Augsburg Brecht Connected (2). Arbeitsjournal. Sonntag, der 15. Juli 2007.

10.39 Uhr:
[ICE Augsburg-Berlin.]
… und dann ging’s, nachmittags, in den Hof im Schaetzlerpalast zu Brecht und dem „abc des Briefverkehrs“; auf dem Podium u.a. Kevin Vennemann, den ich seit Hausach für mich als wichtige, gewichtige neue Stimme in der deutschen Gegenwartsliteratur entdecke, neben Marcus Braun und Ricarda Jungeeiner der wenigen jungen Literaten, deren Prosa-Ästhetik mir nah ist und für die ich mich gerne, sehr gerne einsetze. Sofern ihnen das, muß man sagen, nicht schadete. Während der im übrigen desolaten, weil deplacierten Fragestellung („Wie ging Brecht mit seinen Frauen um?“ Na ja, mies, vielleicht ökonomisch, vielleicht gefühlsarm, aber wen schert solch personality-Entertainment der galoppierenden Anständigkeit? – Vennemann hatte völlig recht, ihm, auf hohem Niveau der Formulierung, eine Absage zu erteilen), sagt Hülswitt nach seiner Lesung:…weil man durch das Schreiben eine Distanz zu seinem eigenen Inneren aufbaut“. Worauf dringend zu fragen wäre (aber natürlich n i c h t gefragt wurde): w e r baut die auf? Was ist denn dieses „man“, wenn nicht Teil des eigenen Inneren selbst?… als autopoeisierte sich eine Instanz im Ich, die Ich nicht ist, selbst… materiell fast. Hier liegt ein Konflikt jeglicher InnenInstanzenKonstruktion. Auch dies muß chemisch gesehen werden: wie ein Programm, das über die Oberfläche des Schirms gesteuert wird, aber selbstverständlich Teil der Software b l e i b t.
Danach eine vorzügliche Moderation Maxim Billers; es ist vergnüglich anzusehen, mit welcher Leidenschaft er sich einlassen möchte, aber ja nicht darf, weil seine Rolle am Nachmittag eben die eines Moderators ist, wie geschickt er es dann aber versteht, dennoch seine Positionen laut werden zu lassen, die ich zwar nicht unbedingt teile (etwa, wenn er den Kapitalismus als das beste aller poltisch/ökonomischen Modelle preist), die aber durch seine Leidenschaftlichkeit nachvollziehbar werden. Ich bekam direkt Lust, mich mit ihm zu streiten, aber ich war ja nur Zuhörer an diesem Nachmittag.Die gesamte Augsburger Stadt war heute von Hochzeitspaaren in Schwarzweiß geflutet, teils, dachte ich, sind ihnen je vier Pferde vorgespannt… eine unlautere Zusammenziehung, ich weiß. Als wir so vorm Capitol zusammensaßen, Andreas Neumeister, Krausser auch schon, glaube ich, die Buschheuer und weitere, schreitet eine hochgewachsene, mulattenhäutige Frau auf eine derart märchenhaft-lockende Weise vorbei, daß ich die ersten Verse eines Gedichtes skizziere.Was die Frau so locken läßt, ist ein Tattoo, das sie von der linken Schulter abwärts zum Ellenbogen trägt… austrägt, inszeniert… und sie hat ja ganz recht, es ist eine enorm feine arabeske Arbeit, an die sich sinnliche Augen heften m ü s s e n, es bleibt ihnen rein keine andere Wahl…
Ich werde das Dingerl, Baudelaire zitierend, „An eine, die vorüberging „ nennen; vielleicht führe ich sie gleich schon aus, die Arbeit also, die Frau ja nicht … im Zug jetzt, denn ich bin bereits auf der Rückfahrt.

