Hat Kunst Moral ? – Spontane Briefe. montgelas. 27.07.2007.

Lieber Paul,

>>>Dein Beitrag über Schmitt und La Tour gestern im Tagebuch fordert meinen Widerspruch. Schmitt, da sind wir einig, aber was La Tour oder allgemein Kunst und ihre Rolle in der Gesellschaft angeht, da muss ich Einspruch erheben. Kann es sein, dass der Einfluss von >>>John Berger, verdienstvoll der Mann, was Verbreitung von Kunst unter das Volk angeht, Dich so à la Lukacs verkappt
h e g e l n ließ?
Kunst hat keine Moral. Sie ist im besten Sinn ohne Sozialität und leuchtet erst damit in die Breite sozialer Wirklichkeit. Natürlich weiß ich, dass es religiöse Erbauungskunst vom Heiligenbild bis zum Agitprop-Plakat gibt, die uns deshalb heute Kunst sind, weil ihr propagandistischer Ansatz seinen Grund verlor. Was dato Kunstgewerbe war, wird, weil wir nun zweckfrei ein Werk betrachten, zur Kunst. Die >>>Rosta-Fenster sind so ein Beispiel. Das Ergebnis ihres agitatorischen Anlasses, längst im Orkus der Geschichte verschwunden, können wir heute rein unter ästh. Gesichtspunkten wahrnehmen. Eisensteins Potemkin oder Leni Riefenstahls Olympiafilm, beides Werke der Propaganda, entfalten dann eine Schönheit, die fernab einer kleinbürgerlichen Zeigefingermoral ästh. Wirkungen hervorbringt, deren man sich kritisch nähern muss und deshalb nicht zu schämen braucht. Das liest sich provokativ ist aber doch einige Überlegungen wert, meine ich.
La Tour: Hier sattelst Du das Pferd völlig verkehrt. Lebenshaltungen eines Künstlers interessieren nur biografisch. Im Vordergrund steht sein Werk. Balzac zum Beispiel war ein großes menschliches Arschloch, und trotzdem sind seine Romane genial gebaut und seine Figuren haben Tiefe. Deine Haltung Werk und soziale Realität miteinander zu koppeln und Lebensumstände von Künstlern bei der Interpretation dazu zu addieren, wird spätestens dann ihr ästh. Defizit offenbaren, wenn Du Dir Werke der Moderne ansiehst. Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ ist mit der lukacsschen Hegelei nicht zu erfassen. Oder nimm >>>Louis-Ferdinand Céline, Voyage au bout de la nuit, das ist Kunst, egal was wir von ihrem Schöpfer halten. Pound muss ich nicht erwähnen, das gilt auch für den Stalinverehrer Pablo Neruda, die beide in der Welt der Kunst auf Ewigkeit ganz Große bleiben werden. Eine historisierende, soziologische Philologie wird mir jedenfalls den Appetit auf den Canto General oder die Cantos nicht nehmen können.
La Tour, er ist ein Mann und damit naiv. Naivität ist, neben Talent und Genie, eine Voraussetzung für Kreativität, glaube ich. Frauen sind anders, auch in der Kunst. Sie sind weniger unmittelbar, weniger tölpelhaft, überhaupt geschickter sind sie und besser geschützt. Die Frau, das ist der lebende Hintergedanke! bei La Tour (Serres). Ihre meditative Stärke, ihre kluge Distanz, ihre moralische Reserve, ich spreche hier nicht von neurotisierten Frauen, stellt La Tour in seinen Bilder, ob er es wollte oder nicht, aus. Und gleichzeitig lese ich in seinen Gemälden eine unsichere männliche Existenz. Von kalter Distanz keine Spur. In seinem Hiob-Bild geht ihr der Mann bis an die Brust, in seinem Sebastian überragt die Frau ihn mit ganzer Körperlänge. In fast allen Werken, in denen er Frauen abbildet, täuscht das Weibliche und lässt sich nicht täuschen. Das kannst du gut sehen, wenn Du Dir das Kartenspiel oder die Wahrsagerin ansiehst.


Ich komme ins Plaudern, bitte für das Assoziationsdurcheinander
um Vergebung und freue mich, dass wir uns bald sehen werden.

Alles Gute.

montgelas

6 thoughts on “Hat Kunst Moral ? – Spontane Briefe. montgelas. 27.07.2007.

