Napules Neujahr. 1 gennaio 2014, PP72: mercoledì: Liebe.

[>>>> Pino Daniele, canzone napoletane.]
(15.50 Uhr; Alloggio del Conte.
Auf dem Zimmer.)

Ich komm heim, die Terrasse ist geschlossen, das Zimmer davor zugesperrt. Also in meinem Räumchen arbeiten, denke ich, will aber, nach dem guten Mittagessen (Ristorante all‘Avellino, direkte Bahnhofsnähe; vieles sonst hat heute geschlossen, vor allem: keine Bars, oder nur extrem wenige)… – will aber, nach dem guten Mittagessen (Spaghetti al vongole, poi Gamberi e Polipetti con una parmigiana di melanzane, und fast einen Liter Wein dazu, mittags um zwei!) unbedingt noch einen Caffè nehmen und mach mich auf die Suche… als mir, auf dem Weg halbhoch zur Forcella meine Signora entgegenkommt. Wie, die Terrasse geschlossen? Alles ist anders in Neapel zu Capodanno, kochen sollte ich auch nicht… nee nee, ich solle mal mitkommen, sie bereite mir einen Caffè, selbstverständlich, und um die Terrasse kümmer sie sich ebenfalls.
Das braucht dann ein wenig Zeit, aber Zeit ist im Süden immer eine Kategorie für sich; wir verstünden sie („geschweige denn“) ohnedies nicht, schreibt >>>> Daniela Danz. Und nun aber:

Ich sitze also draußen nun. Einen dicken Pullover, drei Schals, die Lederjacke noch (die fast drei Kilo auf die Waage von EasyJet brachte) und meine lindgrüne Islamikipa, das reicht. Wir schreiben Januar, und ich möchte von gestern abend erzählen. Noch nie habe ich solch ein Silvester erlebt. Mit Austern, in Pendinos, also „meinem“, Mercato, ging es nicht erst los

,
sondern bereits, als ich gegen 16.15 Uhr ankam, stand die Stadt unter Feuer. Dann aber, nachts, ich hatte, Sie werden es mir wahrscheinlich nicht glauben, Tränen in den Augen… Tausende Lampions stiegen auf und trieben übers Meer:



Da konnt ich nicht anders und erstand ebenfalls einen, der dann erst sehr tiefflog, sehr schräggelegt, gefährlich schräggelegt, gleich brennt er ganz, dachte ich, aber dann hob ihn ein Wind, und ich sah ihm nach, bis er wie über Capri verschwunden war: all meine Wünsche für meine Lieben trug er bei sich… -:

Und doch war erst einmal alles anders, als ich gedacht hatte. Ich hatte meine Signora, als sie in Berlin anrief, offenbar falsch verstanden. Es wurde doch kein Silvester im napoletanischen Familienkreis; vielmehr hatte mir Michele in einem kleinen Ristorante nahbei einen Platz reserviert. Aber dann stellte sich heraus, daß man dort gar nicht bedienen wolle, sondern wolle das Ende des Jahres selbst draußen feiern; also wurde schnell improvisiert, und ich speiste dann, freilich nicht billig, direkt unterhalb der Galleria di Principe di Napoli und zog gegen 23 Uhr auf Micheles Empfehlung zur Piazza di Plebiscito weiter, wo Pino Daniele singen sollte, den ich auch unbedingt hören wollte. Aber dann fehlte mir die Geduld, auf ihn zu warten, so daß es schließlich genau zu dem kam, was ich mir vorgenommen hatte: allein am Golf zu sein, zu spazieren um Mitternacht. „Allein“ bezieht sich freilich nur auf mich, von einem Alleinsein zu sprechen, wäre grob falsch. Tausende flanierten mit mir. Und dann stand der Golf unter Feuer, nicht erst dann schwebten die Lampions, ich habe solch eine Schönheit, zu Silvester, noch nie erlebt. Auch nicht solch einen Krach, solch ein Donnern, solch ein Jubeln. Von der Plebiscito strömten die Menschen danach her, alle ans Meer, alle, alle… Und sie t a n z t e n auf diesem Corso. Da war es Zeit, für mich, zu gehen. Hier sollte, spürte ich, Alleinsein nicht sein. Es wäre eine Blasphemie gewesen; ich bin, was „das Leben“ anbelangt, ein tief gläubiger Mensch:

