5.19 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Es war keine gute Idee gestern, ein Arbeitsjournal – wenn überhaupt – erst n a c h der Arbeit zu führen; ich kam in die nicht hinein. Quälend ging es Zeile um Zeile, völlig uninspiriert, aber eben auch nicht mit lockerer Routine; ein paar Zeilen sind zwar, glaub ich, geglückt an dieser wiederneuen Überarbeitung der BAMBERGER ELEGIEN; unterm Strich aber hatte ich gestern das ziemlich dräuende Gefühl, das Buch abermals verschieben zu müssen, weil nämlich das, was ich meine, das es werden könnte und werden würde, immer noch nicht erreicht ist, ich aber grad nicht die Kraft oder sonstwas habe, Einfälle, Formideen, es auch hinzukriegen. Außerdem überkam mich ein derartiger Testosteronschub, daß ich mit aller Dominanz in die Chats ging, und selbstverständlich blieb „was hängen“… nun, eher nicht, jedenfalls der nicht… zweidrei die aber schon… was mich dann g a n z aus dem Gerück brachte; kurz, ich erlegte einiges Wild und sah ihm dabei zu, wie es genoß, daß ich’s ausweidete. Das ging denn auch statt des nötigen Mittagsschlafes hin und hin und immer weiter, den ich dann erst um 15 Uhr antrat, so daß der Rest des Tages imgrunde nur noch substanzlos verflog, von testosteronen Substanzen mal abgesehen, und ich schließlich so gut wie überhaupt nichts getan, mich also auch nicht um die Rechnungen, sonstige Post, geschweige um die zu verschickenden CDs usw. gekümmert hatte. Dieser Schub, der in mir dann immer auch gleich, laß ich ihn durchbrechen (besser: läßt er mich ihn sich durchbrechen, das ist genauer), die kräftigsten dominanten Fantasien in Fahrt bringt, die von einer Familie mit Kindern besser ferngehalten werden, war von einer solchen Strömung angetrieben, von einer solchen Wildwasserheit, daß ich nicht einmal richtig ans Cello mochte. Das überdies seit meiner letzten Unterrichtsstunde einen leicht quälenden Charakter angenommen hat; ich hab nämlich Schwierigkeiten, nach dem vorgegebenen Takt zu spielen, werde je nach Gusto und innerem Ohr mal schneller, mal langsamer, musikalisiere sozusagen selbst, „Sie solln nicht schon wieder komponieren, sondern spielen, was dasteht“, sagt meine Lehrerin… – also probiere ich, nach Metronom zu spielen. Was überhaupt nicht klappt, oder nur schlecht. Das wiederum bedeutet: ganz zu den Anfängen, ganz zu den einfachsten Kinderstückchen zurück, die möglichst nur aus ganzen und halben Noten bestehen, sie zum Klacken des Metronomes nachspielen, wie eine Maschine, dreimal, sechsmal, bis es einigermaßen klappt, siebenmal, achtmal. Es klappt aber nie oder nur selten und nie über ein ganzes Stück hin. Das macht mich rein fuchsig und nimmt die Lust aus dem Spiel. Andererseits kenn ich solche Phasen auch aus der Arbeit an den Romanen ganz gut, oder jetzt bei den Elegien: es ödet einen schrecklich an, es hat was Widerwärtiges auch, aber man muß da erbittert durch, es sind Exerzitien, von denen man, h a t man sie durchgehalten, später, ist der Roman fertig, gar nichts mehr merkt (und merken auch nicht soll, logo). Daß diese Phasen beim Erlernen eines Instrumentes ganz besonders nachdrücklich quälen, scheint mir auf der Hand zu liegen; man spielt ja nicht, was man will, anders, als wenn man einen Roman schreibt oder ein Gedicht schreibt, sondern hat sich dem zu fügen, was vorgegeben ist. Genau mit sowas hab ich seit je meine Probleme gehabt. Ich werd aber weiterexezieren, nachher, stur, von acht bis neun Uhr, dann wieder an den Elegien arbeiten, dann exerzieren von, sagen wir, elf bis zwölf; zwischendurch die CDs fertigmachen und alles zur Post bringen und von der Post endlich auch das Einschreiben abholen, dessen Eröffnung ich mit höchst unguten Gefühlen entgegensehe.
Gestern abend dann in >>>> die Sendung reingehört; eine sehr schöne Anmoderation hat die Redakteurin geschrieben; und auch beim nochmaligen Hören, nach etwas Abstand, funktioniert das Hörstück gut, sogar über die Laptop-Boxen, auch wenn die meisten musikalischen Feinheiten darin untergingen (und ich wußte von ihnen, konnte also auf sie hinhören; das wird bei „normalen“ Hörern anders sein). Damit immerhin war ich denn zufrieden. Mit dem Tag, insgesamt, nicht. Aber jemand, die die Sendung gehört hatte, schrieb mir danach eine sehr schöne Mail.
8.39 Uhr:
Die Getriebenheit ist noch nicht zuende. Die Frage aber ist ja doch, ob und wie sich ein radikales Leben mit Verantwortlichkeit vereinen läßt, ja mit der Liebe selbst? Und bis zu welchem Grad? Diese Frage ist vom Individualismus nicht zu trennen; Kulturen, die ihn nicht kennen, >>>> kennen das Rad nicht, auf das es mich flicht.
Ans Cello. Keine Zeile an den Elegien, nur dieses Gedicht… also das, worüber es mich heute früh unausgesetzt nachdenken läßt. Ich habe eine Tendenz dazu zu schreiben: „über das man mich nachdenken läßt“.
14.51 Uhr:
Tief geschlafen. Der Kommentar >>>> dort hat recht und unrecht. Ich werde die abschließenden vier Zeilen in Klammern setzen, denn g a n z entbehrlich sind sie nicht, weil sie eine wiederhergestellte Ruhe anzeigen, auch wenn sie nur vorübergehend ist.
Jetzt zur Post und die >>>> CDs wegbringen.
16.49 Uhr:
Die CDs sind weg. Und das Einschreiben, in dem ich eine weitere nicht bezahlbare Rechnung ahnte, hat sich als die Sendung der Fahnen herausgestellt, die ich eigentlich umgehend für das Buch korrigieren muß, das der >>>> Manutius Verlag aus den Heidelberger Vorlesungen herausbringen wird; ich seh sie mir aber erst heute abend an. Dafür hab ich die letzte Stunde mit etwas eher Traurigem zugebracht:
Ich muß was nach vorn zur Tür bringen, stolperte, weil hier alles so eng ist, rutsche, der Cellobogen fällt, ich fang mich, aber breche ihn dabei am Frosch. Jetzt habe ich versucht, ihn zu reparieren, mit Sekundenkleber und fest umwundenem Klebeband. Es sieht nicht schön aus, scheint aber zu funktionieren. Selbstverständlich muß ich den (geliehenen) Bogen ersetzen, nur hab ich momentan ja nun wirklich mal wieder überhaupt kein Geld. Also muß es erst einmal s o gehen. (Ich stellte mir vor, daß es vielleicht Cowboys auch schon so gegangen sei, wenn sie unterwegs waren im Treck… und dann reparierten sie ähnlich. Ganz sicher. Und spielten abends froh wieder auf. – Mit sowas halt ich dann meine Laune in einigermaßen erträglicher Stimmung. Ich Pechvogel ich.) Und keine neue Zeile in den Elegien weitergekommen.