Vitalità OPPURE La Napule amerina. Nel giornale amerino di sabato, 27 mese di agosto 2016.


[Casa di Schulze
Il nuovo posto di lavoro, ore 7.48
Secondo sigarillo della mattina]


Nachts auf der Piazza vorm Stadttor. Franko Manzo sang, von dem es einen ziemlich guten Youtube-Clip gibt:


„Cummenera“ ist ein napoletanisches Wort, nicht mal der Freund weiß, was es heißt. Man kann es vielleicht erschließen: „Ach wie ist sie schwarz!“ – Raterei. Mein Wörterbuch Napoletano:Italiano liegt in Berlin. Natürlich hätt ich fragen können, aber das Konzert lief so shocking unvermutet aus: als hätte jemand den Stöpsel im Ausguß gezogen, aber nur achtels. Sinksink.
Tagsüber arbeitet Manzo, aus Neapel stammend, in Terni in der Fabrik. „Was genau macht er da?“ „Bò“: dabei die Oberseiten der Hände zeigen nach unten, die Spitzen der Daumen berühren die der Ringfinger, dazu, nur über die Ellbogengelenke geführt, ein leichtes Auf&Ab. Am Keyboard meines Freundes Holzlieferant, für winters die kleine >>>> stufa di Franklin vorm riesen Kamin.
Aber nicht die Musik trägt mich, sondern der nächtliche C o r s o; es ist ja Freitagabend, und sie sitzen alle beisammen, wenn sie nicht gehen, aufgereiht auf dem langen Mäuerchen, meist in Grüppchen, aber doch beieinander, Alte, bisweilen sehr Alte, und die Jungen. Dazwischen tollen Kinder, Fünfjährige, Vierjährige; Mütter und Väter schieben die Buggies, in denen Zweijährige lässig ein Bein über die Seitenwand wippen lassen. Man denkt, sie wissen übers Geschlechtsspiel schon völlig bescheid. Nymphen, die noch nicht Frau sind, aber längst nicht mehr Mädchen, tragen, denke ich, ihre sie bereits dominierenden Möschen spazieren; damit man‘s nicht merkt, recken sie die Brüste in den Blickschwarm der Jungs. Motorräder röhren: ein Bizeps aus Klang. Die Contessa schrieb mir vor knappen zwei Wochen, da hatten wir uns noch nie getroffen, das Wort Testosteronsuppe – als Kommentar unter einem Foto von einer Horde ins ägäische Meer springender griechischer Jungs. Platsch! Die Suppe ist die Gischt.
Also es gischtete gestern, auch ohne Wasser. Und ich dachte, meine Güte, hier fließt die Kontinuität der Generationenfolge, und alle, alle, alle schwimmen in ihr und schwimmen bereits an jedem Moment ihres kommenden Lebens vorbei: es faltet sich sichtbar vor ihnen auf. Und die Alten schauen in sie zurück und erkennen sie wieder, so nahe, als lebten sie alles erneut. – Welch ein Unterschied zu „deutschen“ Abenden, um von britischen zu schweigen, welche Hineinnahme des Kommenden und Gewesenen und Geradeseienden, welches Einverständnis und welcher Genuß! Da war es egal, daß von hinten auch ein Techno schallte, BUMM BUMM BUMM, Berliner Neunzigerjahreklang, von vorne mal ein bißchen Folkrock und mittendrin der napoletanische Sänger, der eine sehr schöne, leider nicht wirklich volumenreiche Stimme hat: besser, er sänge, dachte ich, Paolo Conte, und einmal hätte ich fast um Napule è gebeten:


Ach, wenn ich dran denke, daß ich >>>> vor zweieinhalb Jahren hätte Pino Daniele noch live hören können, zu Silvester auf der Plebicito, aber daß ich den Massenauflauf scheute. Konnt ich denn ahnen, daß er bald tot wär? (Neapel wird meine Stadt immer b l e i b e n. Allein dieser grandiose, herzschnürende Flashmob nach Danieles Tod:


Aber hier war jetzt doch Neapel, auch h i e r, fuori le mura d‘Amelia! Wo das Herz ebenso glühte und einem vulkanisch zugleich schwer ward – – –
Der Freund hatte derweil zu tanzen begonnen. Und zwei türkische Frauen schritten so fremd wie zugleich zugehörig hindurch. Ein kleiner Junge raste mit dem Roller, Freunde umarmten sich, das Nastro Azurro schmeckte eiseskalt; es ging überhaupt kein Wind mehr: Sommersommersommernacht. Die Vorstellung-nur eines unentwegten, niemals endenden Liebesakts, worin die Liebenden flüssig, kein Wille mehr, nur noch flutendes Geschehen -).

