34 thoughts on “Borges’ Elend.

  1. verstehe ich nicht. hab zwar auch nicht so viel borges gelesen, aber ich dachte, dass er zumindest mit seinem Don Quichote-Roman gerade umgekehrt das fake zur literarischen fiktion erhoben hätte? bitte um aufklärung.

  2. Vielleicht wäre Borges gar nicht so unzufrieden damit gewesen, daß man Fiktionen an den ontologischen und moralischen Maßstäben des sogenannten Faktischen messen will. Immerhin verwischen ja gerade die, die eine Fiktion zum Betrug erklären wollen, die (nur theoretische?) Kategoriengrenze zwischen Fiktivem und Faktischem – und dürfen sich also später nicht wundern, wenn das Fiktive real wirksam wird und auch bei uns bald die ersten “hrönir” auftauchen.

    1. Fake it! Fiktion, sogar Erdachtes ganz allgemein wurzelt immer in etwas Vorhandenem (oder was einem als solches erscheint).
      Die Vorstellung ist ein viel lebendigeres Wesen als irgend ein faktischer Bezug, in der Annahme auf etwas in aller Vollständigkeit referiert zu haben. Und wenn dann Fiktion zum Fake erklärt wird, desto bewußter wird einem doch die Täuschung der angeblich so wahren faktischen Aussage bzw. Annahme. Da erscheint einem die Fälschung doch gleich umso sympatischer als folgerichtige Schlussfolgerung vom vermeintlichen Original. Wer sagt einem denn schließlich dass es das ist? Und da Fake nicht gleich immer Fälschung (die etwas nachahmt) ist, ist ein Fake in seinem Anpruch doch als der “ehrlichste” Leumund unter den Fälschern zu bezeichnen.
      Alles nur ein Vielleicht und vielleicht auch nicht!

      @anudem
      Super Link! Großer Mist nur dass meine Druckerpatrone leer is!

    2. Hrönir “auch bei uns bald die ersten “hrönir” auftauchen”: Im Grunde genommen ist das falsch. Sie sind schon aufgetaucht:
      – Fiktive Autoren, wie von Borges oder ANH ersonnen, ziehen Anfragen interessierter Leser bei den Verlagen nach sich. (Bei Borges saß der Verlag, von dem ich nicht mehr weiß, ob er auch erfunden war, meines Wissens in Paris, die Interessenten schrieben aus Argentinien.)
      – Man könnte auch an Morgensterns Nasobem, das Aufnahme in Meyers Konversationslexikon fand, denken – paradoxerweise geschah dies gerade, um das Gedicht “Lügen” zu strafen (leider ist der Artikel nicht besonders gut).
      – Auch Yeti-, Loch-Ness-Monster- und UFO-Sichtungen weisen eine ähnliche Struktur auf – und schlagen sich ja ganz “real” in Touristenzahlen (und damit in Geld) nieder.
      Das ist nicht ganz die Qualität wie in Borges´ “Tlön, Uqbar, Orbis tertius” aber scheint mir vergleichbar.

      @ Read An: Ihren Einwand (?) verstehe ich nicht. In der ernstzunehmenden(theoretisch fundierten) Literaturwissenschaft arbeitet man heutzutage mit dem Konzept der Fiktionalität, das den Interpreten der Aufgabe enthebt, die Faktizität des in einem Text Gesagten zu überprüfen, d.h. literarische Texte werden nicht mehr auf ihre “Richtigkeit” hin untersucht. “Stimmt doch gar nicht!” auszurufen, ist also keine wissenschaftlich zulässige Reaktion auf einen literarischen Text – unabhängig davon, was im Text verarbeitet wurde, ob der Text in “Realien” gründet. Wenn nun Fiktionen als Fakes angesehen werden, ist diese kategorische Grenze verletzt – der Text ist auf seine “Richtigkeit” überprüft, nach “wahr/falsch”-Schema bewertet und für “falsch” befunden worden – d.h. man ruft dem Text zu, er seine Lüge, sein Urheber ein Lügner – mit all den moralischen Implikationen, die ein solcher Vorwurf birgt.

