6.30 Uhr:
[Mannheimer Küchentisch.]
Seit halb sechs auf. Das Heidelberger Seminar kleckert sich so zusammen, die aktivsten Teilnehmer sind derzeit an anderen Studienorten, „spielen” also rein im >>>> virtuellen Seminar weiter; immerhin; für sowas war es ja u.a. auch gedacht. Dennoch, Seminar und Lehrauftrag laufen im Februar aus. Das entspricht meinem Gefühl, daß sich das Projekt unterdessen erschöpft hat. Alles dreht sich ein wenig im Kreis, neue Impulse kamen nicht mehr hinzu. Wir werden das Ganze mit einer Lesung aus dem >>>> AZRED abschließen. Im Sommersemester wird dann pausiert, abgesehen von einer Lesung aus den BAMBERGER ELEGIEN im Frühsommer. Für das Wintersemester ist dann etwas ganz anders in unseren Köpfen: nämlich die Kombination einer Reihe Vorlesungen mit, je in der Woche darauf, folgenden Blockseminaren, und zwar zu großen Solitären der deutschsprachigen Literatur: Lernet-Holenia, Thelen, Niebelschütz, A.Schmidt, Jünger, Gütersloh, Jahnn, Stahl, Fritz und anderen; sozusagen: eine neben dem „offiziellen Kanon” stattgehabte und weiterhin laufende Parallelgeschichte der deutschsprachigen Literatur, jenseits der zeitbezogen-politischen, zeitbezogen-betriebsinteressierten Usancen und auch jenseits der literarischen Gruppen, die es gab und gibt. Aber darüber wird noch diskutiert.
E. brachte mir >>>> Judith Leiß’ „Inszenierungen des Widerstreits” mit, wohl die publizierte Dissertation der Autorin, worin sie, neben Arbeiten Peter Ackroyds, Herbert W. Frankes und Haruki Murakamis vor allem >>>> THETIS.ANDERSWELT untersucht. Und freue mich. Weil ich den Eindruck habe, jemand verstehe plötzlich meine – und eben nicht nur poetische – Position:Vielmehr scheint er sich damit gegen jene Totalisierung von partikularen Wahrheiten im Namen der Moral zu wenden, derer sich die AutoInnen einer engagierten Literatur in der Vergangenheit schuldig gemacht haben – eine Position, die selbst eminent moralisch und politisch ist.
Ja. Eben.Ein literarisches Werk, welches der Leserschaft vermitteln könnte, dass die Verweigerung von Einheit aus den genannten Gründen Programm ist, wäre daher keineswegs „für politische Arbeit unbrauchbar.
Im Gegenteil. Sie wäre seine Grundvoraussetzung, wenn wir an dem emanzipativen Gedanken festhalten wollen, der ein Ergebnis der Geschichte speziell des Abendlandes ist. Zumal habe ich immer wieder deutlich gemacht, wie sehr es mir auf die (moralische!) Kategorie des Widerstands ankommt, den Leiß’ Buch denn auch im Titel trägt.
Gut. Meine Arbeit verhallt nicht einfach so. Gut. Weil ich das manchmal brauche, es zu merken.
Kühlmann fuhr soeben los, um Brötchen zu holen. Irgendwann gegen neun werd ich dann den Zug nach Frankfurtmain via Mannheim Hauptbahnhof nehmen, in FFM dann zum Verlag der Autoren hinüberspazieren, was nicht sehr viele Schritte sind, und danach zu >>>> Paulus Böhmer weiterziehen, um einzwei Stunden mit ihm zu plaudern; Oberländer vom Literaturforum bat mich dort hin, damit ich dort die noch nötigen Unterschriften leistete. Schließlich, mittags, mit einer Ungenannten speisen, bei >>>> Dielmann vorher noch >>>> ein paar Engel abholen, dann weiter >>>> nach Fulda zur Lesung mit Guido Rohm. Da wesentlich nach 21 Uhr kein ICE mehr nach Berlin geht, werd ich über Nacht in Fulda bleiben, Ihnen von dort aus wahrscheinlich auch noch schreiben und erst morgen wieder an den Schreibtisch heimreisen. Während der Zugfahrten will ich an die Dritte Fassung >>>> des Hörstücks.
