WEH & VERKLÄRUNG. Eichendorff. Die Kammersinfonie Berlin. Wolf, Schreker und Schoeck im Konzerthaus Berlin.

Wenn das schon zu sperrig ist, um den Kleinen Saal zu füllen, dann Mahlzeit. Nebenan, im Großen, gab man vollbesuchten Pop: Beethoven, Haydn, Brahms, da sah man manchen Nerz die Treppen des Konzerthauses hinaufdefilieren oder ihn auf Wasserwaden schleppen und roch das Naphtalin.
Still dagegen, sphärisch still, die >>>> Kammersinfonie Berlin unter ihrem Gründer >>>> Jürgen Bruns, der selbst beim Dirigieren hinter seinem Orchester, obwohl er vorne steht, verschwindet: Nichts drängt sich vor den Klang.
Es war ein liebevoll aufeinander abgestimmtes Programm, das mit Hugo Wolfs hier quasi als Abend-Prolog dienendem Lied „Verschwiegene Liebe“ in der Orchestrierung Franz Schrekers begann, dessen zumindest in Kennerkreisen berühmter Kammersinfonie der gleich folgende Teil des Abends gewidmet war. Anders als hinterher bei Schoeck ist Schrekers Klang, bei allen Rissen, bei aller ich möchte sagen: Traumhaftigkeit der Faktur, ein letztlich gesicherter, der mit äußerster Raffinesse instrumentiert ist und von Bruns und der Kammersinfonie Berlin den Character eines aktiven Traumspieles bekommt: hochnervös, ja erregt, doch schon, celestabegleitet, immer auch erschlafft. So sinkt einer aus dem Träumen in den Halbschlaf. Jedes der 23 Instrumente glüht oder glänzt; um wirklich mitzubekommen, was hier geschieht, muß man die Augen schließen. Dann wirkt es direkt aufs zentrale Nervensystem. Da es Druck zu Hochglanz nicht gab, konnten die feinen Adern der Partitur sinnlich werden und wurden in dem manchmal nah am Kitsch atmenden Zwanziger-Jahre-Klang ausgesprochen plastisch. Dieser Kitsch, der aus der Unterhaltungsmusik stammt, hat eine deutliche Funktion in Bezug auf das Hochkulturelle: er nimmt ihm den Marmor, verlebendigt es und sorgt gleichzeitig für das Ungefähre, das dieser speziellen Musik, aber den Kunstmusiken der ersten zwanzig Jahre des letzten Jahrhunderts insgesamt eigen ist, vom frühen Schönberg über Korngold bis eben zu Schreker. Deutlich dabei die Verweise vor allem auf Schrekers „Fernen Klang“: doch mehr atmosphärisch als tatsächlich motivisch. Dieser Klang hat etwas deutlich Politisches: es manifestiert sich objektive, gesellschaftliche, Ungewißheit. Immer ist schon das kommende Unheil zu spüren. Dabei wurde der Klang gestern abend ganz selten undurchsichtig, nur sehr bisweilen, einem schiefen Cluster ähnlich, verklumpt. Außen der Lack, „doch in der Tiefe waberndes Getier“ (>>>> Benn).
Anders nun, ganz anders Othmar Schoecks erster Liederzyklus aus den Jahren 1921 und 1923. Wie in des Schweizers nahezu sämtlichen Vokal-Kompositionen ist das Unheil, ist die Gebrochenheit nicht ein objektiv-gesellschaftliches Faktum, das zum Klingen gebracht wird, sondern ins Subjekt zurückgespiegelt und dort ausgetragen. Man merkt es daran, daß musikalische Risse in minimalen Einheiten stattfinden, manchmal über einer einzigen gesungenen Silbe: es gibt da eine Tendenz zur Mikrostruktur und etwas Deklamierendes, das vor allem Fischer-Dieskau zu einem ausgezeichneten Schoeck-Interpreten gemacht hat. Kaum je werden Sangeslinien wiederholend verfolgt; das Schlußlied der Elegie ist da eine bezeichnende, spätromantische Ausnahme. Überhaupt ist die Zuordnung Schoecks zur Spätromantik höchst problematisch und einzig begründeter Beleg sein Festhalten an der Tonalität. Horcht man sie nämlich ab, beginnt sie sich, zumal in Schoecks chromatischen Vorlieben, aufzuspleißen: Da läßt sich nichts mehr halten. Der Komponist ist sich dessen bewußt – ebenso wie sich Eichendorff dessen bewußt war, den Schoeck nicht grundlos immer wieder herbeigezogen hat, und dies nicht etwa wegen der Regreßsucht in eine „heile“ Natur – im Fall Eichendorffs die verlorene Landschaft der Kindheit. Für die Elegie op. 36 verklammert ihn Schoeck mit Lenau-Gedichten, oft unheilschwangeren, in denen dieses Unheil aber nur aus der feinen Binnenstruktur kenntlich wird.
