Briefe aus Sizilien (1). Von Neapel nach Palermo: Das Reisejournal vom Freitag auf den Sonnabend, also vom 15. auf den 16. Oktober 2010. In Palermo: der 16. Oktober ganz, sowie der Morgen des 17. Oktobers, nämlich sonntags, und montags, des 18. Oktobers nämlich.

Freitag, 15.10., 22.17 Uhr:
[Napoli-Palermo, a bordo del nave Sardegna
Unter Wasser Knappe zwei Stunden von Neapel bereits sind wir auf dem Meer und haben vor kurzem im Westen Capri, im Osten Massa Lubrense und die glühenden Perlen der großen Golfpromenade Neapels aus dem Blick verloren; nur der Horizont zeigt noch eine ganz feine, fast nur noch ahnbare Spurdiese mir nahsten Stadt Europas – und die zeigte sich uns heute, entgegen allen Wetterberichten, zwar verhangen, so ddasswir die Doppelerhebung des Vesuvs leider nicht sehen konnten und auch nicht Capris Sphinxgestalt im Golf; aber es regnete nicht, ja sogar etwas Sonne kam durch. Vielleicht war dies fürs Freundespaar so auch ganz recht, daß nicht die harte Hitze knallte. C. jedenfalls war entzückt, und ich liebe es so, Freunden etwas, das ich liebe, zu zeigen und wenn sich das dann überträgt. Dabei hatte der Flug von Berlin wirklich nichts Gutes verheißen; fast allezeit über Europa flogen wir über eine nur kurz, von den hohen Alpen nämlich, durchbrochene, ansonsten ungelockert Wolkendecke dahin, die sich teils abenteuerlich noch über unser Flugzeug türmte. Doch kein Tropfen Regen war am Flughafen Neapels. Alles trocken. Das schon ließ hoffen.
Wir nahmen den Bus in die Stadt bis Piazza Garibaldi; dort am Hauptbahnhof gaben wir unser Gepäck ab, nicht wenig, weil ich nicht nur mein Arbeitszeug, sondern eben auch zwei Schlafsäcke und die (selbst)aufblasbaren Isomatten mitgenommen hatte – allein für diese Fahrt mit dem Schiff. Während die Freunde ihre Kabine bezogen haben, fast luxuriös, mit eigenem Bad, sind meines Jungen und meine Matten bereits auf dem obersten Deck ausgerollt, auch die Schlafsäcke daraufgelegt, und der Junge hat sich auch schon, wie die Freunde in ihre Kabine, zurückgezogen, um zu schlafen. Ich wiegt ihn ein wenig in den Traum, „Papa, aber weck mich um halb sechs… wann stehst denn du auf?” „Gegen fünf, denke ich.” „Wenn du Delphine siehst, dann weck mich auch früher. Versprichst du’s?”
Im MADRE waren wir wieder.Geben Sie bei Google „Madre Napoli” ein, dann finden Sie es sofort); und der Freund, der selber doch Kunst sammelt, war wie von den Socken. Er kennt viele Museen der Welt, aber dies? „Was bin ich froh, hiergewesen zu sein. Mehr mag ich von Neapel jetzt gar nicht sehen. Es wäre einfach zu viel.” Ein wenig mehr zeigte ich ihnen freilich doch. Und mein Sohn! Es ist ein Genuß, ihn sich sicher durchs temperamentvollstete Verkehrswühleschlängelnln zu sehn, weil er unbedingt in einen bestimmten Laden will… und wie er dann hüpft und jauchzt und „Napoli” sagt, „Napoli”. „Ein bißchen schmutzig ist’s aber doch”, sag ich. „Wäre das anders”, sagt er, „dann wär hier nicht so viel Leben.” Ich sag Ihnen,:was ich für ein glücklicher Vater bin.
Vier Stunden hatten wir für die Stadt, dann war zum Hafen zu fahren, um die Biglietti zu kaufen. Zwei Linien gibt es zur Auswahl, die „klassische” Tirrenia und die, wie ich jetzt weiß, edle SNAV, die dummerweise aber auch teurer ist: 85 Euro für den Jungen und mich, 150 für die Freunde mit ihrer Kabine. Die Tirrenia wär 20 Euro billiger gewesen. Aber ich denk mir: was soll’s. Zudem kenne ich dort die Kabinen; die Freunde wären nicht annähernd so glücklich gewesen, Dennoch, ich hatte meine Sachen in der Kabine untergestellt und war noch mal in die Stadt gepest, um Salami, Käse, Brot, sowie Wasser und Wein zu kaufen, was wir dann als Abendessen bei der Ausfahrt nahmen, wie ich das immer auf dieser Fähre tu. Es würde mir einiges fehlen, hielte ich’s anders; es ist eine persönliche Tradition, knapp 24 Jahre alt… und die hat sich ebenfalls übertragen. Gegen halb zehn wurden die Freunde dann müde, gegen zehn mein Sohn. Also in die Kabine. Ich wollte meine Sachen holen, fast alles, nur das Geld ließ ich dort. Und wollte schnell wieder weg. Ja, praktisch, wenn man im eigenen Bad die Kontaktlinsen herausnehmen kann, auch die eigene Toilette hat was. Doch so luxuriös alledies auch war, ich hielte es in solch einer Kajüte, die nicht einmal ein Fenster hat, das man öffnen könnte nicht aus. Nein, unbedingt, ich wollte auf Deck, ja es drängte mich, stieß mich – hinaus, unter den Himmel und frei, ganz f r e i schlafen.
Mag aber sein, der Mistral erhebt sich noch mal, kommt mit Regen vielleicht; dann müßten wir das Lager auflösen, und zwar schnell, und in die Unterkünfte mit den Schlafsesseln flüchten. Noch sieht es aber nicht danach aus. Der zunehmende Mond steht über leuchtenden Wolken; sogar einen Stern sieht man hie, und einen anderen sieht man dort.Auch ich ziehe mich nunmehr zurück – zu meinem Sohn in den Schlafsack neben dem seinen. Nur die Löwin mag ich noch anrufen jetzt. Gegen sechs werden wir in Palermo sein. Ich wünsche Ihnen wie mir, – wünsche u n s – – eine herrliche Nacht.

