Auf dem Weg zum Hautarzt.

Sah eine Frau auf dem Rad
fahren, sie rauchte
Ich tauchte in ihren Blick

nur kurz
Ich vermeinte, sie sei die meine,
die eine wieder –

Ihr Blick war geschäftig
kurz, als sie radelnd den Rauch sog
sich hochbog vom Lenker

die Lippen prall zur Liebkosung
rot in diesem Moment
absent wie das ein Senkblei

unter der Sonne
neben den ausgeschälten Schienen
wo Terzinen losgestemmter Steine, eine,

keimen

[Entwurf im Notizheft <<<<< ]

55 thoughts on “Auf dem Weg zum Hautarzt.

  1. Hautarzt und nicht nur, weil es im Heft (Auf dem Weg zum Hautarzt) mit fahrigem Stift, sondern beim Hausarzt Assoziationen auffliegen, Gesundheitsfonds, Praxisgebühr, Kassenärztliche Vereinigung, Grundversorgung), die nur so schwer mit Terzinen und prallen Lippen vermählt werden können. Höflichst (und denken Sie auch an das Cello) Ihr Dr. B (.. ich habe seit zehn Jahren eine Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Berlin. Die Geschlechtskrankheiten gehen, wie allgemein bekannt, auffallend zurück … um so mehr bin ich …)

  2. Das gefällt mir sehr gut. Aus dreierlei Grund.

    Eins – es baggert gegen die Schlürschluckdiskussionen der Möchtgernphysiker an, die hier überhand zu nehmen drohten. Und das ist gut!

    Zwei – Teil 1 (bis ‘vom Lenker’) dieses Gedichtes atmet etwas Momentanes. Ich mag das Direkte des Eindrucks und auch die dreiste Inbesitznahme.

    Drei – Teil 2 des Gedichtes zeigt sehr offen die Unzulänglichkeit des eitlen Überhöhens – den am echten Ausdruck hindernden Zwang zur Übertreibung (‘die Lippen prall zur Liebkosung’, ‘Senkblei’ und die herrlich übereifrig herbei geholten ‘Terzinen’! Ach Gott, was hat der sich an sich selbst berauschende Beobachter da nur gesehen oder empfunden oder phantasiert- es mündet letztlich jeder Versuch der Erhöhung ihm doch nur in der lachhaften Schwülstigkeit eines Primaners.)

    Eine schöne Glosse auf den ‘alternden Gockel’ und seinen sabbernden Blick in die Vergangenheit.

    1. @sumuze. Dann gefällt Ihnen das Gedicht n i c h t. Mal abgesehen davon, daß ich nirgendwo einen “sabbernden Blick” erkennen kann; das scheint mir mehr ein Problem des Interpreten, also eine Projektion zu sein. Wovon jetzt die tatsächliche Hilflosigkeit gar nicht benommen ist, die das Gedicht, wie Sie wiederum zu recht sehen, ausdrückt: Überwältigung durch eine erotische (hier imaginierte) Möglichkeit. Zugleich ist mir unklar, weshalb das ein Blick in die Vegangenheit sein soll; ich kann freilich nur mit m e i n e m Leben argumentieren, das mir solche Imaginationen immer wieder und oft wirklich werden läßt. Was vielleicht daran liegt, daß ich die Überhöhung ernst meine, ganz pathetisch, gegenüber jeder Frau, die mich erotisch annimmt: ich bewundere dann, ich schwärme, ich idealisiere, ich verfalle. Wie als ich fünfzehn war. Daß ich das nach wie vor kann, ist ein G e s c h e n k. Man muß schon weit weg sein von der Fähigkeit, von Liebe und Begehren begeistert zu sein, wenn man das die “lachhafte Schwülstigkeit eines Primaners” nennt. Mit selbem “Recht” dürfte ich sagen: wie a r m, wer Begeisterung für so etwas hält. Wie weit weg von >>>> Dante und Berenice. Wie furchtbar “erwachsen”.

      E poco stando meco il mio segnore,
      Guardando in quella parte onde venia,
      Io vidi monna Vanna e monna Bice
      Venire inver lo loco là ‘v’io era,
      L’una appresso de l’altra maraviglia;
      E sì come la mente mi ridice,
      Amor mi disse: “Quell’è Primavera,
      E quell’ha nome Amor, sì mi somiglia.”

      (Ich bin Ihnen aber >>>> noch eine andere Antwort schuldig; da geh ich nachher dran.)

    2. @sumuze Interessant, Ihr Blick auf dieses Gedicht!

      Ich sah etwas ganz anderes. Mir wurde ein Teil der Nockenwelle, die den Motor des Lebens antreibt (bestätigt durch das heutige Arbeitsjournal) bewusst, als ich gestern dieses Gedicht las: Sehnsucht.
      Und mal ganz ehrlich: besser sich an sich selbst berauschen, als sich gar nicht begeistern können. Klar ist der eitel, der Herbst, wäre er es nicht, könnte er nicht schaffen. Das stört Sie?
      Ich schmunzle darüber.
      Ich finde ehrliche, menschliche Gedanken und Eitelkeiten halten sich hier schön die Waage.

    3. Was ist denn Eitelkeit? Kann man das irgendwie noch genauer definieren?
      Also wie definiert man den Übergang von nichteitlen autogenen Selbsthalluzinationen hin zu dem, was man als “Eitelkeit” glaubt, geisseln zu müssen. Also mein Verdacht ist, wenn man das ganz genau andiskutieren würde, dann verschwindet die Eitelkeit als “Problem”.
      Könnte es sein, das Eitelkeit überhaupt nur in der Vorwurfsstruktur zwischen zwei Welt-Ich-Orten existieren kann. Ebenso wie Narzissmus. Beides braucht einen Benenner.
      Also ich stelle jetzt hier mal die Behauptung in den Raum, dass vieles, was die so genannte kulturelle Literatur oder die Religionen uns über den Narziss oder den Eitlen erzählen, eher ungenau bleibt und behaupte dagegen folgendes: Eitelkeit gehört zur Technik sprachinstrumenteller Zollkontrolle, die es zwei Welt-Ich-Orten ermöglicht, in einem Genehmigungsverfahren jeweiliger Halbdurchlässigkeit miteinander in Austausch zu treten, ohne in Schockstarre darüber zu verfallen, dass es “dort” ja noch ein Du gibt.
      Zugleich möchte ich auch einmal den Narziss positiv beschreiben, als jemanden, der einfache nicht genug darüber staunen kann, das es ihn gibt.
      Damit ist auch der Narziss für mich rehabilitiert, als ein Urtyp des Staunenden und Neugierigen – ein Art Protoforscher, der es einfach nicht fassen kann, dass so etwas wie “ich” überhaupt möglich ist.

