Tote Mutter.

Liegt das Gesicht
liegt der Leib
liegt gedeckt
und die Hand auf der Hand

Steht die Stirn
steht ein Ding im Geruch
steht das Wachs in dem Tuch
und es steht mit den Fragen

Riesig die Nase und schmal
riesig das knochene Kinn
rissig steht das letzte Mal
in dem Raum auf den Lippen

und antwortet nicht

Liegt das Gesicht
liegt der Leib
liegt gedeckt
und die Hand auf der Hand

Steht die Stirn
steht ein Ding im Geruch
steht das Wachs in dem Tuch
und es steht mit den Fragen

Riesig die Nase und schmal
riesig das knochene Kinn
riesig die Lippen
auf denen die Qual

eintrocknet

29 thoughts on “Tote Mutter.

  1. sehen und hören warum diese dopplung? die lippen als werkzeuge des akustischen gleichzeitig das mal als visuelles moment. warum sollte das mal vom ort der stimme sprechen?

    1. @hurka. Sie haben völlig recht. Nur meint das “letzte Mal” kein Mal im Sinn von Stigma, sondern ein “zum letzten Mal”. Aber die letzten beiden Verse der dritten Strophe stimmen insgesamt noch nicht, und deshalb stimmt wahrscheinlich auch noch nicht die Abschlußzeile. Ich weiß das und probiere nebenher ständig wieder Varianten durch. “Nebenher”, weil ich äußerst dringend meinen Sonntagszeitungs-Text fertigstellen und dann gleich noch einen zweiten hinterherschreiben muß, der bereits über den Abgabetermin hinaus ist. Aus diesem Grund hab ich heute auch noch kein Arbeitsjournal begonnen und will mich insgesamt mit meiner Netzpräsenz deutlich zurückhalten. Ganz “ohne” komm ich aber doch nicht aus.

      [Ich sehe gerade >>>> d a s. Will ich unbedingt lesen.]

    2. Atem und Buch Warum die Distanzierung von der “Netzpräsenz” – nur der anderen Anforderungen wegen – oder wie Sie andernorts geschrieben haben, wegen der Unkörperlichkeit der Worte auf den Displays? Körperlos wirken die Worte auch, wenn sie “nur” gesprochen sind, das heißt vom Atem = anima, psyche, pneuma transportiert werden, was seinerseits die ganze Genesis-Geschichte reanimiert. Schrift dagegen ist Materie. Frage: Nur im Buch, dem handfesten Medium? Also die elektronischen Displays sind dannn doch etwas ganz anderes – nicht Atem, nicht Buch.

    3. Danke für Ihr Interesse an meinem Buch, wenn mich dieses Interesse auch etwas in Aufregung versetzt. Es ist immerhin ein paar Jahre her – ein paar Essays, die Girards Opfertheorie anwenden bzw. weiterdenken. Gibt es eine Möglichkeit, Ihnen das Buch zu schicken?

    4. @hurka. Viel banaler. Ich bin im Netz in zahllose Auseinandersetzungen und Diskussionen verstrickt und habe das Temperament, immer sofort zu reagieren. Das lenkt nicht nur ab, sondern hat auch einen deutlichen Suchtcharakter. Den für etwas dringliches Anderes an die Kandare zu nehmen, bedeutet poetische Disziplinierung. Denn ich streite mich ja gerne. Nur daß sich eben dieses “gerne” allzugut entschuldigend vorschieben läßt (Rationalisierung ).

    5. neufassung Wäre ” vertrocknet” nicht rhytmisch günstiger, weil das “ein” die Betonung auf die erste Silbe zieht? Alles was ich da schreibe, bitte ich in Klammer gesetzt zu lesen.

    6. @hurka. Darum geht es, um diese erste Betonung. “Vertrocknet” schlösse ab, “ein-trocknet” macht den Vorgang gegenwärtig und – schmerzhaft. Sozusagen tut es dem Gedicht weh. Es ist eine Betonung, die scheinbar nicht betont. Aber gerade das erzeugt den Schmerz.

