Arbeitsjournal. Freitag, der 19. Februar 2010. ODER. Die hübsche Praktikantin.

8.51 Uhr:
[Arbeitswohnung. >>>> Dieter Ilg, Otello.]
Welch ein Genuß, sich beim Arzt auszuziehen, während eine junge hübsche Praktikantin dabeisteht! Also. Seit gestern ist dieser blöde Hautpilz wieder da, ich reagiere bei sowas sofort und will draufhauen. Um sechs aufgestanden Am Terrarium, irgendwann nachts waren die Zwillingskindlein zu mir ins Bett gekrochen, irgendwann später nachts leuchtete eine Taschenlampe, um nachsehn zu lassen, ob die andere Betthälfte freigeblieben sei, mir ins blinzelnde Auge, dann tappte die Taschenlampe leis ins Zwillingszimmer und ließ sich dort in einem der beiden Betten nieder. Die Kleinen wachten mit mir zusammen auf, wollten aber noch schlummern, Du, der Große, kamst hinzu, legtest Dich an Deine Geschwister. „Ihr wollt doch nicht etwa schon jetzt den Kakao..?” Und ob sie wollten. Kaffee gekocht und, während er durch die Maschine lief, den Kakao bereitet, mit einer Spur Zimt, das hab ich von लक übernommen. Dann geschaut, ob wieder wer in Der Dschungel rumgemeckert hat; war nich’. Doch jetzt geb ich ihm echten Grund. Also. Gestern abend diese Hautpilzspuren entdeckt. Ich liebe gepflegte Hände und Füße; Männer, die das nicht haben, schau ich nicht an und würde auch kein Buch von ihnen lesen – sofern ich’s denn erführe. Egal. Jetzt aber war dumm, daß m e i n e Füße grad nicht gepflegt sind, nein, nicht gerade ungepflegt sind sie, aber nicht so weich, wie ich das will. Das liegt nun rein daran, daß – aufgemerkt, die Hämer! – شجرة حبة sie pflegen will, wenn wir uns wiedertreffen (noch immer kein Anruf aus Wien – ob sie zurückschreckt?)… – Serengeti-Aktion mit nackter knieender Frau; wir haben das als Inszenierung entworfen. Ich muß Anzug und möglichst auch Krawatte tragen. Dann spielen wir Maria Magdalena, sogar ihr Haar wird sich eignen. Dazu aber, feinste Pikanz der Blasphemie, Champagner. Mehr erzähl ich Ihnen, Ihres Seelenfrieden halbers, n i c h t davon und überlasse es Ihrem Geschick, die Szene für die lauperverse Imagination eines erotisch Vereinsamten zu halten. Bon. Ich wollte ja sowieso was anderes erzählen. Also. Mein Hautarzt, ich >>>> dichtete schon mal von dem Weg zu ihm. „Das ist Frau Soundso, seit zwei Wochen Praktikantin. Haben Sie etwas dagegen, wenn Sie bei der Untersuchung dabei ist?” Ganz im Gegenteil, dachte ich und sagte: „Aber nein” und frag sie, was sie werden wolle. Hautkrebsuntersuchung, sagt Dr. M., haben wir das schon gemacht? – M ü s s e n wir das machen? – Kostet nichts. – Das ist mir wurscht. Ich will nur wissen, ob’s nötig ist. – Ja. Seit das als Vorsorge eingeführt worden sei, sei zwar die Zahl der an Hautkrebs Erkrankten signifikant gestiegen – ein Zusammenhang, der zu banal ist, um ihn zu erklären -, aber ebenso signifikant sei die Todesrate zurückgegangen, und spitz fügt er hinzu: „… weil wir ihn nämlich jetzt früh genug erwischen.” Dieses „erwischen” hätten Sie hören sollen! Regelrecht Genuß. „Na denn”, sag ich. Er: „Bitte ziehen Sie sich bis auf die Unterhose aus, lassen Sie sich Zeit, ich geh unterdessen zu dem Patienten nebenan.” „Geht bei mir schnell”, sag ich und denk: ich hätt vielleicht heut früh d o c h duschen sollen. Die beiden gehen hinaus, ich schnüffle mal schnell unter den Achselhöhlen. Ist okay, nur verschwitzt bin ich, weil immer noch zu dick angezogen für den Wetterumschwung (Sonne, und die Vögel tirilieren!) – jedenfalls setz ich mich dann wieder hin und lese in dem Cotzee weiter, über den ich in Der Dschungel nachher gesondert schreiben will: eine Art Zwischenbefund. Die beiden kommen wieder. Süß, die junge Frau, sie lächelt. Ich steh da in meiner unterdessen brustseits Silberbehaarung, auf dem Rücken, sagt mir der Spiegel, ist das Fell noch dunkel geblieben. Blöde Unterhose. Kriegt man Hautkrebs nur an nichtpikanten Stellen? Ich genieße die Blicke, er verschärft sie durch eine Lupe, zieht mir hinten die Unterhose runter, was mich jetzt besonders entzückt, weil ich weiß, daß meine Arschbacken ihre Wirkung auf Frauen bis heute nicht verloren haben: Sport Sport Sport, permanentes Fahrradfahren, Lust an Bewegung, keine Lust an Bequemlichkeit, das hält den Körper, und weil Dr. M. nun auch beginnt, der jungen Dame von meinen Gedichten vorzuschwärmen, wird der frühe Vormittag so richtig rund. Mir macht sowas Arbeitslust. Sie trägt ein Piercing, ein sehr feines, links in der Unterlippe: für Jäger d a s Zeichen. Selbstverständlich geht es nur um einen Flirt, ich hab grad keine Kapazitäten frei für etwas darüber hinaus; außerdem sind, sagt mein Instinkt, die Lebenswelten zu verschieden. Aber der Genuß an den Blicken ist groß. Deshalb gibt es überhaupt keine Peinlichkeit in der Situation. Ich habe eine Art, mich gerne zu zeigen und damit zu spielen. Das lockert. Wie dankbar ich all meinen Geliebten bin. Wie dagegen verstockt ich war mit zwanzig. Es hat große Vorteile, in den Fünfzigern zu sein. „Wir sehn uns in drei Wochen wieder.” „Geht’s etwas später? Da ist gerade Leipziger Buchmesse.” „Aber ja.” Wir geben uns, als ich wieder bekleidet bin, die Hand. Die junge Dame lächelt. Ich lächle. Wirklich, beschwingt, so tret ich auf die Allee. Krawall: U-Bahn, Lastwagen, der Morgenverkehr, Lachen (langes a) stehen übern Bürgersteig, die Sonne steigt, und auch die Apotheke ist bereits geöffnet. Kleiner Plausch. Während die Salbe gemixt wird, les ich stehend in dem Cotzee weiter. Schande. Ich kann nur sagen: Schande.