Den Höhepunkt – für mich – gab’s dann abends mit dem Joachim-Kühn-Trio im Innenhof der Musikhochschule.Die befreundeten Kollegen, als sie „Free Jazz“ hörten, mochten nicht mitgehen; Scheu und Unverständnis nicht- bzw. freitonaler Musik ist gerade bei Literaten signifikant. Ich fand das immer schon eigenartig. So ging ich mit Heinfelnder vom SWR hin… und es war grandios… jedenfalls im ersten, „freien“ Teil; im zweiten spielte man eine Art Brecht-Medley, wobei je der Song variant vorgeführt wurde und dann die Improvisation begann.Die nicht so arg viel brachte, weil das musikalische Material der Brecht-Songs einfach zu banal ist, man hat überhaupt keinen Stoff, über den sich improvisierende Musik gestalten ließe. Das wurde aber auch sowas von schlagend klar….Stellen Sie sich vor, ein Weltklasse-Komponist wollte Variationen über Roy Blacks „Ganz in weiß mit einem Rosenstrauß“ schreiben – dann wissen Sie ungefähr um das Problem. Man hätte das also sein lassen und einfach nach Eigenem weitermusizieren müssen, der Abend wäre so berauschend geendet, wie es die erste Stunde des Abends tatsächlich war… zumal in dieser Konstellation aus Klavier (Joachim Kühn), Schlagzeug (ganz großartig: Ramon Lopez) und Oud (der Marokkaner Majid Bekkas). Daß man hier wirkliche Weltmusik geboten bekam, hatten die vielleicht siebzig Zuhörer mitbekommen; an sich hätte die Schlange bis auf die Straße stehen müssen……aber man proppevollte lieber den Pop der Goldenen Zitronen…. zu dem mich Heinfeldner erst verführen wollte, ich ging auch mit, aber wir kamen zu spät, und ich kriegte grad noch die letzten akte mit – abschreckend, fand ich, schon im Grundschlag („Beat“).
Jedenfalls entspann sich eine sehr schöne gelöste Diskussion mit dem niederländischen Komponisten Konrad Boehmer, der die halbe Welt der Neuen Musik persönlich kennt und kannte; wir sprachen über Stockhausen, meine Liebe zu Dallapiccola, die er teilt… überhaupt, die Italiener… Nono, Maderna, Berio… „die h ö r e n, was sie komponieren – deshalb klingt ihre serielle Arbeit auch… sie essen gerne, sie trinken gerne… was bei den Kölnern, den Deutschen verpönt war…“ Ich brach mal wieder eine Lanze für Pettersson, die ich aber gar nicht brechen m u ß t e… und wir verlagerten das Gespräch bis nachts um zwei an die Hotelbar. Dann machte sich Heinfelnder davon, und Boehmer und ich, je, gingen schlafen. Wir haben Email-Adressen getauscht; vielleicht wird daraus etwas Feines für die Arbeit. Bohmer war nicht auf dem Kühn-Konzert gewesen, sondern hatte sich den Poetry-Slam angehört. Bezeichnend für seine Art, mit Neuem umzugehen, war es, als er sagte: „Es ist ganz wunderbar, wie diese jungen Menschen ihre eigene Form gefunden haben, sich das Medium der Literatur persönlich anzueignen.“ Ein ganz einfacher Gedanke und völlig einleuchtend; ich war bislang überhaupt nicht darauf gekommen. Es gab aber wohl auch eine Schattenseite: die Abstimmerei und Kür desjenigen, der am besten ankommt – die Popseite des ganzen halt. „Da war einer dabei, der Brecht-Texte wie über eine Brücke ins Publikum hineinintonierte… absolut großartig… den Preis bekam aber jemand, der immer nur dumpf ins Mikro gestöhnt hat… weil das die meisten Lacher brachte…“

Um sieben wurde ich wach und merkte einmal mehr, wie viel ich vorabends getrunken hatte (die „Italiener“, sie essen gern, sie trinken gern)…. aber es war harmlos, denn nach einer halben Stunde Zusatzschlafes war der Kopfschmerz geschwunden, ich packte, ging für ein Interview noch auf die Terrasse, wo ich nett frühstückte – dann brach ich auf zum Bahnhof und sitz nun schon im Zug.
Ich hoffe, Leser, Sie genießen diesen herrlichen Sommertag, wie bislang ich ihn genoß. Und nun an die Tagesarbeit gehen werde.

(Die Links auf die Namen suchen Sie sich bitte einmal selbst heraus, wenn Sie Näheres wissen möchten; ich geh übers langsame Mobilchen ins Netz… das dauerte mir einfach zu lang, Ihnen diese kleine Arbeit heute abzunehmen.)

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