      (Ich bin mit dem Ding aber noch immer nicht fertig.)

  2. Sie haben in der Neufassung zwar die rhythmischen Anstöße der Verse 11 und 12 beseitigt, auch der umarmende Reim “schmal – Qual” gefällt mir gut, weil er eine Illusion von Geschlossenheit erzeugt, doch finde ich es schade, daß sie den Wechsel “riesig/rissig”, der zum Stocken und Innehalten im fast schon angenehmen Dahinfließen zwang, aufgegeben haben. Der Schluß “eintrocknet” verleiht dem Gedicht einen ganz anderen Charakter, “und antwortet nicht” war endgültiger, verzweifelter, “eintrocknet” läßt sehr viel Imaginationsraum (auch für die Ängste). Für beides gibt es wohl gute Gründe.

  3. Emphase es leuchtet natürlich ein, wie Sie das “eintrocknen” begründen. Die Pause vor dem Wort/Vers ernst genommen sowie laut und mit etwas Emphase gelesen, stimmt auch der Rhythmus. Als mir diese Einsicht kam, saß der gute Rat bereits im Netz fest und war nicht mehr zurückzuspulen.

    1. Zum Rhythmus an dieser Stelle, darauf machte mich Ihre Anmerkung aufmerksam, ließe sich sagen, daß dadurch, daß der erwartete jambische Versauftakt ausbleibt, “eintrocknet” eine über den beiden ersten Silben schwebende Betonung erhält.

    2. Sinnesorgane Das Ding im Geruch – die Nase vermutlich: Frage: Gibt es Licht und Farben ohne das Auge? Konstituiert die Nase nicht erst den Geruch? Eine Frage sich besonders angesichts eines gerade verloschenen Sinnesorgans dramatisiert, egal wie man zum Henne-Ei-Problem steht.
      Dass ich vom Gezappele dieses Gedankens heute früh geweckt wurde, ist für mich jedenfalls ein Kritierium, dass die Frage ein gewisses Gewicht hat.
      Im Übrigen gehört sie zu den “alten Fragen”, von denen einer von Becketts Endzeit-Clowns behauptet, sie wären die wichtigsten.

    3. @hurka. Der Schlüssel hier ist das “Ding”. So hatte ich ursprünglich vor, das Gedicht zu nennen. Das Ding, hier die Tote, wird betrachtet. Die erste Bewegung war: man möchte noch etwas fragen und erhält keine Antwort. Es g i b t einfach keine mehr. Es gibt auch keine Seele, die noch dawäre. Darauf spielt “steht das Ding im Geruch” an, in dem noch ungefähr die Idee nachklingt, da führe etwas aus dem toten Körper heraus und sähe zurück. Ist aber nicht so. Da ist einfach nur noch Ding. So auch stehen die Fragen im Raum, als würden sie gegen eine Wand gesprochen und nicht etwa geschluckt, nein, reflektiert. Und in dem “eintrocknet” trocknet sogar die Qual wie etwas Nichtexistentes ein – das nun auch in der Tat nichtexistent geworden ist. Es geht um die Leere, die ein toter Körper hat, obwohl er doch immer noch dinglich ist.

    4. part 2 Vor ca. 6 Wochen stand ich selbst am Sarg meiner Mutter. Aufgebahrt war der Leichnam in einem new-age-designten Institut – helles Ikea-Holz. Auf die Nennung des Namens, als wir, mein Bruder und ich, inzwischen vor der noch geschlossenen Tür zu dem Raum standen, sprach der Verantwortliche den unsäglichen Satz: “Da wird sie sich aber freuen.” Ich war so überrumpelt, dass ich dieses geschmacklose Diktat der Sprache einen Moment für bare Münze nahm, und irgendwie und irgendwo, Macht der Gewohnheit, glaubte, was da an mich herangetragen wurde. Tatsächlich brauchte es seine Zeit, bis ich meine Distanz wieder hatte und wusste, was wirklich Sache war. Das nochmal zum Thema “Ding” und dem radikalen Schnitt, den Sie durch diese Bezeichnung in die Welt der Lebenden einziehen. Ein Wort, das in der beschriebenen Situation 1000 Mal angebrachter gewesen wäre, hätte ICH es nur im Kopf gehabt.

