Des Satans Abendmahl in Reihe. Gounods Faust in der Neuinszenierung Karsten Wiegands an der Staatsoper Unter den Linden.

Es ist völlig unverständlich, weshalb es zur Regie Karsten Wiegands derartige und >>>> so hämische Verrisse gegeben hat – in der musikalischen Enschätzung hingegen herrscht berechtigt Einigkeit. Tatsächlich dirigiert >>>> Alain Altinoglu mit derart sensiblem Verständnis, daß ich bisweilen meinte, die Sänger, allen voran >>>> Marina Poplavskayas Marguerite, werde auf den warmen, oft zärtlichen Streicherwellen geradezu getragen Altinoglu hat eine Neigung zu Piano, ja Pianissimo; alles steht hier im Dienst der Sangbarkeit, die selbst noch den komponierten Schmock nobilitiert, dessen es in dieser Oper einigen gibt; nicht grundlos ist manches davon zu Schöne-Stellen-Pop abgesunken. Eben dies scheint der Oper ein Überleben zu garantieren, das dann Regisseure vom Schlage Wiegands dazu verleitet, sich mehr oder minder überflüssigerweise mit Biedermeierseelen auseinandersetzen. Man muß sie darum nicht beneiden. Was denn tut man, Jesses!, mit einer derart öden Person wie Marguerite, deren Höhere-Töchter-Schamhaftigkeit schon beim ersten Juwelenkästchen sämtliche Beine öffnet, deren sie an sich gewahr wird? Worauf sie schon geschwängert und verlassen ist, ohne irgend Beistand in ihren Mitmenschen zu finden – ja, sie wird außer von einem Freund, der sie liebt, nachdrücklich gemieden und schließlich dazu getrieben, ihr Neugeborenes umzubringen. Das ist von Gounod ohne jede schlüssige Herleitung behauptet, damit er drin den Grund finden kann, das arme Hascherl hinrichten zu lassen. Verdammt noch mal, wie inszeniert man so ein Zeug? Das Libretto ist an gefühligem Kitsch – also Gefühl als veranstaltet manipulierendem Vorschein – kaum zu überbieten. Soll man über so etwas hinweginszenieren oder nicht vielmehr, wie Wiegand tat, versuchen, eine Entsprechung in der Bühnenwelt zu finden, die den Kitsch weder weglügt noch aber ihm auf den Leim geht?
Da zeugt es von extremer Gedankenflucht oder von extremem Ressentiment, wenn ein in der >>>> WELT mit KLK Signierender dem Regisseur vorwirft, er habe sämtliche Klischees bedient, derer man sich in modernen Operninszenierungen schuldig machen könne – tatsächlich hat Wiegand das g o u n o d s c h e Klischee aufgenommen und dann geradezu vorbildhaft in eine andere, eher nachvollziehbare Klischeewelt übersetzt, die letztlich auch schon nicht mehr Gegenwart, sondern ebenfalls ihr Zitat ist. Eine Automaten-Spielhallenwelt – zwei Fünftel Vegas, Pachinko zwei Fünftel und eines Vorhaut der Prostitution – ist wohl kaum mehr ein allgemein übertragbarer Symbolraum der spätkapitalistischen Konsumwelt. In ganz gleichem Sinn zitiert Wiegand Bierdosen und Flippergerät >>>> mit den gespreizten Beinen der Sarah Tobias, die in Gestalt Jodie Fosters des Regisseurs bühnenbildliche Assoziationswelt mitgeprägt haben könnte; in jedem Fall geht der Weg in die Hölle bei Karsten Wiegand mitten durch die Unterhaltungsindustrie. So finden wir Chorsänger mit I-Pods ausgestattet, und Mephisto singt als alt-erschlankter Presley gern mal in ein Mikro. Doch dies alles bei einem Interieur, das zugleich als Bühne auf der Bühne gerahmt ist. Tilt der außerhalb dieser Bühnenbühne aufgestellte Spielautomat, an welchem Mephisto dem Faust sowas vorzockt, dann unterbricht sich die Oper