    4. Schmerz Ahnte ich doch, lieber Herr Herbst, Sie mit bloßer “Halbdurchlässigkeit” beeindrucken zu können. Es schmerzt schon sehr, von Ihnen ein Kompliment entgegenzunehmen.

    5. “Es schmerzt schon sehr, von Ihnen ein Kompliment entgegenzunehmen.” Empfangen Sie noch Schlimmeres: mein Mitgefühl. Aber es wird Ihnen ja durch den Umstand entgolten, daß Sie sich hier mitteilen dürfen.

  3. Doch, das Gedicht gefällt mir, und das tut es sicherlich einzig aufgrund dessen, was ich darin sehe, hinein lese und projeziere usw. Außer Klang habe ich kaum andere Gründe, ein Gedicht zu mögen. Ob es nicht als Glosse geschrieben wurde, berührt mich dabei nicht weiter. Ich lese es halt so, also ist es mir eine Glosse.

    Ich gehe nicht so weit, anderen Menschen gleich die Fähigkeit des Begeisterns abzusprechen, sobald sich diese nicht nach meinen Vorstellungen darüber richten, wie sich zu begeistern sei. Auch Eitelkeit ist eine Form der Begeisterung. Ich verurteile sie weder noch bin ich frei davon. Aber ich sehe in ihr eine Begeisterung, die sich zu gerne auf sich selbst richtet und äußere Gegenstände eher nur als Anlaß der eigenen Erhöhung nimmt. Das nannte ich salopp ‘sabbernder Blick’, der seinen Gegenstand mit sich einhüllen will, um sich selbst im Anderen schauend zu enthüllen, oder auch ‘Blick in die Vergangenheit’, der sich durch das Berauschen an anderer Jugend diese ein wenig zu sich zurück holen möchte. So etwas gefällt mir zwar nicht allzu sehr, aber ich sehe keinen Grund, es gleich mit aus der Geistesgeschichte geliehener Wucht zu verurteilen. Erwachsen wäre für mich derjenige, der um möglichst alle Seiten seines Schwärmens weiß (oder zumindest wissen will), und es denoch tut, weil es eben menschlich ist. Der Primaner steht mir für den, der (noch) nicht erkennt, was er tut, und das macht sein Schwärmen schwülstig. Begeistert ist sicherlich auch er, aber auf eine Weise, von der sich abzuheben, statt es zu wiederholen, ich durchaus als ‘erwachsen’ bezeichnete, jedoch im Gegensatz zu Ihnen als fruchtbar.

    1. “Das nannte ich salopp ‘sabbernder Blick’, der seinen Gegenstand mit sich einhüllen will, um sich selbst im Anderen schauend zu enthüllen, oder auch ‘Blick in die Vergangenheit’, der sich durch das Berauschen an anderer Jugend diese ein wenig zu sich zurück holen möchte.” Das ist eine sehr böse, sehr negative Meinung von Liebe oder Begeistertsein von d e r Form der Erscheinung, die man “Schönheit” nennt. Es gälte für jeden, der etwa, wie immer wieder ich, vor >>>> Klingers Amphitrite steht und berührt ist. Diese Berührung wäre Ihnen ein “Sabbern”. Pardon, aber das ist mir einfach nur fremd, und ich möchte mit einer solchen Haltung imgrunde nichts zu tun haben, weil sie entwertet, anstatt zu begeistern oder Begeisterung zu vermitteln oder Begeisterung zu leben.
      Es scheint mir aus Ihrem Text hervorzugehen, daß S i e sich eine Jugend nicht zurückholen wollen, die wiederum i c h gerne genieße: so, wie ich den Körper einer Frau genieße, schon weil ich selbst dieser Frauenkörper nicht sein kann – und wäre ich er, ich könnte ihn gar nicht genießen. Hinter Ihrem Text stehen eine Skepsis und Distanz, die das eigene Begehren für etwas nimmt, das unerwachsen sei. Nun denn, ich bin sehr gerne unerwachsen. Fruchtbarkeit kommt aus der Lust, nie aus dem Kalkül.
      Im übrigen ist mir das viel zu intellektuell-abstrakt, mit viel zu vielen Vorbehalten versehen. Wenn ich eine Frau s o berührte, hätte sie alles Recht der Welt, mir eine zu knallen.

    2. tachchen aus eklatantem zeitmangel heraus nur kurz das – ich finde das gedicht auch
      überholt – sprich antiquiert – formuliert.
      eitelkeit lese ich aus dem gedicht als solchem nicht.

      ein paar punkte :

      kurz eintauchen in den blick – finde ich ziemlich oberfächlich ausgedrückt.
      präziser ware eintauchen ins blickfeld oder ähnliches.

      das wort liebkosung wirkt in obigem kontext auf mich wirklich tragisch vergangenheitsverloren – wenn ich das so ausdrücken darf.
      dazu recht rasch angeschlossen das wort senkblei und das gedicht ist an dieser
      stelle schon für mich geschmacklich durchgefallen.
      da muss dann der ausdruck terzine gar nicht mehr fallen und das andere zeugs
      drumherum.

      eine kleine persönliche – und wie sie sehen können auf ephemeres reduzierte
      kritik.

      ansosnsten empfehle ich einmal bei wikipedia nach den verschiedenen tradierten einsortierungs- oder bewertungsmöglichkeiten eines narzissmus zu schauen.

    3. herr herbst ich sagte präziser wäre … und nicht poetischer, oder ?

      herr herbst da sie gewohnt zu sein scheinen kritik eher abzuschmettern als aufzunehmen und zu verarbeiten so konnten sie mein subtil-kritisches anformulieren
      gar nicht verstehen.

      was pop texte anbetrifft so wollen sie ja immer gerne generalisiren – naja, ihr bier.

      herr herbst ich vagabundiere kurz zu dem audruck liebkosung in konnex
      zu prallen lippen – also excisierte ich das wort lippen so bliebe pralle liebkosung
      stehen.

      mehr muss ich nach meinem gefühl und zu ihrer gefühllosen antwort eben auf
      meine vorausgelaufen seiende “kritik” nicht sagen.

      ansonsten einen netten tag.

