Arbeitsjournal. Sonnabend, der 27. Dezember 2008.

8.20 Uhr:
[Arbeitswohnung. Latte macchiato.]
Bis halb acht geschlafen; mein Bub schlief ab 23 Uhr auf seinem geliebten Lager am Boden, und er schläft n o c h. Ich schaffe Ordnung auf meinem sehr unübersichtlich gewordenen Desktop, es sind da lauter Dateien „vorübergehend“ abgelegt, die zugeordnet werden müssen, Bilder vor allem, aber auch Textanfänge, Korrespondenzen, sehr viele pdf’s. Da muß Durchsicht hin, ebenso wie auf dem realen Schreibtisch wieder. Der Junge, wenn er aufgewacht ist und gefrühstückt haben wird, möchte am Nebencomputer seine neue Playmobil-Ägypten-DVD durchgehen; installiert ist sie bereits. Wir werden dann unsere halbe Stunde proben und neue Stücke anfangen, die die Lehrerin aufgab; die Weihnachtsmusiken haben wir gestern abend ein letztes Mal zusammen gespielt. Danach, gegen Mittag, wird er Ans Terrarrium hinüber; ich werde mitradeln oder folgen, weil das Kinderzimmer umgeräumt werden muß, damit Platz für das große elektronische Drumset wird, das der Bub zu Weihnachten geschenkt bekam: jetzt wird er endlich auch Schlagzeug proben können, und die Nachbarn werden nicht gestört.
Ansonsten wurschtel ich an >>>> dem Gedicht weiter, bin da ins Stocken geraten. Immer noch steht die Steuer an und immer noch ist nicht mal wenigstens der Entschuldigungsbrief ans Finanzamt geschrieben. Und dann trifft heute abend der derzeit so stille Vulkan auf den, sagt man, >>>> feurigen Wind. Es wird, so oder so, eine spannende Begegnung werden, ich hab das Gefühl eines auch künstlerischen Richtungswechsels, der einzuschlagen wäre – auch wenn das selbstverständlich abermals meiner >>>> Grundbewegung einer Vereinigung der Gegensätze folgt. Vielleicht steht jetzt ein Ausbruch aus dem >>>> Formgefängnis an, und zwar, typischerweise, während ich daran noch baue. (Michael neulich am Beispiel Alma Mahlers über ***: „Solche Frauen sind enorm wichtig für die Kunstgeschichte, vergiß das nicht. Sie bringen Bewegung, Entwicklung, lösen Verkrustungen auf. Mach dir mal klar, wie viele Texte du letztlich ihr verdankst.“)
Und Αναδυομένη sms’t von ferne hinter den sieben Bergen.

8.48 Uhr:
Grad finde ich im Messenger die noch nachgesandte Bemerkung: „das wird sehr spannend…….ich spreche kein Hochdeutsch…”

-Upps, der Bub wacht grad auf.

:9.10 Uhr:

18.35 Uhr:
[Am Terrarium. Bach, Dritte Suite für Cello solo: Janos Starker.]
Schwere Entscheidung, vor der ich nun stehe. Habe den Tag quasi ganz mit dem Jungen verbracht, nicht gearbeitet, statt dessen sein Kinderzimmer umgebaut, so daß das elektronische Drum-Setz Platz bekam.Ist gut geworden so, sehr gut. *** meldete sich erst gegen fünf, war dann kurz nach fünf wieder daheim. Ich bin verunsichert, weiß nicht, wie ich das alles einschätzten, vor allem aber, ob ich mich auf ein solches Leben einlassen soll: den Kindern, auch den Zwillingen, Papa bleiben (meinem Jungen wäre ich es ja sowieso) und ein Familienleben führen, das ein Bündnis ist, die Kinder gemeinsam bis zu ihrem Erwachsenenleben zu begleiten, als Paar aber nicht vom Tisch, doch prinzipiell vom Bett getrennt zu bleiben. So etwas wäre leichter und wohl auch gut praktikabel, liebte ich nicht. S o aber heißt das, den Schmerz nicht nur annehmen, sondern auch wahren.
Ich habe vorhin diese buddhistische Übung versucht, als die Emotionen hochstiegen, mich neben mich zu stellen und zu beobachten, was sie mit mir tun. Das funktionierte ganz gut, aber es ist natürlich eine Form der Uneigentlichkeit. Bin jetzt wieder ruhig und neu melancholisch. Um neun treff ich den Profi >>>> in der Bar; der Feuerwind, von dem ich morgens schrieb, hat unser Treffen wegen einer kurzfristig anberaumten Studioaufnahme abgesagt, d.h. ins Neue Jahr hineinterminiert; wir telefonierten einen Moment: eine sehr helle, jugendliche Frauenstimme.

0.08 Uhr:
[Arbeitswohnung. Nach der Bar. Chick Corea, My Spanish Heart (Cass.-„Projekt“ Nr. 106).]
Die Freunde haben den Gedichtband geradezu, auf leise Art, gefeiert, so häßlich er auch aufgemacht ist. U: „Du liest nur einen Text, dann ist alles andere ganz egal.“ Der Profi: „Ich habe seit langem keinen Lyrikband mehr in der Hand gehabt, der derart sofort ins Innerste ging.“
Ich wußte nicht recht, was ich sagen sollte; ich blätterte nur immer wieder ein nächstes Gedicht auf, bis ich schließlich selber dachte, es sei gelungen.
Jetzt schau ich noch nach Mails.