Nun wieder Schreibtisch. Latte Macchiato. Morgencigarillo. Dieter Ilgs Otello. Ich werde die CD zweimal hören, dann werde ich den Verdi hören, über dessen Themen Ilg, Böhm und Heral fein improvisieren, dann werde ich wieder Ilg hören. Dabei >>>> die Erzählungen in die richtige Reihenfolge bringen. Darüber wird es Mittag werden. Es ist noch nicht heraus, ob mein Junge mittags nach der Schule herkommt; eventuell verbringt er die Zeit bis zum Abend mit einem Klassenkameraden. „Aber ruf mich in der Pause bitte an, damit ich hier nicht unnötig koche und dann alles verdirbt.” „Klar, Papa.” Na, mal sehn. Dann Mittagsschlaf, dann anfangen, das Gespräch mit Zagrosek, das ich gestern zu Kraus’ „Aeneas in Karthago” aufnahm, in Text zu transkribieren; die Aufnahme (DR2) ist gut geworden, das hab ich gestern nacht bereits gecheckt. Bis ein Uhr las ich im Cotzee, dann ging ich schlafen. V i e l schöner, merke ich, zu lesen als dauernd DVDs zu gucken. Selbst dann, wenn einen ein Buch, wie mich jetzt der Cotzee, nicht eigentlich weiterbringt; DVDs, denke ich, bringen einen zurück; überhaupt fällt für mich der Film gerade sehr ab.