Sonntag, 17.10., 6.34 Uhr:
[Palermo, Hotel Orientale.]

Das wurde sie – fast. Denn kurz nach zwei wachte ich auf, weil es naß war. Nun hatte d o c h der Regen eingesetzt, im Nu war ich hoch, im Nu auch der Junge geweckt. „Wir müssen schnell unter Deck!” was „neben Deck” heißt, wenn man mit „Deck” den offenen Bereich meint. Ansonsten bestehen die Decks aus Zimmern, Salons, sogar kleinen Spielplätzen, jedenfalls bei der SNAV. Ich hatte schnell verstanden, weshalb diese Reederei teurer als die staatliche Tirrenia ist; die Einrichtung der Fähren ist deutlich mehr als bei dieser auf gehobene Wohlempfinden der Passagiere abgestellt.
Selbstverständlich sinnierten wir darüber jetzt nicht, schon gar nicht der Junge, der erst einmal aus dem Schlaf finden mußte. Wir rollten die Schlafsäcke provisorisch zusammen, nahmen die bereits durchnäßten Iso-Matten, ich zog die Rucksäcke, die ich in einem zweiten Gang holen wollte, unter einen Vorsprung, dann ging’s über die Seitentreppe von Deck 12 bis Deck 10 hinab, Regen und Wind peitschten da, wo ungeschützt… wir die erste offene Tür rechts hinein. Der helle ausgelegte Gang… „schau du dich nach einem Schlafplatz um, ich hol derweil unsere Sachen” – und wieder hinaus und hinauf, in den Rucksack verstopfen, was geht, dabei den kleinen Rucksack mit dem Laptop im Auge, und wieder durch den Regen hinunter.
Auch dies deutlich anders als auf den mir bekannten Tirrenia-Fähren (aber vielleicht hat sich das auch bei denen geändert): Es gibt nicht mehr viele Poltrone-Säle, in denen der Unbetuchtere im Sitzen schläft; tatsächlich nehmen neben den riesigen Laderäumen für LKWs und Personenwagen die Passagierkabinen den größten Platz auf diesem Schiff ein. Bei den Poltroni gab es nicht wirklich Platz für Matten und Schlafsäcke. Weshalb wir in dem Gang blieben, zwischen Wand und einer Sitzecke, wo es zwar hell erleuchtet, aber doch türnah war und um diese Zeit sehr unbelebt. Das Lager gebaut. Und wieder in der Schlafsäcke hinein. Gegens Licht ein schmalgelegtes T-Shirt über die Augen. Ich wachte auf. Da saß der Freund neben uns auf einem Sessel und belegte sich gerade ein Brot mit Käse.
„Was machst du denn hier?” „Ich wollte mal auf Deck und gucken. Da fand ich euch hier.” Er war bis über die Ohren für den Nachtwind und den Regen verpackt. Aber es regnete schon nicht mehr. Doch war das Deck zu naß, um das Lager wieder nach hinaus zu verlegen. Ich schlüpfte schnell in die Hose, ein Hemd, in die Schuhe; die Lederjacke noch über und zwei drei Schals umgewunden. „Auch ein Stück?” Ich nickte, kaute, nahm einen Schluck vom Wasser. „Der Wein steht noch draußen”, sagte ich. Es war knapp drei Uhr nachts.

Nun ist es bereits der Morgen des wieder nächsten Tages. Ich bin eben auf den schmalen Balkon, getreten, den meines Jungen und mein Zimmer hat; die Freunde wohnen direkt über uns mit eigenem Bad, aber ohne Balkon; sie schlafen noch wie er. Draußen fängt auf dem marcato storico, einem d e r alten Märkte Palermos, bereits das Leben an: die Blechrollos vor den Läden rasseln hinauf, wilde Hunde werden verscheucht und laufen über die Gasse davon oder bellen sich an, auch in die Tauben ist Leben gekommen; Stimmen rufen herauf, zwei junge Männer begrüßen einander, legen dabei rechts ihre Wangen kurz aneinander; nicht alle Läden, freilich, werden sich beleben, weil eben heute Sonntag ist, aber mal sehen. Es wird ziemlich schnell hell, um halb sieben war es noch dunkel. Zudem beginnt es bereits, nach gebratenem Fisch zu duften. Ich geh mal schauen, ob es schon Kaffee gibt…

”Wein? Jetzt? Bestimmt nicht.” „Ich mein ja nur… wegen der Flasche.” So pfiff der Wind durch die Fugen, daß ich befürchtete, die 2-ltr.-Flasche werde übers Deck gefegt und zersplittert sein.
„Lust auf einen Rundgang?” „Klar” Ich schlang mir das Tuch um den Kopf, dann gingen wir hinaus, mußten enorm gegen die Tür drücken, gegen die der Wind sich stemmte.
Hinter uns, etwas parallel versetzt fuhr, fern zu sehen, aber wie ein Weihnachtsbaum beleuchtet, ein Schiff, parallel vor uns ebenfalls. Der Freund, der Segler ist, versuchte ihren Kurs an der Bewegung der Positionslichter zu bestimmen. „Aber was ist das da?” An Backbord sah man überm Horizont ein immer wieder flammendes Leuchten. „Der Stromboli vielleicht”, sagte ich. „Nein, auf keinen Fall.” Zählte: „Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig…” Aber die Frequenz der Aufleuchtens war nicht eindeutig, bis wir begriffen, daß es sich um ein lokales Gewitter über See handelte, das ziemlich heftig sein mußte. Wir sahen der Erscheinung minutenlang zu.</div