    4. wenn mir einer, der mir so kurz begegnet ist, so ein gedicht schreiben würde, wäre ich angenehm berührt. mehr, ich wäre ein bisschen stolz, ganz egal, ob ich den verfasser nun mögen würde oder nicht. er zeigt ja, wie ich gewirkt habe nur durch mein dasein. das ist angenehm, das ist mehr, finde ich, das ist genau das, was der dichter da schreibt: eine liebkosung. ich verstehe nicht, was man gegen dieses wort haben kann. es ist auch kein übergriff, denn ich bin ja seine fantasie geworden. ich finde, ein tolleres kompliment kann man mir als frau doch gar nicht machen.
      von gedichten selbst verstehe ich nichts, ob die jetzt wirklich gut sind, aber ich weiß, was mich berührt. das berührt mich. ich wäre wirklich gerne diese frau gewesen. das merke ich spontan, wenn ich es lese. wie eine berührung ist das.

    5. @juliane Sie haben das Gedicht in meinen Augen ganz genau erspürt! Es ist eine Liebkosung selbst, das haben Sie schön gesagt.

      Die Sache mit dem Hautarzt ist wieder so typisch Herbst und ich finde dieses Spannungsfeld wiederum spannend.

      Berührungslust vs. Berührungsangst

    6. so, nach einem tiefen schluck kaffee wäre jetzt wieder zeit entstanden ein wenig nachzuhaken.

      herr herbst – es steht ja in obigem “gedicht” nicht das wort eintauchen sondern
      das wort tauchen – also mal herausgezogen und sinngemäss zu einem satz formuliert :

      ich tauchte nur kurz in ihren blick
      oder zu obigem die exakte wiederholung :
      ich tauchte in ihren blick nur kurz

      also :
      konnte ich nur kurz in ihren blick tauchen oder wollte ich nur kurz in ihren
      blick tauchen ?
      tauchte ich nicht womöglich ( herunter ) zu ihrem blick ?

      so, das musste ich jetzt bevor das croissant drankommt ( was sich wohl noch bis nin die nacht reinziehen wird ) noch loswerden.

      lächelnd

      ihr arthur engmann

    7. Dafür dass Sie so wenig Zeit haben, wie sie dort droben (lang ist es her) schrieben, finde ich, das Sie ja immer noch da sind und das nur weil ihnen ein Gedicht nicht gefällt, schon ein bißchen komisch

    8. Nicht alle Männer sind gleich. Das sollte man nicht verallgemeinern. Ich kenn da einen, der bekränzt im Herbst die Hügel mit Reben. Netter Mann, kann ich nur sagen.

    9. lächelnd@HölderLine Ich setze auf die Macht der Lyrik:

      durch den entfernten Raum gespaltner Straßen fort
      Dort eilt ein Senkblei nach schwer gehörnten
      Böcken

    10. @Hölderlinie und slipv Sie können schon wieder die Tinte nicht halten. Ist das eigentlich Absicht, dass Sie jeden Thread zumüllen? Fassen Sie sich mal kurz. Das wird sonst unlesbar für Leute wie mich, sich immer durch alle Ihre ungeregelten Ergüsse kämpfen zu müssen.

    11. Ich danke Ihnen, Frau Häusler, für Ihren herzwarmen Dank. Er tröstet doch über die unsäglichen Anfeindungen hinweg und sorgt doch noch für einen auskömmlichen Feiertag. Noch einmal mich aufrichtig verneigend verbleibe ich ganz der Ihre Burow.

  4. das gedicht führt den blick. eine kamerafahrt.
    wo ich stolpere, ist, wo es auf eine andere ebene hinauswill, da krieg ichs nicht scharf:

    absent wie das Senkblei

    unter der Sonne

    (mir kommt es so vor, als hätten sie da ein konkretes bild vor augen, aber ich kriege kein bild rein, wenn, was mit dem senkblei gemeint sein könnte?)

    neben den ausgeschälten Schienen
    wo Terzinen losgestemmter Steine, eine,

    (hm, ebenso, ausgeschälte Schienen, welche Schienen meint das? Straßenbahnschienen? Baurabeiten?
    bei den Terzinen losgestemmter Steine, bin ich mir fast sicher, da fährt wer an einer baustelle vorbei, ein dichter gar, nur der sieht ja versformen im straßenbild, vermutlich, und denke, irgendwie schon schön, aber irgendwie auch überzuckert, ich schwanke.)

    keimen

    (finde ich so abgesetzt sehr bedeutungschwanger und trotzdem dabei sehr ‘zugelost’, weil es sich so gar nicht rückversichert, in keinem wortfeldbezug zu einem vorher steht, der ihm sinn geben könnte, bis auf prall vielleicht?)

    meine und eine würde ich auch nicht kursivieren. meine eine ist ja inhaltlich schon herausgehoben genug.

    hm, vielleicht ist es wieder die deformation professionelle, die mich eher einen nüchternen blick auf das, wie es gemacht ist, anwenden lässt, und sie hilft ihnen nicht. aber sie schrieben neulich mal, sie würden noch nicht so lange dichten, und es klang so, als würden sie doch auch manchmal um einen rat dankbar sein?

    nun, es ist auch weniger ein rat, als mein eindruck.