      Borges kann nun gerade als Denker dieser Kategorienverletzung gelten, in seinen Texten geht es immer wieder darum, wie die textinterne Fiktion in der textinternen “Realität”, die natürlich auch nur Fiktion ist, wirksam wird. Beispiele ließen sich einige nennen. Für Borges, so sehe wenigstens ich es, ist die Wirklichkeit nur ein kontingenter Sonderfall des Möglichen; das Mögliche ist genauso “da”, nur eben nicht realisiert. Unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit und Unendlichkeit des Universums aber wird nach Borges Kontingenz zur Notwendigkeit – in einer unendlichen Welt müssen alle Möglichkeiten realisiert werden, ein unsterblicher Autor wie Homer muß Ilias und Odyssee schreiben – und vielleicht auch alle anderen Bücher, die es in der Bibliothek von Babel immer schon gibt. (Der “Unsterbliche” ist die verzeitlichte “Bibliothek von Babel”.) Die Literatur(geschichte) ist für Borges nun primäre Quelle für das Mögliche, in ihr wird Mögliches durchgespielt (s. Aristoteles: Poetik, 9. Kapitel/ Possible-Worlds-Theory/ Möglichkeitenpoetik) – Borges zeigt immer wieder, wie das Literarische “real” wird – die Realität wird fiktionär infiltriert, infiziert – und Fiktionalität ist hochansteckend – sie frißt die Realität von innen und verwandelt sie sich an.

      (Wenn also Gerichte behaupten, die (literaturwissenschaftlich gesehen) fiktionalen Figuren in Büchern wie “Meere” oder “Esra” seien “reale Personen” dann legen sie damit einen Keim der Fiktionaltät in “unsere Welt”, bestätigen, daß Literatur sich realisiert hat, denn für uns als Zuschauer der Vorgänge sind
      die Texte primär, die Klägerinnen entsteigen ihnen in die Realität.)

      P.S. Vielleicht sollte man noch erwähnen, daß bei Borges die Überschreibung der Realität durch die Fiktion meist etwas bedrohliches besitzt, mit Mord, Eroberung o.Ä. zu tun hat.

    3. @Nur ein Leser Da haben sie recht mit dem was sie sagen! Eine literaturwissenschaftliche Bewertung von wahr/falsch ist dabei nicht anzulegen. Mein Einwand gründet sich aber auf eine eher philosophische Überlegung, die die Möglichkeit solch einer Bewertung ebenfalls ausschließt. “Das Mögliche ist genauso “da”, nur eben nicht realisiert”, beschreibt meine Idee ganz gut. Geht man nur von realisierten “Wahrheiten” aus, die für uns auf Tatsachen beruhen beziehen wir die sog. Fakten nur auf eine einzige Möglichkeit, nämlich auf die, die sich für uns augenscheinlich realisiert hat. Die Möglichkeit ist zur Realität geworden und wird dann gern mit Wahrheitswerten belegt. Die Unendlichkeit der Möglichkeiten fällt was Fakten angeht erst einmal unter den Tisch und ist nicht Bestandsaufnahme fähig in einer solchen Kategorie von wahr oder falsch. Und das finde ich ist ja eben der springende Punkt! Ein Wert wie wahr, der sich auf Beobachtung und Erfahrung gründet ist doch insofern in Zweifel zu ziehen indem er Möglichkeiten von vorn herein auschließt. So gesehen ist ein Wahrheitswert zwar logisch, zumindest für uns schlussfolgernde Wesen aber in seinem Inhalt, der sich auf Tatsachen begründet arm an Dimension (das es vielleicht auch anders sein könnte). Im Gegensatz dazu ist die Fiktion, wenn sie auch selbst aufgrund der Beschaffenheit unseres Denkvermögens in der Realität wurzelt in der Lage Möglichkeiten der Realität darzustellen und auch ein paralleles Nebeneinander zu entwerfen, welches den linearen Entwicklungsgrad einer “wahren” Realität zusätzlich dimensioniert. Das, sich etwas Vorstellen an sich ist schon Fiktion. Die Wahrheit hat sich sicherlich selbst getäuscht wenn sie nur von einem einzig existierendem Weltzimmer ausgeht und dieses als das einzig richtige vorstellt. Daher kam auch meine Überlegung die Fiktion als Fake zu bezeichnen ist von diesem Standpunkt aus gesehen gar nicht nur negativ zu bewerten, indem eine Fälschung doch schon das angebliche Original in Frage stellt und somit nicht weniger Gültigkeitswert hat als das als wahr gepriesene.

      Mein Einwand oben sollte also ein kleines Pladoyer für den Fake als solches sein, wenn ich auch weiß das ein solches Etikett erst einmal nicht als sehr rühmlich zu bewerten ist.

    4. Die Selbstverleugnung Kann es nicht sein, dass der Fake seinen Charakter als Fake verlöre, wenn er sich nicht mehr von der Fiktion distanzierte? Wird die Fiktion zum Fake, wenn sie sich selbst verleugnet?

    5. Muß nicht der Hersteller des Fake bestrebt sein, den Fake als solchen zu verhehlen, damit dieser Fake ist? Was sollte ihm daran liegen, die “Fakizität” seines Konstruktes einzugestehen? – Ein offen eingestandener Fake täuscht niemanden mehr. Gerade die Täuschung aber macht den Fake zum Fake. Fiktion ist demgegenüber dadurch gekennzeichnet, daß sie der Verifizierung (beinahe hätte ich Verifiktion geschrieben) enthoben und gesellschaftlich (in einem gewissen Rahmen) sanktioniert ist – sie hat es nicht nötig, sich zu verleugnen, um akzeptiert zu sein.

