III,128 – Changierendes Vorkommen

Das einzige, was ich mir auferlege, ist das Lesepensum, da kann schon mal ein Vormittag sich hintrödeln, und man legt sich meinethalben um elf aufs Sofa und schläft einfach so lange, bis der Zeiger schon seit einer halben Stunden im p.m. steht. Dennoch, irgendwie fällt ‘Die Blechtrommel’ gegen Ende auseinander, es entsteht mir kein wirklicher Charakter. Oder wehre ich mich? Mutwillen aber kein Mut. Die Freundin des Freundes sehe kaum Filme, eher solche mit Superheroen, lesen käme kaum in die Tüte, sie sage dann immer, sie käme darin nicht vor. Ein mitnichten dummer Satz. Nach diesem Schläfchen kam ich mir vor, ein futterndes, ein vergeblich telefonierendes, ein die Nummer kontrollierendes, ein Ausflüchte für Ablenkungen davon suchendes Wesen, sich endlich fertigzumachen, um nicht mehr nur zu hausen. Am Ende schaffte ich es. Versteht sich. Als erstes kam ich an einem Markt für Dark-Bekleidung vorbei. Fühlte mich allerdings dark genug, um lässig daran vorbeispazieren zu können, denn dem Wiederholungstäter schwebte ein weiterer Mocha vorm Einstein vor. In der Sonne saß er da. Und da wurde alles Milchkaffeebraun und er mußte anders als die Frauen, von denen aber nur eine milchkaffeebraun war, ihm aber Eindruck machte, die vorm S-Bahn-Ausgang auf irgendwen warteten, der trotz gewisser Gedankenspielereien nicht ich war, nicht mal mehr auf sich warten. Eine somnambule Stimme am Handy, die ich überhaupt nicht verstand (die zuvor vergeblich angerufene Person) wegen der Straßenbahn, der bollernden Trolleys. Ich sagte nur, ich würde aus einer ruhigeren Straße wieder anrufen. Was dann auch geschah. Er, S., ehemaliger Ameriner, sei am Plötzensee, man könne sich aber um fünf an der Ankerklause am Landwehrkanal treffen. So war dann auch mein Privatgang perfekt: ich fuhr zur Endstation Hermannstraße, die ich zunächst ganz bis zum Hermannplatz zurücklegen wollte. Dummerweise irrte ich mich zunächst in der Richtung. Als ich eine mir völlig unbekannte Überführung erblickte, fragte ich endlich und mußte umkehren. Aber es blieb Zeit genug ein paar Straßen weiter kurz in die Nogatstraße einzubiegen und ein kleines Weilchen vor der Hausnummer 24 musternd stehenzubleiben. Da hatte ich sechs Jahre lang gewohnt. Natürlich nichts Vertrautes mehr. War ‘ne kleine Pflichtkür. Dann ab Leinestraße (der damaligen Endstation mit den Friedhöfen zu beiden Seiten, über denen damals noch Ami-Flugzeuge zur Landung in Tempelhof ansetzten; viele Rentner mit gelben Binden und drei schwarzen Punkten darauf; gelegentlich eine Gruppe Taubstummer, die sich gestikulierend unterhielten, und regelmäßig in der bereitstehenden U-Bahn eine Studentin, die die Taz lesend vor sich hin gluckste) wieder U-Bahn bis Hermannplatz, der Karstadt-Fassade wegen (dort stieg er immer um, nachdem er im Kaufhaus kurz die Büchertische durchgewühlt). Zu Fuß dann weiter bis zum Kanal. Sehr türkisch das Milieu, und nicht mal mehr vereinzelt. Endlich kam auch S., wir besorgten uns Bier und verbrachten ein paar Stunden plaudernd auf einer Wiese am Kanal, auf dem unterm Berliner Himmel, der heute Himmel war, Schwäne ihre Schnäbel fortwährend ins Wasser tunkten. Ein Ausflugsboot fuhr die Gesichter der auf dem vollbesetzten Oberdeck sitzenden Passagiere der Abendsonne entgegen. Dem Herrn der Unverbindlichkeiten sei stets gedankt, er beschert oft die besten Momente.

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