Picassos Mantra. 17.04.2008. Paul Reichenbach und “Guernica”.

Die Sonne hatte sich ihr zugewendet,
am Morgen der Geburt, wo alles endet.

Wie in der Lyrik, so auch in der Malerei. Bilder können wie Mantren oder Suggestionsformeln wirken. Ihr dialektisches Spiel von Form und Inhalt spricht Tiefen im Bewusstsein der Menschen an, die sich die Kunst des Sehens angeeignet haben. In Ausstellungen kann man beobachten wie der Akt des Sehens sich bei Betrachtern von Gemälden in ihren Köperhaltungen widerspiegelt. Wer genau hinschaut wird bei Galeriebesuchern Kopfneigungen, Hand und Fußstellungen beobachten können, die denen wichtiger Figuren auf dem geschauten Bild ähneln. Gute Kunst ist immer suggestiv, und als solche, auch das muss festgestellt werden, wirkt sie affirmativ. Ein Bild wie Picassos >>>>”Guernica”, dessen Entstehung einem Verbrechen geschuldet ist, verliert seine anklagende Form, wird reine Kunst, umso mehr wir uns darin vertiefen. Wer die vorbereitenden Skizzen Picassos zu diesem Gemälde kennt, die schreiend die Zerstörung von Guernica und seiner Menschen im Detail abbilden, der wird im Gegensatz dazu das eigentliche Bild als ein ästhetisches Fest der Malerei empfinden. Das Bild baut keinen Impuls, keinen Abscheu, keinen Ekel gegen den Bombenkrieg auf, der in den Skizzen noch evoziert wird. Die Darstellung ergreift uns, aber das Ereignis vermittelt sich nicht.
Die kompositorische Schönheit des Werkes, seine mythologische Hintergründigkeit zieht in seinen Bann und lässt uns die Anklage vergessen. Bilder, gleichgültig was sie zeigen, verherrlichen. Ästhetischer Genuss kennt keine Negation.
Bilder sind eigentlich Mantren.

>>>>Bildquelle: Picasso “Guernica

13 thoughts on “Picassos Mantra. 17.04.2008. Paul Reichenbach und “Guernica”.

    1. Ich bin fast sicher, dass der Maler, abgesehen vom Anlass, beim Malen auch eigene Aggressivität reflektiert hat.

    2. Die Betrachtung eines Bildes fordert vom Betrachter immer diese und diese Seite zu sehen.
      Ja so kommt mir dieses Gemälde als eines der ehrlichsen Picassos entgegen, als eines der klarsten in seinem Klang und Komposition. .Die Unmittelbarkeit kann nur aus eigenem Erleben und Nachvollziehen in ein Werk gebracht werden, denke ich.

  1. genuss Die Figur rechts, das Pferd vor allem, habe ich schon als Kind als Bilder des Grauens wahrgenommen. Das Chaos in der Mitte, das, statt die Gewalt von oben zu bezeichnen als eine sich über die Szene hinweg wälzende Gewalt zeigt. Auch aus dieser sogenannt reinen Kunst, ist die “Anklage” nicht eliminiert. Nur genügen dem Künstler, wo andere vielleicht mit detaillierten Massakerszenen aufwarten, wenige exakt gesetzte Chiffren. Mit dem Durchlauf von Realität und Erfahrung durch das Künstlerhirn gehen Vermittlungen und Metamorphosen einher, deren Ergebnisse nicht mit Ästhetisierung kurzzuschließen sind. Auch Bilder müssen gelesen – besser noch: gesehen werden. Erfordert halt manchmal Geduld.

    1. Das Grauen ist nicht eliminiert, das sehe ich genau so wie Sie. Die Ästhetisierung hebt es ins Allgemeine und lässt seinen Ursprung, den Anlass, vergessen. Wir müssen ihn nicht wissen, wenn wir uns Picassos Bild nähern.

