Jarrett, Creation]
Der Sog war stark, als ich vorgestern frühnachts für den Cigarillo des Tages auf der Steinbrust über der >>>> Scala di Montesanto saß, die Beine überm Abgrund hängend. So hatten nachmittags drei junge Frauen, ebenfalls rauchend, hier gesessen und geschwatzt und gelacht; da war ich ein wenig neidisch gewesen. Nun aber war es dunkel, zur ersten Empore geht‘s an die, schätze ich, zwanzig Meter hinab. Drittels den Vulkan hinauf und den langen Hafen entlang und weiter rund um die Küste flimmerten die Lichter bis ganz drüben nach Sorrento. Zwei weitere quasiTerrassen hinab lagerten die jungen Stadtstreicher auf ihren Matratzen, bisweilen schlug einer ihrer Hunde an. Jedesmal, stieg ich an ihnen vorbei hinauf, grüßten sie. Wenn ich morgen Neapel wieder verließe, würde ich ihnen den Rest Wein vorbeibringen, die geöffnete Literflasche, die ich nicht würde mit nach Deutschland nehmen können.
Hinterneben mir vier Männer, die den Aublick über den Hafen und zum Vulkan ganz ebenso genossen. Na, der hat Mut, sagte einer.
Hatte ich aber nicht. Wie geschrieben: der Sog war groß, zu groß.
Ich lehnte mich zurück, hielt mich quasi fest und noch fünf Minuten durch, dann zog ich die Beine zurück, kraxelte herab, nahm die letzten paar Stufen zum Corso hinauf, tat ein paar Schritte, stellte mich dann an die Brüstung, wie man an der Reling eines Schiffes steht, und rauchte zuende, bevor ich zum letzten Schlafen in mein Quartier ging, ein Stückerl den Corso weiter, in Richtung Pza Mazzini, dann rechts durch den schmalen Bogen die einundfünfzig Stufen hinab
Ein Sprung oder ein Fallenlassen wäre gefährlich gewesen. Nicht für das Leben, nein, für den Tod.
Mit dem immer wieder Hermann Nitsch „gehandelt“ hat. Seine Erklärung ist wichtig:
Erklärung Hermann Nitschs.
>>>> museo Hermann Nitsch, Napoli
Unendlich bescheiden ist das Museum angezeigt:
Wenn in Neapel, immer, pilgere ich in dieses Museum, wie ich auch stets wenigstens eine der Kirchen besuche und auf Stirn und Herz und Lippen vom geweihten Wasser nehme. Kerzen lassen sich nicht überall entzünden, weil der gschaftlhubernde Katholizismus sie weitgehend durch Glühbirnen-Fakes ersetzt hat, die mich abstoßen.
Eine Stunde etwa blieb ich.
Zu diesem Museum gehören wie zum >>>> Madre aber unbedingt nicht nur die Kunstwerke, sondern vor allem auch die Ausblicke auf die „weltlichen“ Ensembles der Stadt, Gassen, Gärten, Dächer:
Woher ich käme? – Besucher fallen auf.
und die Düsternis wiedererschien
stieg aus den Gassen mir zu
gestern abend in Wut und disparazione
la lingua sola mea, sola per me
in Unverständligibilità für alle gli altri:
So saß ich auf der Brüstung, ließ die Beine hängen und sah hinüber zum Vulkan
Schon wieder rochen meine Finger nach Fisch
Meine kleine Pescheria, Montecalvario sotto: Spaghetti al vongole, un bichier‘ di vino bianco:: sechs Euro plus einen für das Wasser. Wann immer ich vorbeiflanierte, war ich ab da gegrüßt.
War zu müde abends, um noch zu schreiben, die Oberschenkel pochten. Um halb elf schon ging ich schlafen. Morgens wären Einkäufe zu tätigen, für die Beute. Um neun wär aufzubrechen, Tintenfische (totani, polipetti, calamari – es darf nichts durchseien, und hoffentlich halten sie durch) sowie Käse, Prosciutto und Salami verstaut, und die Tomaten, die wie Pralinen schmecken. Es ist immer ein kleines Abenteuer, wenn ich aus Neapel fortflieg: – bekomm ich alles mit, anstandslos durch die Kontrollen? Neun Kilo mehr im Rucksack als bei meiner Ankunft.
6.4., 9.58 Uhr
Alter Platz am Rand der Piazza Garibaldi. Hier saß ich früher oft.
Eine Stunde noch Zeit bis zur Abfahrt des Alibusses. Um herumzustreunen, zuviel Gewicht auf dem Rücken. Also Caffè und Cigarillo, SMSen, die Straße beobachten, 26 Grad Celsius:
Notlächeln.
Eine sehr dicke Frau steigt hinter ihrem nicht ganz so dicken Mann auf die Vespa, nimmt im Damensitz Platz. So rattern die beiden davon.
Evolutionäres Erfolgsmodell Mensch.
Ein Anruf aus Deutschland: ob der Aufnahmetermin im ARD Hauptstadtstudio von 14 auf 16 Uhr verschoben werden könne, am Freitag..?
Im Alibus schimpft der Fahrer auf einen Passagier ein: Er habe den falschen Biglietto; der gelte nicht für diese Linie. Dann nimmt er den Mann aber mit und läßt ihn an dessen Wunschstraße hinaus, obwohl dort gar keine Haltestelle ist. Aus dem Streit hat sich während der Fahrt ein geradezu freundschaftliches Gespräch entwickelt – eine Freude, dessen Zeuge zu sein.
Der Rucksack geht anstandslos weg, die drei Kilo Übergewicht werden mit Schulterzucken registriert.
Noch anderthalb Stunden.
Der (noch) überflüssige Mantel über der Stuhllehne. Letzter Cigarillo Napules. Letzte Wärme:
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Die erste Nacht wieder, nun jà: „daheim“. Tiefer Schlaf, auf um Viertel nach sieben und zehn Minuten vor Jarrett.
Die Deutsche Grammophon hat Anoushka Shankars neue CD geschickt, >>>> „Land of Gold“; offiziell wird sie erst morgen erscheinen.
Die WDR-Lesungen aus dem >>>> Traumschiff müssen heute zusammengestellt werden. Das Antidepressivum bleibt abgesetzt, Neapel soll halten: