Boulevard und Gooverooskas Weh: Reise- und Arbeitsjournal des Mttwochs, dem 29. September 2010. Frankfurtmain & Berlin: Carmen, gefunden. Nachdem sie verzweifelt gesucht. Sowie zu Schwarzen Schafen: mindestens einem davon. Sowie „alles in allem, Berlinroman, Utopie, Sciencefiction, apokalyptische Vision, Fantasy, Warnung, Manifest, Postmoderne und Avantgarde“: über THETIS. Dazu auch Ursula Reber.

Gegen sieben Uhr an einem recht schwülen
Sommerabend in den Sionibergen erwachte
Vater Wolf, gähnte, reckte sich und streckte die
Läufe, einen nach dem anderen, um das Schlafgefühl
in den Pfoten loszuwerden.
Kipling.

5.05 Uhr:
[Dornbusch, Wintergarten.]Das DTs schreibe ich nachher, im Zug; statt dessen gehe ich heute morgen als erstes ans Arbeitsjournal, damit ich vielleicht bereits einen Teil einstellen kann, bevor ich von hier zum Hauptbahnhof aufbreche, von wo mein ICE zurück nach Berlin geht. Ich werde rechtzeitig dort sein, um meinen Jungen nach seinem Schulunterricht mit dem Mittagessen erwarten zu können. Um zehn vor fünf stand ich eben auf, also wieder etwas zu spät; nur, es wurde abermals spät gestern, früh, nach >>>> der Feierstunde des Hessischen Literaturforums, die zweieinhalb Stunden währte im prall gefüllten Saal des Mousonturms: Einzwei Ansprachen waren, Autoren lasen, sowie traten Frank Wolff, Ingrid El Sigai und Markus Neumeyer mit Auszügen >>>> aus ihrem Musikprogramm auf. >>>> Michael Quast hielt eine von ihrem bösen rhetorischen Witz geradezu glühende Festredel. Danach Gespräche mit den Freunden, Kollegen, es war ein Familientreffen. Außerdem lernte ich Ulla Baeyerl von >>>> FAUST kennen, in deren Ausgabe gerade >>>> eine kleine Geschichte von mir, aus AZREDS BUCH, vorabge„druckt” ist.
Eigentlich hatte ich mit B. zum Mousonturm gehen wollen; dann aber war ihr nicht wohl gewesen, wie sie mir am Ifönchen sagte. Ich hatte angerufen, nachmittags, daß ich nun doch zwischendurch nicht mehr käme, sondern erst nachts; ob sie vielleicht allein zum Mousonturm fahren würde, ich erwartete sie dort dann pünktlich vor der Tür. Ach, das sei ganz gut, sagte sie, ich würde gern früher ins Bett als gestern, der Schlüssel liegt da und da, du mußt nur einmal ums Haus rum.
Ich glaube nicht, daß sie >>>> Phyllis Kiehls wegen sauer war, also darüber, daß wir uns verplaudert hatten an diesem Nachmittag. Nachdem ich nämlich beim Notar, zusammen mit Eva Demski, diese Satzungsergänzung unterzeichnet hatte, war ich mit PK verabredet gewesen und wollte übers Ifönchen kurz bescheidgeben, daß ich jetzt frei war. Sie aber: „Haben Sie schon gegessen? Ich habe gerade Steaks gekauft. Kommen Sie doch einfach hierher. Wir könnten dann mit dem Auto zusammen zum Mousonturm fahren.” Fand ich eine gute Idee. Rief wieder B. an: „Und wenn wir dich mit dem Wagen abholen?” Aber sie war nicht zu überreden. Mir ist jetzt ein bißchen mau: vielleicht ist sie ja d o c h sauer. Selbst wenn sie von einem bestimmten Mann gar nichts wollen, können Frauen seinetwegen doch zickig zueinander sein, und zu ihm, selbstverständlich. In einer Stunde werd ich’s erleben oder nicht.
Jedenfalls fuhr ich zu PK, drei Stationen mit der U-Bahn, aber trotz des Kartenprogramms von Apple, das ich pompt um Rat ersuchte, verirrte ich mich in den verschräglaufenden Gassen Bornheims. Schließlich rief ich PK an: „Ich habe die Hausnummer vergessen.” Alzheimer. Gleiches war mir schon mit der Hausnummer des Notars passiert; für die hatte ich anderthalb Stunden vorher im Literaturforum angerufen. Dabei stand ich da schon direkt vor dem Haus…
Wir plauderten und aßen, Frau Phyllis – so mag ich sie fortan hier nennen – und ich, nicht >>>> von schwarzen Schafen, aber wir sprachen über sie; dann tranken wir – „Sie haben C i d r e?!” – ja, den. Und Schnaps. Und Martini. An sich hätte ich zum Mousonturm schon gar nicht mehr gedurft. Sie freilich trank nicht, sondern nippte. Unsere Themen waren „natur”gemäß. Der >>>> Schizotwins und >>>> BettyB’s, aus denen wir Paare synthetisierten, die Paar der Blogosphäre. Dann die Idee, gemeinsam einen Netz-Dialog zu führen, vielleicht in Form eines Briefwechsels. Dann die Idee, angeregt vom >>>> Bücherblogger wie Melusine, zusammen >>>> zu diesem Gipfeltreffen zu spazieren, aber unangemeldet. (Mit diesen Links haben Sie Lesestoff genug für heute, will ich meinen). Den Ort kenn ich gut, sein Inhaber ist ein lockerer Freund aus meinen Frankfurtmainer Tagen. Natürlich dürfen die anderen Gipfler vorher nichts davon wissen, weshalb ich Sie auffordere, dies hier schleunigst zu vergessen und schon gar nicht etwas davon weiterzuerzählen.
Das war aber nicht der Höhepunkt. Sondern der