Ich werde eine neue Rubrik einführen, die für CD-Besprechungen gedacht ist; sowohl für sog. Klassik (ein für die meisten „Fälle” gräßlich falsches Bestimmungswort) als auch für Jazz und gerne, falls das jemand übernehmen will, Pop).

Die Funknetzverbindung hakt mal wieder. Hinterhaus halt.

11.28 Uhr:
[Verdi, Otello.]Die Erzählungen erst mal per Hand zugeordnet. Jetzt in den Dateien verschieben: banale Routiniererei, über die Verdis Ilg wundervoll hinweghilft. Hab ich die beiden Erzählbände fertig, schick ich sie an >>>> den Verlag, und dann wird gefrühstückt. Ich singe und singe mit. Immer ganz nahe am Weinen bei diesem “un altro bacio”. >>>> Otello in Barcelona. Was ich gelernt habe, den alten Verdi zu lieben!

12.44 Uhr:
[Immer noch Otello in Barcelona. Desdemonas AveMaria.]
Fertig geworden mit den beiden Erzählbänden. Rausgeschickt. Abends geh ich mit Eigner in >>>> die Bar (von der ich in einer der Erzählungen eben wiederlas, und der Knotscher, ja selbst der unterdessen hier vergessene Lavantes waren dabei). Jetzt eß ich was, dann schlaf ich eine Stunde, dann geh ich ans Cello, dann hole ich – ja, heute ich – die Zwillingskindlein aus Barenboims Musikkindergarten ab. Mein Junge rief an, er gehe zu seiner Freundin mittags, komme dann gegen 18 Uhr ans Terrarium heim.

31.21 Uhr:
Mittagsschlaf. Dann Cello. Dann zusammenpacken und die Kindlein abholen.

15 thoughts on “Arbeitsjournal. Freitag, der 19. Februar 2010. ODER. Die hübsche Praktikantin.

  1. verstehe ich das richtig, ilg hat eine neue cd, die sie besprechen sollen? oh, ich hörte die folk songs aberhunderte mal, der claudius, den er spielt, der letzte song auf der cd, der treibt mir aus ganz persönlichen gründen bis heute die tränen aus den augen. ich muss sie direkt wieder einlegen.

    ich bin wirklich nicht qualifiziert, mich dazu äußern zu können, aber wenn sie schreiben ‘dann spielten wir maria magdalena’ glaube ich, das ist genau der punkt, den ich nie so ganz begreife dabei, da fühl ich mich manchmal auch wie in der provinz auf dem schützenfest, wo irgendwann alle in die polonaise verfallen, und man selber peinlich berührt und verstockt sich wo am stuhl festkrallt (ich hab mein autistentum mit 20 eben nie ganz abgelegt), hoffend, man kann nun bald gehen und zweifelnd, ob es nicht doch besser wäre, so zu tun, wie es die anderen halten, damit man endlich auch einfach mal dazugehört. ich bin aber wohl bis heute die, die halt verstockt hocken bleibt und das fremdschämen nie ganz los wird. wenn man die seiten entscheidender tempelhofer clubs aufsucht, dann frag ich mich, wie ist das wohl, wenn man im klinikraum eine session hatte und danach den raum so verlässt wie man ihn vorgefunden hat, du, jetzt noch schnell mal putzen. ich kann das eben nicht ausblenden, all das, was auch laufen muss, um das theater aufzuführen. mittlerweile denke ich die smler sind die camper unter den sexhabenden. ich dachte mal, es reichte völlig aus, sich selbst mitzubringen zum sex, aber, das ist lange vorbei und sonst gäbs ja wohl auch keine sex-shops. und bei hodensackinjektionen krieg ich natürlich das schiere grausen, freiwillig, niemals, aber man muss die einstichstelle zudrücken, sonst läuft die kochsalzlösung raus. man lernt nie aus. schmucknarben gibts ja schließlich auch. neulich sagte mir jemand, der das alles kennt, der mensch will das theater, und ich sagte, falsch, der mensch will die authentizität und versucht mittels theater hinzugelangen. ist zumindest ein überlieferter weg, den ich bis in den sm-club hinein quasi klassisch finde, ich zweifle nur, dass es ein weg ist, so hinzugelangen, aber ich mag ja auch das theater nicht so gern.
    die zeichen lesen lernen, ja. als ich gestern sagte, ich muss mich vor unmotiviertem ausstrecken des arms im öffentlichen raum hüten, fiel der therapeut fast vor lachen vom medizinball. das sind die momente, die ich mag. darum mag ich auch den slapstick und beckett, weil er das verunglückte theater ist, was vergeblich theatralik zu erzeugen sucht, aber es gelingt ihm einfach nicht.