    1. @diadorim zum Gedicht. Nein nein, das hilft mir sehr, wie Sie gucken.
      Nur kurz:
      absent wie das Senkblei
      unter der Sonne
      (mir kommt es so vor, als hätten sie da ein konkretes bild vor augen, aber ich kriege kein bild rein, wenn, was mit dem senkblei gemeint sein könnte?)
      Ja, hab ich. 1) formal: Senkblei= Lot; d.h.ich verstecke hier den Reim: 2) inhaltlich: die Richtung geht zur E r d e, auch die Blickrichtung. Deshalb auch dann die Baustelle, die tatsächlich gemeint ist (man buddelt grad in der Pappelallee die Schienen aus).neben den ausgeschälten Schienen
      wo Terzinen losgestemmter Steine, eine, (…)
      (hm, ebenso, ausgeschälte Schienen, welche Schienen meint das? Straßenbahnschienen? Bauarbeiten?
      Eben:bei den Terzinen losgestemmter Steine, bin ich mir fast sicher, da fährt wer an einer baustelle vorbei, (…) nur der sieht ja versformen im straßenbilddie Terzinen sind eine Referenz auf das Gedicht selbst, das ihm da einfälltvermutlich, und denke, irgendwie schon schön, aber irgendwie auch überzuckert, ich schwankeDas ist nicht schlecht, das Schwanken. Das Risiko der Überzuckerung muß ich bei sowas eingehen – dafür müssen dann aber die Momentbilder sehr scharfgestellt sein. keimenANH-Vorliebe für Sexualbilder; ich habe diese Neigung, a l l e s zu sexualisieren. Ich weiß das, mag das aber auch. Im übrigen haben Sie recht: “keimen” “kam” mir wohl vor allem wegen der nötigen Alliteration auf “ei”, die ja hier eine ganze F o l g e ist. Ich baue gerne Gedichte mit Anlaut-Reihen.meine und eine würde ich auch nicht kursivieren.Da war ich tatsächlich selbst unsicher: inwieweit wäre das letzte “eine” als Anrede (“D u eine”) noch zu verstehen; “D u eine” wäre aber nu’ wirklich zu dicke gewesen.hm, vielleicht ist es wieder die deformation professionelle, die mich eher einen nüchternen blick auf das, wie es gemacht istDas mag sein, aber hilft mir, wenn so ein nüchterner Blick kommt. Der zeigt mir die Probleme, und ich muß dann revidieren oder mich b e w u ß t entscheiden, etwas so zu lassen, wie es ist. Oder einen n o c h anderen Weg finden.als würden sie doch auch manchmal um einen rat dankbar sein?Das bin ich.

    2. ‘keimen’ klingt nun nicht besonders sexuell konnotiert, finde ich. eher nach frühling, blühen, wachsen, aufkeimen, das aufkeimende verlangen, ok, ja, klar, aber so betrachtet, ist wahrscheinlich jedes zweite gedicht sexuell konnotiert.
      was mich manchmal eher nervt, ist, dass man meint, man müsse ein gedicht übers verlangen, mit einem leben voller verlangen bestätigen. nö, muss man nicht. wenig schöne menschen haben schönste gedichte über schönheit verfasst zb.
      hm, man muss nicht sein gedicht sein, man kann, wenn man möchte, und irgendwo ist man es sicher auch, im duktus, in der leidenschaft, sicher, aber nicht immer auf der fabelebene, und beinahe nie abbildhaft, man kann auch mit leidenschaft einen hund im müll wühlen lassen und zum schluss hat man vielleicht ein bild der sehnsucht kreiert, dichten kann transzendieren, übersetzen, rückübersetzen heissen.
      ich erinnere mich, im forum der 13 schrieb manchmal sissy de leu sehr harte sexuelle gedichte, die in dem ganzen sozialen elend, was sie mit entpackten schon ziemlich verstörten, einige davon waren so nah dran an einem elend, dass man es fast nicht ertragen konnte. ich habe großen respekt vor dem ungeschönten blick, aber er jagt mir auch einen schrecken ein, muss ich zugeben. wenngleich über liebe und sexualität viel gelogen wird, und nur wenig brauchbares geschrieben, muss ich goetz recht geben, jeder weiss das, und keiner mag wirklich aufhören zu lügen, weil man auch ahnt, was dann übrig bliebe, damit möchte man nicht allein gelassen werden, allerdings lässt man damit wohl zu viele in der gesellschaft allein. weites feld. steiniger acker. na ja, ich hab vielleicht eher die neigung, alles zu analysieren, ohne dass ichs tatsächlich gut könnte.

    3. @diadorum zum “keimen”. Na ja, wenn ich so nachfühle… eigentlich paßt “keimen” ziemlich genau, weil’s ja eben zum Hautarzt geht. Die Verwendung des Wortes dreht den an sich unangehmen Anlaß aber gerade um, formt etwas daraus, das eine Art Versprechen ist. Mir geht es ja n i e um “harte” sexuelle Gedichte, sondern immer darum, irgendwie Schönheit zu formen. Man kann sagen, es geht mir – übrigens auch persönlich – wie ein fast im Temperament verankertes Begehren darum zu schwärmen – weniger gefärbt ausgedrückt: ich möchte bewundern noch dann, wenn ein “eigentlicher” Anlaß unangenehm ist. Hier, in der Gedcihtsituation, ist es die kurze Begegnung, der ganz kurze Blickwechsel, der dafür die Gelegenheit schafft. Kunst wolle f e i e r n, hab ich mal irgendwo geschrieben. Mit dem Begriff “lügen” kann ich da wenig anfangen, allenfalls mit “verklären” – aber das als einen willentlichen Akt. (Imgrunde ist mir kritische Distanz genau so fremd wie “Autonomie”: ich verfalle auch gerne. “Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen” hat Aragon einmal geschrieben; ich habe auf diesem Satz ein Hörstück gebaut.)

    4. ja, lügen ist vielleicht falsch. ich kann den wunsch nach feier verstehen, ich kenne ihn auch, ‘let s dance’ nennt es ein anderer, und feiert vermutlich etwas anders, vermutlich feiert er auch aufgrund anderer prämissen, davon ist auszugehen, man weiss es nicht, nicht genau. ich pendele immer wieder nur, zwischen dem, was ich lese, und dem, was ich mir wünsche. was das schöne sei und wie man es formt, das ist ja gar nicht so klar und einfach, aber manchmal leuchtet es bei denen, die kaputtness so unglaublich gut aufzuspüren und zu fokussieren wissen, eben plötzlich hervor, ohne dass sie es direkt angesteuert hätten. dieses prinzip ist mir näher, weil ich bei direktem feiervorhaben vielleicht denke, jetzt muss ich aber auch in feierlaune sein, bin ich aber gerade gar nicht und will ich auch nicht sein.
      und, war das nicht in american beauty, diese gefilmte tüte, als selbst hollywood die schönheit der epiphanie der flüchtigkeit erreicht hat, selbst wenn die abmoderiert werden muss zum kitsch, aber, immerhin, habe ich gedacht, gar nicht mal schlecht:
      http://www.youtube.com/watch?v=UDXjnW3nIWg
      und, dass ihr gedicht genau in dieser flüchtigkeit gut ist.

