>>>>> Dies ist eine große Oper, ohne daß wir „große” großschreiben sollten, ja dürften. Denn an sich wäre zu verstummen gewesen, unsererseits, die im Publikum saßen. Nicht nur, daß es Momente, nein ganze Szenendauern gibt, in denen ich im alten Sinn erschüttert saß und hörte; nicht nur, daß Reimann das – ein wirkliches – Kunst-Stück gelingt, Modernisierungen nicht immer irgendwie dann d o c h übers Knie zu brechen; nicht nur, daß sein Zeitbezug, in Musik und Libretto ganz frei von mätzelndem Regiezeug (das es leider dennoch, aber wenig, gibt), aus der Bearbeitung der Vorlage Grillparzers auf das furchtbarste organisch entwickelt wird. Sondern Reimann weiß mit dem entwickelten Instinkt des Dramatikers sehr genau, wo er musikalisch frei werden kann und wo, zum Beispiel, quasizitiert werden darf und muß. Da ist keine Notenfolge pur-serielle Exerzitie, da ist aber auch kein neues Biedermeier und Kniefall an den Schönklang, wie ich das bei, beispielsweise, Penderecki miterleben mußte. Um von Leuten wie Adès und/oder Glass einmal zu schweigen, die allemal am Musical flirten. Sondern wo diese Musik in altem Sinn harmonisch wird – freitonal sollte man sagen -, da mit sehr genauem Blick auf die Dramaturgie, also auf das, was Oper eben i s t: zuallererst Geschehen und allenfalls erst dann der Kommentar, die Reflektion. Nicht grundlos klingt Reimanns Medea mitunter nach einem Fernklang von Britten, passacaglienartig die, eben!, Tragik vorantreibend und zugleich bereits das Trauerlied. Es ist geradezu herzrührend, wie, oft in den Bläsern, die hochgesungenen Partien, etwa bei den Duetten, instrumental abgenommen und weitergeführt werden und musikdramatisch mit jener Klarheit verwoben, dies alles so allerengst vermascht, daß selbst das Schicksalhafte der Alten gegenwärtig bleibt. Hier aber, anders als noch im >>>> Lear, bei dem das Unheil schon bei Shakespeare bloß aus einer Dummheit rührt, ist sein Grund schon lange vorher handelnd gesetzt: nun „erfüllt” es sich. Daß Reimann es schafft, dies eben nicht aufgrund einer gleichsam gottgewollten und eben tragischen Situation in die Musik zu bringen, ist phänomenal. Tragik hier meint nämlich nicht ein notwendiges, meist sogar schuldfreies Verfangenwerden in Schuld, sondern alles in Reimanns Medea ist persönlich an die Figuren und ihre Geschichte(n) zurückgebunden, kurz: konkret. Daraus bezieht seine Oper ihre unabweisbare Kraft, mitunter sogar etwas, das ich musikalische Macht nennen will – etwas, das sich der Vorstellung, es könne rein hergestellt sein, einfach entzieht. Wie selten ein Stück der Neuen Musik leuchtet dieses mit jener Kunst-Evidenz, die wir Transzendenz nennen und die sich, wie eine Allegorie, immer wieder in ähnlichen Formen realisiert, d.h. wirklich wird. Der hier erzählte Konflikt, der eben auch einer von Fremdheit gegen Assimilation ist, egal ob sie selbstgewünscht oder erzwungen wird, dieser Konflikt ist konkret.