Lieber Herr Herbst,
schade, dass Sie das Heidelberger Seminar beenden wollen. Dann muss unsereins jetzt wohl zu H.-U. Treichel gehn. Trotzdem schöne Grüße,
Pierre Lachaise
jeder (mann) hat (mal) der letzte w_ort 😉
zu Treichel @Pierre Lachaise. Lieber M. Lachaise, gegen Treichel ist als Lehrer wenig, denk ich, einzuwenden. Andererseits wird das Virtuelle Seminar im virtuellen Twoday-Raum erhalten bleiben, und ich werde da gerne auch weiterlektorieren. Sollte wiederum aus der Studentenschaft an die Uni herangetragen werden, daß man das Seminar auch als Realseminar wieder zurückhaben will, und wenn das dann genügend Leute sind, läßt es sich sicherlich wiederbeleben, wenn auch, dann, erst zum nächsten Wintersemester.
Herzlich, Ihr
ANH
Herbst & Deters Fiktionäre
Widerstand durch Widerstreit Lieber Herr Herbst,
gestern bin ich auf Ihren Eintrag gestoßen – und habe mich gleich aus zwei Gründen sehr gefreut. Zum einen, weil ich mir doch bei aller Streitlust gerne auch einmal zustimmen lasse. Mein Heterotopie-Konzept bekommt zuweilen Gegenwind aus Gründen, die darum inakzeptabel sind, weil sie ganz offensichtlich auf Unverständnis meiner theoretischen Position beruhen. Das macht unleidlich und verstärkt das Bedürfnis, verstanden zu werden. Wenn nun Verstehen auch noch auf Zustimmung trifft, fühlt sich das sehr gut an. Der zweite Grund meiner Freude ist, dass ich vorhatte, Ihnen zu schreiben mit der Bitte um eine Postadresse, an die ich ein Exemplar meines Buches schicken könnte. Dass das Buch Sie auch ohne mein Zutun gefunden hat, ist fast schon romantisch. /// Nein, Ihre Arbeit verhallt nicht einfach so. Ich habe Thetis von der ersten bis zur letzten Seite gelesen. Nicht nur trotz, sondern sicherlich auch wegen der damit verbundenen Anstrengungen haben Sie mir mit diesem Buch eines der intensivsten Leseerlebnisse meines Lebens und ein paar ziemlich gute Gedanken beschert.
Beste Grüße,
Judith Leiß
Liebe Frau Leiß, wenn Sie sich übers >>>> fiktionare Kontaktformular melden möchten, teile ich Ihnen die Postadresse gerne per Email mit; ich schreib sie aus Ihnen sicherlich verständlichen Gründen nicht gern hier in die öffentliche Präsenz. Und gerne erhielte ich das Buch; das hier bei mir liegende Exemplar ist eine Leihgabe der Unibibliothek Heidelberg. Ich ginge auch gerne, meinethalben auch öffentlich hier, in eine Diskussion. Allerdings habe ich Die Dschungel nun fast zwei Monate lang ausgesprochen vernachlässigt, was an der intensiven Arbeit >>>> an diesem Hörstück lag, das nun in vier Tagen ausgestrahlt werden wird. Ich bin über der Kompositions-/Montagearbeit fast ein wenig „fremdelnd“ gegenüber meiner eigenen Netzpräsenz geworden. Man könnte das auch einen künstlerischen Rückzug nennen, der einer einmal wieder notwendig gewesenen Selbstbefragung diente; romantisch ausgedrückt: wer bin ich und wo gehe ich hin? Die Antwort auf so etwas ist auch ästhetisch relevant.