sogar sekundenknapp… -: Mephisto haut gegens Gerät, schon funktioniert die Oper wieder, und weiter geht das Drama. Im Rahmen dieser Theater-auf-dem-Theater-Perspektive gewinnt die schamhafte Marguerite tatsächlich moderne Plausibilität. Was Wiegand dann – jenseits aller Bühnentricks – zwei wirklich g r o ß e, enorm bedrückende Bilder erlaubt; beide zu Beginn des Dritten Akts. Es passiert eigentlich nichts, die hochschwangere Marguerite bewegt sich bittend, ja bettelnd zwischen Passanten, die sie ignorieren oder sogar vor ihr zurückscheuen; das Äußerste an Zuwendung erfährt sie von einem Mann, der ihr für das noch Ungeborene einen alten Teddy zusteckt. Ein ganz selbes Beklemmendes hat der Beginn der Kirchenszene: wie Marguerite versucht, zu dem Prediger vorzudringen, aber von den Gläubigen, die ihn umstehen, nicht durchgelassen wird. An solchen Stellen ist der Grund für Marguerites Verzweiflung ganz gleichgültig: sie wird hier zur Symbolgestalt des leidend ausgegrenzten Menschen an sich. Dagegen verliert sogar das überraschende, in seinem Hochglanz s c h o n sehr schaurige Endbild an Kraft: Um die Bühne herum sitzt eine High Society zu Tisch, wie man sie sich in den Fünfziger/Sechzigern vorgestellt haben mag – dem korrespondiert nun wieder das Spielhallen-Motiv -, stößt an und trinkt und ißt: ungerührt von der vor dem Tisch am Boden hingekrümmten jungen Frau, von welcher der Kriker >>>> im focus, der einen bis auf Kürzungen selben Text geschrieben hat wie der Kritiker >>>> in der Süddeutschen, ganz falsch schreibt, sie, Marguerite sei vor diese Gesellschaft getreten, wohl weil er doppelt, doch ohne das zuzugeben, sehen mußte, es sei diese Gesellschaft die des Paradieses. Tatsächlich sitzt man dort wie in Reihe geschaltete Module einer immerselben, ins Großbürgerliche verkleideten Letzten-Abendmahls-Gesellschaft Jesu. Mit ihr im selben Saal führt derweil Mephisto den Faust davon – eine ausgesprochen sinnvolle Parallele zum Anfang dieser Inszenierung, da der Satan sich aus einem Mönchskostüm schälte.
Alles das stimmt durch und durch. Zwar kann man einwenden, es sei nicht unbedingt geraten, im ersten Spielhallenbild („Kirmes“ bei Gounod/Carré) alle Chordamen und – herren raven zu lassen, einfach weil das an manchen so aussieht wie Studienratsgattinnen, die sich öffentlich am Bauchtanz blamieren; und auch dem Rückmarsch der Soldaten hätten sicher weniger Faxen gutgetan. Aber das sind Mäkeleien – man hat ja einen Kopf, um sich vorzustellen, wie es ideal gemeint ist. Groß aber wird diese Inszenierung, wenn sich das floppige Beiwerk völlig zurücknimmt und der Theaterdonner so angemessen fehlt, wie Alain Altinoglu dirigiert. Dann zeigen die Sänger nicht nur, was sie sanglich können, sondern wie präsent ihre Darstellung ist. Eine Ausnahme ist hier freilich René Pape: ob Mätzchen ja, ob nein, er hat solch eine Kaft, daß ich den Eindruck hatte, er durchjogge diese Satanspartie mal eben noch vorm Abendessen; vielleicht daß er deshalb sein Teufelslachen ein wenig z u aufgesetzt „bassen“ läßt, und vielleicht streicht er sich auch dreiviermal zu viel das eitel im Mephistonacken ondulierte Haar wie >>>> Tobias Zeitkan, der zwei Sitze entfernt neben mir saß, seinen kurzen Bart, den er, weil selbst so wer zu Alter kommt, neuerdingslich trägt. Er steht ihm, wir bekennen’s. Nur >>>> singen kann er nicht so gut.

