im Umgang, die mit Grund eitel sind, während ich die Uneitlen, so gut sie fachlich auch seien, nahezu immer uninspirierend finde. Ein gleiches gilt für Arroganz. Vielleicht liegt das daran, daß ich kein Gruppengefühl habe, was auch heißt: keine Zugehörigkeiten kenne. In Gegenwart solcher, denen das ähnlich geht, bin ich dann auf perverse Weise zuhaus.

    2. Es gibt so unendlich uninspirierende Streits über Kuba und Kindersterblichkeit und Kleinbürgertum, die sind nur auf Ressentiment gebaut und es gibt sehr inspirierende Gespräche, die Nuancen zu produzieren im Stande sind, ganz ohne Streit. Es gibt natürlich auch stumpfe Gespräche ohne Nuancen und inspirierende Streits, aber es gibt nie nur das eine oder das andere. Das hat mit Zugehörigkeitsgefühl wenig zu tun, ich langweile mich eher beim Erwartbaren, jemand, der erwartbar immer ein Streitgespräch sucht, langweilt mich nicht minder als jemand, der es erwartbar unter allen Umständen vermeidet.

    3. @Sowieso. Ich habe, glaube ich, einfach nicht Ihre Freude an der Harmonie. Außerdem sprach ich von Streits, nicht von Streitgesprächen, und nicht davon, daß sie ausbrechen müssen. Vielmehr, immer gleich die Möglichkeit zu desinfizieren, daß es zu ihnen kommen könnte, und das unterm Banner von Literatur, das finde ich nicht langweilig (ich kenne keine Langeweile; de facto), sondern es läßt mich – verachten. Diese Art von Kuhstallwärme, von institutionalisierter Familiarität, die sich auch noch aus Steuergeldern alimentiert. Wären die von mir genannten Betriebsler mit eigenem Kapital dabei, wäre das eine ganz andere Sache. Aber daß derart Alimentierte unter Künstlern auswählen können, um eigene Pfründesicherung und Positionierung zu betreiben, ist schon widerlich. Da ist mir jeder Privatmäzen lieber, der nach eignen Mitteln fördert, auch wenn es die in meinen Augen Falschen sind, die davon profitieren. Aber öffentliche Veranstalter sind aus der Öffentlichen Hand finanziert.
      Unterm Strich bleibt es bei der alten Dynamik, daß wir als Künstler mitnichten mit denen in einem Boot sitzen, die uns die Existenz sichern können oder es nicht tun: wir sind – Gegner.

    4. Aber wenn der Gegner gar nicht mit mir kämpfen will, dann bin ich doch schon wieder beim Slapstick. Und, hm, meine Existenz hat wohl bislang immer ein privater Mäzen gesichert, alles andere beläuft sich auf einiges unter 5000 Euro Einnahmen im Jahr, und das seit Jahren, völlig egal, ob ich in Hamburg, Sao Paulo oder Berlin war, gegen wen soll ich also kämpfen? Gegen die, die mich vergessen? Sinnlos. Gegen die, die mich nicht vergessen? Dumm.
      Und wieso säße ich darum schon mit Ihnen in einem Boot, Sie nehmen doch auch Aufträge an, die Sie gerne machen wollen, Opern- und Konzertbesprechungen etc.
      Mein Floß dümpelt meist tausende Meilen von allen Betriebsbooten weg, und die werden wohl weiterhin laut tutend an mir vorbei schippern, ohne meiner wirklich gewahr zu werden.

    5. Warum sollte ich so etwas wie die Bamberger Elegien fördern? Als Mäzen wäre ich an Genies interessiert, oder wenigstens an Originalen. Aber schon der Titel hängt so sehr am Rockzipfel des Literaturkanons, er will so dringend und verzweifelt zur Familie dazugehören, dass man als Mäzen eher skeptisch wird. Das Genie kennt keine Familie.

    6. Ein Mäzen fördert nicht erst, wenn der Titel steht. Ein Mäzen ist kein Sozi, er mischt sich nicht ein. Ein Mäzen ist nicht kleinkariert. Es gibt keine Genies.

    7. @Mäzen & alle. Welchen Titel meinen Sie denn? Ich fürchte, Sie sind wieder einmal uninformiert. Außerdem gilt selbstverständlich: Erst einmal lesen. Aber natürlich weiß ich, was >>>> Lemmy Caution sagte: “Erst schießen, dann fragen.”

      Im übrigen wird das Genie unterschätzt. Eine der sozialdemokratischen Unarten (was die “christ”demokratischen restlos mit einschließt.)