  1. Robert Musil lässt seine ‘Vorrede zu einer zeitgenössischen Ästhetik’ mit dem Satz enden: “Wir wollen also untersuchen, wie sich Kultur und Politik gegenseitig hindern”. Dieses vielversprechende und mit Schwung in Angriff genommene Untersuchungsobjekt hat Musil leider nicht weiter ausgeführt; es ist ein Fragment von wenigen Seiten geblieben! Mich wundert das überhaupt nicht…Allein der Vorsatz ist dazu angetan zu erschöpfen…
    Was Musil für das Verhältnis Kultur & Politik voraussetzt, dass beide sich nämlich gegenseitig hindern, das gilt noch mehr für das Verhältnis von Kunst und Moral: beide schließen einander aus. Das mag man bedauern oder gutheißen: Kunst ist eben so amoralisch wie die Moral künstlich ist. Erst recht heute, wo die ‘Moral’ zur ‘pc’ (political correctness) mutiert ist und alle Lebensbereiche zu verpesten droht, muss der Anspruch der Kunst an ihrer widerständigen Unkorrektheit gemessen werden.
    Ob etwas Kunst ist, darüber entscheidet weder die politische Moral (‘Parteibuch’) des Künstlers, noch seine ‘rein menschlichen Gepflogenheiten’ (Privatleben’), sondern einzig sein Werk. Celine ist dafür das beste (literarische) Beispiel!

    (Zum Schluss ein ‘LINK’ auf einen ‘schrecklichen Zustand’ und ein ‘WEITERER’ auf einen das Thema jedenfalls nicht verdunkelnden Text…)

    P.S.: Nur gut, dass ich nicht schon gestern mein ‘Pulver’ bei Herrn Reichenbach verschossen habe,
    so kann ich Sie heute hier beide treffen 🙂

    1. @walhalladada; zu Mertin. Kunst & Moral in der kapitalistischen Demokratie. Die Frage stellt sich auch anders, vor allem für die Literatur, die ja nahezu immer explizit, weil eben sprachlich gebaut und n i c h t, anders als Bildende Kunst, Bild ist: Sollte man sich überhaupt auf Moral einlassen, zumal in der gegenwärtigen Situation des Westens? Dies ist eine Materialfrage, und zwar, weil sich – an sich eine logische Folge des Demokratisierungsprozesses – der Geschmack, was denn nun Kunst s e i, von ausgebildeten Kennern auf die weitgehend unausgebildeten, unspezialisierten, oft auch ungebildeten Massen verschoben hat; dem wurden Opfer an Feinheit gebracht, etwa in der Musik, deren Tonalität in einem Allgemeinen, das sich am Markt behaupten kann, weit hinter die Klänge und Konstruktionen der Zwanziger Jahre regrediert ist – ich spiele jetzt nicht auf Schönberg an, sondern etwa auf Schreker und andere Komponisten, die sehr vorsichtig mit der Lockerung der Tonalität umgegangen sind. Insgesamt hat sich das spezialisierte, um das Wort noch einmal zu gebrauchen: gebildete, Hören zurückgebildet; Ähnliches ist – formalästhetisch – auch in der Literatur zu beobachten. (Harry Potter etwa wird von nicht wenigen literarischen Intellektuellen in den Rang der Hochliteratur hinaufdiskutiert).
      Das hat in demokratischen Massengesellschaften etwas Notwendiges. Wenn das Volk regiert, muß es eben auch sagen, was Kunst sei und was nicht; und das wird weniger kenntnisreich ausfallen, als wenn Spezialisten entscheiden (die freilich auch irren können und oft geirrt haben). All das wäre wenig problematisch, wäre nicht einerseits die ökonomische Machtapparatur auf die Massen ausgerichtet und förderte nun noch einmal besonders, im Sinne eines möglichst großen Warenabsatzes, den Massengeschmack, den sie zugleich damit bestätigt und als neuen Kanon prägt. Andererseits sind die Kunstprodukte des Massengeschmacks aufgrund der Emanzipationsbewegungen zwischen 1960 und, sagen wir, 1980 immer an Moral gebunden gewesen: es waren oft Ausdrucksformen von Protest gegen Erstarrung (dabei aber eben, oft, ästhetisch Regresse). Und zum Dritten gibt es keine derart moralische Gesellschaft wie die der die Märkte nach wie vor bestimmenden USA – eine pragmatische Moral wird da vertreten, die die metaphysische Komponente des Ethischen auf eine lebenspraktische der Anständigkeit reduziert. Damit geht dem Moralischen aber gerade sein Fundament verloren, und es löst sich in regulations auf, die, w e i l sie die Tiefe nicht haben und nicht haben kann, das Überschreiten etwa eines Rauchverbots faktisch wie eine Straftat behandelt und selbst Flirtversuche als sexuelle Übergriffe auffaßt.
      Diese Bewegung, die unterdessen auch in Europa angekommen ist, schleicht sich von hinten in die Künste. Die täten deshalb gut daran, ihr auf die Finger zu hauen, und zwar eben auch dann, wenn die Gefahr besteht, einen falschen Finger zu treffen. Dieses Risiko – und überhaupt Risiken – müssen sie eingehen können; sie sterben gerade d a r a n, daß sie allzu sehr auf Übergriffigkeiten verzichten. Und es tut ihnen auch gut, ganz entschieden antidemokratisch zu sein; sind sie das nämlich nicht, gehen sie als vielleicht drei unter zweihunderttausend Stimmen bei jeder Abstimmung unter.