    1. @diadorim. Ja, Sie lesen es richtig mit Ilg. Und die CD ist ohne jeden Zweifel – großartig. Ich schrieb gerade an die FAZ:Ich erschüttre gerade meine Nachbarn, die wahrscheinlich zitternd dasitzen und den Tag verfluchen, an dem ich diese Boxen gekauft habe (ProAc, 80er, dahinter ein Accuphase).
      Was SM anbelangt, so ist das Szenario ja durchaus nicht SM, und was Sie von den Begleitumständen schreiben, so müssen auch diese, selbstverständlich, inszeniert, Teil des Spieles werden. Denn in der Tat, ich weiß nicht, ob Sie schon mal in so einem Club w a r e n… es hat meistens genau die Peinlichkeit, von der Sie schreiben. Muß es nicht, hat es aber meist. Ich erinnere mich dagegen gut an die Anfangszeiten des KitKatClubs, der längst die Rutsche des Mainstreams runtergegangen ist; aber damals, ja du meine Güte, gab es berauschende Abende, die alles auflösten, was man an festen Strukturen so mitbrachte, und selbst die für mich meist unerträglichen Männer, die Latexleder trugen, den Arsch dabei frei, waren fein intergrierbar. Will sagen: Es hängt immer von der Fantasie der Teilnehmer ab und, ganz wichtig, von der Bildung, die sowohl Wissen als auch Herzensbildung meint, ohne Intellektualität aber geht es nicht, die dann in den Rausch gerät. Was ich meine, ist ein Übertretungsspiel, das nicht von ungefähr oft einen rituellen, also religiösen Character hat; es ist a u c h vergleichbar mit der Übereinkunft zwischen Publikum und Bühne, daß Cherubino eben n i c h t gesehen wird, auch wenn er bloß hinterm Sofa sitzt. Im übrigen würde ich d i e Inszenierung, von der ich schrieb, nicht im Öffentlichen Raum, also keineswegs in einem Club, vorführen wollen, dazu birgt sie zuviel ungewollte Komik, die es aber gerade wegzuspielen gilt. Wiederum hängt “Maria Magdalena” selbstverständlich von den Prägungen ab, die einen haben werden lassen, was wir sind; bei religiösen Hintergründen kann das extrem erregend sein; Leute, die puritanisch oder sonstwie protestantisch/pragmatisch aufgewachsen sind, k ö n n e n gar keinen Sinn für dergleichen entwickeln. Auch deshalb muß man, spielt man öffentlich, die Teilnehmer sehr genau aussuchen. Des weiteren spielt eine Rolle, welche Tabus einer mitbringt; da spielen selbstverständlich Traumata eine riesige Rolle. Es geht in diesem ganzen BDSM doch darum, dem Wort “Perversion” lustbringend gerechtzuwerden, es also wörtlich zu nehmen: pervertere. Ich habe das an vielen anderen Stellen schon ausgeführt. Unterm Strich ist es ein künstlerischer Akt und von derselben Lächerlichkeit, wie ein Buch zu schreiben oder ein Bild zu malen, denen es auf Transzendenz ankommt.