    8. @Frau Blume II. Jegliches Geld ist dreckig. Was meinen Sie, woher manche Gewinne stammen, für die Steuern erhoben wird? So gesehen, ist staatliche Förderung nicht minder schmutzig als die Förderung durch einen, sagen wir, Waffengiganten.

    9. Für wen oder was Sie mich hier halten, bleibt ihnen überlassen, aber wenn Sie Förderung wollen, dann müssen Sie die Mäzene in ihrer Motivation richtig einschätzen.

    10. Um auch mal einen Mythos zu streuen, das wahre Genie wird sich immer verneinen.
      Um was gehts denn dabei, um Alleinstellungsmerkmale, klar, und weil wir kein Patentamt bemühen, bemüht der eine eben das Genie, der andere die Kompromisslosigkeit, ein dritter die Freiheit und meist alle wechselweise etwas von alle dem. Wenns hilft, warum nicht.

    11. Ein Mäzen will das Gefühl haben, etwas Besonderes zu fördern. Er schaut auf Alleinstellungsmerkmale, sehr richtig. So ist zum Beispiel Heidi, das schielende Opossum, etwas Besonderes. Die “Bamberger Elegien” dagegen klingen schon im Titel nach Anlehnungsbedürftigkeit und Dazugehörenwollen und Einreihung, also es klingt nach Zuordnung. Das mag der Mäzen garnicht. Er will etwas fördern, das seine Einrahmung und Zuordnung nicht schon vorwegnimmt.

    12. Sie fördern Heidi das Opossum? Wie fördert man ein fettleibiges, schielendes Opossum?
      Igitt, anlehnungsbedürftige Künstler, pfui Teufel, wahrlich, es gibt nichts schlimmeres, na, Moment, doch, das Genie, der Eigenbrötler, ich glaub, der ist noch schlimmer.
      Man sollte mal dazu übergehen, die Mechanismen, die sich da austoben wollen, zu studieren, denn Künstler sind zumeist nicht ganz dumm, auch der Eigenbrötler lehnt sich geschickt an, das sein Eigenbrot im Abendlicht nach Transsubstantiation leuchtet.
      Das Besondere zu fördern hieße für mich, sich den Dingen zuzuwenden, und nicht danach zu fragen, wo der Künstler lehnt.

    13. Ja.. richtig, deshalb lautet die Auflösung des heutigen Mittwochrätsels: Der Künstler ist selbst ein Mäzen, indem er Aufmerksamkeit und Arbeitskraft auf Dinge oder Themen richtet. Er spendet. Da er selbst spendet, braucht er kein Mäzen.
      Anlehnungsbedürftige Kunst ist pfui teufel, anlehnungsbedürftige Menschen nicht. Heidi, das schielende Opossum ist etwas ganz besonderes. Es hat zwei Augen.

    14. @Mäzen. Ich sagte doch, >>>> daß Sie nicht einmal den Titel kennen, geschweige denn das, >>>> was Sowieso die Dinge nennt, an denen er lehnt. Es ist mir also zuviel beabsichtigte Unkenntnis, um ernsthaft mit Ihnen zu diskutieren.

      “Genie”, im übrigen, ist ein Kampf-– , Positions- sowie Haltungsbegriff. Erkenntnistheoretisch ist er so wenig gesichert wie Kunst selber. Darum geht es aber auch gar nicht. (“Da er selbst spendet, braucht er kein Mäzen.” – Wir lieben die Grammatik.)

    15. @sowieso Ich kenne selbst keinen echten Eigenbrötler in meinem Umfeld, bin auch selbst keiner, hab sogar eine relativ große Familie, eigentlich sogar zwei, wenn ich das recht bedenke, aber selbstverständlich sucht ein Mäzen nach Kriterien, die seine Förderung attraktiv erscheinen lassen. Ein einfaches Motiv hierfür: Tradition ja- keiner steht alleine, aber die Tradition ist ein Feuer – ein Künstler, ein Kunsthandwerker , ob Genie oder nicht Genie, lassen wir den Begriff hier mal eben beiseite, hegt und überliefert die Glut, doch nicht die Asche. Wenn das nicht gegeben ist, dann nützt auch die beste Grammatik nichts.
      Heidi, das Oppossum ist sozusagen das bleibende Tier, aber den Titel müssen wir ändern.

    16. In einem kleinbürgerlichen Umfeld würde, Herr Mäzen, der Eigenbrötler nicht überleben können. Deshalb kennen Sie keinen! Aber da Sie samt ihrer Familien sicher Gruppenrabatt bekommen, gehen Sie doch mal ins Museum, denn da hängen sie rum, die gut abgehangenen Genies und die Porträts der Mäzene.

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