Für das Glück. Repertoire. Il Barbiere di Siviglia an der Staatsoper Unter den Linden Berlin.

Es gibt Inszenierungen, die nicht altern – viel seltener als solche Stücke (die meisten sind auch schon nach ihrer ersten Aufführung passé oder bleiben allenfalls ein wenig an dem Zeitgeist haften). Schon aus diesem Gesichtspunkt lohnt es sich, die Repertoirestücke der Opernhäuser abzuklappern, sie zu vergleichen und nachdenkend über sie zu schreiben. >>>> D i e s e Inszenierung aber ist selbst unter den gültig bleibenden – etwa >>>> Götz Friedrichs Rosenkavalier an der Deutschen Oper – ein Sonderfall. Über vierzig Jahre ist sie alt und stammt damit aus einer Zeit, in der an einen Fall der Berliner Mauer nicht im entferntesten zu denken war – im Gegenteil waren ein Vierteljahr vorher die Sovjets in die Tschoslowakei einmarschiert, um den Prager Frühling mitten im Sommer mit Eis zu erstarren. Wer das weiß oder auf dem Besetzungszettel liest, kann sich durchaus denken, was Don Bisilios große Verleumdungsarie damals auch politisch bedeutet hat: wie gestern abend >>>> Asher Fisch die Staatskapelle da leitete, ließ das im Wortsinn: ungeheuer spüren. Momentlang lief mir der Schauer über die Haut. Vielleicht ist es wirklich d a s, was Ruth Berghaus’ Regiearbeit von 1968 bis heute derart am Leben hält. Ganz sicher liegt es aber auch an Achim Freyers genialem Bühnenbild, das aus mit Stadt-, bzw. Zimmermotiven bedruckten Tüchern besteht, aus nicht mehr: von enormer Wandlungsfähigkeit, weil Wände Kleidungsstücke werden können, weil sich, kehrt die Berta auf, der Staub auch schnell mal, indem sie die Wand kurzerhand anhebt, drunterkehren läßt und weil die, das wohl vor allem, sehr große Bühne des Staatstheaters auf quasi Schau-Wagen-Dimensionen einer Commedia dell’ arte-Truppe heruntergebrochen wird, die von einem Ort zum andren zieht. Kein Pomp also, keine Ausstattungsoper, ein paar Kostüme genügen, das Kammerspiel wird zum Kammerspiel wieder – darf man das sagen?: – nobilitiert und alles übrige der Spiellust seiner Akteure überlassen: damit steht und fällt ein solcher Abend. Das kann auch schiefgehen; wehe, es wird an der Besetzung „gespart“. Hier und gestern war es fulminant.
Selbstverständlich gehören zu einem solchen „Melodramma buffo“ Übertreibung und Karikatur; der Barbiere ist ein Volksstück im besten Sinn, dazu paßt die Melodiekraft, vor allem das rasende Tempo der rossinischen Einfälle, dazu paßt die Rückbindung an italienisches Temperament, wenn man an die Quasselstücke denkt, ans Durcheinander und das, worin Pirandello seinen >>>> „Humor“ fand; dazu paßt die recht schlichte Auflösungsdramaturgie des Stückes selber: ein seltsamer Spannungs- und Einfallsabfall gegen Ende hin; durch den ganzen zweiten Akt zu beobachten. Man denkt an den deus ex machina Ludwig XIV., der durch eine Nebentür auf den Bühnenwagen tritt und Verwickeltstes im Nebenbei dann löst. >>>> Theaterverabredung ist, freilich, auch dies. Tutta nel mondo è burla: das muß nicht tierisch ernst genommen werden, man hat sich von den Panzern ablenken wollen der Siegreichen Armee, ganz sicher, an die man zugleich doch immer auch dachte. Und lachte und war froh, daß es Eulenspiegel wie diesen Figaro g i b t, und gibt es sie nicht, dann muß man sie erfinden – grinsend nimmt der einfache, pfiffige Mann zu Füßen des Grafen seinen Platz ein, nachdem der ihn dort hingewiesen wie einen Hund – auch d i e s e Herrengeste bekommt einen anderen Ton, bezieht man sie auf 1968 zurück… Heiterkeit auf dunklem Grund, heißt es bei Goethe.
Ich habe nachts nochmal meine Aufnahme aus der MET hinterhergehört: 1994 live unter Carlo Rizzi, mit Swenson, Hampson, Rootering – nein, weder >>>> Katharina Kammerlohers Rosina noch Juan Loperas Almaviva haben, geschweige hat >>>> Alfredo Dazas Figaro den Vergleich zu fürchten, und auch die Staatskapelle nicht, deren Klang nicht ganz so voluminös ist, was wohl an der Anzahl der eingesetzten Musiker liegt, doch dafür um einiges transparenter: weniger bourgeois halt, statt dessen das Herz bei dem Volk, das zu Beaumarchais’ Zeiten zum Bürgertum erst wurde – und d e r, der literarische Vater des Eulenspiegels Figaro, sei selber. so heißt es, im Leben >>>> ein veritables Schlitzohr gewesen.

[>>>> Weitere Vorstellungen im Februar:
Montag, 10.2., 20 Uhr.
Freitag, 13.2..
Dienstag, 17.2.
Freitag, 20.2.
Jeweils um 20 Uhr.
>>>> Karten.]

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