*

Habe ein bißchen geschlurt heute morgen. Zwar um 5.44 Uhr hoch (um 5.43 von selbst aufgewacht, die Routine greift), doch ziemlich verlangsamt den Latte macchiato bereitet, mit ihm auf den Cortile an den Brunnen, dort im noch Halbdunklen („Wolfszeit“, las ich jetzt zweimal bei Kjaerstad, das will ich mir merken) geraucht und die Schlucke genommen, dann hinein an den Arbeitsplatz und mich erinnert, daß ich ja eine kleine USB-Leuchte habe, immer dabei im Kabelbeutel, so daß zu tippen mir auch im Schummrigen nicht mehr schwerfällt, und >>>> das DTs aufgesetzt, mich aber auf der Suche nach einem Bildlink im Netz verloren, während ich zugleich über Kapitel 2 des Ghostauftrags nachsann. Es denkt sich, denkt sich parallel, denkt sich unterhalb der Schwelle des hellen Bewußtseins.
Die Septemberreise steht grad wieder ein bißchen in Zweifel, dafür ward eine andre angeboten, die aber für einen Handlungsort nun wirklich nicht paßt. Ich habe einen Gegen-, nein, Zusatzvorschlag gemacht, aber die Contessa hatte gestern abend zu tun; so wird auf ihn erst heute geantwortet werden. Dafür bot mir die schöne Anoui an, mir bei den Recherchen zu den Asseçoirs, besonders bei Mode, zu helfen, was ja auch die Löwin schon getan hat und tut.
Wie fühlt sich das an, wenn man Nylons trägt, halterlose besonders? Ich kann‘s nicht ausprobieren oder müßte mir vorher, was ich ziemlich scheue, die Beine rasieren. Hab über die Schmerzen beim Epilieren gelesen, aber gelesen halt, das ist was andres. Imgrunde, um eine Frau zu verstehen, also nicht nur theoretisch, müßte man(n) die Monatsblutung fühlen können, selbst spüren, und den Geruch vertraut – vertraut, das ist wichtig – in der Nase haben, wenn frau den Tampon wechselt. Es reicht auch nicht, selbst mal High Heels auszuprobieren, das Gefühl wär immer transvestitisch, also nicht geschlechtsident.
Jedenfalls landete ich auf der Suche nach einem >>>> Bild des Innenhofs des Palazzos Boccarini, bevor ich es >>>> fand, auf einer Youtube-Site, auf der die rechte Seitenleiste weitere Videos anbot, indes solche, die sich um >>>> inszenierte Nacktheit im Theater drehten, Straussens Schleiertanz, ein Jan-Fabre-Ballett (Lisbeth Gruwetz) usw. Klar, daß ich mir das jetzt anschaute, ein paar der Clips jedenfalls. Ungelenke, aber auch höchst erregende darunter.
Die Zeit verstrich. Schon jetzt aus dem DTs gefallen.
Ich sitze statt auf der Terrasse der griechischen Insel auf einer auf Sardinien und schaue zum Meer hinüber, zum Hafen hinunter. Erinnre mich. Die Szene spielt knapp fünfzehn Jahre nach der so schicksalhaften Begegnung; mein Held ist gereift. Aber was rieche ich dort? Gerüche sind ausschlaggebend. Doch sie entziehen sich der sprachlichen Gestaltung am allermeisten. Flaubert soll zwei Wochen vor seinem Tisch gestanden und versucht haben, den daraufliegenden Kohlkopf zu beschreiben – so, daß man ihn tatsächlich wahrnimmt. Das ist noch vergleichsweise, wie eine Selbstbeschreibung, leicht. Aber Gerüche? Oder >>>> wie Aragon schrieb: „Man kann Wasser nicht wiedergeben. Bestenfalls Tränen. Aber Wasser?“ (Vieltausende Male, übrigens, wurde diese… nein, nicht Kritik, sondern Hommage nun heruntergeladen. Liebe Freundin, sage mir jemand, daß man schließlich nicht d o c h wirkt..! – [Leider ist diese meine Website nach wie vor verwaist; ich habe für sie nicht mal mehr das Kennwort.])
Indem ich aber auf Sardinien sitze, ist die Erregung abgeflaut.
Statt dessen eine Nachricht auf Facebook, die ich beantworten möchte. Erotische Loyalitätskonflikte, dazu die mit schönsten Füße, die ich je sah… Doch bin ein Mönch zur Zeit, teile die Liebe der Mönche zum Wein – ansonsten wäre „Asket“ der bessere Ausdruck. Und sehe vor mir wieder die Vitalità des gestrigen Abends, eine aber nicht mehr, die ich beobachte – der leise Fluch, der über allen Dichterinnen und Dichtern wie ein Nebel aus Entfremdung nicht nur hängt, sondern sie fast völlig einhüllt -, sondern eine, die ich selber ganz mitbin. So, wie der Freund immer noch tanzt, da auf der Piazza vor dem Mäuerchen, auf dem die jungen Schönheiten sitzen und die es einmal waren. Weshalb nur fragt er mich nachher, ob es… was sagt er?… ‚nicht gut ausgesehen‘ habe? Als käm es darauf an! Tatsächlich war auch ich kurz davor gewesen zu tanzen. Eine halbe Stunde länger, und …
Da lief eine wunderschöne Tätowierung den Arm der Bedienung bis über ihre rechte Schulter hinauf. Wirklich schöne Tattoos seh ich nur selten, die meisten sind gegenständlich-naiv, wenn nicht überdies kindlich oder, bei Männern, prahlerisch grob. Aber diese hier? – Mit ihr vor Augen, liebste Freundin, will ich vorerst schließen. Dieser Brief ist sowieso schon länger geworden, als meine Arbeit es erlaubt.

Seien Sie umarmt
von Ihrem (heut furchtbar sentimentalen)

Nà-Sie-wissen-schon.

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