      Die Kritiker der Wikipedia-Elite werfen ANH ja gerade vor (wenigstens könnte man meiner Meinung nach ihre Kritik so formulieren), Fakes im Schafspelz der Fiktion in “ihr” Lexikonprojekt einführen zu wollen, um diese in den Status der Faktizität zu erheben, weil sie meinen erst dies, die vermeintliche Faktizitätsnobilitierung des Fiktiven, sprenge den Rahmen. Doch (von dem Fehlschluß von der Aufnahme in Wikipedia auf die Faktizität des Gegenstandes einmal abgesehen) indem sie die Kriterien des Faktischen an das Fiktive anlegen, haben sie selbst schon die Voraussetzungen dafür geschaffen, ihre hübsch geordnete Faktenwelt, für welche die Unterscheidung zwischen erlaubter Fiktion und unerlaubtem Fake essentiell ist, zur Implosion zu bringen. Die Umkehrung der Vorzeichen, die Read An anstrebt, ist demgegenüber eigentlich recht – (sit venia verbo) brav (?).

    6. @ Leser; Fake “umgekehrt” schönes Etym “Verifiktion”, merke ich mir!

      Die Umkehrung der Vorzeichen, die Read An anstrebt, ist demgegenüber eigentlich recht – (sit venia verbo) brav (?)

      diese einschätzung würde ich nicht teilen, wenngleich das wiki-theater (“theater” durchaus als raum einer aufgegührten fiktion verstanden) durchaus die qualitäten aufweist, die Sie ansprechen.
      das vorziehen des fake als fake scheint mir aber auf einem anderen grund zu beruhen (korrigiere mich, read An, wenn ich Deine überlegung falsch auslege):
      (1) ein fake als fake stellt das original konzeptuel in frage. wie? nun, die kunstgeschichte liefert eine masse von beispielen. man denke an duchamps L.H.O.O.Q (= schlechte reproduktion von da vincis Mona Lisa, der ein schnauz- und kinnbart angemalt wurde) . hier haben wir es nicht mit eine fake, sodnern einem ikonoklasmus zu tun. doch in einem der folgewerke duchamps, L.H.O.O.Q rasée, fehlen titelgemäß die bärte, so daß wir “nur” fräulein gioconda sehen. als duchamps werk wäre dies ein “fake”, das jedoch durch den rückbezug auf den dadaistischen vorläufer und den titel als fake kenntlich und so zum kunstwerk wird.
      (2) ein fake “ist” eine fälschung, trägt als solche die möglichkeit in sich, als original zu gelten. wenn es aber für ein original gehalten wird, liegt ein ontologisches “nmissverständnis” nämlich der fälschung als solcher vor. insofern trägt ein fake immer die dialektische beziehung zwischen wahr und falsch in sich, wohingegen fiktion dies (auch im rahmen einer “möglichkeitenpoetik” nur in geringerem maße tut).

    7. für JakovK und Nur ein Leser. Die Debatte um Fake/Fiktion ist wahrscheinlich für die wikipedia-Löscher an sich zu hoch. Es geht da um etwas ganz anderes. >>>> Diesem Link in Herbsts Arbeitsjournal von heute ist zu entnehmen, dass es sich bei sf67 offenbar um eine Art von verspätetem >>>> Kommunistenjäger handelt, der Herbst für einen poetischen Bombenleger zu halten scheint, den man eliminieren muss. Diesen Eindruck machen seine wikipedia-Aktionen insgesamt. Wahrscheinlich spielt da die Musik. Das addiert sich zu den wikipedia-Warten, die auf sachlichen Positivismus gestimmt sind und mit Fiktionen wie auch denen von Borges prinzipiell nichts anzufangen wissen. Das freie Spiel der Fantasien ist ihnen unheimlich. Sie haben schlicht keinen Humor, sondern sind eben deutsch. Mich würde interessieren, ob das in der eigentlichen wikipedia, ich meine die in Englisch, auch so ist.

    8. L.H.O.O.Q. @Aikmaier
      Elle a chaud au cul!
      Ob mit oder ohne Schnorres!
      P.s. schön dich wieder dabei zu haben.

