III, 158 – Senf güldet, Ratschläge mitnichten

’Senfgelb’ fiel mir ein, als ich noch vor dem Essen den letzten Abendschein in die Tasche gesteckt bekam. Es waren wieder die Mauern gegenüber. Aber selbst im Hof, in den hinein mich wieder Kraftwerk verfolgte und sich mit einem Fernseher gegenüber vermischte, hatte Senfgas sich breit gemacht, ohne daß ich an Schützengräben dachte wie neulich bei des Dichters Besuch (ich mußte es ihn einfach anhören lassen (Marinetti, sagte er nur)), während es fast unmerklich tröpfelte und fernes Wetterleuchten kurz auf den Mauern sich spiegelte. Aber das Donnern war eher dem Geräusch eines vorüberfliegenden Flugzeugs ähnlich.
Ein bißchen mußte ich mir dieses senfgelbe Für-Mich-Sein tatsächlich erkämpfen. Mit guten Worten, immerhin. Denn im nicht allzuspäten Nachmittag, bereits entschlossen, nichts mehr verrichten zu wollen, kehrte ich zurück vom Weinkeller und vom Supermarkt.
Tullia schritt auf der anderen Seite des Platzes vorüber, neben ihr ein junger Mann. Sie seien gerade auf dem Weg zu mir. Ah. Der junge Mann sei indes ein Cousin des Schönwetterbauern vom Kaiserstuhl. Ah. Und ob ich nicht eine Tastatur übrig hätte. Hatte ich. (Neulich die Usbekin: ob ich nicht eine Mouse übrig hätte – hatt’ich ooch (und hundert Geschichten von ihrer Misere mit dem Ex und mit dem Sohn und mit dem Geld ( понима́ю, sagt’ich bloß immer))). Und setzten sich beide aufs Sofa. Und blieben.
Tullia ging dann. Der Cousin blieb. – Er wohne in Leipzig (aber doch in des Schönwetterbauern Dorf aufgewachsen). Habe gerade aufgehört, Fotografie zu studieren. Dachte laut, nein leise vor sich hin. Den angebotenen Wein schlug er mitnichten aus. Setzte sich sogar auf meinen Stuhl am Küchentisch. Und dachte weiterhin laut, nein, leise vor sich hin.
Ich versuchte einzugehen auf seine Gedankenwelt, die immer dahin tendierte sich vorzustellen, wie es wäre, in einer Gesellschaft zu sitzen und nichts zu sagen, sich nicht einmal zu rühren. – Wie alt wird er sein? Mitte zwanzig? Flaumbärtchen. In die Welt hineingestakst, aber noch nicht in ihr heimisch geworden. – Hätte ich nicht abgebremst, er wäre noch länger sitzen geblieben: mein Ich-Freiraum nach des Tages Mühen fühlte sich bedroht. Möglich, daß ich ihn morgen in Valdas Pizzeria verfrachte, dann kann er seinen Gedanken weiter nachgehen, um sich dann mit den meinen zu treffen (doch, das klappte schon, ich war selbst überrascht). Hab’ jetzt fast ein Pappa-Bewußtsein ihm gegenüber. Rrraatschläääge fürs Leben. Hätte nur nicht das Wort ‘Ratschlag’ etwas von ‘schlagen’. Nee, tu’ ich nich’. Geb’ ich nich’. Will ich selber nich’. Das ratscht an mir vorüber, wie hoffentlich an Jedem. Seinen Senf dazugeben, das darf man immer.

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