Und wie überzeugend das gestern dargebracht wurde: Ich war völlig erstaunt von der Dramatik, ja Dramaturgität dieses Zyklus’: wie einem wirklich die Bilder entstehen, wie wirklich eine konkrete Abfolge entsteht, obwohl die zugrundeliegenden Gedichte narrativ nicht zusammenhängen. Das lag zum einen an der Liebe, die das Kammerensemble dieser, jedenfalls in Deutschland, kaum je aufgeführten Musik entgegenbrachte…. völlig bewußt um die Mikrostrukturen – man höre sich nur die Flötenführung in „Welke Rose“ an -, sich bewußt auch des manchmal etwas biederen, hausbackenen, ich möchte sagen: deutschschwyzer Klanges – den die Musik aber gerade, um ihn zu brechen, braucht. Deshalb muß man ihn ebenso ernstnehmen wie die U-Musik-Anteile bei Schreker; wer sich da sperrt, bekommt die eigentliche Entwicklung nicht mit. Wohin sie Othmar Schoeck geführt hat, wird jedem spätestens dann klar, wenn er zum ersten Mal seine Penthesilea-Oper nach Kleist hört – eines d e r großen Stücke Opernliteratur des letzten Jahrhunderts. Da ist es mit dem Biederen nämlich restlos vorbei, da zerbricht dem Komponisten am Penthesilea-Motiv sein Konzertflügel fast.
Es lag gestern abend aber vor allem an der Gesangskunst Sebastian Bluths. Ich kannte die Elegie bislang nur von dunklen Baritonen, ja von Bässen gesungen; hier sang jetzt ein heller, und er sang mit besonderer Betonung auf einen hellen Gesang. Das nahm das Deklamierende aus der Musik hinfort, nahm sie sehr sanglich und konnte sogar (selten, sowieso bei Schoeck) schmettern; etwas gepreßt und scharf wurde das nur, wenn Bruns das Orchester ins Forte hob. Für große Säle mag Bluths Stimme nicht gemacht sein, vielleicht aber doch: vielleicht ist es die spezielle Schwierigkeit schoeckscher Stimmführung, daß sie, anders als Schreker, ins Große gar nicht hinaus- sondern bei sich bleiben will. Und muß. Zwingt man sie um, wird sie schrill. Vielmehr gibt es Modulationen zwischen zwei bis drei Noten in einer einzigen Sprechsilbe, die Sebastian Bluth hier eben sang und nicht etwa deklamierte, wie das Fischer-Dieskau gerne getan hat. Bluths Ansatz ist ungleich schwieriger. Es war verblüffend – ein falsches Wort, weil der Vorgang innerlich ist – welch ein Ereignis aus Weh und verwundeter Sinnlichkeit dabei entstand… und welches Beharren auf melancholischer Verklärung… Innig dabei die, funktional gemeint: harmonische Rolle des Klaviers, das einen zugleich quasi-pädagogischen Effekt hat: wie eine supervidierende, gute Autorität einem an den entscheidenden Stellen, doch eben nur ganz leicht, den Finger auf ein Motiv legt, um es zu umrahmen und die Konturen momentlang auszumodellieren, auch, um damit ein Stück abzuschließen. Das ist der völlige Gegenentwurf zu Wagners Leitmotivtechnik, zu der Adorno böse bemerkt hat, man fühle sich für die wichtigen Ereignisse dauernd am Ärmel gezupft. Bei Schoeck wird nicht insistiert, sondern, indem man bricht, gehoben. Genau das beschreibt den typischen Schoeck-Klang. Das ging den Weg in die Sachlichkeit nicht mit, und nicht in eine stampfende, expressive Präsenz wie bei Stravinski, sondern beharrte und beharrt weiter auf einem Subjekt, das eben nicht abwehrt, wie es sich zunehmend demontiert, sondern den Verwundungen nachfühlt und die Chandos-Pilze ausschmeckt.
Schade nur, wie schade, daß so wenige Hörer kamen, sich auf ihr Innres einzulassen. Stattdessen, um ein Wort Thomas Pynchons zu travestieren: kriegten sie nebenan einen Beethoven ans Ohr. Immerhin sahen sie davon ab, sofort nach Polen einzumarschieren.

[>>>>Konzert am 28.11.2007.
Konzerthaus Berlin.]

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