      Neben der Verwischung von Kunst und Alltag, ruft solch ein Fake, das schon längst über eine Fälschung (im Sinne des Reproduzierens oder Nachahmens) hinaus ist zudem noch die Fragestellung zu einer eindeutigen Sinngebung auf den Plan.
      1. Eine Übereinkunft der Masse etwas als Kunstobjekt zu betrachten. (Das meinte ich auch mit meiner Überlegung zum Original! Wer bestimmt das es eines ist! Eine Fälschung allein stellt das ja schon in Frage!) 2. Der Künstler selbst im Kontext der Masse indem er sein Kunstwerk an eine Erwartungshaltung anpasst!
      3. Und das beste daran ist doch, das z. B. Duchamps Ready-mades heute als “schöne” Skulpturen bezeichnet werden. Das wäre wohl nicht ganz in seinem Sinne gewesen! Oder doch? Da hat die Masse das Luder irgendwann nicht nur als solches erkannt sondern auch noch gefressen!

      @Nur ein Leser
      Das ein Fake, wenn es denn als solches enttarnt wurde seine Funktion der Täuschung verloren hat ist mir auch klar! Nur ein kleines Gedankenspeil zum Fake.

    9. zu fälschungen im allgemeinen und wiki-mccarthys im besonderen @ read An
      Duchamps kommentar zu kritikern, die seine werke als “schön” bezeichnen, stelle ich mir so vor (d im sessel vor einem schachbrett): schweigen, dünnes lächeln, wieder in die laufende partie gegen sich selbst vertiefen. “fressen” läßt der sich nicht, und wenn, dann nicht verdauen.
      übrigens: falls Du kommenden dienstag in der stadt sein solltest, können wir uns noch ein wenig über die französische transkripition unterhalten; schick mir doch eine mail, wenn Du magst.

      @ ipsa & Leser (ergänzend)
      bei “enttarnung” hat ein fake seine primäre funktion verloren, das stimmt, aber es verschwindet ja nicht einfach. und seine prekäre position dann zu beschreiben habe ich mit obigem punkt (2) versucht, wohl etwas zu hastig mittagspausierend. ich meinte: ein fake für ein original zu halten heißt, der fälschung aufzusitzen, also mißverstehen; aber: das enttarnte fake zu sehen heißt ebenfalls es mißzuverstehen, weil man seine primäre funktion “durch”blickt. frage also: wie kann man eine fälschung überhaupt ontologisch angemessen “verstehen”?

      @ peregrinus syntax (wissen Sie übrigens, wo hme den her hat?)
      zugegeben, viele der wiki-eigenen disputanden, sicherlich die ANH-mccarthys, ließen sich auf eine diskussion, wie wir sie hier führen, nicht ein. dennoch können wir den anlaß doch als ausgangspunkt nehmen (damit aus unerfreulichem angenehmes erwächst), oder? wenn Sie sehen wollen, wie “deutsch” die wiki-disputanden und manche wiki-schreiber sind, schauen Sie sich spaßeshalber die Löschdiskussion Um Den (tatsächlich falsch benamsten) Artikel Wurzel n an und vergleichen den artikel selbst mit dem Englischsprachigen Äquivalent. man sieht: sogar in feldern, die mit fiktionalität gar nichts zu tun haben (wohl aber mit imagination!), wird das urteil über relevanz an individuelle verständnisbereitschaft gekoppelt. da zeigt sich ein vorteil der papiernen enzyklopädie: im besten fall druckt ein herausgeber auch artikel, die er selbst nicht versteht (und nicht verstehen zu können anerkennt!

    10. Vermutlich handle ich mir durch diesen Beitrag das Image eines Besserwissers und Erbsenzählers ein, aber darauf lasse ich es ankommen (schon aus einer gewissen Abneigung gegen allzu große Harmonie heraus).

      Ich verstehe noch nicht so ganz, was in Ihren Augen LHOOQ, ob mit oder ohne Bart, zum Fake macht. Duchamp markiert ja in beiden “Werken” gerade die Differenz zum Original: Bei LHOOQ liegt diese nicht nur in den aufgemalten Bärtchen, sondern auch im Material und in der (auf die Postkarte geschriebenen) Benennung. Bei der rasierten Version, die sich nun, wie Sie, Herr Aikmaier, richtig schreiben, primär nicht mehr auf die Gioconda, sondern auf LHOOQ bezieht, besteht der Unterschied im Fehlen des Bärtchens und im Zusatz “rasée”. Diese (nicht einmal minimalen) Differenzen reichen in meinen Augen aus, ein Moment der Originalität ins Bild zu bringen. (Man könnte sich trefflich über LHOOQ unterhalten, aber die Relevanz für ANHs Aphorismus und die Fake-Diskussion sehe ich nicht.)

      Sie müßten mir aber auch bei “klassischen” Ready Mades wie der Fontäne erklären, worin denn ihre Fakizität liegt. Ist jedes Kunstwerk ohne Aura ein Fake? Ich glaube, damit würden wir grundlos semantische Verwirrung stiften (wogegen ich grundsätzlich nichts einzuwenden habe, aber das würde eine ernsthafte Diskussion verunmöglichen).

