Arbeitsjournal. Donnerstag, der 2. Oktober 2008.

4.59 Uhr:
[Am Terrarrium.]
Gestern abend noch mit dem Profi zusammengesessen, diesmal wieder im >>>> Prater; ich war schwankend, ob ich die Fahrt zur >>>> Bar noch unternehmen wollte; er hatte eh Lust auf Tapetenwechsel und war dann völlig begeistert von dem horen-Band, den er im Eilflug durchlas, wenigstens anlas; aber er hat diese Fähigkeit, mit den Augen über Seiten zu huschen und nachher referieren zu können, was im Text steht. Ich erinnere mich einer Lesung aus dem >>>> Sizilienroman in der seinerzeit noch existenten Galerie Mora; der Profi kam zu Beginn, kaufte ein Buch, verschwand wieder. Quasi mit dem Gongschlag zum Abschluß der Lesung war er wieder da, nach etwa anderthalb Stunden, heißt das, und hatte das ganze Buch gelesen. Er war sogar über Details bestens informiert.
Gut. Begeisterung jetzt, über die Aufmachung sowieso, auch * zog die Luft zwischen die Zähne, als sie das Cover sah, Begeisterung aber auch über manche Sätze der Autoren; meine eigenen Sätze ließen ihn eher kalt – etwa den, den ich liebe und den Tammen oder Schnell aus dem Wust der ihnen von mir überlassenen Typoskripte herausgesucht und neben anderen mit vorabgedruckt haben: „Da sie sich schminkte, waren noch Reste von Menschheit in ihr.“

Ich bleibe heute morgen hier und fahr dann erst wieder gegen halb sieben/sieben in die Arbeitswohnung hinüber; es hat sich gestern so mit den Zwillingen bewährt, und arbeiten kann ich ja auch gut am Wohnzimmertisch; nur Musik darf ich nicht hören, weil ich mitbekommen will, ob und wenn die Kleinen aufwachen. – Um 11 bin ich in Charlottenburg zur Cellostunde, um 14.45 Uhr ist mein Junge abzuholen, der von der Klassenfahrt heimkommt. So wird der Tag mal wieder etwas durcheinandrig. Aber nichts drängt, wenn man mal vom Geld absieht. Ah ja, ich vergaß zu erzählen, daß >>>> die Stundung beschlossen ist. Allerdings findet sich in dem Beschlußschreiben ein heiterer Satz, den ich Ihnen nicht vorenthalten, aber nach dem Original zitieren möchte, weshalb ich ihn erst später abtippen und das Zitat an der richtigen Stelle einstellen werde.

Des weiteren. Wieder Sorgen wegen des aus dem Ruder gelaufenen Jugendlichen; ich hatte davon erzählt, will das nicht vertiefen, sowohl aus Persönlichkeitsrechts- wie anderen Gründen; jedenfalls muß und will ich von heute abend an drei Tage lang dort drüben nach dem Rechten sehen, abends, und dem, was vielleicht recht nicht mehr ist. Mir geht die Angelegenheit furchtbar nah. Der Junge ist 14 und hängt am Alkohol und auf der Straße, wie nicht zu bändigen, „ich bin ein Punk“, sagt er und hat bereits das erste schlimme Strafverfahren am Hals. Ratlosigkeit, allgemeine Ratlosigkeit; wenn der Junge klar ist, dann sitzt er bei den Eltern und weint und möchte Hilfe. Gibt man sie ihm, rückt er aus und kehrt betrunken zurück. Mir erzähle bitte noch einer, daß die Jugendschutzgesetze wegen Alkohols auch nur i r g e n d einen Sinn haben: sie kurieren an den Symptomen und lassen die Ursachen blühen. Imgrunde sind sie nichts als bigott.

7.11 Uhr:
[Arbeitswohnung. Händel, The Triumph of Time and Truth.]
Schon rührend in seiner >>>> von wikipedia hintertragenen Banausigkeit, daß Jimi Hendrix, der eine Zeit lang neben Händels ehemaligen Haus in London lebte, als er davon erfahren habe, sich Händel-Aufnahmen besorgte… je nun – und was? man faßt es nicht: Messias und Wassermusik. Pop halt. Dabei sollte, wer wirklich etwas über eine Kunst erfahren will, zuerst nach scheinbaren Nebenwerken greifen, eben n i c h t nach Lolita bei Nabokov, sondern nach Ada; eben nicht nach dem Messias bei Händel, sondern nach Lotario und Theseus und Semele.

Fencheltee. Was Sie nicht wissen, ist, daß meine großen, ja wüsten Produktionsphasen, WOLPERTINGER, THETIS, immer von Tee begleitet waren, Kaffee und latte macchiato sind Morgengetränke; die Tees (eigentlich sind es Sude) haben den Vorteil, das man sie unbegrenzt trinken kann und darf. In einer Art von magischem Kinder-Denken brühe ich mir jetzt täglich drei bis vier Kannen auf, um die Produktionslust anzuheizen. Sollte das funktionieren, wäre es selbstverständlich nicht magisch, sondern das Ergebnis einer reaktivierten Konditionierung. (Außerdem ist ein grippaler Effekt im Anmarsch; ich niese mir vielleicht was zurecht…)
In anderthalb Stunden setz ich mich an mein Cello; bis dahin: Dritte Bamberger Elegie ff.

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