    5. @diadorim. Die Flüchtigkeit und Charles Baudelaire. Das mit der Flüchtigkeit ist mir nahe, ganz nahe. Aber es ist darüber nachzudenken. Man kann es nicht fassen: also wie kann man es “konstruieren”? Denn wir alle, letztlich, basteln. Ich vielleicht noch mehr als andere, weil ich, vielleicht mehr als andere, auf die Flüchtigkeit so wahnsinnig gern hinausmöchte.
      Es gibt ein Gedicht von Baudelaire, das diesen Moment auf eigenartige Weise erfüllt hat:A une passante

      La rue assourdissante autour de moi hurlait.
      Longue, mince, en grand deuil, douleur majestueuse,
      Une femme passa, d’une main fastueuse
      Soulevant, balançant le feston et l’ourlet ;

      Agile et noble, avec sa jambe de statue.
      Moi, je buvais, crispé comme un extravagant,
      Dans son oeil, ciel livide où germe l’ouragan,
      La douceur qui fascine et le plaisir qui tue.

      Un éclair… puis la nuit ! – Fugitive beauté
      Dont le regard m’a fait soudainement renaître,
      Ne te verrai-je plus que dans l’éternité ?

      Ailleurs, bien loin d’ici ! trop tard ! jamais peut-être !
      Car j’ignore où tu fuis, tu ne sais où je vais,
      Ô toi que j’eusse aimée, ô toi qui le savais !
      Es treibt mir bis heute die Herzfrequenz hoch, wenn ich an Kinskis Vortrag der deutschen Übersetzung denke (ich glaube, es war die von Carlo Schmid, bin mir aber nicht sicher).

    6. ok, hätte ich drauf kommen können, dass sie auch noch durch einen anderen text hindurch sprechen, benns nachtcafé hab ich erkannt.
      aber moi francais est…muito mal, esqueci quase tudo.
      und der subjuntiv, den muss ich auch noch mit chico ordentlich lernen:
      http://www.youtube.com/watch?v=P7mHf-UCZp0
      um poema e um construcao, e verdade!

  5. merkwürdige metamorphose eines gedichts: als es da stand, stolperte die innere stimme beim lesen. komische rhythmen, die keine sind. die binnenreime -auchte – auchte / -einte -eine -eine / -og -og / -ent -ent / -ienen -inen. nibelungen so schön. also dito schwierigkeiten. mittlerweile lebt’s von den kommentaren, dem reflektieren über bildlichkeit, intention, situation. und die innere stimme stolpert nicht mehr so. heißt, ein gedicht sei zu lesen zu lesen zu lesen. daß es aber durch die kommentare erst zu dem wird, was es intediert, ist schon ein vorwurf an das gedicht, das aus sich selbst nicht wirklich all das zu erschaffen vermochte. was es doch sollte, um ein solches zu sein. es stimm, die bilder sind nicht wirklich ausgearbeitet und in sich schlüssig, d.h. sie verweisen nicht auf sich selbst in der bewegung des schreibenden blicks, sondern erfordern immern ein außen, das dann aus dem kontext der blog-inhalte ersichtlich wird. es aggregiert somit etwas, das man mitverfolgt haben muß. nur so erschließt es sich. jedenfalls mir im mitlesen der kommentare. natürlich denke ich dabei besonders an sumuze und an diadorim, den reflektierenden. von gefallen ist für mich nicht die rede. sondern davon, wie sich der inhalt sich selbst seiend inszeniert. denn ein gedicht ist ein autonomes gebilde. daran wäre zu arbeiten. daß es stimmt auch ohne den speziellen autobiographischen hintergrund. kann auch sein, daß mein mitlesen hier eine interferenz erzeugt. das wäre dann ein rezeptionsproblem. und bitte: zwischen „eine“ und „keimen“ gehört kein komma. [merkwürdig auch das: der titel hat „hautarzt“, aber die URL „hausarzt“!]

    1. Vom Hausarzt zum Hautarzt Lieber Herr P., lesen Sie nur meinen ersten Beitrag, sofern er nicht schon dahin”gekeuschningt” wurde. Nur so viel, die Anregung als solche nahm der Patient unbenommen mit, auf ein dankende Bemerkung muß ich wohl lange wareten (vom versprochenen Cello ganz zu schweigen), Zuspruch erhalten hier wohl nur die Damen. Dennoch und höflichst Ihr Dr. B.

    2. “Zuspruch erhalten hier wohl nur die Damen”

      die erwähnten “Damen” waren indes für mich die einzigen personen, die sich dem gedicht an und für sich ausgesetzt haben. bleiben wir doch dabei, daß wir alle das sind, nämlich: personen. ihr anfänglicher beitrag sagte mir in seiner anfänglichkeit nichts weiter, als daß sie auf die arzt-thematik eingingen.

    3. Von anfänglicher Anfänglichkeit zu endlicher Endlichkeit Werter Herr P., daß ich als praktizierender aufs Praktizierende einging, versteht sich von selbst. Allerdings benutzte ich über die Sprache der Kassenärztlichen Vereinigung hinaus auch die Ihre, die lyrische, die poetische, sprach vom “vermählen” bzw. der Unmöglichkeit. Interessant, daß er es aufgriff, daß er den Titel sofort änderte, nicht aber die URL. Sie sind ein sehr genauer Leser, wenn Sie wollen. Aber vielleicht wollten Sie meinen nicht und so bleibt mir nichts anderes als in endlicher Endlichkeit den Kopf zu neigen zum Gruße: Ihr Dr. B.

    4. also das mit der geschälten Schiene ist wirklich sehr schlecht
      aber dass die Dame sich hochbiegt, das könnte man sogar krumm nehmen.

