Von der politischen Seele. Simon Boccanegra an der Deutschen Oper Berlin. (Repertoire).

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“s i e, wahrscheinlich, wird die Politik fortan bestimmen)… als ahnte er, der über die Kapitalkräfte verfügt, solche Männlein unmerklich zu führen, aber möchte das nicht (mehr ), daß nun eine Zeit politischer Zerrissenheit anfangen wird. Es ist – das ist ein Element des politisch …”

Bei allen (wenigen) Mätzchen, die Lorentzo Fioronis Inszenierung von 2006 immer mal wieder entgleiten läßt… dies war gestern ein großer Abend. Und das nicht nur der ausgezeichneten Sänger wegen, die ihre Partien fast durchweg mit leidenschaftlicher Kraft intonierten – der stahlklare Baß Roberto Scandiuzzis allem voran, die gebrochene Präsenz Alexandru Agaches; allein Piero Terranova fiel zwischen den Männern ein wenig ab, doch nicht an Schönheit, sondern an stimmlichem Durchsetzungsvermögen, was aber nun wieder zu seiner Rolle des intriganten Albiani sehr paßt. Persönliche Verstrickung, meist amouröser Natur, mit Macht- und Herkunftsinteresse bestimmt die Geschicke nicht nur der Personen, sondern der Politeia insgesamt. Das ist die Botschaft. Boccanegra wird ja zu einem homo politicus reinsten Wassers und ist es doch nur einer vergeblichen Liebe wegen geworden; er ist, von seinem Korsarentum her eigentlich autoritär geprägt, zugleich ein Mann aus dem Volk und wird als solcher zum Demokraten, wohinein bei Verdi vor allem die italienische Einigung spielt und die dringende Notwendigkeit, untereinander Frieden zu schließen. Doch wenn Boccanegra die Patria beschwört (ungemein zwingend in seiner Friedensarie, die ihn der Regisseur vor dem Orchestergraben in der ersten Publikumsreihe ins Publikum hineinsingen läßt), antwortet das Genueser Volk doch immer noch und meint den eignen Gürtel allein: La nostra Patria è Genova. In die eigentliche Zeit der Handlung gehört das gar nicht, die in der Spätrenaissance spielt, aber von Verdi, einem für Komponisten ungewöhnlichen homo politicus selbst, für seine Gegenwart durchweg gemeint war: die Oper ist mitten in den italienischen Einigungsprozeß gestanzt.
Dem folgt die Inszenierung, die die Szene von einer riesigen Lokomotive beherrschen läßt; überhaupt bestimmen den frühen Hochkapitalismus bezeichnende Sujets bis in die Kostümwahl die Regie; der einem alten Geschlecht entstammende Fiesco wird zum von Boccanegra entmachteten Stahlmagnaten, Gabriele Adorno zu einem bürgerlichen Widerstandskämpfer usw. Das ist in sich völlig stimmig, verkennt aber ein wenig die Herkunfts-Tragik solcher Figuren; man nimmt ihnen sozusagen die Geschichte weg, die ihre Handlungen plausibel macht. Denn ginge es nur um Macht, wäre das hinter Fiesco stehende Kapital von stärkerer Wirkkraft, als die Oper das in ihrem Geschehen psychologisch zulassen kann. Immerhin geht es um die – sterbende – Idee der Aristokratie. Boccanegra selbst hat ja letztlich nicht mehr hinter sich als ein bestechbares und für die eigene Wahl auch bestochenes, wankelmütiges Volk, weshalb er als Doge letztlich Demokrat gar nicht sein kann. Wie sehr ihm dieser in den Strukturen liegende Widerspruch zusetzt, zeigt ein kleines, von Fiorino ausgesprochen klug erfundenes Bild am Ende des Ersten Aktes. Nachdem er hat seinen „Berater“ und zugleich Günstling Albiani, der schließlich zum intriganten Widersacher wird, das Urteil über sich selbst sprechen lassen und nachdem ihm insgesamt die Widersprüchlichkeiten bewußt werden, in die er sowohl persönlich wie politisch geraten ist, will er nur noch ins Bett, und wirklich legt er sich hinein und zieht sich vor dem ganzen versammelten Volk die Decke über seinen Kopf. Das ist einer der ausgesprochen genialischen Momente dieser Inszenierung. Ein weiteres solches Moment spielt die vor Augen geführte Zeit. Die Handelnden altern wirklich, man bekommt den Zeitraum der zwischen Prolog und Erstem Akt verstrichenen 25 Jahre fühlbar in die Haut. Wie schnell die Protagonisten aber dann zwischen Erstem und Zweitem Akt altern, das ist fast schon schaurig – wie die inneren Konflikte, politische und persönliche, sie mitnehmen, sie ausmeißeln, sie ausdörren, und wie dem die Sänger ihren ungemein persönlichen Ausdruck geben.
