1 thought on “HEUTE. Lesung auf Burg Ranis. 8. MÄRZ 2007.”
Die Macht der strengen Form. Ranis. Der Profi >>>> hatte mich angerufen (12.57 Uhr) , er wolle m i t auf die Lesung kommen, „laß uns mit dem Wagen fahren“. So brausten wir mit 200/220 Sachen über die Autobahn ins tiefe Thüringen, konnten sogar noch in Jena >>>> Titania Carthaga ins Auto fischen, dann bohrten wir uns über die kurvige Landstraße ins „Dunkeldeutschland“ (so der Profi, der permanente Bemerkungen über Ostdeutsche machte, allerdings einräumte: „Was Sex anbelangt, sind und waren die immer freier als wir“) tief hinein, und es wurde wirklich dunkel, aber das lag an der Tageszeit. Traurige Orte taten sich auf und wurden immer trauriger. „Ja Göttin“, sagte ich, „wer soll denn hier zu einer Lesung kommen?“ „Na, so zehn/fünfzehn Verstreute…“
Aber dann war ich vorversöhnt, als wir den Berg hinanfuhren auf einem Weg, der einen unmittelbar erinnern ließ, wie uns Hunderte Jahre früher Berittene und Karren vorausgehuft, vorausgereift waren, man roch geradezu Sattelzeug, Pferdeschweiß und Pferdedung und das Öl in den Scharnieren der scheppernden Rüstungen… und dann kam links eine alte Mauer (hab ich je geschrieben, w i e sehr ich solche Mauern liebe?), leitete in der Kurve weiter, schon erhob sich die Burg, der erste Eingang, steinern, ein Zwischenhof, das zweite steinerne Tor, davor rechts der Parkplatz. „Das ist ja eine richtige Kinder-Ritterburg, das ist ja was für J u n g e n!“ rief ich aus, und es wäre mir in dem Moment völlig wurscht gewesen, hätte es nachher nur z w e i Zuhörer gegeben. D a s nämlich hat uns die alte DDR – nolens volens, mag sein – g e s c h e n k t: daß den alten Sehenswürdigkeiten ihr Alter nicht weggeglättet wird, sondern überall riecht Geschichte und roch eben hier das Mittelalter. Bei uns hätte man eine Sektion von Disneyland draus gemacht. Hier bleibt hingegen so vieles erhalten, das einmal altes Deutschland war, ein Vor-Hitler-Deutschland, Vor-Mitläufer-Deutschland, Vor-Lynchgesinnungs-Deutschland (wie die Deutschen mit Hitler mitgelaufen sind, so, ganz so, laufen sie heute mit den USA mit… Hauptsache, man kann sich wo dranhängen und fällt nicht auf und kann sich‘s bequem machen), ein Deutschland, das an Flüssen mit den Nixen sprach, Legenden-Deutschland – eines, das eben nicht Nation, sondern Kulturraum war. Für ein solches Land ist allein schon die I d e e der mit Grenzen ausgestatteten Nation verheerend und führt direkt in den Untergang. Aber das ist ein anderes Thema.
Und dann f ü l l t e sich der Raum. Ich war verdutzt. Stühle mußten hinzugestellt werden. Martin Staub, der sehr feine, sehr kultivierte Geschäftsführer des Literaturvereins führte sehr zurückhaltend in die Lesung ein. Ich las die Titelgeschichte der >>>> NIEDERTRACHT DER MUSIK, dann ein paar wenige Gedichte, dann aus >>>> Su Schleyers „Unterwegs“ die LENA PONCE , schließlich die Erste Elegie in der letzten, strengen Fassung. Das wirkte. Ich beging einen Fehler, als ich daraufhin noch die Neunte, in der eben noch-nicht strengen Fassung las. Sie fiel völlig ab, ich spürte das selbst, ihre Schönheiten lösten sich fast gänzlich gegenüber dem Block der durchgeformten Ersten auf. „Sie wirkte auf mich geschwätzig“, sagte später beim Bier eine schöne Hörerin. Und ich wußte, ihr Eindruck war richtig – nicht, weil die Neunte nichts zu sagen hätte und deshalb zu viel sagt, sondern weil die Stringenz des Gesagten noch nicht herausgemeißelt ist. Insofern war es wiederum richtig, sie zu vorlesen: Es machte mir den Unterschied sinnlich greifbar, und das war für mich wie eine Ermahnung. Arbeit lohnt sich. So einfach ist das. So grausam. In Kunst ist kein „nur mal wollen“ erlaubt und schon gar nicht „ich habe aber gemeint“.