Doch eben diese Konkretion wird am Ende der Oper verraten. Die Trauermusik dazu ist mindestens so schön wie das geniale Schlaflied, das Reimann der Medea für ihre Kinder komponiert hat: eines der ganz seltenen Lullybys der Neuen Musik und von demgleichen dunklen Strahlen, das >>>> Miles’ Malo hat – doch die Trauermusik des Endes begleitet einen hohlen, längst nicht mehr angemessenen Dialog. Der findet nach der Katastrophe statt und, ob Reimann das wollte oder nicht, verschmiert sie, nimmt ihr den Schrecken zugunsten einer nur noch halbwahren Menschlichkeit. Da liegt ein Problem des Stücks, daß Reimann unbedingt noch zeigen wollte, wie sehr sich Medea und Jason einst geliebt hätten und wie sehr zu spät diese Erkenntnis nun komme. So etwas hat hier gar keinen Platz mehr. Bei Grillparzer klagt Jason völlig zu recht allein um den Verlust seiner Kinder: d a s ist seine Erkenntnis, und Medea läßt ihn mit ihr allein: es ist die Erkenntnis der eigenen Schuld, deren Konsequenz die Kolcherin zu tragen geht. Indes Jason bei Reimann, nicht Grillparzer, ruft: „„Sprich es aus, Medea: Ich liebe!”. Man könnte das lächerlich finden, ahnte man nicht, daß sich dahinter ein persönliches Bedürfnis des Komponisten verbirgt, das so aber, ins Drama, nicht hineingehört. Um das Verfahren formal zu rechtfertigen, bedient sich Reimann aus Grillparzers „Die Argonauten” – dem zweiten Drama von Grillparzers „Das goldene Vließ”, dessen drittes die Medea ist -, um auf einem nun Umweg, der zu Kitsch kürzt („Was ist der Erde Glück? – Ein Schatten”) ins gänzlich Abstrakte wegzudrehen:
Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.
Du meine Güte, wozu das? Was bei Grillparzer als Reue-Monolog Medeas noch aufgehoben ist, wird in der Partnerschaftsperspektive zur beliebigen Stanze. Wäre es nicht im Interesse des Stückes höchst geraten gewesen, die dramatische Radikalität gerade jetzt beizubehalten, von der Reimanns übrige Kürzungen des Grillparzer-Textes im Wortsinn ausgezeichnet sind: nämlich allein den Blick auf den Gegenstand des Dramas? So aber deutet der Epilog der Oper ihr ein Versöhnliches an, eines für das Publikum, wofür das Geschehen aber selbst eben keinen Raum läßt.
Nun ist so etwas vielleicht der Preis: vielleicht muß man für eine große Oper mit solchen Szenen zahlen, kennt doch selbst der Parsifal die Unsäglichkeit der Blumenmädchen. Vielleicht gilt ein selbes auch für Reimanns Manier, die Stimmführung besonders im Ersten Teil der Oper sinnlos durchzukolorieren: permanent läßt er die Sänger in oft extremen, hysterisch scharfen Sprüngen die Klangleitern hinauf- und wieder hinab- und hin- und herrasen, egal, ob so etwas zur komponierten Aussage paßt. Das, leider, nimmt den Geschehen bisweilen die Stringenz und kann auch ziemlich nerven – anders als der fesselnde, ja durchweg berückende Orchestersatz.
Ähnlich „persönlich” mutet das für >>>> die Wiener Uraufführung, die im Februar stattfand, in Zusammenarbeit mit dem Komponisten entstandene Bühnenbild Marco Arturo Marellis an, der auch die Regie führt. Grillparzer schreibt links ein Zelt vor, vor allem aber im Hintergrund das Meer. Reimann begnügt sich mit „Vor den Mauern von Korinth”. Marelli übernimmt das Zelt. Von Meer keine Spur. Statt dessen schauen wir auf eine Steinwüstenlandschaft, die sich aber erst öffnet: warum denn? Umschlossen von einer Art Mauer ist nämlich Medea schon drin. Das bleibt aus der Oper-selbst ganz unbegründet, man muß es sich herleiten: Die Stadt Korinth, als erhobener Glaskubus lockend, schwebt über den Asylsuchenden. Der Regisseur, denkt man erst, will vielleicht den Kontrast: hie Verlorenheit, da das Heilsversprechen. Es ist aber simpler und hat s o dann abermals mit der Oper, d.h. Ihrem Stoff, wenig zu tun. Nachgestellt wurde die Landschaft Lancarotes, wo Reimann die wichtigsten Einfälle zu der Musik gehabt. Auch hier also drängt sich ein allzu autobiografisch Personales vor, neben weiteren, sagen wir mal: „politisch korrekten” Assoziationen: woher heutzutage ein Migrant halt so kommt… Es mag dies den Beteiligten gar nicht bewußt sein, aber möglicherweise trägt dies auch Schuld daran, daß ein inszenatorisch an sich großartiger Einfall technisch letztlich nicht gemeistert worden ist: wenn Medea die Unterwelt und ihre eigene in sich beschwört, fängt eine Steinlawine an, über die Bühne zu rollen: drohender an sich, als es später das cleane Neonrot des allzu abstrakten Feuers ist, in dem Kreusa verbrennt: man sieht mal ihre Händchen die Jalousien durchtasten. Das soll dann sowas sein wie Verderben. Insgesamt wird gerade Kreusa in Marellis Inszenierung ziemlich heikel geführt: immer wieder kippt sie in die Karikatur; doch die Darstellerin, Pauly Murrihy, fängt das meistens wieder auf. Hingegen man Jason, worauf es Reimann doch ankam, ein Leiden an der verlorenen Liebe wirklich nicht anmerkt. Wo es den anderen, wenn man das gutwillig sieht, einfach an Empathie fehlt, ist er durchweg, und mit Verve, korrupt. Das hat den Nachteil, daß man die kleinen Kinder, die ihrer Mutter von Anfang an die kalte Schulter zeigen, nicht recht versteht; wäre Jason ein wenig wärmer, nämlich als ein Vater, dann erst wäre begreifbar, weshalb sie ihre eigene Mutter unheimlich finden. Nun sehn wir davon allein die Behauptung.