8.09 UhrG i b t es, Kaffee: aus einem g u t e n Automaten, der Cappuccino schmeckt jedenfalls. Der Frühstücksraum ist ein Salon, die Böden bestehen aus sizilianischem Marmor-Patchwork, die alten Fresken des Palazzos sind restauriert, zwischen Sessel- und Sofabrokat stehen einfachste Stühle und Tische, und chinesische Vasen stehen, von Hüfthöhe, auf runden, zu Sockeln umfunktionierten Beistelltischen, über die Brokatdecken geworfen sind. Schweres Sizilien mit diesem Hang zur Überladung, den ich mag, wenn ein Land heiß ist. Auf eine ganz eigenartiges Weise ist die Einrichtung geschmackvoll; C. fühlte sich von Anfang an wohl. „So habe ich es mir vorgestellt”, sagte sie, schon, als wir in den riesigen Innenhof traten, von der Via Marqueda aus, der locker mit fünfsechs unter Palmen parkenden Autos zugestellt ist, auf die Galerien und Säulen und Fenster hinabsehn; eine riesige Treppe aus hellem Granit führt in den Palazzo hinein, teilt sich zu den Seiten, wo es weiter nach oben geht. Nobler, eigentlich, kann man nicht wohnen. Italiener haben überhaupt eine Art, Altes ins Lebendige zu restaurieren, daß da kein Gran eines Kitsches ist und alles wie seit je belebt und eben nicht museal wirkt. Dazu paßt der alte Portier in seinen fleckigen Hemdsärmeln, der sein Sizilianisch vor sich hin nuschelt, daß es dem Schlurfen gleichkommt, mit dem er sich durch das alte Gemäuer bewegt. Und nachts, unter dem Zimmer, sitzen Araber beisammen, um ihre Shisha zu rauchen.Ich habe meinen Schreibplatz jetzt gewechselt, sitze in dem Salon, auch weil es hier einen leicht zugänglichen Stromanschluß gibt, während der in meines Jungen und meinem Zimmer über dem Bett angebracht ist, so daß die Strippe zum Laptop nicht reicht, ich also dort immer auf Akku arbeite, der sich, wenn ich Fotos formatiere, dann doch recht schnell erschöpft. Leider kann ich, anders als in Deutschland vorgearbeitet, d o c h nicht direkt ins Netz, einfach weil mein Ifönchen sich weigert SMS’e zu schicken; ich hätte das Problemchen längst angehen sollen, jetzt krieg ich die Freischaltung für das Reisepaket der Vodafone nicht. Werde also nachher nach einem Internet Point schauen. Sitze freilich gemütlich hier, daheim: das war schon in Neapel so. Und ganz dann im Kreuzgangg von SGiovannini degli eremiti. Dazu vielleicht gleich noch etwas. Noch nämlich stehn wir an Bord, der Freund und ich, im Wind, und schauen dem fernen Gewitter zu, das aufblascht, bizarre Formationen von Grellheit aus den Wolken augenblickslang herausschneidet, dann ist es wieder dunkel… und abermals… und noch etwas weiter entfernt fängt ein zweites lokales Gewitter an. Vielleicht eine halbe Stunde später stehen wir so da, beobachten die anderen beiden Schiffe, mal achtern, mal vorn, dann will der Freund wieder schlafen gehen, und ich lege mich ebenfalls wieder, schlüpfte in den Schlafsack neben meinem Jungen, der schlafend von allem gar nichts bemerkt hat und, als wir dann beide erwachen, weil uns und die übrigen Passagiere die Lautsprecherstimme zu Tag ruft, ziemlich gut gelaunt ist.