Später saßen wir unten in der „Schmiede“ von Ranis bei Hubert, einem Mann von ungefähr 250 kg Lebendgewicht, dessen Ausdruck, beugt er sich vor und sieht durch seine schmale Brille dann auf, ziemlich an Günter Grass erinnert. Dort aßen wie dörflich-Einfaches. Ich erzählte von meinem Eindruck, im Osten stießen meine Erzählungen, wie perfekt auch immer gebaut, meist auf Abwehr (im Westen hingegen merkte man die Spannungen gar nicht), weil sie keine moralische Eindeutigkeit transportierten, sondern im Gegenteil die Ambivalenz gestalteten, und zwar gerade in erotischen Zusammenhängen: wie Eros und Sozialität und also Moral notwendigerweise kollidierten… usw. Daraufhin warf der Vorsitzende des Literaturvereins – Lehrer und seinerseits Künstler – etwas höchst Bedenkenswertes ins Gespräch: „Die DDR war immer eine Verbindlichkeitsgesellschaft. Sie war das notwendigerweise, man wäre sonst untergegangen. Man mußte sich aufeinander verlassen. Das ist in der kapitalistischen Gesellschaft anders, die eine Unverbindlichkeitsgesellschaft ist, die sich über Verträge regelt. Für uns spielten Verträge keine Rolle, sondern der gegenseitige unbedingte Verlaß. So sind wir sozialisiert. Da wirken Erzählungen wie die Ihren verstörend.“ Diesem Gedanken, denke ich, ist nachzugehen; von ihm aus läßt sich möglicherweise vieles verstehen, das Ost- und Westdeutsche bis heute trennt. Vielleicht sind es Burgen wie Ranis, die, auf architektonische Weise, eine Brücke bauen können – sofern wir Wessis nicht hingehen und das, was an dieser Ritterburg derart berührt, mit Blick allein auf Bilanzen marktgängig machen und wegglätten.
Ich hätte also gern mehr Lesungen im Osten, ich spräche gern mehr mit den Leuten und machte ihnen gerne klar, daß die von mir erzählten Ambivalenzen keine glättenden der Ökonomie sind und auch nicht aus ihr stammen, sondern tragische Ambivalenzen, schicksalhafte, daß mich d a s daran interessiert: was gänzlich außerhalb unserer Entscheidungen steht. Die Parzen, an die ich glaube, interessieren mich.
Die Macht der strengen Form. Ranis. Der Profi >>>> hatte mich angerufen (12.57 Uhr) , er wolle m i t auf die Lesung kommen, „laß uns mit dem Wagen fahren“. So brausten wir mit 200/220 Sachen über die Autobahn ins tiefe Thüringen, konnten sogar noch in Jena >>>> Titania Carthaga ins Auto fischen, dann bohrten wir uns über die kurvige Landstraße ins „Dunkeldeutschland“ (so der Profi, der permanente Bemerkungen über Ostdeutsche machte, allerdings einräumte: „Was Sex anbelangt, sind und waren die immer freier als wir“) tief hinein, und es wurde wirklich dunkel, aber das lag an der Tageszeit. Traurige Orte taten sich auf und wurden immer trauriger. „Ja Göttin“, sagte ich, „wer soll denn hier zu einer Lesung kommen?“ „Na, so zehn/fünfzehn Verstreute…“
Aber dann war ich vorversöhnt, als wir den Berg hinanfuhren auf einem Weg, der einen unmittelbar erinnern ließ, wie uns Hunderte Jahre früher Berittene und Karren vorausgehuft, vorausgereift waren, man roch geradezu Sattelzeug, Pferdeschweiß und Pferdedung und das Öl in den Scharnieren der scheppernden Rüstungen… und dann kam links eine alte Mauer (hab ich je geschrieben, w i e sehr ich solche Mauern liebe?), leitete in der Kurve weiter, schon erhob sich die Burg, der erste Eingang, steinern, ein Zwischenhof, das zweite steinerne Tor, davor rechts der Parkplatz. „Das ist ja eine richtige Kinder-Ritterburg, das ist ja was für J u n g e n!“ rief ich aus, und es wäre mir in dem Moment völlig wurscht gewesen, hätte es nachher nur z w e i Zuhörer gegeben. D a s nämlich hat uns die alte DDR – nolens volens, mag sein – g e s c h e n k t: daß den alten Sehenswürdigkeiten ihr Alter nicht weggeglättet wird, sondern überall riecht Geschichte und roch eben hier das Mittelalter. Bei uns hätte man eine Sektion von Disneyland draus gemacht. Hier bleibt hingegen so vieles erhalten, das einmal altes Deutschland war, ein Vor-Hitler-Deutschland, Vor-Mitläufer-Deutschland, Vor-Lynchgesinnungs-Deutschland (wie die Deutschen mit Hitler mitgelaufen sind, so, ganz so, laufen sie heute mit den USA mit… Hauptsache, man kann sich wo dranhängen und fällt nicht auf und kann sich‘s bequem machen), ein Deutschland, das an Flüssen mit den Nixen sprach, Legenden-Deutschland – eines, das eben nicht Nation, sondern Kulturraum war. Für ein solches Land ist allein schon die I d e e der mit Grenzen ausgestatteten Nation verheerend und führt direkt in den Untergang. Aber das ist ein anderes Thema.
