Stromboli. Von Roberto Rossellini. (Stromboli 12).

Endlich gesehen. Die Bergmann in einer höchst unangenehmen Rolle; doch die strombolianische Bevölkerung ganz ebenso unangenehm: scharfer Kontrast der verwöhnten, vom Krieg verworfenen, ichbezogenen, auf Luxus („Konsum“ sagt man heute) orientierten jungen Litauerin (die italienische Fassung erzählt – auf der >>>> DVD auch in der deutschen Fassung italienisch (!) – wie halbaufgehobene Zensur wirkt das – die Bereitschaft Karins zur Prostitution) und der aufs unmittelbare Überleben reduzierten Inselbevölkerung: „Du bist unbescheiden“, wirft man Karin vor. Zu recht und zu unrecht. In dieser Ambivalenz spielt sich der gesamte Film ab. Karin, in einem Frauenlager, das neben dem Männerlager liegt, bekommt die begehrte Einreisegenehmigung nach Argentinien nicht und also- es ist ein frauenlogischer Beschluß, nicht etwa Sentiment – heiratet sie einen jungen Strombolianer, der sie anhimmelt und, als er freigelassen wird, auf die Vulkaninsel mitnimmt.
Man erkennt Stromboli sofort, auch wenn sich seit 1949 enorm viel verändert hat: die Grundstruktur ist dieselbe geblieben. Nicht zuletzt das begründet die ästhetische Macht, die der Film nämlich direkt vomV u l k a n bezieht. Ein leichtes Schwenken des inneren Kopfes, und die gesamte geduckte Existenznot ist wieder da: der Lebenskampf, die „harte Erde“. Das macht den Film groß. Wie eben die Ambivalenz.Zwar hatten Bergmann und Rosselini eine heftige erotische Obsession zueinander, auch und gerade während der Dreharbeiten (die beiden heirateten später), aber Erotisches spart Rosselinis Arbeit fast ganz aus – so daß man sich fragt, wie es denn bei den Grundgegebenheiten eigentlich kommen konnte, daß Karin schwanger wird. Nur einmal, noch im Lager, blitzt davon etwas – etwas lockend Drohendes – auf. „Du willst mich heiraten? Aber du kennst mich doch gar nicht!“ sagt Bergmann. „Was ist, wenn ich ganz anders bin, als du denkst?“ Worauf er antwortet: „Dann werde ich dich schlagen.“ Wiederum sie, mit einem flirtenden, verführenden Lächeln: „Du willst mich schlagen?“ Man kann fast sagen: Karin heiratet den jungen Mann nicht dennoch, sondern deshalb. Das erklärt das entstehende Kind. Im Hintergrund übrigens, unmerklich fast in die Filmmusik hineingestreut, das Dies-Irae-Motiv. Gebildete merken da auf…Aber Karin ist entsetzt, als sie auf die Insel kommt, entsetzt über das Elend, entsetzt über die Einöde, entsetzt über die geduckten Menschen, die ein ebensolches Ducken von ihr verlangen. Was sie grausam macht – grausam gegenüber dem Mann, der sie unverbrüchlich weiterliebt, man kann sagen:ihr dient. „Man muß sich“, sagt sie ihm, „eine Frau wie mich leisten können!“ Und ein Mann, der ihr vorhersagt, er werde sie schlagen, d a r f nicht dienen. Tut er‘s dennoch, beginnt die Frau zu verachten. Was der Fall ist. „Er ist ein K i n d“, beklagt sie dem Pfarrer. Und als ihr Mann sie dann tatsächlich schlägt, schlägt er nicht aus Dominanz, sondern aus Not. Das dreht die Verachtung noch um einiges auf.
Schließlich will sie fliehen: In Ginostra, dem auf der Insel dem Örtchen Stromboli gegenüberliegende Ort gebe es ein Motorboot, erfährt sie, während sie versucht, sich einem hübschen Leuchtturmwärter leiblich zu verkaufen. Der ist auch bereit zu bezahlen, aber bittet um eine Woche Aufschub. Die will sie nicht warten, sondern sofort hinüber. „Aber der einzige Weg führt über den Vulkan“, warnt er. Kurz vorher war der Stromboli ausgebrochen. Karin wagt den Weg dennoch und wird dann oben an den noch ziemlich aktiven Kratern mit der Urgewalt Leben konfrontiert. Und ruft – sie, die Ungläubige – Gott an… was hier völlig stimmt, und zwar, weil Rosselini das magmahafte aus-der-Erde-Kommen, das hier nicht steinern, sondern der wehenden Dämpfe wegen organisch wirkt, mit der Schwangerschaft, mit dem aus-dem-Körper-Kommen, also mit Leiblichem, parallelführt, ohne das aber ausdrücklich so zu bezeichnen.
Der Film ist das perfekte Beispiel für einen über lange Strecken kruden italienischen Realismus, der sich plötzlich vollkommen transzendiert – und zwar, je realistischer – naturnäher – die Szenen sind: je blutiger, je kompromißoser… ein gefangenes Frettchen wird vorgeführt, das vor laufender Kamera ein Stallkaninchen tötet – heute ginge jeder Tierschutzverein auf die Barrikaden dagegen -; ein Thunfischfang wird dokumentiert: s e h r blutig ist das, ein völliges Gemetzel, und hinterher gibt es eine Dankes-Andacht auf den Booten – hier schon die magische Welle von Transzendenz einer organischen Wirklichkeit, die es genau i s t, was Karin – stellvertretend bis heute für die gesamte „westliche“ Zivilisation – nicht erträgt: Sie will den S c h e i n, will den Verblendungszusammenhang, will „so tun, als wäre es anders“. Und wird schließlich auf Allunmittelbarstes zurückkonfrontiert. Da ruft sie dann eben nicht G o t t, sondern ruft eigentlich den Vulkan an: die Lebensgewalt selber, Schöpfungsgewalt. Ich will mein Kind! Antwortlos endet der Film. Weggecutet. Behaltet die B i l d e r!
>>>> Stromboli 13
Stromboli 11 (14.50 Uhr) <<<<

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