    2. das grauen ist für mich in diesem bild zwar auch nicht eliminiert- aber diese neue sehweise der ästhetisierung stimmt mich nachdenklich. da haben sie recht- ist mir bis dato nicht aufgefallen.
      vielleicht schleicht sich dieser eindruck dadurch ein, dass die formen so stark geometrisiert vereinfacht sind, dass die farben fast aalglatt etwas in szene setzen, überschaubar (kubstisch- beinahe an spielzeugbausteine erinnernd) geschichtet, was doch eigentlich schmutzig, blutig, chaotisch und fassungslos erschien bzw. erscheint. eine scheinbar überschaubare szene, die endlichkeit, lösbarkeit (?) suggeriert, obwohl der schrecken eigentlich gar kein ende bedeutet- weder im bild, noch in der realität der damaligen- noch der jetzigen zeit- aus der sicht der opfer und mitfühlender Menschen…
      das bild, der schrecken der realität wirken weiter. und ich schätze, dass man vor dem großformatigen original stehend, einige positionen revidieren würde… in voller größe wird das endlich scheinende einer kleinen reproduktion realiviert.
      ich sehe es auch so, dass picasso verallgemeinerte, leid, gewalt und krieg universell darstellte- ohne beliebig zu werden, denn spanische symbole mit dem stier und einiger anderer elemente sind nicht unter den tisch gefallen.

    3. Ästhetisierung Mir wird nie richtig klar, was mit dem Begriff Ästhetisierung gemeint ist. So wie er in diesen Zusammenhängen (auch in der Litell-Diskussion) benutzt wird, ist es ein abwertender Begriff, als würde die Thematisierung eines markanten Ereignisses in einem Kunstwerk eine Abmilderung, Verklärung, Verschönerung – im Extremfall Verkitschung bedeuten. Wo es sich tatsächlich um Kunst handelt, und nicht um die ideologische Nutzbarmachung eines Ereignisses, schließt es sich von vornherein aus, dass der Stoff instrumentalisiert werden könnte. Das Kunstwerk, und das gehört für mich sowohl zu dessen Defition als auch dessen Berechtigung, zeigt etwas, das vorher, etwa auf puren Dokumenten, nicht zu sehen war. Stellt Zusammenhänge her, die das Dokument nicht herstellen kann, vor allem aber intensiviert das Kunstwerk die Wahrnehmung seines Gegenstandes durch die Verdichtung verschiedener Bedeutungsträger.
      Das Ästhetische ist Effekt von Kunstwerken und nicht die Ästhetisierung.
      Sicher kann man das Picasso-Bild anzweifeln und angreifen. Dann aber wäre es in seiner Eigenschaft als Kunstwerk und anhand der Kriterien, nach denen es als Kunstwerk rezipiert werden will, zu dekonstruieren.
      P.S. Natürlich ist das Format inklusive aller anderen medialen Konstituenten (Gemälde) die Basis, auf der das Bild sich erst beurteilen lässt.

    4. Ästhetisierung, lieber Herr Hurka, wo haben sie denn das her, ist für mich kein abwertender, kein verkitschender Begriff. Picassos Kunstwerk greift hier niemand an. Im Gegenteil. Sie selbst haben von ihrer Wahrnehmung als Kind gesprochen und bestätigen damit meine Aussage, dass Kunst ohne Kenntnis ihres Anlasses bewegen kann. Ein anderes Beispiel. El Lissitzky oder Rodtschenko, die Rosta-Fenster. Zu ihrer Zeit reine Agitation, und doch haben sie, wegen ihrer Ästhetik, den Weg in unser kulturelles Gedächtnis gefunden. Betrachtet man sie, – ihr zeitgebundener ideologischen Ballast, ich bedaure das, ist längst vergessen, – dann ist es eine reine Freude oder Genuss ihre ästhetische Aufteilung von Flächen z.B. zu studieren, zumal der didaktische Humor – Humor ist ein großer Ernst von innen – , der diesen Propagandawerken innewohnt, sich von anderen vergleichbaren Massenwerbungen jener Zeit deutlich abhebt. Viele ROSTA-Fenster sind für mich große Kunst, unabhängig davon was sie einst bewirken wollten.
      Von Leni Riefenstahls Olympia-Film oder Eisensteins „Panzerkreuzer“ will ich gar nicht erst reden. Derartige Kunst notiert im Nachhinein, wenn der Zeitenlauf sie ihrer Funktion beraubte, keine Moral. Die Werke bedürfen ihrer nicht. Sind sich selbst genug. Gleichgültig welche Wertungen wir damit verbinden.