    11. Das hat Aikmaier doch beschrieben. L.H.O.O.Q. mit Bart ist kein Fake sondern ein Ikonoklasmus, der die Sinngebung eines Kunstwerks infrage stellt. Die Rasee L.H.O.O.Q. hingegen deklariert sich ja selber als Fake, der in diesem Moment keiner mehr ist, da er sich als solcher selbst bezichtigt. Aber das das Original von Leonardo wird in diesem Moment auf einer dritten Ebene aufs “Korn” genommen:
      Indem sich Duchamp mit der rasierten L.H.O.O.Q. auf die L.H.O.O.Q. rückbezieht, die in ihrer Aussage erst einmal nur als Ikonoklasmus zu verstehen ist, vollzieht sich der nächste Schritt > die Degradierung des Originals zur Version ohne Schnäuzer und Kinnbart. Nur das sie das in beabsichtigt verräterischer Weise tut, denn ohne die Selbstbezichtigung des Fakes wäre sie einfach nur eine Repruduktion. Von einem Fake ist demnach also auch nicht auszugehen aber es hilft beim Nachdenken zur Fragestellung von Original und Fake indem es einige Möglichkeiten und Gewohnheiten des Denkens aufschlüsselt. Daher bin ich Aikmaier auch ganz dankbar für dieses Beispiel, hat es doch das aufgegriffen was ich vorab geschrieben habe. Inwiefern das relevant für ANHs Aphorismus ist? Keine Ahnung, kann man drüber streiten! Aber sich darüber Gedanken machen hoffentlich schon! Denn wenn schon Fiktion zum Fake geworden ist, indem Erdachtes als eine Art Fälschung gilt dann Uhhlala schalt ich den PC ab und meinen Kopf gleich mit. Aber genug zur L.H.O. O. Q. und weiter im Programm!

    12. Das alles ist ja ganz nett und in gewisser Hinsicht richtig, aber doch nur, wenn man sich einseitig auf die Abbildungen bezieht, ohne Material und (ins Bild einbezogene) Benennung der drei Werke zu berücksichtigen.
      Vielleicht liegt es ja daran, daß ich solche Dinge wie “Degradierung des Originals” weniger aufregend finde als Sie, mir aber scheint LHOOQ eher durch sein Spiel mit markierten und behaupteten Differenzen zwischen den Bildern bemerkenswert, ohne daß man dabei eine Original-Fälschung-Debatte führen müßte.
      Im übrigen bin ich der letzte, der Denkverbote aufstellt, ich wüßte auch nicht, wodurch ich mir den Vorwurf zugezogen haben könnte, denn Fragen zu stellen und eine Meinung zu vertreten (was ja nicht einmal notwendigerweise das “Haben” dieser Meinung impliziert) sollte ebensowenig verboten sein wie sich Gedanken zu machen, die vom Thema einer Diskussion wegführen.

    13. @Nur ein Leser Schließlich sind Sie nicht >Nur ein Leser< sondern auch Mitschreiber.
      Und ich habe ihre Fragen und Meinungen auch aufgenommen.
      Wie hat maria sils beim offenbaren “Skandal” noch zu bedenken gegeben “Solipsismus ist Realismus” stimmt ja auch von der Warte aus gesehen. Da sag ich nix gegen. Ich lass mich aber auch gerne von anderen IchWelten anstecken, egal ob sie nur Vorstellung sind oder nicht.

    14. Tut mir äußerst leid, aber ich kann Ihnen schon wieder nicht folgen. Haben Sie doch bitte Nachsicht mit meinem in seinen Bahnen festeingefahrenen Denkapparat, der zu großen Hopsern nicht mehr fähig ist.

    15. @Nur ein Leser Ist ja nur ein Hopser zum nachfolgendem Thema auf der Hauptseite des Dschungels. Übrigens habe ich das mit dem PC und Kopfabschalten auch nicht auf Sie sondern auf wenn Fiktion zum Fake geworden ist bezogen. Und wieso Namen ändern? Hoffentlich nicht aus dem Verlauf der Diskussion heraus. Aber nachvollziehen kann ich die Idee mit der Namensänderung! Mir ging es da zeitweise schon ähnlich. Habe es dann aber doch immer gelassen weil man meißtens ja doch noch für seine Ideen kämpfen möchte. Es sei denn Sie wollen noch ne zweite Stimme von sich mitlaufen lassen!