*******

Wir packten zusammen und trafen die Freund unten in der Schiffsbar, wo allewelt, soweit sie auf diesem Schiff versammelt, sich an der Theke drängelte; so taten auch wir. Dann kam der etwas langwierige Prozeß des Ausschiffens, man drängte sich in Menge mit Koffern und Rucksäcken und noch mehr Koffer, die Kinder und die Kegel dazu, im Foyer von Deck 7 und wartete, wartete, weil unten erst mal Platz werden mußte auf den Ladedecks, weil die schweren Lastwagen Vorrang hatten, die auf Zeit fahren und es eilig haben; jetzt auch erst wurde es wirklich Tag; bis sechs Uhr war es nachtschwarz geblieben, so daß ich den Freunden gar nicht zeigen konnte, was ich ihnen hatte zeigen wollen: wie herrlich Palermo in der Goldenen Muschel des, schrieb Goethe zu Recht, schönsten Vorgebirges der ihm bekannten Welt liegt. Aber wir spürten, wie nahe Palermo dem Napoli ist, zwei Königreiche Siziliens quasi noch immer. Dann endlich waren wir draußen. Es war bereits sehr viel wärmer als auf dem italienischen Festland, die Luft dicker, fester; und so blieb das dann auch über den Tag, wurde sogar sehr warm, ich schätze, wenn die Sonne durchbrach, was sie sehr oft taten, ging es auf 27 Grad Celsius, vielleicht mehr. Wenn das der „leichte Regen” ist, dachte ich, der noch vortags angekündigt war, dann wollen wir mit leichtem Regen ausgesprochen einverstanden sein.
Wir zogen also los, die paar hundert Meter zur via Roma hinan, um dort einen Bus zu erwarten. Ich löse also beim Tabachaio die Bustickets… und was entdecke ich? Ah, Sie werden’s nicht glauben. Gestern hatte ich allezeit nach ihnen gefragt; hier nun gab es sie: meine geliebten Esportazione senza filtro, – und gleich zwei Päckerl erstanden. Nur daß wir auf den Bus dann ewig warten mußten, der uns zum Bahnhof fuhr, von wo es nur wenige Schritte bis zum Orientale sind. Das höchst witzigerweise genau gegenüber einem jener süditalienischen Pornokinos liegt, von denen ich früher schon schrieb, auf jeden Fall in meinem Sizilienbuch; unauffällig sind sie wie unaufgeregt, still frequentiert nicht nur von uns Voyeuren, sondern auch von jenen, die vom Auge gern in die Berührungen direkt hinübergleiten: Prostituierte, unaufdringlich, gehen still die Seitengänge auf und ab, und manchmal erhebt sich einer der Herrn… die im übrigen hier auch Zeitung lesen, zumindest lasen, als ich zum letzten Mal in so etwas drinwar. Darüber hinaus macht dieses nüchtern, doch rot affichierte SOLO PER ADULTI, das in öden Fenster hängt, diese Orte zu geheimnisvollen Räumen.