4 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonnabend, der 27. Dezember 2008.

  1. „Übst du am Cello, ist das immer voller Melancholie. Nie ist das lustig, nie ausgelassen. Immer klingt es nach Trauer.“
    Ich sah sie an, sagte: „Das ist der Celloklang.“

    es ist vielleicht das, was bruno dumont mit der banalität meint: das ist der celloklang. nichts weiter. ja, genau.
    alles bekommt leicht bedeutung. jede relation wird aufgeladen, es gibt keine zufälle, alles erscheint schicksalhaft. beinahe jeder ist geneigt, mittels bedeutungszuschreibungen seine identität zu befestigen, dem ‘so sein’ einen sinn, eine geschichte zu geben, aber, wie so oft, es ist nur der celloklang.
    sein leben als roman betrachten, hieße vielleicht auch, sich von dieser banalität etwas vor augen zu führen, statt sie mit bedeutung aufzuladen, die den ausschnitt festlegt. aber, wie manchmal, passiert bedeutendes ganz out of focus, denke ich, wie diese dialogführung, die, wäre sie teil eines romans, wirkt, wie kleist es mal über c. d. friedrich schrieb: als wären einem die augenlider weggeschnitten: das ist der celloklang. mehr nicht. das selbst zu erkennen, denke ich, macht die kunst und hilft beim sein.

    1. @diadorim. Ich denke, daß Sie irren. Es ist n i c h t der Celloklang (weil es d e n Celloklang gar nicht gibt), sondern es ist die A r t, in der gespielt wird. Wäre dem anders, wir hätten nicht so viele Interpretationen desselben Stückes (trotz genauester Beachtung der Intonationsangaben). Wir lenken den Bogen über die Saiten auf je unsere eigene Art, und d a s schafft den speziellen Klang. Es ist nicht die Saite.
      Was Sie unter Bezug auf Dumont kommentieren, ist rein pragmatisch. Pragmatismus ist aber eine Form der Rationalisierung, d.h., es ist Abwehr. Enzensberger schrieb einmal, das Geheimnis sei, daß es keines gebe. Ich halte diesen Satz für dumm, wie vieles von Enzensberger, den ich doch hoch schätze. Das Selbst zu erkennen, heißt eben, mehr zu erkennen, als die pure Physiologie. D i e zu erkennen, ist banal; doch gebe ich zu, daß schon das den meisten Leuten große Schwierigkeiten bereitet, weil sie die Bedeutung v o r die Physiologie stellen. Es ist aber umgekehrt.

    2. ich denke, ich irre nur bedingt. will sagen, der dialog macht folgendes klar. jemand versucht aus der tatsache wie jemand cello spielt dessen charakter abzuleiten, dieser jemand aber wehrt sich in einem ersten impuls dagegen, indem er etwa meint, nein, es ist erst einmal nichts als die tatsache, dass ein cello vielleicht doch anders als eine e-gitarre klingt, wollte man, dass es wie eine solche klänge, nähme man wohl eher diese. will sagen, dem instrument wohnt vielleicht doch schon eine gewisse melancholie inne, und man muss es schon sehr gegen seine form und seine stücke spielen, um sie ganz ‘herauszustreichen’.
      der dialog ist ein lehrstück. ich finde ihn klüger als seine auslegung. denn ich glaube, sie irren, und zwar in dem moment, wo sie sich die bedeutung als universelle anzuerkennen bereit finden und abwehr dort annehmen, wo vielleicht bloß andere bewertung stattfindet. das geht auf eine weltsicht zurück, die mir immer noch mit einem nachmodernen erzählen, wie sie es mir anzustreben scheinen, unvereinbar scheint. oder, anders, wo sie vergessen, was es bedeutet, erzählen sie brilliant, wo sie es bereits wissen, erzählen sie erwartbar. ich kann es hier letztlich nur als erzählen auffassen, da ich nichts darüber hinaus kenne, deshalb klingt das vielleicht alles sehr pragmatisch und nüchtern und unterkühlt, angesichts einer lage, die man so, widerfährt sie einem an leib und seele, nicht betrachten kann. keiner. ich bitte das nicht falsch zu verstehen, aber es ist ihnen und vielen in ihrer lage und mit ihrem beruf eben auch das fleisch zum textkörper. darum.
      das geheimnis ist, dass es mehr als ein geheimnis gibt, und manchmal so viele, dass es genau so gut auch keins geben bräuchte, denke ich. ein wunderbares lehrstück darin sah ich zuletzt mit ‘burn after reading’.
      sie wollen die geschichte so erzählen, weil sie sie so für wahr halten. ich denke aber, ein autor erzählt eine geschichte dort gut, wo er ein für wahr halten mit dem erzählen verräumt. so vielleicht.

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