    5. lieber Herr Dr. B,

      leider ging mir das “vermählen” im ärztlichen unter, aber ich sagte es schon, das sind rezeptionsprobleme, die dann mir anzulasten sind. es klang so im nebenbei, ohne weiterzuführen. von wollen oder nicht wollen von kommentaren kann bei mir nicht die rede sein. zu anfang steht immer der kommentierte text. insofern ist jede endlichkeit eine frage der aufmerksamkeit, der zeit, wenn sie so wollen. wie ich eine zeit-ung durchblättere. die überschrift und weiter. und in diese ihre höfliche endlichkeit hinein grüße ich gern zurück.

    6. @Bertel. Da steht nirgendwo etwas von einer “geschälten” Schiene; da steht meines Wissens “ausgeschälte” Schiene. Ich muß das wissen, da ich es ja geschrieben habe. Der Begriff bezieht sich auf einen Begriff aus der Küche: Knochen werden “ausgelöst”, das heißt, nahezu blank aus dem Fleisch geschnitten. Ähnlich übrigens in der Mathematik: “einbeschrieben”.

    7. @Dr. B. zum “Hausarzt”. Das war schlicht ein Vertipper. Daß ich die URL nicht veränderte, liegt daran, daß, hätte ich’s getan, die unterdessen auf das Gedicht gelegten Links unerreichbar geworden wären. Bei ein klein wenig Nachdenken und, vor allem, gutem Willen ist das jedem sofort klar. An dem guten Willen mangelt es freilich gegenüber einem wie mir. Es hilft Ihnen aber nichts: dieses Gedicht – ich werde es sicher noch bearbeiten, es ist ja nur der Entwurf eines einzigen Tages, was halt auch nie mitbedacht wird – wird “man” noch kennen, wenn andere Gedichte, die vielleicht intellektuell abgesicherter sind, längst vergessen sind. Das Feine ist ja, daß, was immer man gegen Rilke einwenden kann – mit Recht, mit Unrecht -, seine Gedichte b l e i b e n werden, viele andere aber, die um- und umgewendet wurden, sind verschwunden und werden weiterhin verschwinden. Es gibt eine Art Kraft in der Unmittelbarkeit, auch im Schein, die lebensfähiger ist, als die Unkraft der permanenten Skrupel, ob man etwas so ausdrücken könne oder nicht. So, wie es etwa im Tod in Venedig wahnsinnig viel, fast unerträglichen Kitsch gibt – dennoch, hat man die Novelle wieder geschlossen, bleibt sie, ja entfaltet sich erst. Sie hat die Poetik eines Möglichen erreicht, auch dann, wenn es n i c h t erreicht wurde; sie entsteht im Nachhinein durch den Leser.

      [Poetologie.]
    8. Aber parallalie. ein gedicht ist ein autonomes gebilde. daran wäre zu arbeiten. daß es stimmt auch ohne den speziellen autobiographischen hintergrund.Das weißt Du doch, daß auf Gedichte i m m e r biografisch, autobiografisch reagiert wird und daß die Idee einer Autonomie des Kunstwerks (wie der Person) völlig illusorisch ist. Was wir lieben, lieben wir aufgrund unserer Geschichte, nicht aufgrund unserer Ratio. Die Ratio ist immer Rationalisierung, also psychische Abwehr. Wir reagieren aufgrund von Vorlieben, die sich in uns aus Erfahrungen entwickelt haben. Das kann so weit gehen, daß wir wissen, etwas sei ästhetisch objektiv schlecht, bzw. nicht gelungen (z.B. der meiste Pop), dennoch l i e b e n wir es und werden es – mit allem Recht von Heimat – verteidigen. Das ist in der sog. E-Kunst nicht anders. Es g i b t keine Wahrnehmung ohne autobiografischen Hintergrund: er ist unsere Prägung, unser Programm. Wiederum ist es Programm Der Dschungel, etwaige Kommentare zu einem Programm des Textes zu machen; das ist ein Parallelgedanke zu dem Grundgedanken der Moderne, daß die Entstehungsgeschichte eines Textes Teil des Textes-als-Kunstwerk selber sei.

      [Poetologie.]
    9. das widerspricht meinem – persönlichen – anspruch, daß ein text auch in sich selbst funktionieren muß. da ein leser immer mit einem text zu tun hat, zunächst. es ist nicht möglich, den autobiographischen kontext vorauszusetzen, aus dem all das entsteht. es ist klar, daß die dschungel von den entstehungsprozessen lebt, weil es diese illustriert. diese prozesse können aber kein freibrief sein. sie begründen den hintergrund, hinter dem all das entsteht, was entsteht. selbst mein bl-tagebuch dient in gewissem sinne diesem konzept. was das reagieren auf vorlieben betrifft: CERTO! dazu ist nichts zu sagen. dennoch glaube ich nicht, daß die entstehungsgeschichte das kunstwerk selber ersetzen kann. daß es teil dessen ist, ergibt sich erst im nachhinein. sollte aber nicht als a priori begriffen werden. weil es als solches nicht vorliegt. nicht jeder liest hier alles. nicht jeder kennt mich, wenn er mich liest. gilt also auch für mich. und für jedweden anderen. und e und u: bin ich jenseits. irgendwie. i’m just a looking for. also wenige diskrepanzen. wer weiß wo?

    10. “dennoch glaube ich nicht, daß die entstehungsgeschichte das kunstwerk selber ersetzen kann. ” Das glaube auch ich nicht; aber sie ist ein Teil, und der Versuch wird hier fortgesetzt, ihn in das Kunstwerk zu integrieren. Wie das Gedicht später einmal aussehen wird, ist ja noch gar nicht zu sagen. Was hier argumentiert wird, geht in es ein. Oder nicht: nicht einmal d a s ist vorherzusagen. Und offenbar wirkte der kleine Text auf einige ja auch ganz o h n e die Kommentargeschichte. Es ist spannend, das mitzuverfolgen. Schließlich hat dann wohl auch der ulkige Spiegel-Autor – g e g e n meinen Willen – recht, wenn er konstatiert: >>>> “Herbsts Internet-Methode zerstört das Werk als Ganzes, es existiert öffentlich sichtbar in einer Vielzahl von Varianten.” Es wird schließlich m e h r e r e Gedichte ANHs geben, die “Auf dem Weg zum Haus/tarzt” heißen, und manche davon werden vielleicht gut sein, andere vielleicht schlecht.