      (Was mich als Leser – natürlich vor allem als Mitmischer bei Ihrem Gedicht diskreditiert: Erst gestern – sage und schreibe gestern! habe ich den Titel Ihres Gedichtes erkannt. Ich habe ihn davor einfach nicht gesehen! Schreck, Verlegenheit, die gleichzeitig die aus ihrer Wahrheit heraus schöne Äußerung Lacans bestätigen: Wir haben Augen, um NICHT zu sehen.)

    5. warum machen Sie es dann nicht?

      Es wäre so viel berührender. Und läßt einen das Gedicht sofort noch einmal lesen. Weil in der letzten Zeile erst deutlich wird – gerade dieses Überraschende ist es, was mir so gefällt – daß hier ein Sohn am Sterbebett der toten Mutter sitzt, beobachtet, fühlt, denkt, und das Ende jeder Antworten spürt. Den Tod.

      “Das Ding im Geruch” finde ich ist eine zu künstliche Metapher.

    6. @leserin. Ich mache es nicht, weil nicht ich verfüge. Das Gedicht sucht sich seinen Weg, ob er mir schließlich gefällt oder nicht. Das einzige Kriterium, auf das ich Einfluß habe, ist die handwerkliche Qualität. Auf die aber ganz unbedingt. Evidenz, die ich von Gedichten verlange, stellt sich aber nicht über das Handwerk her. Sie kommt oder ist, wenn, dann oft schon von allem Anfang an da.

      “Das Ding im Geruch” – ich habe auch schon darüber nachgedacht. Die Metapher ist schillernd böse, die Künstlichkeit entspricht dem Ding-Charakter der Leiche vollständig. So daß ich vermute, daß ein Problem im davorgestellten “steht” liegt. Ich bin jedenfalls, unterm Strich, mit diesem Gedicht noch nicht fertig. Möglicherweise noch lange nicht.

    7. Was verstehen Sie unter Evidenz in diesem Zusammenhang?

      Ist ein Gedicht Ihrer Meinung nach ein sich selbst generierendes Gebilde, auf das der Dichter selbst nur in der Form Einfluß hat?

    8. Ungereimtheiten Das Gedicht ist mit sich selbst zufrieden. Bis dieser Zustand eintritt, hört es nicht auf, den Autor zu nerven, es von seinen “Ungereimtheiten” zu befreien. Texte sind autonome Entitäten im Wirtskörper des Autors.

    9. “Texte sind autonome Entitäten im Wirtskörper des Autors.”
      jo man! don’t drink and write. darauf nehme ich einen tiefen schluck aus der pulle. pure dada.

    10. @Lore Lei. Ich finde a u c h, daß man das viel einfacher und treffender sagen kann. Nämlich so: Ein “haperndes” Gedicht nervt einfach, und zwar so lange, bis man es packt, oder bis man es beiseitelegt und irgendwann wegschmeißt.

    11. @leserin: “Was verstehen Sie unter Evidenz in diesem Zusammenhang?” Die Evidenz eines Gedichtes wird quasi unmittelbar gespürt: “Das ist richtig”, “Das ist wahr”, aber auch: “Das ist schön”. Diese Evidenz spürt der Dichter genau so, und zwar, als wäre es eine fremd hergestellte, eine, die aus der Fremde erscheint. Handwerk versagt daran. Daher, bei “evidenten” Texten (das betrifft nicht nur Gedichte, sondern auch Formulierungen und manchmal ganze Szenen in einem Roman) der Eindruck: das habe doch nicht ich gemacht! Handwerk verhilft allerdings dazu, solche Szenen durchbrechen zu lassen, in Benns Sinn: Zusammenhangsdurchstoßung.