      Das nur als vorläufige Replik auf Mertins Thesen – s e h r vorläufig und brüchig, weil sich Mertin auf zumal mir nicht bekannte Werke der Bildenden Kunst direkt bezieht, die er interpretiert; und ich bin mir unsicher, ob sich überhaupt Aussagen über das eine Medium bruchlos auf solche über ein anderes Medium übertragen lassen. Aber sehr wahrscheinlich gibt es Analogien.

      (Zum „Demokratischen“ gehört übrigens auch die Desavouierung des Genie-Begriffs, die sich ja schon fast einer banal-klassischen Beliebtheit erfreut. Versteht man unter einem Genie aber jemanden, der besonders mit speziellen Talenten (Fähigkeiten) ausgestattet ist und die in besonderem Maß konzentriert und dicht, dann verliert sich das scheinbar Göttliche aus ihm, ohne doch es selbst ständig geleugnet werden muß. Daß es solche Menschen gibt, dürfte außer genau so Frage stehen, wie daß man solche Menschen nicht erziehend schaffen kann; d.h. ihre Fähigkeiten sind eben n i c h t der Sozialität verdankt, sondern einer Genese, die den Naturgesetzen unterliegt. Man spricht heute gerne von „Hochbegabten“, nur ist das einerseits mal wieder einer jener nominalistischen Irr-Dynamiken, die glauben, wenn man das Wort ändert, dann ändere sich der Inhalt gleich mit. Zum anderen meint „Genie“ eben noch viel mehr als eine Hochbegabung, nämlich eine aktive und sich vollendende, eine praktisch durchbrechende Hochbegabung. Eine solche steht dann in der demokratische Masse, im Volk, dem mittleren Maß, der Quersumme, als einzelne Zahl nicht einmal mehr teilmengig da und wird – überstimmt. Man fühlt daran aber ein Ungenügen, und das findet seinen Ausdruck in der Desavouierung des Genie-Begriffs: was es nämlich nicht gibt, dem kann man auch kein Unrecht tun. Und die demokratische Moral ist’s zufrieden.)

    2. “Denn nur indem man den Göttern trotzt, so lehrten uns die Mythen, kann der Mensch am besten seine Menschlichkeit ausdrücken”

      Salman Rushdie aus “Überschreiten Sie diese Grenze”

    3. Merkwürdige Diskrepanz @Alban
      Die Frage stellt sich auch anders, vor allem für die Literatur, die ja nahezu immer explizit, weil eben sprachlich gebaut und n i c h t, anders als Bildende Kunst, Bild ist […]”
      Bei mehrschichtig [LINK] schrieb ich heute abend:
      “Ich sage mal Text, so wie ich Bild sage. Und meine damit meine Intention – ich glaube, das so sagen zu können -, einen Text erscheinen zu lassen. Denn ich erzähle ja nichts in meinen Texten (Ausnahme B.L.). Der Text geschieht. Das ihm das nicht immer oder nur teilweise gelingt, je nun, im Blog erlaube ich mir das. So wie ein Bild einfach da ist. Ohne Geschichte.”
      Ich glaube dieser anfänglichen Aussage nicht, weil ich ein Bild von Drei Engeln vor mir habe. Weil ich an Eidechsen denke. Weil ich Ebenen verschweben sehe, die Bild zu Bild zu Bild werden.

    4. @parallalie. Bilder im übertragenen – eben sprachlichen – Sinn sind das, aber nicht Bilder, die tatsächlich – material – wären. Das ist genau der Unterschied, den ich meine. Eine Formulierung evoziert ein Bild, ist aber keiner. “Das ist keine Pfeife”.
      Und zu dem Eintrag bei >>>> mehrschichtig meine ich, sagen zu können, daß k e i n Text einfach da ist, sondern auch als “Bild” ist er reiner Verweisungszusammenhang. Anders das konkrete Bild, das a u c h Verweisungszusammenhang ist, aber auch etwas anderes; und insofern das konkrete Bild (ein Gemälde etwa) ein Verweisungszusammenhang ist, ist es nicht mehr Bild, sondern Sprache.

      Man muß sehr genau aufpassen, wie man etwas eigentlich meint: ob metaphorisch oder konkret.

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