Montag, 18.10.2010, 6.36 Uhr:
[Hotel Orientale, Salon.]Daß war bislang rein vergeblich, einen Zugang zum Internet zu bekommen; verzeihen Sie, Leser, daß ich Sie derart gespannt hielt: nein, keine Absicht. Sondern, zwar, ich hatte noch in Deutschland dafür Vorbereitung getroffen, daß ich meinen Stick auf Sizilien nutzen könne, aber gänzlich vergessen, daß ich keine SMS’e vom Ifönchen verschicken kann. Dies zu können, bedarf aber die Freischaltung zu einem der Reisepakete der deutschen Vodafone… und Punti d’Internet waren nicht zu finden, bzw. hatten sie, des Sonntags wegen, geschlossen. Bis ich gestern nacht dann doch solch ein Internetcafé entdeckte, nicht nur eines, gleich zwei hintereinander. Ich hatte, was ich bisher schrieb, auch bereits auf einen USB-Stick gezogen, aber, wenn man mit Freunden reist… da sagt man nicht: Ich bin jetzt mal ’ne Stunde verschwunden, sondern trinkt erst noch den Grappa mit, den man nach dem Essen auch sowieso braucht, und den Café, und wenn es schon so spät ist, hat nicht jede Bar noch auf… aber jenseits des Bahnhofs, dort, wo die Überlandbusse sich tagsüber drängen, da drängen sich auch nachts noch die losen Völker der Stadt. Dort sind der Freund und ich hin, indes C. meinen Jungen zu Bett bringen und sich dann selber, bereits, schlafenlegen wollte.
Der eine Grappa streckte sich auf zwei; da man die Wassergläser hier füllt, brauchten wir ein wenig Zeit, um sie auch zu leeren – jedenfalls erschien ich in dem Internetcafé dann erst um Viertel nach elf. Und kam in Die Dschungel nicht rein. Dauernd wurde mein Paßwort abgewiesen. Das konnte auch an der anderen Tastaturbelegung liegen, der italienischen; viele meiner Tippenbewegungen sind doch längst automatisiert. Es lag aber nicht daran. Ich wollte schon aufgehen, sah nach, was >>>> bei Tainted Talents geschehen, wollte etwas kommentieren, versucht es also noch einmal mit dem Log-in, und siehe…. – Da war ich dann auch in Der Dschungel drin. Steckte den USB-Stick ein, lud meinen Text rtfen auf den Screen, da kommt der nette Inder und sagt, daß er jetzt schließe, weil es Mitternacht sei. So stand ich denn wieder da da (DaDa) auf der nächtlichen via Marqueda, die nach einer sizilianischen Fürstenfamilie heißt, und hin und wieder röhrte ein Moped. Wir waren in den Catacomben der Kapuziner gewesen, bei den Toten, die Freunde, mein Junge und ich: darüber war lange zu sprechen gewesen beim Grappa; manches will lange schweigen, dann aber spricht es sich aus. Nicht mehr sitzt ein Mönch am Eingang hinab, still, und sieht einen an, wenn man herauskommt, so, >>>>> wie ich’s schrieb, sondern heute ist das mit 3 Euro Eintritt als Attraktion geregelt; da nutzen die nüchternen Schilder nichts und nichts die Inschriften an Wänden, es handle sich um einen heiligen Ort; zwar benehmen sich einige Leute in diesem wortsinnigen Angesicht des Todes nicht anders, als sie sich damals verhielten, aber das bekommt jetzt den Vorschein der Normalität; von Hagens Show mit dem Tod als plastiniertes Ausstellungsstück mag ein übriges hinzugetan haben. Der Freund war vergrellt, aber leise, verächtlich. Darüber war unbedingt zu reden. Worauf kommt es an? Wie regelt man so etwas seelenvoll? Wie behält man die Achtung? Wer darf sehen, wer aber sieht gar nichts, wenn er sieht? – Tags, als wir über den historischen Markt flanierten, der tobte wie an Wochentagen, waren wir zu einer Kirche gekommen, einer lichtergeschmückten, davor sich ein Trupp Blechbläser versammelt hatte und nun – nicht recht organisiert, wie wir erst fanden – ins Blech blies, was die Lungen hergeben konnten, Schnulziges und, hätte meine Großmutter gesagt, Schmissiges mit einigen Spuren schiefster Melancholie und mehr Spuren brennender Lebenslust. Und so fiel der Trupp, für Nordeuropa unvorstellbar, blechblaslärmend, schmetternd, trompetensolo’ierend in die Kirche ein.