    11. was ich ja sagen wollte: ein gedicht sei zu lesen zu lesen zu lesen. und – füge ich hinzu – es sei darüber zu stolpern zu stolpern zu stolpern. wie nannte meine ex mich mal: inciampione del mondo! “auch ganz ohne die kommentargeschichte”: rezeptionsvarianten, die sicher rechtfertigen, aber mit dem text selbst nicht fertig werden, nur mit der eigenen rezeption. mit der bootschaft (2 o). hauptsache: ivre.

  6. In der Hoffnung, daß Sie trotz Ihres echauffierten Tonfalls dennoch am Dialog festhalten wollen, einige Anmerkungen zu Ihrem Kommentar.

    „Das ist eine sehr böse, sehr negative Meinung von Liebe oder Begeistertsein von d e r Form der Erscheinung, die man “Schönheit” nennt.“ Wenn Sie meine Einlassung aufmerksam gelesen hätten, müßten Sie gesehen haben, daß ich weder von Liebe noch Begeisterung redete, sondern von Eitelkeit. Ihre mir sehr schnellschüssig emotional klingende Replik verwirrt mich daher.

    “Hinter Ihrem Text stehen eine Skepsis und Distanz, die das eigene Begehren für etwas nimmt, das unerwachsen sei.“ Richtig. Ich vertraue nicht blind dem eigenen Begehren und halte den Versuch, dieses mit meinem Verstand zu begleiten, für einen Moment des Erwachsen-Werdens. Das kann sicherlich diskutiert werden oder auch abgelehnt. Dann würden mich jedoch Gründe dafür interessieren.

    “ Fruchtbarkeit kommt aus der Lust, nie aus dem Kalkül.“ Diese Aussage verstehe ich nicht. Entweder ist sie Programm (ich will meine Lust leben, und das ist fruchtbar), dann geht jedoch ihr Allanspruch (nie!) bereits deswegen fehl. Oder sie will Beschreibung sein, dann ist sie in meinem Urteil einfach falsch. Kalkül kann, wie Lust, durchaus fruchtbar sein. Ein großer Teil der angenehmeren Elemente unserer sozialen Existenz verdankt sich der Fruchtbarkeit des Kalküls, und eine Menge ihrer eher scheußlichen Momente jener der nicht dem Kalkül gehorchenden Lust.

    “Im übrigen ist mir das viel zu intellektuell-abstrakt, mit viel zu vielen Vorbehalten versehen.“ Ich vermag nicht abschließend über Ihre Bereitschaft und Fähigkeit zur Abstraktion oder intellektuellen Analyse zu urteilen, hatte aber bisher eine höhere Meinung davon, als dieser Satz mir nahe legt. Mir klingt er hilflos und dezisionistisch – sie wollen an diesem Punkt dem Denken ein Ende setzen, und das wiederum wäre mir nicht lieb. Ich würde Ihnen sicherlich dafür keine ‘knallen’, da ich solches nicht als Argument ansehe, schätze aber eine intellektuelle Form der Berührung nicht geringer als eine handgreifliche.

    1. @Sumuze. Selbstverständlich diskutiere ich mit Ihnen weiter; für etwas anderes schätze ich Sie viel zu sehr. Ich will jetzt aber keinen Schnellschuß “landen”. Deshalb nur dazu:sie wollen an diesem Punkt dem Denken ein Ende setzen.Nein, will ich nicht. Ich glaube nur nicht, daß “Denken” an alles heranreicht; ich glaube im Gegenteil, daß es – da so gut wie immer in Dualitäten gefangen – bisweilen sein Ziel verfehlt. Das Duale liegt am Kalkül des logischen Schließens, also am Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Dichtung – Kunst allgemeinen – hält an einem Widerspruch gegen ihn fest. Ist dem aber so, genügen n u r-sprachliche Mittel nicht. Deshalb mein Beharren oft auf dem Ungefähren. Ich habe das zu Dieter Wellershoffs großem Ärger auf einer Leipziger Literaturkonferenz einmal s o formuliert: “Kein Satz reicht je an die Wirklichkeit eines Glases Wasser heran.” Damit war selbstverständlich auch d e r Satz gemeint. (Ich kopiere Ihre Gegen-Argmentation und nehme mir dann die Zeit, darauf im übrigen noch zu erwidern.)

    2. aber das gedicht soll jetzt doch unser glas wasser sein, und unsere sätze könnten da ja vielleicht doch ran reichen, weil die ja aus einem ähnlichen stoff sind. aber, ja, trinken dabei nuesch verjessen, bin ich total dafür.
      ‘herausgelöste’ aus dem gleisbett, ah so, herausgeschält alliteriert natürlich besser mit schiene, im zweifel für den klang, gut, kann man machen, kann man drauf kommen.
      vielleicht hätte ich das bild auch gern noch etwas ausgemalter. ich bin ja immer sehr fürs ruderale, rumliegende, randständige, was ins bild ragt, da find ich, da ist das ganze ein wenig verschenkt, ich könnt auch noch den baulärm hören, das ist aber eben mein hang zur inneren hilti, der fragt, wo wird denn da noch gearbeitet.
      nun ja, ich könnt und würd so nicht dichten, aber es ist schon alles da, was so ein dichter können sollte. hm, manches muss man wieder schön finden lernen, vielleicht, anderes ließe sich schon noch verbessern, aber wer ein anderes gedicht schreiben will, muss es schreiben, vermutlich. und natürlich fragt man sich immer, muss denn da liebkosung stehen, wäre es nicht schöner, wenn sich das wort im leser bildete, aber da was anderes stünde.
      ich fand in einem lied so schön den ausdruck ‘just hug my lips and say good bye’, so eine labiale umarmung, das fände ich schön, so ein liebkosende wortwelterweiterung, die das gedicht anreichert, wie sie der ulf stolterfoht fertig bringt, die imponiert mir oft schon. andererseits ist das wieder so ein socken herstellen für sockenhersteller argument. hm hm. ich seh es wohl und geh jetzt auch mal für fisch aus dem eisbett lösen laufen.

      ah ja, das lied: http://www.youtube.com/watch?v=N5g2eUh7TWE&feature=related

      man verzeihe mir meine prägung aus punkzeiten und dem hang zu unschlagbar öden rhythmen. aber wo wären alle die wunderbaren texte des pop, des punk heute, hätten wir nur die klassik gehabt….