Und dann f ü l l t e sich der Raum. Ich war verdutzt. Stühle mußten hinzugestellt werden. Martin Staub, der sehr feine, sehr kultivierte Geschäftsführer des Literaturvereins führte sehr zurückhaltend in die Lesung ein. Ich las die Titelgeschichte der >>>> NIEDERTRACHT DER MUSIK, dann ein paar wenige Gedichte, dann aus >>>> Su Schleyers „Unterwegs“ die LENA PONCE , schließlich die Erste Elegie in der letzten, strengen Fassung. Das wirkte. Ich beging einen Fehler, als ich daraufhin noch die Neunte, in der eben noch-nicht strengen Fassung las. Sie fiel völlig ab, ich spürte das selbst, ihre Schönheiten lösten sich fast gänzlich gegenüber dem Block der durchgeformten Ersten auf. „Sie wirkte auf mich geschwätzig“, sagte später beim Bier eine schöne Hörerin. Und ich wußte, ihr Eindruck war richtig – nicht, weil die Neunte nichts zu sagen hätte und deshalb zu viel sagt, sondern weil die Stringenz des Gesagten noch nicht herausgemeißelt ist. Insofern war es wiederum richtig, sie zu vorlesen: Es machte mir den Unterschied sinnlich greifbar, und das war für mich wie eine Ermahnung. Arbeit lohnt sich. So einfach ist das. So grausam. In Kunst ist kein „nur mal wollen“ erlaubt und schon gar nicht „ich habe aber gemeint“.
Später saßen wir unten in der „Schmiede“ von Ranis bei Hubert, einem Mann von ungefähr 250 kg Lebendgewicht, dessen Ausdruck, beugt er sich vor und sieht durch seine schmale Brille dann auf, ziemlich an Günter Grass erinnert. Dort aßen wie dörflich-Einfaches. Ich erzählte von meinem Eindruck, im Osten stießen meine Erzählungen, wie perfekt auch immer gebaut, meist auf Abwehr (im Westen hingegen merkte man die Spannungen gar nicht), weil sie keine moralische Eindeutigkeit transportierten, sondern im Gegenteil die Ambivalenz gestalteten, und zwar gerade in erotischen Zusammenhängen: wie Eros und Sozialität und also Moral notwendigerweise kollidierten… usw. Daraufhin warf der Vorsitzende des Literaturvereins – Lehrer und seinerseits Künstler – etwas höchst Bedenkenswertes ins Gespräch: „Die DDR war immer eine Verbindlichkeitsgesellschaft. Sie war das notwendigerweise, man wäre sonst untergegangen. Man mußte sich aufeinander verlassen. Das ist in der kapitalistischen Gesellschaft anders, die eine Unverbindlichkeitsgesellschaft ist, die sich über Verträge regelt. Für uns spielten Verträge keine Rolle, sondern der gegenseitige unbedingte Verlaß. So sind wir sozialisiert. Da wirken Erzählungen wie die Ihren verstörend.“ Diesem Gedanken, denke ich, ist nachzugehen; von ihm aus läßt sich möglicherweise vieles verstehen, das Ost- und Westdeutsche bis heute trennt. Vielleicht sind es Burgen wie Ranis, die, auf architektonische Weise, eine Brücke bauen können – sofern wir Wessis nicht hingehen und das, was an dieser Ritterburg derart berührt, mit Blick allein auf Bilanzen marktgängig machen und wegglätten.
Ich hätte also gern mehr Lesungen im Osten, ich spräche gern mehr mit den Leuten und machte ihnen gerne klar, daß die von mir erzählten Ambivalenzen keine glättenden der Ökonomie sind und auch nicht aus ihr stammen, sondern tragische Ambivalenzen, schicksalhafte, daß mich d a s daran interessiert: was gänzlich außerhalb unserer Entscheidungen steht. Die Parzen, an die ich glaube, interessieren mich.