    5. @tja Danke für den Einwurf. Sie haben recht, denke ich, wenn sie auf die Form verweisen und an die ästhetische. Verfremdung erinnern. Das Bild hat dadurch ewige Aktualität.

    6. @reichenbach Wenn man den historischen Gehalt aus dem Kunstwerk herausdestilliert, bleibt ein entkerntes Kultobjekt zurück, gut genug, um Busladungen von Touristen davor auszuschütten. Fetische einer Kunstreligion.
      Der Kontext eines Kunstwerkes ist bei der Rezeption mitzusehen, mitzudenken, und genau da trennt sich El Lissitzki von Riefenstahl. Die Werke von El Lissitzki und Eisenstein waren getragen von der Hoffnung auf eine bessere Welt, einer aktuell in der Verwirklichung begriffenen Utopie, während Riefenstahl – auch Breker – ihre produktiven Kicks aus der Aussicht auf Größe, die Reanimation Deutschlands für die Weltpolitik, bezogen. Riefenstahls kultureller Kontext war die sogenannte entartete Kunst und ihr Werk der Gegenentwurf, worüber die handwerkliche Virtuosität nicht hinwegtäuschen kann. Das sog. Entartete war das Zerrissene, Expressive, Fragmentierte, Geisteskranke, das Riefenstahl mit Phantasmen der Gesundheit, Ganzheit und des Heroismus konterte. Hierin übrigens auch ein fundamentaler Unterschied zu El Lissitzki, dessen Plakate auch immer etwas Fragmentiertes behielten.
      Auf die Form, das Formale, als Kriterium lässt es sich nicht so einfach zurückziehen, angesichts des Stoffs, der, ist er erst einmal in Bewegung geraten, seine Eigendynamik entwickelt und von sich aus die künstlerische Form nicht nur sucht, sondern geradezu erzwingt. Die Form ist dem Stoff nichts nachträglich Implementiertes bzw. Supplementiertes.
      P.S. Dafür, dass ich Ihren Ästhetisierungs-Begriff zu schnell, d.h. oberflächlich akkomodiert habe, bitte ich um Entschuldigung.

    7. wirkung eines kunstwerkes ich denke, ein kunstwerk sollte auch bereits ohne hintergrundwissen über den entstehungsprozess, zu dem auch die motivation des künstlers, konkrete anlässe, ziele und verarbeitete realitäten, die immer in irgendeiner art und weise verdichtet, d.h. (persönlich) symbolisch umgesetzt wurden, für sich allein stehen und wirken können.
      das betrifft die einfachste stufe der kommunikation. das darin nicht alles zu finden ist, liegt auf der hand. ich denke auch nicht, dass damit der prozeß von sehen, verstehen und genießen abgeschlossen ist.
      mitunter geht das interesse an den tieferliegenden schichten verloren, wenn der abstand für den betrachter zu groß erscheint (fehlendes wissen, fehlende persönliche reize, fehlende anknüpfungspunkte usw.). das hat allerdings gar nichts zwangsläufiges für aussagen zur qualität eines werkes. genauso, wie man nicht alles verstehen kann, was ein mensch verbalisiert oder nonverbal ausdrückt, erschließt sich ein kunstwerk niemals restlos oder problemlos. ich liebe einen menschen auch mit seinen schwächen- ich kann ein werk auch mit seinen schwächen, unebenheiten, harten kanten, unverständlichen elementen lieben. und was der eine als schwäche auslegt, darin sieht ein anderer gerade stärke. eine allgemeingültige wahrheit hat kein mensch gepachtet- immer bleiben fragen zurück. das hält uns in bewegung.

      die verantwortung des künstlers für sein werk sehe ich ähnlich. die riefenstahl hat es sich in meinen augen etwas zu einfach gemacht- sie stellte sich im nachhinein dumm, als hätte sie rein künstlerische interessen verfolgt und von politischen zusammenhängen zwischen ihrer kunst und der politik der nazis nichts gefährliches entdecken können. ich verurteile sie nicht dafür, dass sie mitläufer war, dass sie an der bestmöglichen inszenierung menschlicher schönheit interessiert war- aber die absahnerin, die hinterher leugnet. ich verurteile sturheit, tunnelblick und bedaure ihre selbstverarschung bis zum schluss. den hut ziehe ich vor künstlerischen leistung- die ich nicht von verantwortung abkopple. auch picasso, kollwitz u.v.a. künstler zeigten eine kopplung von verantwortung und kunst.

