Arbeitsjournal. Montag, der 6. August 2007.

6.32 Uhr:
[Auf dem Hegerfeld.]
Quasi gar nichts getan gestern – außer zu lesen. Beim Notarzt – aus Klugheit, nicht Einsicht; jaja, das gibt’s – gewesen, wegen des Fußes, weil ich am Donnerstag ja wieder schleppen können muß. Es war dann, wie ich’s mir dachte: Offenbar hatte sich für Kurzes einer der Oberfußknöchelchen um Bruchteile eines Millimeters verschoben, und weil da, so der Arzt, Hunderte Nervenenden endeten, komme es zu einem derartigen – wie mein Verstand spottete – absurden Schmerz; ich lachte ja die ganze Zeit, wenn ich nicht grad „Aua“ sagte. Eine Enzündung hielt der Arzt für ausgeschlossen, eine Verstauchung oder Zerrung auch, wie ich selbst, es gab ja auch gar keinen objektivierbaren Grund. „Meine Neigung würde den Fuß gern belasten“, sagte ich. „Nee“, so er drauf, „das lassen Sie mal besser. Ruhigstellen und – Geduld, Herr Herbst.“ Also las ich den Tag über nur. Und in der Tat wurde der Fuß dann besser über den Tag, und heute morgen sind nur noch ein wenig die Signale der Vorsicht zu merken, die das Gehirn ihn ausstrahlen läßt.
So daß ich dann sogar bereits um 22 Uhr einschlief, den Kopf meines Jungen, der nicht einschlafen konnte, auf der Brust; um ihm Ruhe zu geben, hatte ich mich neben ihn gelegt, da wurde er wirklich ruhig; ich aber auch. Und erst um halb sechs auf vorhin, weil ich vergessen hatte, den Wecker zu stellen. Bin dann gleich an die elfte Elegie gegangen, und das lief auch bis eben ganz gut.

Von >>>> parallalie kam eine intensive, gute Kritik zu einigen meiner Sonette, wobei ich nicht jede Sichtweise teile, aber Partie für Partie durcharbeiten werde, wenn es denn an die Überarbeitung der entsprechenden Gedichte gehen wird. Sein Haupt„vorwurf“ läßt sich etwa dahin zusammenformulieren, daß ich die Form allzu oft der Rhetorik opferte – womit im Fall der Gedichte wahrscheinlich der emotionale Ausdruck gemeint ist, an dem ich allerdings unbedingt festhalten will; nur werd ich ihn wohl mit einer starken, d.h. ausgefüllten Form übereinsbringen müssen. Hinweise darauf, wie das geschehen könnte, gibt parallalie zuhauf. Allerdings kann sein Weg, der einer des vor allem auch sprachlichen Distanzierens ist und deshalb oft die >>>> die Nähe des unpathetischen Sprachspiels sucht, nicht der meine sein, der ich Sprachspiele gerade nicht will, sondern ja eben das Pathos will.
Wiederum ist des >>>> Turmseglers, wiewohl mit einem Kompliment versehener >>>> Einwand, man merke den größeren Arbeiten bisweilen die Anstrengung an, ein für mich ambivalenter; zwar gefällt auch mir Leichtigkeit (er nennt das wunderschön ein „Ausatmen“), aber ich will auch, daß man das Mahlen der motivischen Arbeit merkt, ich will das nicht klassisch/klassizistisch weghaben, sondern wie in der späten Sinfonik, etwa bei Mahler, spürbar halten.

Momentan beschäftigt mich allerdings Ernst Jünger mehr. Der Roman (>>>> Heliopolis) bekommt um so größeren Sog, je weiter man liest; manches erinnert an Kubin, auch in der Magie; dazu kommt ein eigenartig pädagogischer Zug, politisch-pädagogisch, unzweifelhaft konservativ, aber weit, sehr weit von der dem Mann so oft unterstellten Nähe zur Rechten, Rechtesten entfernt. Jünger glaubt an Eliten, darin ist er Saint-Exupéry (etwa in „Citadelle“) enorm nahe, ist er auch Hesse (im „Glasperlenspiel“) nahe und ist weit weit weg von etwa Brecht; darin treffen wir uns. Aus welchem Stoff allerdings die Fahnen seiner politischen Gegner gewoben sind, das wäre anhand solcher Stellen, die deutlich genug Position beziehen, entschieden zu untersuchen:

So hatte sich in der Altstadt eine unkriegerische, kultivierte Rasse herausgebildet, die freilich vom Vorwurf der Verweichlichung nicht freizusprechen war. Das war die Schattenseite ihrer Tugend, die in der Feinheit der Erkenntnis lag. Sie zweigte sich sowohl sinnlich wie geistig auf. Ihr Tastvermögen ließ sie fähig erscheinen zu allem, was der Verschönerung des Lebens, sei es durch Luxus, sei es durch musische Schöpfung, dient. Das mochte auch mit ihrem Verhältnis zur Furcht zusammenhängen, das die Sinne schärft und das bei ihnen durch die Jahrhunderte hin ausgebildet worden war. Bereits in ihren alten Sitzen hatte der Islam ihnen als Magiern und Verehrern des Feuers unbarmherzig nachgestellt. Auch in Heliopolis war Haß und Neid um sie. Der Pöbel zeigte sich jederzeit geneigt, das Schlimmste zu glauben, was die Mißgunst über sie erfand.
Und dann, als geschickt eingeführte Parabel über die Greuel des Hitlerfaschismus:

Nachdem sich der Regent der Juden angenommen hatte und sie sowohl durch die Beschlüsse von Sidon als durch die Pläne Stieglitz und Karthago mit Land versehen hatte, traten die Parsen die Erschaft der Verfolgung an. Sie waren dazu einmal durch ihren Reichtum und dann durch ihre Andersartigkeit prädestiniert. Auch waren sie an Zahl gering, und sonderbare Gerüchte hefteten sich ihnen unaustilgbar an. Insofern kam das Völkchen dem Landvogt und Messer Grande stets gelegen, wenn ein Gewaltstreich vorzubereiten war. Man liebte im Zentralamt die der Technik entnommenen Vergleiche und pflegte zu sagen, daß man „über die Parsen umschalte“ oder daß sie „eine gute Initialzündung abgäben“. Unruhen im Parsenviertel pflegten daher den wichtigeren Plänen vorauszugehen und bildeten den Auftakt zur unmittelbaren Anwendung der Gewalt. Sie gaben dem Demos die instinktiven Züge, die triebhafte Richtung, die der Landvogt anstrebte, weil sie den alten Gesetzesgrund erschütterte. Auch wer sich nicht an der Gewalttat beteiligte, der suchte doch von den Verfolgten Abstand zu nehmen, und auf diese Weise breiteten sich Furcht und Schrecken aus. Es wurden Exempel aufgestellt – Beispiele dessen, was dem Menschen zuzufügen möglich ist.

Jünger, Heliopolis, EA 66/67.

Man muß für „Parsenviertel“ nur „Ghetto“ lesen, um klarzubekommen, von wem und aus wessen Zeiten Jünger hier, 1949 erschien der Roman, erzählt.

:8.87 Uhr.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .