Karl Amadeus Hartmanns „Simplicius Simplicissimus“ am Konzerthaus Berlin.

[Geschrieben für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.
>>>> Erschienen am 5. 4. 2009.
Hier die ungekürzte Fassung.]

Wenn man dieses Stück heute aufführt, ist es mehr als politische Positionierung, deren ästhetische Basis aber verlorenging? Wer hört denn Hartmanns musikalische Anspielungen noch, die seinerzeit, 1934, Parteinahmen waren – gegen die Partei? Können sie aber nur wenige Menschen hören, weil nur wenige sie überhaupt noch kennen, Stravinskys „Sacre“ und „Histoire“, Bergs Violinkonzert selbst Bach, geschweige die jüdische Totenklage – was bleibt von Hartmanns „Simplicius Simplicissmus“ dann übrig? Erschreckend wenige Menschen saßen im Werner-Otto-Saal, erschreckend wenige Menschen können nochästhetisch verstehen. So reduziert sich die Kunsterfahrung auf das abgestandene Modell eines epischen Lehr-Theaters, das eh immer jene bestätigt, die sowieso wissen. Brecht als Studienrates linker Fetisch. Bei Hartmanns „Simplicius“ kommt Historisiertheit hinzu: unüberhörbar das Cabaret des Couplets. Die Stärken finden sich anderswo: in den komponierten Herübernahmen „entarteter“ Musikmotive, die Zitate nicht eigentlich, sondern verfremdend bearbeitet sind. Oder wenn über die Toten, die man Geschlachtete nennen muß, langsam der Choral hingeht und unter der Rezitation des Sprechers ein feines, trauerndes Schweben von Violine und Flöte liegt – also genau dort, wo das Musiktheater das epische verläßt und das Unheil nicht nur vorgestellt wird, sondern Momente von Trauer in den Hörer sinnlich hineingibt. Das erreicht auch Henriette Sehmsdorfs Szene bisweilen, nämlich dort, wo sie in kleine ausgehaltene Tableaus überführt wird.
Epischen Konzepten bleiben Figuren Lehr-Marionetten; pyschologische Personenführung ist eigentlich ausgeschlosen. Sehmsdorf ersetzt sie aber, ein spannender Ansatz, durch eine dämonische: indem die Figur des Titelkupfers von Grimmelshausens Roman zu einem bizarren Erzähler wird. Das Groteske ist der Trägerstoff zur Übermittlung eines unfaßbaren Meuchelns, an das sonst nur nackte Klage reicht. Es konstruiert in die Sinnlosigkeit einen Wi(e)der-Sinn, mithin, negativ, Hoffnung. Das vermittelt der Tänzer und Sprecher Vivian Lüdorf ganz vortrefflich; um so bedauerlicher, daß ihn Frau Sehmsdorf für seine Transvestie, nämlich als „Dame“, die Distanz verlieren läßt. Nur kurz zwar, doch störend, weil Figur und Schauspieler identisch werden: ein Persönliches, das hier nicht hingehört. Anrührend dagegen, unepisch, Olivia Stahns Simplicius, wie insgesamt diese Aufführung berührt, wann immer sie ihr brechtsches Korsett aufschnürt und der gehobene Zeigerfinger, vom Landsknecht abgehackt, nur noch ein Stumpf ist und man den Schrei hört, um den der Chor die Klage führt und um den das Ensemble UnitedBerlin so konzentriert musiziert. Bisweilen erreicht das ein fast antikes Tragisches und macht, wie Hartmann wollte, die elende deutsche Kontinuität auf beklemmendste Weise deutlich. Aber auch, wie weit entfernt davon zu sein w i r jetzt vermeinen. Weshalb wir gar nicht erst hingehn.

Nächste und letzte Aufführung: Donnerstag, 9.4.., 20 Uhr.
>>>> Karten.]

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