Insofern ist es ein wenig schade, daß diese zweite Inszenierung der Oper dieselbe wie die erste ist. Ein nächster Regisseur hätte vielleicht aus ihr entbunden, was n o c h an Kraft nur in ihr schlummert, den Ruhm mal hin, die Kosten her. Und einen Strich des Epilogs leise hierbei mitgedacht: nur wär es schad um die Musik. Denn ich beharre: dies ist eine g r o ß e Oper. Und eine Verbeugung, vor Claudia Barainsky und Tanja Baumgartner, muß jetzt hier hin. Makellos dabei vor Temperamt: das Frankfurter Opern- und Musemsorchester unter Erik Nielsen.
Medea – Claudia Barainsky; Gora – Tanja Ariane Baumgartner; Jason – Michael Nagy; Kreon – Michael Baba; Kreusa – Pal Murrihy; Herold – Tim Severloh.
Regie, Bühne, Licht: Marco Arturo Marelli.
Die nächsten Aufführungen:
So, 12.9., 19.30 Uhr
Fr, 17.9., 19.30 Uhr
Sa, 25.9., 19.30 Uhr
>>>> Karten.
Dem ist nun nichts Wesentliches hinzuzufügen, es sei denn, wir möchten unseren Hader mit dem angehängten Schluß überdenken. Angehängt wirkt er zweifellos. Denn das Zwischenspiel II ist seinem Charakter nach ein orchestraler Epilog. Was kann denn auch noch kommen, nachdem Kreusa verbrannt und die Kinder tot sind? Die Katastrophe ist perfekt, das Orchester schreit noch einmal markerschütternd auf, die Streicher steigen in die Unterwelt hinab. Schluß. Dann überbrücken die dunklen Harfenakkorde einen Zeitsprung, denn Jason ist inzwischen verstoßen, liegt zerlumpt im ewigen Geröll und will nun, daß alles wieder gut ist. Aber die golden gevlieste Medea ist fertig mit diesem Unmenschen und erzählt, sich in Delphi edel opfern zu wollen.
Unsere Überlegung, daß dieses ÜBRIGENS besser v o r den Menschenopfern stattgefunden hätte, unterschlug die Absurdität des Vorgangs. Denn erst nachdem Jason mit seiner Karrieregeilheit, Herzenskälte und Menschenverachtung Medea in die entsetzlichste Situation ihres Lebens gebracht und damit ihre mörderische Rache ausgelöst hatte, ist seine Erinnerung an die Freuden früherer Tage und sein Befehl “Sprich es aus, Medea: Ich liebe!” nicht mal mehr ein Hinweis auf eine hätte sein könnende Liebesbeziehung, die definitiv zu spät angesprochen wurde, sondern nur noch ein sentimentaler Versuch, einen weggeworfenen Menschen wiederzugewinnen, also strategischer Natur. Damit erweist sich Jason in seiner Bedürftigkeit wiederum als Monstrum. Das aber kann v o r der Katastrophe so wenig stattfinden, wie es aus musikdramaturgischen Gründen danach überflüssig wirkt.