  3. Fakten und Fiktionen Ein Anekdötchen zum Thema:
    Gestern drehten wir (Fernsehteam) einen aktuellen Beitrag zum Thema “Kuno” (nicht Knut!). Kuno ist ein Datenverarbeitungssystem der Kriminalpolizei, welches den Einzelhändler vor der Bezahlung mit gestohlenen EC-Karten schützen soll. Als wir nun bei der Kripo die Eingabemaske drehten, gab ich zu bedenken, dass wir nur anonymisierte Karteninhaber im Bild darstellen dürfen, keine realen Personen. Also schauten wir im System nach dem omnipräsenten “Max Mustermann”, den man ja von Kreditkarten, Klingelknöpfen und Kofferanhängern deutschlandweit kennt. Und siehe da! Zu unser aller Überraschung tauchte tatsächlich ein “Max Mustermann” auf, in das System einsortiert im Jahr 1999. Hmmm. Kripo und wir waren etwas verdutzt. Gibt es denn tatsächlich den “Max Mustermann”? Natürlich nicht! Aber woher weiß die Polizei das? Siehe bei Wikipedia:
    “Erika Mustermann in Deutschland, Max Mustermann in Österreich und Deutschland, Hans Meier oder auch Maria Müller in der Schweiz, sind fiktive Personen, die als Beispielnamen – unter anderem in Formularen, Hinweisen und Datenbanken – verbreitet werden. Die Namen werden aber auch als Bezeichnungen für Durchschnittsbürger verwendet.”
    Nun scheinen wir es zu wissen: wir sind übereingekommen, dass “Max Mustermann” eine Fiktion ist, ein Stellvertreter.
    Wissen wir das nicht, müssen wir von der Authentizität einer Person ausgehen. Lesen wir von einer Person, die in einem Lexikon als authentisch (mit Belegen) ausgegeben wird und erfahren dann durch andere Quellen, dass diese Person der Fiktion eines Autors/Autorin entspringt, ohne dies offen zu legen, so fühlen wir uns natürlich enttäuscht und irritiert. Je mehr solche fiktive Charaktere ein Lexikon bewohnen, desto unglaubwürdiger wird ein Lexikon, das von seinem Sinn her ja nicht Tummelplatz von Fiktionen sein soll, sondern uns Fakten zu liefern hat. Dabei ist es unbenommen, das sich im Laufe der Zeit heute gültige Inhalte in ihrem Wahrheitsgehalt ändern.
    Aber wahrscheinlich wird hier über etwas diskutiert, was ich wieder einmal nicht verstehe?

    1. Eigentlich lässt einen das alles über eine eigene (Teil-)Enzyklopädie für Fiktion nachdenken dann umfasst sie sich zumindest innerhalb ihres Rahmens mit dem Gebiet und kann dann im besten Fall aus sich selbst heraus eine Brücke zu den feststehenden Wissensgebieten schlagen. Oder gibts das schon?

    2. Mit dieser Enzyklopädie hätten wir dann wieder eine schön saubere Trennung zwischen Fakten und Fiktionen und wären alle glücklich, uns nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen zu müssen, wie wir die Stabilität des Faktischen angesichts der Faktizität mancher Fiktionen gewährleisten können, oder?

      [Ich glaube, ich ändere demnächst mal meinen Namen…]

    3. @ Leser; Erbsen zählen mit Marcel; ferner @ Stromberg zunächst: bitte den namen nicht ändern! ergibt er doch mit dem üblichen “antwortete am…”-vermerk einen durchaus mehrdeutigen satz: “nur ein Leser” spräche für Ihr Understatement in der diskussion oder würde eben Ihre schriftlichen beiträge paradox konterkarieren; “nur ein Leser” regt zum nachdenken über ein eventuelles autorenkollektiv an, das verschleiert werden soll, &c.

      noch ein nachgetragenes wort zur heißen Lisa:

      Ich verstehe noch nicht so ganz, was in Ihren Augen LHOOQ, ob mit oder ohne Bart, zum Fake macht. Duchamp markiert ja in beiden “Werken” gerade die Differenz zum Original

      verräterisch schon einmal, daß Sie die bezeichnung werk als uneigentlich markieren. vieleicht verstehen Sie besser, wo hier die fake-komponente liegt, als Sie denken? denn da spielt in der tat der erhabene begriff des werkes eine rolle: duchamp markiert differenz zum original, richtig, aber: unter verwendung des originals (in einer schlechten reproduktion zwar, aber das ändert nichts am umstand; andere künstler benutzen orginale direkt). mit l.h.o.o.q. schwingt er sich gleichzieitig zum schöpfer der mona lisa auf, sogar einer durch die bärte “kompletteren”. hierin liegt der anteil fälschung, der bei jedem ready-made anhängt, auch beim FOUNTAIN. duchamp hat das urinal nicht angefertigt, dennoch tritt er als schöpfer auf. darum konnte ja ein bürgerlicher betrachter in den 10er und 20er jahren kommentieren: “das ist ja ein urinal, nichts weiter” oder “das ist ja nur eine schmiererei auf einem renaissance-bild”. er durchschaute die fälschung aufs, hier kunsthistorische, dort sanitärfachgeschäftliche, original hin und missverstand sie so. — und schon stecken wir in der dialektik von orignal und fälschung, für die read An und ich uns hier interessiert haben. ANHs aphorismus, der ja dezidiert auf einen literargeschichtlichen zusamenhang, respektive bestimmte poetische verfahren abzielte, diente als aufhänger. er mag es uns nachsehen (und Sie bitte auch).
      danke übrigens für das weitere etym “fakizität”, das ich, sollte ich einst eine etym-enzyklopädie anlegen, allerdings “fakezität” schreiben werde)! 🙂