Nächste Aufführungen:
Mittwoch, 25. Februar.
Sonnabend, 28. Februar.
Je 19.30 Uhr.
>>>> Karten.]

4 thoughts on “Des Satans Abendmahl in Reihe. Gounods Faust in der Neuinszenierung Karsten Wiegands an der Staatsoper Unter den Linden.

  1. mein aha-erlebnis mit faust habe ich karl heinz hucke mit seinen ‘figuren der unruhe: faustdichtungen’, niemeyer, 1992, zu verdanken.

    ‘die welt als ganzer erfahrungsraum’ und was einer zu verantworten hat, der, obwohl studiert und erkenntnisfähig, sich entschliesst, ohne rücksicht auf verluste, sie für sich allein zu beanspruchen. hatte margarete eine wahl? nein. darum muss margarete gerettet werden, ein trick, den hucke als dramaturg gestrichen hat. bei ihm endete der faust eins mit: ist gerichtet. mit recht. denn die mechanik einer durchökonomisierten gesellschaft rettet niemanden mehr, weil er eigentlich ein guter mensch ist. kindsmörderinnen werden gerichtet, nach den vätern fragt man selten. faust zwei, jetzt eher ackermann oder jentzsch, man kann auch auf anderer ebene schicksale zerstören und tut es. die ganz großen projekte.
    der faust bleibt ein enorm modernes stück unter der massgabe eines wie wollen wir leben, selbst wenn wir noch von etwas anderem bestimmt werden, als unserem guten willen. vielleicht entdecken die roths und singers dann irgendwann auch den wunsch ein guter mensch zu sein als einen trieb, im hinteren hirnlappen verortet, der sich trainieren lässt, wie ein muskel. beispiele gibt es auch dafür, nicht wenige, sie füllen die bibliotheken und museen.

    die tatsache, dass wir alle unter gegebenen umständen wieder zum tier werden, wiegt für mich nicht schwerer, als die tatsache, dass wir uns umstände erschaffen unter denen wir es nicht mehr müssen. biologismus ohne humanismus ist barbarisch, humanismus ohne biologismus naiv.

    1. @Diadorim zu Faust. Wenn Sie Libretto und Vorlage vergleichen, werden Sie merken, wie reduziert der gounodsche Faust ist. Allerdings kann mich auch Goethes Faust I gerade in der Gretchen-Geschichte nicht mehr aufregen, noch gar erregen. Etwas völlig anderes ist das mit Faust II – so auch in der Oper: >>>> Busonis Faust ist meisterhaft rundum; da kann weder in der Musik noch in der Dichtung irgend eine berechtigte Rede von “Schmock” sein. Aber das von auch Goethes Faust I transportierte Frauen- bzw. Mädchenbild ist mir rein unerträglich – wie j e d e Reinheitsfantasie, die sich politisiert und praktisch werden will.

    2. nun, ich glaube, sie dürfen nicht vergessen, dass diese fantasie einen gesellschaftlichen rahmen hatte, der sich religion nannte, und sanktionen mit sich brachte, wenn man ihn verliess. insofern also eine recht handfeste fantasie war.
      gretchen begehrt ja trotzdessen genau so wie jede/r andere auch, dass faust gerade gretchen begehrt, liegt auch in diesem bezugsfeld von religion und sich formierender bürgerlicher, mithin ökonomischer, gesellschaft. das sich bereits verknappende gut des vermeintlich ‘reinen’. willst du was gelten, mach dich selten, ist aber bereits ein ökonomisches prinzip, kein reines mehr.
      letztlich streben auch sie einer reinheit zu in meere, in form eines purismusses in der vereinigung, in der intensität.
      die stelle ist noch immer vakant scheint mir. die mechanik aber recht ähnlich. was man nun stattdessen setzt, sexualität, seele, schönheit, macht, scheint mir sekundär. im grunde ist fichte/kalkreuth ein faust/mephisto. so muss man es sehen, und seine irene ist sein gretchen und ein sehr pures wesen.

  2. “Faust-bal” – neue Oper von Leonardo Balada, Libretto: Fernando Arrabal Am 13. Februar 2009 wurde im Teatro Real in Madrid Leonardo Baladas Oper “Faust-bal” uraufgeführt, 90 Minuten allerbestes Musiktheater. Librettist: der letzte Vertreter des absurden Theaters Fernando Arrabal (76). Faust mit anderen Vorzeichen: Faust-bal ist eine Frau, Margarito lüstern-gewalttätiger Despot, der Faust-bal schließlich vernichtet – und selbst getötet wird.
    Faust – nach wie vor aktuell.

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