war d e r:

”Was ist denn d a s für eine Ausgabe?” Ich zog den Band aus dem Regal, blätterte, alte Schrift, hm, „bestimmt Dagobert von Mikuschs Übersetzung”, das war auch so. Th. Knaur Nachfolger, Berlin, doch ohne Jahr. Also Zwanziger, schätzte ich. Mit handgezeichneten Illustrationen. Ich las mich sofort wieder fest und las Frau Phyllis dann etwas vor. Das Lied von Lukannon, das ich >>>> in MEERE nicht nur immer wieder zitiert habe, sondern daß wie ein Leitmotiv durch das ganze Buch strömt:

Entflieht! Entflieht nach dem Süden! Und du, Gooverooska, geh!
Und singe den Mächten des Meeres die Hymne von unserem Weh!

Ich las das ganze Gedicht vor. Sie war, Frau Phyllis, berührt wie jedesmal ich, wann immer ich dieses Gedicht wiederlese. So erzählte ich denn auch von der Dschungel, i h r; daß ich das genau aus dieser Übersetzung hätte. Die das Geschlecht des Waldes eben n i c h t dem Deutschen angleicht, sondern Kipling folgt, der von „the jungle” als von „she” schreibt und „her”. – Und dann sagte sie… dann sagte Frau Phyllis, die meine Tränen in den Augen sah: „Ich schenke dir das Buch.” Da waren wir zum du übergegangen. Ich nenn sie aber weiter Frau.
Wir vergaßen restlos auf die Zeit. Da… plötzlich..!: – Frau Phyllis… ausrufend: „Es ist schon halb acht!” Ich mein Zeug im Nu zusammengepackt, sie ins Bad, die Camouflagen zu erneuern, dann, was ich wirklich liebe, eine gemeinsame Suche nach den dem Anlaß angemessenen Pumps. Und ab. Um fünf vor acht kamen wir am Mousonturm an, stiegen aus dem Smart, da hör ich hinter uns ein Räuspern. Lüdenbach & Leukert, die Freunde. Umarmung. „Kennt ihr..?” Handschlag, eins, zwei. Zwei Minuten später, direkt am Theaterhaus, Werner Söllner: „Oh Alban, du mußt uns helfen! Würdest du Ulrike Kolbs Text vorlesen? Sie hat einen” (sag ich besser nicht) „und hat abgesagt, uns aber ihren Text zugemailt.” So kam ich dann auch auf die Bühne. Kolbs Text wurde im Kibbuz geschrieben und endet mit immer noch nicht fertig geworden, ja, genau so: mit einem anti-Kompositum der neuen deutschen „Recht”schreibung. Dem war Eigenes nicht hinzusetzen, zumal ich auch gar nicht im Programm stand. „Ich bin nicht ich”, sprach ich in das Publikum, „sondern eine halbe DIN-A-4-Seite lang Ulrike Kolb. Bitte stellen Sie sich mich auch so vor.” Dann hoppste ich von der Bühne wieder runter.