Mit Begleitung wäre ich geblieben und wäre mit eingetaucht. So blieb ich, was auch rechtens, ein Fremder. Ich bin‘s ja gerne, vor allem hier.
Fremdheit als Zentrum des Autorendaseins, ich steh da nicht alleine, auch dann nicht, wenn ich gerne dabei, es immer gern gewesen wäre. Das Ausland mildert den Schmerz, macht ihn weich, und man ist schließlich, hier, mit ihm ganz einverstanden. Deutlicher, immer deutlicher wird es, daß mich meine Zukunft in Deutschland nicht mehr sehen wird oder nicht durchgängig mehr. Wenn es mir irgend gelingt, es zu finanzieren, wird sie mich hier finden.
Ich habe viel nachgedacht heute in dem zu Neujahr halb schlafenden Neapel. Der sonst mehr als nur überfüllte, von Autos, Menschen, gezogenen Karren, Rettifilo geradezu leer… Bin einfach flaniert und spürte einmal mehr meinen Unwillen zu fotografieren… obwohl ich doch über einen Bildband zu Neapel verhandele. Aber dann stehe ich vor einem „Motiv“, einem guten, und empfinde es als eine Blasphemie gleichermaßen, es in der Kamera zu „bannen“; ich will nichts bannen. Etwas anders ist es, völlig anders, wenn ich auf Klangsuche bin und die Welt, ihre Klänge, mitschneide, wenn ich sie als Musik, eben, empfinde und dann das Aufgenommene so auch behandle, es in andere Musik integriere. Seltsam. In mir wirkt ein Bildverbot, nicht aber ein Klangverbot. Vielleicht, weil ich meine, daß der Klang nicht erniedrigt? Das festgehaltene Bild, spüre ich, tut das.
Ich hätte überhaupt kein Problem damit, ein zweites Hörstück zu Neapel zu schreiben. Vielleicht aber: ein „reines“ Musikstück? Diesmal als Text nicht Prosa, sondern Gedichte zu den Klängen? Was habe ich heute alles wieder geh ö r t! (Auch das bekommen Sie jetzt mit: wie ich mich langsam betrinke. Habe auf dem Markt eine Flasche bauerngefüllten Spumante, von ihm selbst verkorkten, erstanden und süffle sie, während ich tippe und es immer dunkler wird, so daß ich kaum noch die Tasten erkenne, aus, hier auf „meiner“ Terrasse. Daß ich hier selbst am ersten Januar nicht frieren muß!)
*******

Mit den Gedichten habe ich angefangen, wirklich, sie „wirklich“ wieder aufgenommen, allerdings mit der unvollendeten Skizze eines neuen:Dächer Napules
(als „Parallel“gedichte zu den >>>> Mauern Amelias)

1
In die Winkel die Seelen verwinkelt gebaut
gleich Pflanzen, in Töpfen, gezogen
in die er, der Dachmieter, fegt

luftig zur Höhe herabgebogen
wie unten hinauf aus den Basssi
der alten Erde Frauengesicht

geduldigt ihrer Enkel harrt
in dieser Stadt aus Himmel und Tiefen
meiner

ungeerdeten, grundlosen Heimat:



>>>> Dächer Neapels 2
*******

(Ich muß hinein, muß auf mein Zimmer, denn es wird zu dunkel, um ohne Widrigkeiten weiterzuschreiben. Außerdem will es der Akku. Später, vielleicht, mehr:

)
(Durch die Luft wehelt der Duft gebackenen Fischs, seit etwa einer halben Stunde.)

(17.20 Uhr.)

*******

(19 Uhr.)

In meiner napoletanischen Lieblingskirche gewesen, >>>> La Basilica di Santa Maria del Carmine Maggiore, und einen Teil der Messe mitbezeugt. Welche Religion auch immer, sie verbreitet Einkehr. Ein schwarzer Priester sprach, dann gab es Frauen aus dem neunzehnten Jahrhundert, die geklöppelte weiße Schleier trugen; eine von ihnen sprach ebenfalls vor der Gemeinde. Ich kann die Bekenntnisse aber nicht mitsprechen, der Geburtsschuldbegriff ist mir fremd. Auch habe ich keinen anderen Vater als den, den ich hatte. Es gibt keine Brust, die vergibt. Und was auch? Daß ich bin? Dennoch. Immer ein deutliches Gefühl von Traurigkeit darüber, daß ich solches Vertrauen, sei‘s in einen „Herrn“, sei‘s in eine „Frouwe“, nicht habe. Ich sehe die kommunion versammelten Menschen an, und ihre – sei‘s auch nur dort – Einigkeit beglückt mich. Hier aber haben sie >>>> Masaniello liquidiert, und das Volk selbst, für das er aufstand, applaudierte. In der Kirche, gleich vorn neben dem Alter gibt es, auf einer Säule und vom Schiff wegschauend, eine Gedenktafel. Da nahm ich Platz. Er sei, heißt es, geistesverwirrt gewesen. Das konnte hernach auch des Volkes Reue nicht heilen.
Zuvor mit der islamischen Kappe Tomaten einkaufen gegangen. Da wurde ich mit „Salaam“ begrüßt und grüßte mit „Ale‘ikum a salaam“ zurück. Was in mir dabei vor sich geht, ist ganz ähnlich; auch dies ist eine „Kommunion“. Ein Privileg des Fremden ist es, ohne Anmaßung die andere Mentalität anzunehmen, ohne Herablassung, ohne gar Spott. Man ist hier so auch geschützt. Die Kappe in Verbindung mit der schweren Lederjacke gibt einem etwas Unnahbares. Das gilt auch für Diebe, deren einen ich vorhin erwischte, wie er von hinten an meinen Rucksack ging. Ich drehte mich herum und legte beide Hände auf seine Oberarme. Da entschuldigte er sich.
Er war sehr arm. Fast elend. Ich hätte ihm etwas Geld geben sollen. Tat es nicht, mir fällt das erst jetzt ein, wo ich die Szene wie eine einer Erzählung betrachte. So also doch: Schuld? – Und tags flaniere ich mit meinem schwarzen Hut, dem aus dem Paris der Dreißiger, im schwarzen Designeranzug durch die Stadt.
Wuchtige Bauteile der Basilika sind aus schwarzer Lava gefügt. Auf der Westseite der Stadt, westlich also des Castello dell‘Ovo, hat man den Vesuv nahezu ständig vor Augen, wann immer man aus den Gassenschluchten hinaufsteigt. Die Hausensembles-selbst wirken wie Gebirge, Mittelgebirge, schroff, voller Abstürze, in die Treppen gehauen sind. Ein Dichter, dachte ich gerade, ist zur Übersicht verdammt: auch das ist ein Grund für seine Entfernung.