So etwas wird mit Pathos erzählt. Simon Boccanegra ist eine pathetische politische Oper, sie hat neben und mit ihrem tiefen, samtigen Melodiereichtum das Pathos der großen Volksversammlungen, der Einheitsbegeisterungen, die ja Freiheitsbegeisterungen waren und nicht etwa dikatatorische. Davon gibt einen enormen Nachhall Fiescos Proklamation des neuen Dogen Adorno nach Boccanegras Gifttod, wenn das Volk dann ruft: „Nein! Boccanegra ist unser Doge!“ und Fiesco resigniert nur sagen kann: „È morto“ – als würde er ahnen, welch einen schwachen, zerrissenen Dogen der Mann seiner Enkelin nunmehr abgeben wird ((s i e, wahrscheinlich, wird die Politik fortan bestimmen)… als ahnte er, der über die Kapitalkräfte verfügt, solche Männlein unmerklich zu führen, aber möchte das nicht (mehr ), daß nun eine Zeit politischer Zerrissenheit anfangen wird. Es ist – das ist ein Element des politisch Tragischen, das speziell diese Oper auszeichnet -, als wäre mit dem Feind auch die eigene Lebenswelt zugrundegegangen. Das ist sie in der Tat. S i e ist morto.
Renato Palumbo dirigiert das Stück ausgesprochen flexibel und zugleich mit einem so leidenschaftlichen Engagement, daß es gar nichts ausmacht, wenn mal hier, mal dort ein kleiner Verspieler zu hören ist; im Gegenteil, das befeuert die Musik nur noch. Er hat ständig sein Ohr auch bei den Sängern, ein Belcanto-Mann durch und durch. So daß man über die Mätzchen, die es in der Inszenierung eben a u c h gibt, traurig wird und nicht etwa ärgerlich ist. Wozu muß Boccanegra in der Wiedererkennungsszene, wenn er – ein wunderbarer Einfall – psychisch eigentlich schon entmachtet, weil seine Hoffnung sich zu verwirklichen scheint, auf die Bank am Rifugio sinkt und singt: „Wenn ich jetzt umsonst zu hoffen beginne, dann möchte ich sterben“ – wozu muß man ihn da sich sein Gewehr an die Kehle setzen lassen? Und weshalb, wenn man schon „modernisiert“, wird der Chor, um das aufbegehrende Volk darzustellen, in punkige Klamotten gesteckt, die einen an albernes Getreibe zum Karneval erinnern? Die Leute wirken doch bloß noch hausfrauig dann, das ist geradezu peinlich geblödelt. W e n n schon Bezüge in unsere eigene Gegenwart hergestellt werden sollen, ja, warum hat man sich dann nicht Statisten aus der Autonomen Szene geholt? Für die wäre es ein Abenteuer und auch die Begegnung mit einer ihr fremden Kunstwelt gewesen, für das Publikum aber schlagende Realität. Aber nein, man muß halt in die Mottenkiste greifen und sich bei Woolworth bedienen. Unklar ist auch, weshalb, wenn Boccanegra im Prolog erfährt, daß die Begehrte gestorben ist, auf der Lokomotive ein Tänzer mit einer lebensgroßen, aber schlaffen Puppe obszön herumkopulieren muß. Das sind alles nur Zeichen dafür, daß ein Regisseur Probleme mit dem Pathos hat, das er zugleich inszeniert. Weshalb er es ironisieren will, das ist wie ein Zwang. Glücklicherweise gelingt es ihm nicht. Denn diese große Musik beharrt, und mit Recht, und mit einem solchen Ernst, daß es einen nicht selten zu Tränen benimmt.
Deshalb, die Mäkeleien beiseite, bleibt unterm Strich eine Inszenierung, von der man gar nicht begreift, weshalb der Saal nicht bis auf den letzten Platz ausverkauft war. W e r da war, wußte, wußte genau, was er zu hören geschenkt bekam – so daß am Ende des Abends derart heftig und lange applaudiert wurde, daß den sich verbeugenden Musikern gar nichts andres mehr übrigblieb, als – ganz plötzlich – glücklich – – – und gelöst zu – – – – lachen.

[Leider keine weitere Aufführung in dieser Spielzeit.]

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