    3. “hätten wir nur die klassik gehabt….” Ich empfehle von Luciano Berio und Bruno Maderno und Luigi Dallapicolla vertonte Texte… einfach nur wegen “nur die Klassik”. Doch im Ernst: ich wäre an einem (deutschsprachigen) g u t e n Pop-Text sehr interessiert. Im Notfall tät’s auch das Englische, nur daß ich dafür keinen Instinkt hab. Instinkt kommt aus der Gebärmutter, weshalb wir ja “Muttersprache” sagen, aber, kriegerisch, Vaterland.

    4. elliott smith – rose parade they asked me to come down and watch the parade
      and to march down the street like the duracell bunny
      with a wink and a wave from the cavalcade
      throwing out candy that looks like money
      to people passing by that all seem to be going the other way
      said won’t you follow me down to the rose parade

      tripped over a dog in a choke-chain collar
      people were shouting and pushing and saying
      and when I traded a smoke for a food stamp dollar
      a ridiculous marching band started playing
      and got me singing along with some half-hearted victory song
      won’t you follow me down to the rose parade
      won’t you follow me down to the rose parade
      won’t you follow me down to the rose parade

      the trumpet has obviously been drinking
      because he’s fucking up even the simplest lines
      I’d say it’s a sight that’s quite worth seeing
      it’s just that everyone’s interest is stronger than mine
      and when they clean the street I’ll be the only shit that’s left behind
      won’t you follow me down to the rose parade
      won’t you follow me down to the rose parade
      won’t you follow me down to the rose parade

      http://www.youtube.com/watch?v=pU_K5-ZS130

      http://www.youtube.com/watch?v=Sb6c9iBVK7E

      ich weiss ehrlich nicht, wo anfangen und wo aufhören, ich verlinke nur zwei, deren texte sich in meine erinnerung geschrieben haben, und die sofort wieder präsent sind, sobald die ersten noten erklingen. keine ahnung, warum mir gerade diese beiden einfallen. (na ja, sind vielleicht zwei heim-, fernwehtexte, LA, da war ich auf der rose parade, obwohl ich elliott smith schon vorher kannte, auch das lied, und die sterne, na ja, hamburg, nerch, genau…)

      danke für die tipps!

      schon irre, was ich alles in der gebärmutter haben soll…

    5. @diadorim. Smith & Schubert. (Klingt wie Smith & Wesson [, sorry: ANH lacht auf]. Doch im Ernst:)
      die sofort wieder präsent sind, sobald die ersten noten erklingen.Das ist bei Liedern n i e anders, denken Sie an Schubert oder Schoeck: “Ich bin auch in Ravenna gewesen”, nach dem Gedicht von Hermann Hesse, da ist es sogar wechselseitig: höre ich nur die Klavierbegleitung (innerlich, nur die kurze Introduktion), ist der ganze Liedtext wieder da, lese ich das Gedicht, sofort die Melodie. Das ist sogar dann so, wenn diese komplex ist, also keiner einfachen Harmonik, geschweige einem durchlaufenden Beat folgt wie bei Dallapicollas Sapho-Liedern. In dem von Ihnen zitierten Gedicht ist das Gedicht selbst aber einfach – was nicht gegen es spricht, aber etwas darüber sagt, was denn tatsächlich ein “modernes” Gedicht sei, wenn man ihm simple, höchst traditionelle Formen gestattet: a – b – a – b – Reimstruktur der ersten beiden Strophen, deren Zusammenhalt noch über einen Refrain verstärkt wird, der im Deutschen nicht unkitschig wäre; er hat freilich die Funktion, den Ausbruch aus dem Reim (aus der F o r m), den die dritte Strophe vollzieht, gewissermaßen wieder zurückzunehmen, zu mildern, wodurch der gesamte Text in der überkommenen Harmonie bleibt: das ist hier der eigentliche “Trick”, ein schöner übrigens, wie ich finde. Ich empfinde das Traditionelle dieses Gedichtes ausgesprochen stark, etwa in der Zeile “people were shouting and pushing and saying”, die man s o im Deutschen sicher nicht mehr ohne das Bedenken schriebe, eine klischierte Stanze zu verwenden., und wovon ich einfach nicht weiß, wie ein englischsprachiger Lyriker das sähe, der der modernen englischen Lyrik nahesteht. Schon Walt Whitman, geschweige Emily Dickinson schrieben in einer völlig anderen, in einer sehr viel moderneren Welt. So gesehen, eigentlich, spricht das von Ihnen zitierte Gedicht mehr für m e i n e n Ansatz als für, kleiner Schlenker, Goetzens Sicht der Dinge.
      Ja, ich mag das Gedicht. (Es vermittelt übrigens mehr ein Lebensgefühl als tatsächlich die Szene; es vermittelt das Lebensgefühl gut, ich kann mich hineinfühlen. Es ist dennoch nicht meines. Aber vielleicht geht es ja auch gerade – unter anderem – darum: um Näherung ans Fremde.)

      Noch zur “Gebärmutter”: ist natürlich ein Bild; tatsächlich weiß man, daß Immigrantenkindern ihre Sprache (und meist auch Kultur) von der M u t t e r weitervermittelt wird, nicht vom Vater. In sprachlichen Mischehen, worin die Väter aus dem Ausland kommen, werden die Kinder “seine” Sprache in aller Regel zuhause nicht lernen, kommt die Mutter aus dem Ausland, lernen sie die der Mutter sehr wohl.

    6. na ja, wenn der vater mit dem kind mehr zeit verbringen würde, dann würde es seine sprache sicher genauso lernen, denke ich. voraussetzung oder folge, weiss mans denn immer so genau, was was war?

      ‘quando a gente gosta e claro que a gente cuida’ – was man liebt, darum kümmert man sich, singt caetano veloso so schön, was leider nur nicht immer stimmt.

      mit der musik kommt die sprache, dichter schreiben vermutlich alle mit kopfstimme, bei prosa scheint man deutlich was anderes im blick zu haben.

      und ich denke eben oft in liedzeilen wie dieser: ‘it’s just that everyone’s interest is stronger than mine’…

      hätte kant doch nur gesungen. darum tuts adorno bei mir so gut, weil der quasi philosophie singt und skandiert. seine sätze sind stark rhythmisiert.

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