      @ Stromberg; zur verpflichtung der enzyklopädie auf faktisches

      Je mehr solche fiktive Charaktere ein Lexikon bewohnen, desto unglaubwürdiger wird ein Lexikon, das von seinem Sinn her ja nicht Tummelplatz von Fiktionen sein soll, sondern uns Fakten zu liefern hat

      hier spiele ich einmal erkenntnistheoretischen advocatus diaboli: nehmen Sie bitte eine beliebige aber unmfangreiche enzyklopädie und lesen Sie das lemma zu einem fremden land (ich verstehe, daß Sie als mann des films wohl weit gereist sind, nehmen Sie bitte ein land, in dem Sie nicht waren und über das Sie möglichst wenig gehört haben); nehmen Sie dann ein ethnologisches kompendium und informieren Sie sich über die in diesem land ansässigen völkerschaften, ihre sprachen, gebräuche, traditionen. — was Sie bekommen, sind für Sie keine fakten, sondern fiktionen: Ihre imagination wird dazu angeregt, sich das land anhand der daten, die Sie erhalten vorzustellen, die menschen dort, den alltag, vielleicht erfinden Sie eine geschichte! das land, die städte, die menschen in Ihrer vorstellung sind ebenso faktisch wie die mekka-cola trinkenden saunagänger in Georg Kleins LIBIDISSI oder ANHs HOLOMORPHE (die ja pikanterweise schon innerfiktonal “fakes” sind).
      daß enzyklopädien “fakten” liefern sollen, ist ein optimistisches vorurteil unsererseits, welches darauf gründet, daß die “fakten” in artikeln, deren gegenstände wir kennen, mit unserer autopsie übereinstimmen! oder??

      PS.: darum, liebe ANH und read An, brauchen wir auch die teil-enzyklopädie nicht extra zu edieren. jeder (der nicht allwissend ist) kann sich diese aus einem beliebigen nachschlagewerk zusammenstellen!

    4. @Nur ein Leser. Nicht unbedingt. Es käme doch selbstverständlich in ein Lexikon der Fiktionen auch solches hinein, das (uns) längst zum Teil bittere Realität ist, zum Beispiel Christentum und Islam, dann vor allem Homer und Shakespeare, natürlich “Das Totenschiff”, allein schon wegen B. Traven. Persönlich tendierte ich dazu, auch Putin in einem solchen Lexikon aufzunehmen, allein schon aus Notwehr. Und dann gäbe es sicher Spitzbuben, die zum Beispiel mit Adenauer nachzögen. Nicht auszudenken, daß ein solches Lexikon der Fiktionen schließlich, um einen schönen Ausdruck >>>>> P.D.Q.Bachs herzunehmen, um Haaresbreiten* dem Brockhaus gliche. Denn Hand aufs Herz: Wer von uns kann, ohne zu glauben, wissen, daß es Bonaparte real g a b?

      [*) Oratorium (The Seasonings), S. 1 ½ nm.]
    5. An Herrn Aikmaier: “duchamp hat das urinal nicht angefertigt, dennoch tritt er als schöpfer auf.”
      Ich habe ein gewisses Problem mit dieser produktionszentrierten Perspektive. Das an- und abgeführte “Werk” sollte gerade anzeigen, daß der (auf Originalität/Schöpfertum gegründete) Werkbegriff durch ready mades fundamental in Frage gestellt wird – und damit auch das Konzept des Künstlers als Schöpfer. Wenn ich mich aber auf diese Sichtweise einließe, könnte ich wohl sagen, daß Duchamp durchaus das Recht habe, als Schöpfer des Urinals aufzutreten, insofern es Kunstwerk ist und eben nicht mehr Urinal, sondern “Fontäne” heißt. Platonistisch (Platon würde kotzen!) gesagt: Er brachte das Urinal zur Teilhabe an der Idee des Kunstwerkes.

    6. @Nur ein Leser. Das ist eine ganz wunderbare Replik. (Nur das mit dem Kotzen – bei inhaltlichem Einverständnis meinerseits – macht sie ein wenig zu derb). Mein Freund Arndt hat ein Gewehr, das er Platon nennt. Er versieht es nach erfolgreichem Jagen mit Kerben.