      [Perversionstheorie.
      Ästhetik.]

      Man kann übrigens sagen: BDSM ist, sofern es “gelingen” soll, das Gegenteil von sexuellem Pragmatismus.

    2. tja, bei mir haperts eben an der fantasie. das ist wie mit dem gag beim psychologen, der dem patienten einen rohrschachtest vorlegt und fragt, was sehen sie, und der antwortet: einen rohrschachtest. ich hab das rituelle beim sex gar nie gesehen, noch gesucht. es ist, wie sie es schreiben, man muss ‘spielen’ wollen. acting. jemand, der das nicht verkörpern kann oder will, der ist damit restlos überfordert. ich will das ganz und gar nicht lächerlich machen, ich will nur sagen, der sinn dafür geht mir komplett ab, wie ich auch nicht qua gedankenkraft löffel verbiegen kann, könnt ich nie sex spielen, selbst wenn ich es natürlich unbewussst und nach anderen regeln tue, aber da diese mir quasi natürlich vorkommen und nicht zur bewusstsein steigen, kann ich eben überhaupt mein spiel von der selbstervständlichkeit des sex habens spielen. das ist vielleicht die voraussetzung bei vielem, machen sie sich nicht klar, dass sie auto fahren, sonst lernen sie es nie. ich steh dem allen nur manchmal gegenüber und denke diesen wolfgang max faust satz: dies alles gibt es also. kaum noch ein moralisches urteil dazu, aber irgendwie seltsame unberührt davon, und mehr wie ein forscher es verstehen wollend. innerlich nicht beteiligt.

    3. @diadorim. Ich sag ja, es ist eine Frage unserer Prägungen, Traumata, Neurosen. Es gibt bekanntlich Spielarten, die m i r völlig abgehen, bisweilen sogar unangenehm sind, etwa homosexuelle; das kann bis zu körperlichen Unwillenserscheinungen führen. Gleichwohl ist mir sehr bewußt, daß es andere Menschen gibt, für die gerade Homosexualität erotische Erfüllung ist. Ich werd bei mir fremden Neigungen nur immer dann höchst grantig, wenn, was ja nur allzu oft mit Erfolg geschieht, erotische Neigungen als Grundlage von Machtentscheidungen genommen werden; d a allerdings kann ich aggressiv werden, und zwar ebenso, wie wenn ein Geschlecht zum Maßstab wird, um Positionen zu besetzen (Quotenregelung), anstelle daß es r e i n nach Qualifikation geht, so, wie ich es unerträglich finde, daß Frauen nach wie vor im Schnitt schlechter bezahlt werden als Männer und daß nach wie vor erotische Verhalten dazu führen können, Politiker, Geschäftsführer usw. ein- bzw. abzusetzen. Wenn, um ein bekanntes Beispiel zu nehmen, ein Präsident die sekretarielle Fellatio sub tavola schätzt, heißt das ja nicht, daß er schlechte Politik macht. Und wenn es jemand schätzt, privat in Ketten gelegt zu werden, kann er, kann sie dennoch ein ausgezeichneter Pädagoge, eine ausgezeichnete Pädagogin sein. Es soll sogar Theaterregisseure geben, die n i c h t schwul und dennoch hervorragend sind – auch wenn der Betrieb sie schneidet.

      So, meine n ä c h s t e Perversion: Pfefferminztee.

    4. grusel, pfefferminze erinnert mich an krankenhaus, schlimmer aber noch, hagebutte. wenngleich minze in frischem ananassaft oder in bitterschokolade, mhmmm!
      aber ich weiß nicht, ob prägung dabei alles erklärt, es ist nicht nur rückwärtsgewandt, es ist auch die auf sich selbt abgebildete projektion. man will wer sein, indem man so und so agiert. ich will natürlich die assistenzfigur sein im bild, die es auch gemalt hat, aber nicht beteiligt war an der krönung des kaisers, der schlacht von sowieso, der hinschlachtung unter sardanapel, sie hingegen sind immer dabei und der maler des bildes. ich glaube insgeheim, man kann nie beides sein, sie verkünden, man muss beides sein, um zur erkenntnis zu gelangen.
      gescheiterte amtsenthebung nennt man nun auch französisch. und marx hat seine jenny gehauen, war aber trotzdem ein vorzüglicher marxist. ja und ja, aber auch irgendwie nein. man kann so vieles sein, aber die frage ist doch, was will man vorstellen, dem man auch genügen könnte, oder?