    12. @ANH/Lore Lei Sie setze sich erst an den Schreibtisch fange an zu schreiben , sagte Hannah Arendt, wenn das Buch – und zwar das ganze – in ihr fertig sei, so dass sie es nur noch abschreiben müsse. Eine zweifellos extreme Disposition, von der es naturgemäß verschiedene Abstufungen gibt. Eins jedoch bestägt die Erfahrung: Texte geben sich erst beim Schreiben zu erkennen, entwickeln sich, wie es schon oft in diesem Zusammenhang hieß, unter der Hand und bleiben, wie Sie, Herr Herbst aundeuten, unter Umständen, selbst wenn sie von uns selbst verfasst wurden, hinterher manchmal fremd. Also irgendetwas Immaterielles, das sich im Schläfenlappen, dem Zentrum der Hypographie, aufbaut und nach draußen drängt. Geschrieben, dh, aufgezeichnet wird der Text materiell. Es gibt da also im Mittelpunkt der Textproduktion ein absolut autonomes Moment. Warum sollte ein Text dann nicht als eine Entität bezeichnet werden dürfen? Und zweitens, vorausgesetzt, über das Vorhergehende lässt sich Einverständnis herstellen, wäre es dann tatsächlich auch diskussionswürdig, ob Texte sich nicht auch durch einen gewissen parasitären Charakter auszeichnen. Mag sein, meine Formulierung Wirtskörper, im Zusammenhang mit Autor gebraucht, mag da etwas dada, gaga oder shoobidoobidoo rüberkommen – besoffenes Schreiben jedenfalls geht anders!

    13. @ die schrift & die differenz das ist doch geloigen.
      “als wäre es fremd hergestellt”
      hören sie doch auf mit so eienm gequatsche.
      das problem ist doch, dass man seine eigenen sachen
      eben nicht korrigieren kann.
      ( und folglich den text soweit es geht selbst reden lässt )

    14. @andy Zitat! Sie zitieren den Satz, obwohl Sie direkt davor sitzen, falsch. Das habe ich nicht geschrieben. Von “korrigieren” ist auch nirgendwo die Rede, und warum immer wieder das Heidegger’sche “‘Die Sprache spricht sich” und das Derrida’sche “Die Schrift schreibt sich” wörtlich wiederkäuen? Was sie so aufregt, erschließt sich mir nicht, zumal ich in Ihrer Argumentation keinen fundamentalen Widerspruch, zu dem was ich geschrieben habe, erkennen kann. Also dimmen Sie sich bitte wieder runter – “gelogen”, “Gequatsche” – dieses Vokabular ist wirklich nicht angebracht!

    15. @andy on persson. Zur Lüge. Wegen Ihrer Art zu zitieren, muß ich nun eigentlich nichts mehr schreiben. Manchmal wünscht man sich, sich n o c h schwieriger auszudrücken, damit Leser gezwungen werden, die Sätze genau zu lesen und nicht nur ungefähr. Heidegger hatte schon ganz recht. Interessanter finde ich aber Ihr moralisches Urteil. Zu lügen bedeutet ja, daß jemand absichtlich die Unwahrheit sagt, nicht etwa, weil er sich nur irrt. Was bringt Sie bezüglich meiner Sätze zu dieser Meinung?
      Und daß S i e Ihre “Sachen” nicht korrigieren können, das mag wohl stimmen, aber daraus gleich ein “man” abzuziehen? (Leser, übrigens, die ernsthaft diskutieren möchten, registrieren sich. Die anderen möchten Ihre Meinung in Die Dschungel rufen; nicht mehr.)

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