Weine & Böhmer, Demski und ich übertreten das Rauchgebot in öffentlichen Räumen. „Das will ich mal sehen, wie mich hier wer rauswirft”, sagte sie, die unterdessen d i e Grande Dame litteraire der Frankfurtmainer Gesellschaft ist, und ich ließ den Namen Helmut Schmidts fallen, woraufhin Demski, mit der ich mich überhaupt trefflich verstehe: „Oh ja! da kämen die Rauchverbotler angelaufen und hielten unter Bücklingen noch die Aschenbecher hin!” Wir also gingen vor, die andern, also, folgten. So war das obere Foyer vom Tabakqualm bald voll. „Rauchmelder” hatte ein Furchtsamer noch geflüstert; schließlich rauchte auch er, und melden tat auch ihn nix.

Bewegung im Haus. B. wird aufgestanden sein. Ich erzähle später weiter. Jetzt möchte ich mich erst einmal um s i e kümmern. Immerhin bin ich ihr Gast. Und gegen halb acht brech ich hier auf.
Guten Morgen.8.28 Uhr:
[ICE Frankfurtmain-Berlin.]So, im Zug. B. ist offenbar wirklich etwas eingeschnappt; sie zeigte es nicht, aber welch ein Unhold auch immer ich sein mag, ich bin’s aus Gründen meiner Sensibilität. Jedenfalls spürte ich’s. Sie hat mich auch nicht zum Bahnhof gefahren. So nahm ich wieder die U-Bahn.
Jetzt als erstes das DTs, danach, bis ich in Berlin ankommen werde, Die Fenster von Sainte Chapelle ff.8.57 Uhr:
Eine Überlegung, die ich gestern nacht im Bett hatte: Das Lesen kommt bei mir viel zu kurz. Es nervte mich plötzlich, bzw. wurde mir klar, daß ich, wann immer ich ein Buch „nur für mich” lesen will, irgend ein Auftrag mich ein ganz anderes Buch vorziehen läßt. Dabei würde ich so gerne sowohl Ricarda Junges als auch Thomas Hettches neue Romane lesen. Also. Wenn ich mich ohnedies schon mit den >>>> Dts ’en öffentlich korsettiere, dann könnte ich mich pro Tag ganz genau so mit anderthalb bis zwei Stunden Lesezeit beauftragen und auch darüber Buch führen. Das will ich tun. – Jetzt aber an die Überarbeitung der Parisnovelle.

11.43 Uhr:
[Bereits eine halbe Stunde vor Spandau.]
Erschrocken in meinem Ifonekalender entdeckt, daß ich um zwölf einen Fußpflegetermin habe. Sofort bei Manuela angerufen: ich sei noch im Zug, erst später als geplant losgekommen (was nicht stimmt) usw. Ob wir? Ebenfalls Undsoweiter. – „Gar kein Problem heute. Komm einfach um 16 Uhr.” „Paßt. Danke.” Also das DTs noch mal umschreiben/ergänzen. Ich sah Sonne während der Fahrt! Nur bei der Löwin nimmt niemand ab.

13.03 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Soeben – nach einer leichten Zugverspätung – angekommen. Gut durchgearbeitet. Jetzt aber sofort für meine EinstundenSiesta in mein Bett.