    5. “was will man vorstellen, dem man auch genügen könnte?” Gar keine Frage, aber ich bin da mit mir sehr einig. Ganz gewiß wäre ich auch gerne Pilot, und Fallschirmspringer wäre ich auch gerne und Tiefseeforscher. Aber dem könnte ich nicht (mehr) genügen, also laß ich die Finger davon und seh nur manchmal etwas sehnsüchtig hin. Ich wäre auch gerne Dirigent und könnte sehr sehr gerne singen: letztres tu ich sicherheitshalber und aus Rücksichtnahme zwar viel, aber nur für mich. – Nur eines möchte ich nicht sein, auf gar keinen Fall… wäre ich’s, es wäre ein dringender Grund für den Freitod: moralisch unanfechtbar. Also das ist mein Gegenbild, mein Schrecken, ja Entsetzen: morgens aufzuwachen und der Dalai Lama zu sein.

    6. oh, und das würde ich sehr gerne, morgens aufwachen und orange gewänder tragen, zu denen ich selbst nie greifen würde, irre!
      ich glaub auch, es gibt dringendere gründe, als sich aus lauterkeit umbringen zu müssen, echt. aber solche sätze liebt natürlich ihre gemeinde von ihnen, und das wissen sie ja auch. ich überleg mir schon seit geraumer zeit, ob ich vielleicht einfach trotzfrigide werde, je mehr andere aufdrehen, desto eher bin ich geneigt, die arme zu verschränken. aber recht eigentlich wäre das genau so dämlich wie sich aus moralischer unanfechtbarkeit umbringen zu wollen.
      ach ja, können sie einen augenarzt empfehlen? ich glaub, es wird brillenzeit bei mir.

    7. Augenarzt. Bei mir leider auch, was aber nun dazu führt, daß ich mich weigere, die Existenz von Augenärzten überhaupt wahrzunehmen…. stimmt nicht g a n z: einmal versuchte ich, einen zu konsultieren; da wies man mich bereits im Vorzimmer ab, jedenfalls verwies mich auf einen Termin in drei Monaten. Seither jongliere ich mit billigen Lesebrillen und Anstands-Experimenten, zumal ich Brillen ja prinzipiell unerotisch finde. Mein Vorschlag für mich: Laser. Ich brauch allerdings dazu eine Mäzenin oder aber eine Augenärztin, die gegen Naturalien operiert – nein, nicht das, was S i e denken jetzt, sondern ganz seriös: gegen Handschriften, Autographen.

    8. dachte ich gar nicht, was sie denken, dass ich dachte, und wenn es denn als bezahlung funktionierte, was ich nicht gedacht habe, und beide was davon hätten, was sie glücklich machte, warum nicht.
      ich find brillen weder erotisch noch unerotisch, im zweifelsfall fänd ich sie einfach lästig, vermutlich. aber es gibt menschen, die sehen sehr gut mit brillen aus. johnny depp entstellt eine brille nicht, im gegenteil. mögen sie sich auch dagegen wehren, vielleicht wirken sie damit umso anziehender, versuchen sies doch mal, bevor sie sich von oft noch fraglichen laserergebnissen blenden lassen. der spiegelartikel vor geraumer zeit dazu machte nicht gerade mut zum lasern. aber, allein der kohärenz wegen hier, müsste man drauf bestehen, dass sie kontaktlinsen tragen, die 1877 adolf eugen fick erfand.