Da stand der Schrein mit St. Georg, dessen Fuß auf dem Drachen, das Schwert hoch erhoben, ein Drachen’chen indes. Ich dachte: ach, das arme Tier. Das hier, mitsamt seinem Georg, angeblasen wurde, angeschmettert, angetompetensoloiert. Nach jedem Stück gab es Applaus. Auf allen Gesichtern ein Lachen, ja die Kirche selbst lachte, und gleißend vor Glück fiel das Sonnenlicht ein.
Diese Szene, in ihrer ganzen menschlichen Bedeutung, erschloß sich mir nun erst nach dem Besuch der Catacomben, der Begegnung mit dem erstarrten Verfall, mit diesem hilflosen Versuch, den Tod aufzuhalten. „Was ist da”, fragte ich den Freund, als wir beim Grappa saßen, „mit der Auferstehung des Fleisches, jener i m Fleisch, G.?” Am Tisch nebenan, draußen, ja, auf der Straße, alles, vieles, das meiste findet auf der Straße statt, scherzten und lachten die jungen Leute mit allem Recht, das wir haben als Menschen im Leben, und waren laut und glücklich. Und ich stand auf der via Marqueda, benannt nach einem untergegangenen, zu Staub vergangenen Fürstengeschlecht, jetzt, nachts nach Mitternacht, als das Internetcafé schloß, und ging zurück gedankenvoll, heißt es bei Keller, Gottfried, „Lebendig begraben”, vertont von Othmar Schoeck, gesungen von Fischer-Dieskau, – gedankenvoll zurück in den nächtlichen Innenhof unsres Palazzos.Von den Toten habe ich keine Bilder gemacht, selbstverständlich; fotografiert wurden sie freilich, noch&nöcher, zu Ansichtskarten verwertet, wer Kinder einmal hatte und Zahnschmerz und seine Liebe, seine Verbitterung, seine Verdauungsbeschwerden und, vielleicht, seine Kunst. Googeln Sie nach den Bildern, Sie werden fündig werden. Hier sei davon nichts, gar schon mehr, als ich in der Sizilischen Reise schrieb. Außerdem, wenn ich es recht bedenke, stehen wir noch immer an der Bushaltestelle via Roma, nach unserer Ankunft mit der Fähre, stehen da und warten auf den Bus. Es ist also Sonnabend, der 16. Oktober, morgens, und noch, außer am Hafen, ist Palermo gar nicht recht wach.

Er brauchte lange, dieser Bus, bis er kam. Ich war aber vollständig
zufrieden mit meinen beiden Schachteln Esportazione. So hätte ich, als der Bus endlich dawar, eigentlich noch einige Zeit da dastehen mögen. Er brachte uns zur Stazione centrale, von dort waren es wenige Meter bis zu unserm Hotel.
Das uns, noch in Berlin, das Netz gefunden hatte. Ein wenig beschrieben hab ich es Ihnen ja schon in meinem Brief. Brief, ja, ich bitte Sie, diese Erzählung als einen Brief anzusehen, den ein Autor an seine Leser ganz persönlich schreibt. Früher brauchten solche Briefe Wochen um anzukommen, wenn man sie aus Italien schrieb. Das mag sich geändert haben. Geändert hat es sich vor allem über das neue Medium der Kommunikation. Jetzt fallen wir gemeinsam zurück, und wenn Sie das akzeptieren, wie auch ich’s akzeptiere, werden wir glücklich miteinander, weil sich die „Verspätung” nunmehr natürlich erklärt. Was ich vorhatte, Ihnen quasi in Echtzeit zu erzählen, wäre ein ständiges Hinterherhecheln, das über die Beine des mangelnden Netzzugangs stolpert. Und da nun dieses zwischen uns geklärt ist, kann ich die Erzählung, wo immer das nötig, unterbrechen… nämlich jetzt hier… um den Text noch einmal durchzugehen für mich, zu korrigieren und zu formatieren, das alles dann auf den USB-Stick ziehen und hinab in Internetcafé eilen, um wenigstens einen ersten Beitrag aus Sizilien Ihnen lesbar zu machen, – eben als einen Brief, meine Leser. Denn danach gleich wird der gemietete Wagen besorgt. Wir verlassen heute Palermo und werden gegen Mittag, schätze ich, in Monreale sein. Von dort leite ich die Freunde und den Sohn Richtung Segesta weiter in ein völlig andere Zeit.

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u>8.32 Uhr:
Grrrrrrrr…. Da renne ich los, um rechtzeitig dortzusein, und es ist auch offen, aber der gemütliche Inder erklärt mir, jaja, das sei schon richtig mit 8 Uhr. Aber um 9 Uhr komme erst der Padrone, um das Paßwort einzugeben, vermittels dem die Computer fürs Netz erst freigeschaltet würden. Grrr, sag ich nur, und nochmal: Grrrr. Sò.

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