      ich denke gerade darüber nach, ob die ablehung der eigenen verantwortung für ein werk, den schöpfer nicht automatisch auch zum potentiellen täter macht… auf einem anderen blatt steht, inwieweit man mögliche folgen voraussehen kann…

  2. Lieber Paul Wer die Welt, die Kunst nur phänomenologisch betrachtet, sie ihres historischen Kontexts entledigt, wird sich sehr schnell an der Seite von Gesindel befinden, dass ihn schon wegen eines aus ihrer Gemeinschaft ausbrechendem falschen Atemzugs bereit ist zu erschießen. Dies, lieber Paul, sei Dir ins Stammbuch geschrieben. Wenn Du aus Picassos Bild, zwar ergriffen, keine Klage und Anklage mehr wahrnehmen kannst und Dich mit Uns verwechselt, dann belass es wenigsten beim ICH, deinem Ich. Auf dem Altar postmoderner Beliebigkeit, der Dich dazu verführt hat, wie ich leider feststellen muss, eine sich dumm stellende Kuh wie Leni Riefenstahl in gleichem Atemzug mit Eisenstein, El Lissitzky und Rodtschenko zu nennen, opferst Du all das, was Goethe mit Gutem, Wahrem und Schönem bezeichnete. Ich gehe völlig d’accord mit Herrn Hurka. Und empfinde tja’s Gedankenanstoss, den ich als Aufforderung über das Verhältnis von Kunst und sozialer Verantwortung nachzudenken interpretiere, als einen höflichen Hinweis dein ästhetisches Bewusstsein mit Geschichte zu füllen. Noch immer, gleich wie die Zeiten laufen, gelten für mich Marx und Engels Sätze aus der „Deutschen Ideologie“ „Wir kennen nur eine einzige Wissenschaft, die Wissenschaft der Geschichte. Die Geschichte kann von zwei Seiten aus betrachtet, in die Geschichte der Natur und die Geschichte der Menschen aufgeteilt werden. Beide Seiten sind indes nicht zu trennen; solange Menschen existieren, bedingen sich Geschichte der Natur und Geschichte der Menschen gegenseitig. Die Geschichte der Natur, die sogenannte Naturwissenschaft, geht uns hier nicht an; auf die Geschichte der Menschen werden wir indes einzugehen haben, da fast die ganze Ideologie sich entweder auf eine verdrehte Auffassung dieser Geschichte oder auf eine gänzliche Abstraktion von ihr reduziert. Die Ideologie selbst ist nur eine der Seiten dieser Geschichte…“

    Kunst – lieber Paul, ist auch nur eine Seite dieser Geschichte, unabhängig davon wie Ihre Schöpfer dazu stehen mögen.

    P.S. >>>>H i e r hattest Du schon einmal bessere Einsichten.

  3. ‘Du sollst Dir kein Bildnis machen…’ Dazu fällt mir ein Tagebucheintrag Benjamins ein:
    “Brecht gestern abend: Daran kann nicht gezweifelt werden – die Bekämpfung der Ideologie ist zu einer neuen Ideologie geworden”. (26.Juli 1938)
    Besteht die eigentliche Crux nicht darin, Mittel zu finden, wie eben dieser Ideologisierung der Ideologiekritik vorgebeugt werden kann?
    Der allgemeine Verblendungszusammenhang erfasst doch alles und jeden und vielleicht ist das mittlerweile wieder auf dem absteigenden Ast befindliche ‘anything goes’ einer schal gewordenen Postmoderne schlichtweg eine Reaktion auf die Unmöglichkeit, vom ‘falschen Bewusstsein’ n i c h t okkupiert zu werden: Wenn schon ‘falsches Bewusstsein’, dann aber bitte nicht als ‘Festschreibung’, sondern lieber als dessen Fortschreibung: Es gibt das ‘richtige Bewusstsein‘ nämlich gar nicht! Was es allerdings gibt, ist das ‘falsche Bewusstsein‘, dessen Wahrheit sich wandelbar in der (ästhetischen) Erscheinung offenbart. Der Schoß der Ideologie – soviel scheint festzustehen, lieber Herr Reichenbach, – ist denkwürdig unfruchtbar geworden.

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