    9. Kontaktlinsen. Trag ich ja meistens, wenn ich in die Ferne sehen will; trag ich seit fünfndzwanzig Jahren. Das Blöde ist, daß mich eine Altersweitsichtigkeit nun miterwischt hat. Trage ich also die Linsen, kann ich nicht mehr lesen oder muß trotz der Linsen eine Lesebrille nehmen, die dann gut für Bücher, doch mitnichten zum Lesen des Computerbuldschirms geeignet ist, so daß ich eine Gleitbrille brauchte, was zwar in den Zusammenhang hier ebenfalls paßte, aber schrecklich das Gesichtsfeld verengt, und dies dann zur ganzen wiederum dadurch angespielten Metaphorik hinzu –

      Jaja, “das irdische Leben”: >>>> Ein Wunderhorn knabigster Optikerei.

    10. ich bin ja auch kein kussverächter und doch sehr für die quarkside of the spoon, aber gleitbrillen gehen entschieden zu weit. tztz.
      meine schwester quälte wohl nämliches problem, sie hat nun eine solche brille und sieht sehr gut damit und auch sehr gut damit aus. und wenn sie eine randlose nähmen, dann haben sie auch fast nix im gesicht, was das gesichtsfeld verengen könnte, oder? ach kind, ick les schon, et muss sisch doch mal wer um dein wohlergehen kümmern. wo sind sie jetzt die profis und löwinnen, immer nur spielchen und sich davon erzählen lassen in der bar, machen dit sichtfeld auch nicht scharf. neeneenee, erweist euch mal als praktisch. der herr herbst braucht auch einfach mal praktische freunde, gloob icke, wo ihm sagen, dit machsse jetzt mal, dann jetet gleich schon wieder besser. meine mama rennt elend lang mit einem viel zu schweren gestell auf der nase rum, man ist für manchen dinge lebenspraktisch selbst zu blöd, ist immer so, dann ist der einsatz des sozialen umfeldes gefragt, so wie sie sich einsetzen für ihre familie, brauchen sie das eben auch, habsch dit jefühl, sonst halten sie mit ihrer theorie zu allem sich unnötig lang schön blind oder schmieren sich noch salpetersäure auf die augenlider, bis sie wieder besser sehen, ick sehs doch kommen. termin beim augenarzt machen, lage durchsprechen, lösung suchen und finden, und danach den frühling bunter kommen sehen und von cellulite wieder ein realistisches bild kriegen…

    11. Das ist, natürlich, fast eine biblische Geschichte, die sich die beiden erzählen. Es ist die Geschichte von einem, der über die Jahre Opfer wird, völlig grundlos, einfach so, ohne zu wissen, warum. Sexuelle Fehlprägungen, erschöpfte Hautareale, Weitsichtigkeit, ausgelaugte Träume. Warum er? Ausgerechnet er? Sie begleitet ihn, versucht ihn aufzumuntern, feinsinnig und doch konsequent. So sitzen sie, müde und wach, in ihren Steigen und vor ihrer hardware, und leiden unstumm und ohne faustisch aufzubegehren. Und noch ehe Opferrauch aus den Hinterhoffenstern zum Himmel aufsteigt, dann sie, die Löwin, kurz angebunden und doch so treffend, jede Härte, Schwere und Last vermeidend. Das ist Neu-Lesen, eben das Privileg des Bloggens, das ist keine Kapitulation vor den Widrigkeiten, sondern Tiefgründigkeit und Präzision. Als stünden sie zu dritt vor der Lichtwand, besprächen expressiv gefärbte Röntgenbilder, fröhlich kichernd zuweilen, bei aller Tragik und Ensthaftigkeit.

    12. Kaum zu glauben hier ein (fast zärlicher) Dialog zwischen Ihnen und diadorim und drüben setzen Sie Ihrer kommunikationsfreudigen und kenntnisreichen Freundin den Stuhl vor die Tür. Hier ein jubelhelles Februarfeuer, drüben bestehen Sie auf Ihrem Paar Maßschuhe für Ihre empfindlichen Füße. Manchmal ist Ihre Welt nur schwer zu verstehen, meint Ihr Jens Welser

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