14.57 Uhr:
Nun >>>> sieht man mich auch von vorne und mir in die Augen. Doch, das läßt sich so interpretieren. Auch wenn sie’s nicht so gemeint hat. (Hat sie aber). –

18.06 Uhr:
Füße pflegen lassen, 16 Minuten unter die Sonne gesprungen, Post erledigt (noch nicht ganz), aber endlich mit der Löwin telefoniert, die übermorgen bereits wieder nach Wien fliegt. Aber zur Frankfurter Buchmesse werden wir uns sehen; sie wird mit einem Kunstbuchverlag dasein. Also werde ich die Bellestristik-Hallen bisweilen verlassen. Das tu ich sonst nie.

Vom >>>> Elfenbein-Verleger, der im Frühjahr 2011 die BAMBERGER ELEGIEN herausbringen wird und zur Zeit >>>> THETIS liest, kam ein grandioser Brief zu dem Buch: Bin auf Seite 713 im ersten „Anderswelt“-Band angelangt, es gab eine längere Lesepause, aber jetzt lese ich zügig zu Ende, ein Wahnsinn! Roman? Oder doch „Rhizom“, wie andere meinen, ich weiß es nicht, auf alle Fälle habe ich so etwas noch nie gelesen, und es fasziniert mich ungemein, es ist alles in allem, Berlinroman, Utopie, Sciencefiction, apokalyptische Vision, Fantasy, Warnung, Manifest, Postmoderne und Avantgarde, Roman im Roman (im Roman), Cybertext und und und, es ist nicht kategorisierbar. Neu und anders. Und verspricht endlos zu werden, zu sein! Da zudem >>>> Ursula Rebers Untersuchung über Metamorphosen erschienen ist (ich werde das Buch noch eigens annoncieren), darin mein Anderswelt-Projekt eine sehr deutliche Rolle spielt, kann ich momentan ziemlich zufrieden sein. Es wird offenbar allmählich deutlich, was ich da seit über zwanzig Jahren ästhetisch eigentlich drehe. >>>> Hier eine Kritik zu dem Buch. THETIS ist unterdessen schwierig zu bekommen; wer an noch druckneuen Ausgaben interessiert ist, kann sich direkt an fiktionaere at gmx Punkt de wenden; bei mir lagern noch ungefähr einhundert Exemplare.
So, ich muß an die Überarbeitung der >>>> Litblog-Theorie für das ebook und die kleine Buchausgabe. Den Profi will ich aber eben noch anrufen; eigentlich habe ich Lust auf die >>>> Bar; w i e d e r eigentlich aber müßte ich durcharbeiten.

7 thoughts on “Boulevard und Gooverooskas Weh: Reise- und Arbeitsjournal des Mttwochs, dem 29. September 2010. Frankfurtmain & Berlin: Carmen, gefunden. Nachdem sie verzweifelt gesucht. Sowie zu Schwarzen Schafen: mindestens einem davon. Sowie „alles in allem, Berlinroman, Utopie, Sciencefiction, apokalyptische Vision, Fantasy, Warnung, Manifest, Postmoderne und Avantgarde“: über THETIS. Dazu auch Ursula Reber.

    1. Sorry, Herbst! Der stammt nun nicht von mir. Ich vermute, M. B. steckt dahinter. Fehlt nur noch, daß sie uns ihren „Armen Ritter“ anpreist, Weißbrot in Ei gewälzt, paniert und gebraten, serviert zur Kaffeezeit in ihrer sauerländischen Pension. Nein, ich habe mir gerade Kaffee aus dieser Glaskanne nachgeschenkt, die zur Ikonographie bundesdeutscher Autohöfe gehört, viel zu dünn, aber stark genug für einen schönen Herbstnachmittag. Manchmal strengt sie sich richtig an: Tidenhub. Man sieht förmlich Giacomettis Figuren vor dem heranrückenden Wasser fliehen, auf dünnen Beinen laufen sie auf eine kleine Anhöhe zu: private property. Aber, wie gesagt, nicht von mir.

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