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7 thoughts on “Napules Neujahr. 1 gennaio 2014, PP72: mercoledì: Liebe.

    1. Salaam @ gast. Sie sind ein Kleinscheißerchen, aber das wissen unterdessen auch die Leser:innen Der Dschungel. Dennoch, um Sie zu befrieden (“Salaam”), hab ich die Antwort korrigiert, wobei Sie wahrscheinlich wissen, wie ich es tatsächlich weiß, daß die gesprochene Sprache manches verschluckt und/oder zusammenzieht.

      Sollten Sie einmal eine substanzielle Kritiken anzumelden haben, nur zu.

  1. Du meine Güte..
    das war mein erster Kommentar in der Dschungel und wird auch der letzte bleiben.
    Mit so einer aggressiven Reaktion hatte ich nun wirklich nicht gerechnet..

    1. Gast, aggressive Reaktion Wenn Sie hier noch nicht so lange mitlesen, haben Sie vielleicht noch nicht mitbekommen, auf welch üble Weise hier manchmal kommentiert wird. Dadurch ist ANH etwas empfindlicher geworden als er es sonst wäre. Aggressiv waren zuerst Sie. Zu schreiben “wenn schon, denn schon”, ist ja wohl spöttisch-aggressiv gemeint. Warum sollte ein Deutscher, der in Neapel weilt, perfekt arabisch sprechen? Es ist doch anerkennenswert, dass er sich bemüht, arabisch zu antworten.Wenn er das mit einem kleinen Fehler tut, ist das durchaus realistisch und bedarf nicht Ihrer Verbesserung. Der Ton macht die Musik. Hätten Sie etwas freundlicher auf den Fehler hingewiesen, hätte ANH mit Sicherheit auch freundlich reagiert.

  2. Cellofreund..
    ich lese hier seit über 3 Jahren mit..
    Ich ärgere mich manchmal, insbesondere über den Umgang mit finanziellen Dingen.Ich bin dann wieder fasziniert. By the way habe ich auch die unzensierte Ausgabe von “Meere”..

    Den Weg von ANH begleite ich so im Stillen.

    ANH übersetzt Joyce ins Englische, parliert italienisch..und spricht dann auch noch arabisch.
    Da ich das auch mache, erlaubte ich mir eine zarte Korrektur.
    Dass ich ein Klugscheißerlein bin, der/die den DschungelleserInnen bekannt ist..finde ich einigermaßen verletzend.

    1. @gast zur Zartheit. Wenn Sie mit zurechtweisendem Ton das Anonym eines Trolls gebrauchen, der den Begriff eines “Gastes” permanent mißbraucht hat, müssen Sie sich über eine Verwechslung nicht wundern, zumal, wenn Sie seit “über drei Jahren” mitzulesen vorgeben. In diesen drei Jahren war “gast” durchaus häufig tätig oder, um es genau zu bezeichnen, verbal tätlich. Insofern ließ sich >>>> aus Ihrer Korrektur die Zartheit nicht recht erspüren.

      (Daß Sie sich bisweilen über meinen “Umgang mit finanziellen Dingen” ärgern, übrigens, finde ich bizarr: was denn ärgert sie? Daß ich kein festes Einkommen habe? Sie dürfen mir gerne eines zahlen. Daß ich kein eigenes Konto mehr habe? Eröffnen Sie eines für mich. Ich wär da völlig offen.

      Aber wo habe ich behauptet, Arabisch sprechen zu können? Leider kann davon keine Rede sein. Dennoch läßt sich mit rituellen Idiomen antworten, so, wie man es sich mit guten Gründen im anderen Land angewöhnt, zumindest doch in der dortigen Sprache zu grüßen.)

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