    7. Wissen und Überleben @Aikmaier: sicherlich. Popper (“Logik der Forschung”) und Dewey (“Logik”) habe ich gelesen, empfehlenswert weiterhin in diesem Zusammenhang Wittgensteins “Über Gewißheit”. Jedoch sind bestimmte Erkenntnisse für das Leben und Überleben faktisch unumgänglich. So kann die genaue Angabe der topografischen Beschaffenheit einer Landschaft, eines Gebirges, über Leben oder Tod eines Bergsteigers, Piloten etc. bestimmen. Ebenso wäre ohne die umfangreiche Beschaffung von Wissen eine Mondlandung nie möglich gewesen. Um bei Popper zu bleiben, möchte ich hier nur von Näherungen an Wissen sprechen, wenn ich Fakten meine. Alles andere ist wohl eher in dem Unterschied von “Objektiv” zu “Subjektiv” zu sehen, wie es Popper in seinem Buch (s.o. Mohr Siebeck, Paperback-Ausgabe) auf den Seiten 21ff ausführte. Wenn ich es richtig verstanden habe, würde somit vieles, was in den verschiedenen Glaubenslehren verbreitet wird in den Bereich der “subjektiven Überzeugung” fallen. Das schließt jedoch nicht aus, dass geschichtlich (usw.) belegte subjektive Überzeugungen (“die Erde ist flach” – Überzeugung aus dem Mittelalter) nicht ebenso Einzug in ein lexikalisches Werk finden können. Zumindest als geschichtlicher Beleg eines Irrtums. In einer kreationistischen Wikipedia würde natürlich das Universum sich um die Erde drehen.
      In meinem Beruf dreht sich sehr viel um Wissen, Gewißheit, Fakten und die Ausgestaltung und Interpretation der Welt mit medialen Mitteln. Vielleicht entstehen meine Überzeugungen gerade aus der tief empfundenen Verantwortung unseren Zuschauern gegenüber, uns der wahrgenommenen Welt möglichst genau zu nähern. Ein aussichtsloses Unterfangen.

    8. Medien für Massen > Massen an Medien > Jede Menge Welt! “Ausgestaltung und Interpretation der Welt mit medielen Mitteln. ….um sich der “wahrgenommenen Welt möglichst genau zu nähern.” Das scheint mir ein wichtiger Satz! Wenn ich das jetzt allein auf das Medium Fernsehen beziehe, indem die Bilder zu einem Thema für den Zuschauer in vorgegebener Weise mitlaufen, nicht unbedingt anders als in anderen Informationsmedien, die sicherlich ebenso die Kraft der Bilder erkannt haben, wird über einen gegenwärtigen oder geschichtlichen Sachverhalt (im Sinne einer Reportage oder Dokumentation / nicht Film) das Thema durch die, mit den Bildern einhergehende Imagination “rekonstruiert” bzw. dargestellt um dem Zuschauer das Wissen oder die Fakten zu vermitteln. Ganz im Sinne der Reportage, wie das Wort an sich schon sagt, etwas “zurücktragen” um das jeweilige Weltgeschehen durch die Medien wiederrum in vervielfachter Weise in die Welt zu tragen, mal ganz abgesehen davon in welcher Weise je nach Format darüber berichtet wird. So vervielfältigt sich nicht nur das Thema in seinen jeweiligen Abbildern es wird auch unterschiedlich interpretiert. “Ein aussichtsloses Unterfangen.” Vervielfältigung der Welt durch “hereinholen” dieser, werden Tausende nach außen getragen.

    9. @ stromberg u. readAn/ wissen, gewissheit, fakten und – Die „ausgestaltung der welt“ ( mit medialen mitteln ) … ist schon der kreative
      akt ( – heraus aus der ausgestaltetheit der faktizitäten- & bedeutungsträgerin
      welt ) und steht also im widerspruch zu einem anspruch auf objektivität.
      Von dieser ehrlichen ( und wahren ) erkenntnisstruktur aus, die unvermeidlich ist,
      misst sich objektiver anspruch und subjektive wirklichkeit an/in erfreulich
      aussichtslosen annäherungsmethoden, die erfrischenderweise ja freiheit symbolisieren.
      Hieraus kapriziert sich im anschluss daran die wichtigste frage, die frage nach dem formalen, dem inhaltlichen nur noch EMOTIONAL und/oder EMPATHISCH sich nähernd.
      Diese frage führt später zur gründlichen abwägung, einem jeweils vorliegenden thema auch möglichst gründlich GERECHT werden zu können, was auf die unter-
      schiedlichsten möglichen wirkungsfolgen – aufgrund der unterschiedlichsten, meist
      PHYSISCH bedingten, geschmackspräferenzen – bei den rezipienten – trifft.

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